Die Rezeptionsgeschichte des Briefwechsels polnischer und deutscher Bischöfe von 1965
Gegen Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, genau am 18. November 1965, erhielten die in Rom versammelten deutschen Bischöfe von ihren polnischen Amtsbrüdern ein Schreiben, das mit seiner Wirkung weit in die Geschichte deutsch-polnischer sowie europäischer Beziehungen hineinreicht. Es war verfasst worden vom Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek (1903 – 1974), dem die Bürger der niederschlesischen Metropole im Gedenken an seine Autorenschaft 2005 auf der Sandinsel ein übermannshohes Denkmal errichteten, versehen mit der Inschrift: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Rein formal handelt es sich bei diesem Brief um eine Einladung, wie sie damals in 56 Schreiben weltweit an die Bischofskonferenzen ergangen war, 1966 an der Tausend-Jahr-Feier der Taufe Polens teilzunehmen. Doch angesichts der belasteten deutsch-polnischen Geschichte, zumal in Erinnerung an die noch nicht vernarbten Wunden der Leiden des polnischen Volkes während des Zweiten Weltkriegs, bedurfte es einer eigenen Botschaft, wie sie ganz am Ende des mehrseitigen Briefes in den Sätzen zum Ausdruck kommt: Wir strecken „unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgesteckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigen Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern. Wir laden Sie dazu herzlichst nach Polen ein.“
Durch einige missliche Umstände verzögerte sich die Antwort der deutschen Bischöfe, so dass sie erst am 5. Dezember in einem relativ kurzen Schreiben ihre Freude über die Einladung zum Ausdruck brachten und, auffallend nüchtern, auf das Versöhnungsangebot mit dem Satz reagierten: „Mit brüderlicher Ehrfurcht ergreifen wir die dargebotenen Hände.“
Im Folgenden soll zunächst ein Aspekt zur Sprache kommen, der angesichts der normalerweise lediglich auf die Bundesrepublik bezogenen Rezeptionsgeschichte des Briefwechsels kaum Beachtung findet – seine Auswirkung auf die Kirche in der DDR. Daran anschließend komme ich auf den durch den Briefwechsel initiierten innerkirchlichen Dialog beider Episkopate zu sprechen. Meine Überlegungen beende ich mit einer Untersuchung der politischen Relevanz des Briefwechsels für den Prozess deutsch-polnischer Verständigung und europäischer Entwicklung.
Der kirchenpolitische Konflikt um den Briefwechsel in der DDR
Die Tatsache, dass auch die Bischöfe aus der DDR, unter ihnen Erzbischof Alfred Bengsch (1921 – 1979) als Vorsitzender der Berliner Ordinarienkonferenz, den deutschen Antwortbrief unterzeichnet hatten, bescherte ihnen daheim einen kirchenpolitischen Konflikt. Mit einer negativen Einschätzung informierte das Ministerium für Staatssicherheit bereits am 16. Dezember 1965 die Führung des Politbüros über den „Austausch der Botschaften“. Damit wird deutlich, welchen Stellenwert die DDR-Organe diesem innerkirchlichen Vorgang beimaßen. Die gelenkte Presse reagierte mit einer Kampagne. Die „begegnung“, Monatsschrift der „fortschrittlichen Katholiken“, beanstandete in ihrer Januarausgabe 1966, „daß unser Staat und seine Politik in dem Briefwechsel ignoriert und die Bemühungen unserer Regierung um Frieden und Völkerverständigung mißachtet werden.“ Die DDR-Bischöfe hätten mit ihrer Unterschrift „eine Einheit zu bekunden versucht, die zwar im Glauben, nicht aber in der politischen Wirklichkeit existiert.“ Dieser Vorwurf besitzt insofern seine Berechtigung, als im Vorfeld des Briefwechsels von polnischer Seite angeregt worden war, zwei getrennte Briefe zu versenden, einen an den westdeutschen Episkopat, einen an die Bischöfe in der DDR. Dieser Vorschlag wurde aber von den deutschen Bischöfen zurückgewiesen, die ihre kirchliche Einheit nicht durch politische Umstände gespalten sehen wollten. Unter dem Titel „Placet für Bonn?“ machte am 16. Dezember Chefredakteur Hermann Kalb im Zentralorgan der Ost-CDU „Neue Zeit“ die Bischöfe aus der DDR dafür mitverantwortlich, dass sich der deutsche Antwortbrief in der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ausschweigt. Zur besonderen Zielscheibe wurde Erzbischof Alfred Bengsch, den Günter Kertzscher, stellvertretender Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“, in der Ausgabe vom 24. Dezember 1965 als einen „Mann Bonns“ bezeichnete. Und die Redaktion des St. Hedwigblattes“, die den Briefwechsel auszugsweise abgedruckt hatte, wurde durch staatliche Anordnung zu einer „Gegendarstellung des Presseamtes der DDR“ genötigt.
Diese Pressekampagne wurde begleitet von Aktivitäten hinter den Kulissen. Besonders aufschlussreich ist ein Konzeptionspapier aus der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen. Darin wird der Briefwechsel nicht nur als eine für die Amtszeit des Berliner Erzbischofs typische „Angleichung an die kirchenpolitische Position der eng mit Bonn verbundenen westdeutschen Kirchenleitung“ interpretiert, sondern als „Mittel der ideologischen Diversion“ verstanden, um „Voraussetzungen für die Erosion der kommunistischen Ideologie“ zu schaffen und auf dem Wege einer „Evolution“ und „Entideologisierung“ West- und Osteuropa zu „vereinigen“. Dieser Einschätzung ist eine gewisse Hellsichtigkeit nicht abzusprechen, fand sie doch durch den weiteren Verlauf der Geschichte ihre Bestätigung.
Dieses Konzeptionspapier diente zugleich der Vorbereitung eines mit Erzbischof Bengsch zu führenden Gesprächs, das darauf abzielen sollte, die von ihm „unter dem Schein der Loyalität“ betriebene negative Kirchenpolitik zu entlarven und ihm die Grenzen seiner Macht vor Augen zu führen. Das Gespräch fand am 14. Februar 1966 im Staatssekretariat für Kirchenfragen statt. Es ist durch Niederschriften des Berliner Ordinariats und des Staatssekretariats für Kirchenfragen gut dokumentiert. Erzbischof Alfred Bengsch musste sich dem von Staatssekretär Hans Seigewasser (1905 – 1979) gegen ihn erhobenen Vorwurf stellen, durch seine Mitwirkung am Zustandekommen dieses Briefwechsels seine staatliche Loyalitätspflicht verletzt und „in Rom die Existenz der DDR negiert“ zu haben. Der Vorsitzende der Ordinarienkonferenz wies diesen Vorwurf entschieden zurück, indem er dem Briefwechsel vor allem für Westdeutschland, kaum aber für die DDR Bedeutung beimaß. Zudem habe gerade „die Mitwirkung der DDR-Bischöfe gewährleistet, daß in dem deutschen Antwortbrief jeder revanchistische Akzent ausgeschaltet werden konnte.“
Das Gespräch mit Erzbischof Bengsch wäre sicher um einiges schärfer geführt worden, hätten die DDR-Organe damals gewusst, was Prälat Theodor Schmitz (1916 – 2003), einer seiner engsten Vertrauten, in der „Deutschen Tagespost“ vom 25. November 1995 öffentlich machte. Danach habe er dem Vorsitzenden der Ordinarienkonferenz damals in Rom dazu bewogen, mit einem eigenen Entwurf des Antwortbriefes der zu seiner Vorbereitung einberufenen Dreierkommission zuvorzukommen; dies zumal, weil ihr auch der Meißener Bischof Otto Spülbeck (1904 – 1970) angehörte, den Bengsch nach eigener Aussage für ungeeignet gehalten habe, wichtige Gesichtspunkte der Ost-Bischöfe einzubringen. Sein Entwurf, vom Görlitzer Weihbischof Gerhard Schaffran (1912 – 1996), einem gebürtigen Schlesier, um den später für reichlich Anstoß sorgenden Passus zum Heimatrecht der Vertriebenen ergänzt, sei bis auf „einige kleinere redaktionelle Änderungen“ von allen Bischöfen angenommen und unterzeichnet worden. Sollte sich die Darstellung von Prälat Schmitz nach Prüfung aller Quellen bestätigen, dann wäre dies ein durchaus kurioser Befund, stammte doch der vornehmlich als Position westdeutscher Bischöfe verstandene Antwortbrief aus der Feder zweier ostdeutscher Autoren.
Das Gespräch vom 14. Februar hatte zu einer Entschärfung des kirchenpolitischen Konflikts geführt. Doch die Ordinarienkonferenz war vor weiteren gemeinsamen Unternehmungen mit den westdeutschen Bischöfen gewarnt. So verzichteten sie künftig darauf, in Einheit mit den westdeutschen Amtsbrüdern Erklärungen zum deutsch-polnischen Verhältnis abzugeben. Auch gingen von der Berliner kirchlichen Zentrale keine durch den Briefwechsel initiierten pastoralen Impulse aus. Vielmehr wurden manche von der kirchlichen Basis ausgehende Aktionen, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, eher skeptisch beurteilt bzw. untersagt. So hatte die Berliner Ordinarienkonferenz noch vor dem Briefwechsel auf ihrer Konferenz vom 30./31. März 1965 die Mitwirkung von Katholiken an von der „Aktion Sühnezeichen“ geplante Arbeitseinsätze in Auschwitz und anderen in Polen gelegenen ehemaligen deutschen Konzentrationslagern ausdrücklich untersagt. An dieser Einstellung änderte sich nach dem Briefwechsel nichts, so dass derlei Einsätze gegen den doppelten Widerstand, den des Staates und den der eigenen Kirche, durchgeführt werden mussten. Günter Särchen (1927 - 2004), Laie im kirchlichen Dienst und der wohl bedeutendste und in Polen hochgeschätzte Initiator von Aktionen deutsch-polnischer Versöhnung in der DDR, notierte auf der Intensivstation, auf die er wegen einer bei einer Stasizuführung erlittenen Herzattacke eingeliefert worden war: „Mein katholischer Bischof und Administrator in Magdeburg – gemeint ist der damalige Bischof Johannes Braun (1919 – 2004) – und vor allem die für die Verbindung mit staatlichen Dienststellen der DDR zuständigen Verhandlungsprälaten in Berlin versagen mir und uns, die wir Dienste und Aktivitäten in Richtung Polen erdachten und seit zwanzig Jahren tun, die Solidarität.“
Interkirchlicher Dialog als Konsequenz des Briefwechsels
Neben dem viel zitierten Satz wechselseitiger Vergebung enthält der polnische Bischofsbrief auch ein Angebot zum Dialog: „Wenn echter guter Wille beiderseits besteht – und das ist wohl nicht zu bezweifeln -, dann muß ja ein ernster Dialog gelingen und mit der Zeit gute Früchte bringen – trotz allem, trotz heißer Eisen.“ Dieser Dialog soll „auf bischöflicher Hirtenebene beginnen, und zwar ohne Zögern.“ Auf dieses Dialogangebot gehen die deutschen Bischöfe bezeichnenderweise nicht, wie von polnischer Seite erhofft, in Bezug auf das „heiße Eisen“ der Grenzfrage ein, sondern in Zusammenhang mit dem Passus, in dem sie in ihrem Antwortbrief mit Blick auf die Vertriebenen deren „Recht auf Heimat“ betonen und unter diesem „Recht“ die Verbundenheit mit der alten Heimat verstehen – ohne mit ihm revanchistische Ansprüche zu verbinden. Sie plädieren dafür, im Geiste christlicher Liebe „sich jeweils in die Sorgen und Nöte des anderen hineinzuversetzen und so Spannungen und Grenzen zu überwinden“, um am Ende zu „einer nach allen Seiten befriedigenden und gerechten Lösung“ zu gelangen. In diesem Sinn betonen sie, „daß kein deutscher Bischof etwas anderes will und jemals etwas anderes fördern wird, als das brüderliche Verhältnis beider Völker in voller Aufrichtigkeit und ehrlichem Dialog.“
1. Behinderung des interkirchlichen Dialogs durch die kommunistischen Organe der DDR und Polens
Doch diesem Dialog waren zunächst enge Grenzen gezogen. Sowohl die kommunistische Führung der DDR als auch Partei und Regierung Polens sahen in dem Briefwechsel eine gegen das sozialistische Lager gerichtete Offensive, bei der den Bischofskonferenzen systemübergreifend eine Schlüsselrolle zukommen sollte. Um diese Offensive zu verhindern, verhängten sie eine Kontaktsperre. Damit konnten die deutschen Bischöfe nicht nur nicht der Einladung zum polnischen Millennium Folge leisten, sondern es wurden überhaupt wechselseitige Besuchsreisen und Begegnungen unmöglich gemacht, so dass der vom Briefwechsel intendierte Dialog damit kaum zu realisieren war. Dieses Reiseverbot wurde erst aufgehoben nach der 1972 vollzogenen Ratifizierung des 1970 zwischen der Volksrepublik Polen und der deutschen Bundesrepublik abgeschlossenen Vertrages „über die Grundlagen der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen“, durch den die Bundesrepublik die Gültigkeit der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße anerkannt hatte. Die Ratifizierung veranlasste zudem den Vatikan, der seit Jahren unter erheblichem Druck erhobenen Forderung der kommunistischen Führung nach Einrichtung ordentlicher Bistümer in den ehemals deutschen Gebieten nachzukommen.
2. Der Briefwechsel zwischen Primas Wyszyński und Kardinal Döpfner
Der interkirchliche Dialog stand zunächst unter dem Vorzeichen einer Enttäuschung über den deutschen Antwortbrief, von dem sich die polnische Seite eine klare Aussage zur Anerkennung der polnischen Westgrenze erhofft hatte. So wandte sich am 5. November 1970 der polnische Primas Stefan Wyszyński (1901 – 1981) brieflich an Kardinal Julius Döpfner (1913 – 1971), den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, und bat ihn um eine positive Stellungnahme zu den laufenden Verhandlungen zwischen der von Bundeskanzler Willy Brandt (1913 – 1992) geführten sozial-liberalen Koalition und der polnischen Regierung zum Abschluss des Warschauer Vertrages: „In dieser historischen Stunde“, in der sich erstmals nach dem Krieg „die Möglichkeit einer Regelung der Lebensfrage des polnischen Volkes und Staates“ abzeichne, dürfe „die bischöfliche Führung in der Bundesrepublik“ nicht abseits stehen. Vielmehr sei es ihre Aufgabe, „die staatliche Leitung auf die Wichtigkeit der kommenden Entscheidung aufmerksam zu machen.“ Zudem ließ der polnische Primas seinen deutschen bischöflichen Amtsbruder wissen, die deutsche Antwort auf den polnischen Versöhnungsbrief vor fünf Jahren sei in Polen als ein „öffentliches Ärgernis“ verstanden worden, zumal sich – in Anspielung auf die Ost-Denkschrift der EKD - die deutschen Protestanten entgegenkommender gezeigt hätten. Die „katholische Kirche in der Bundesrepublik“ dürfe nicht vergessen, „daß die GRENZFRAGE für Polen eine LEBENSFRAGE und zugleich eine KIRCHENFRAGE“ sei, letzteres, weil es sich bei Polen um „das letzte Bollwerk des Katholizismus im Osten“ handle. Nun sei es an der Zeit, das damals Versäumte nachzuholen.
Doch erneut wurde der polnische Primas in seiner Erwartung enttäuscht. Kardinal Döpfner lässt den Termin der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages verstreichen und antwortet erst am 14. Dezember 1970. Er äußert seine Betroffenheit über die herbe Kritik am deutschen Antwortbrief, die er „in dieser Art nicht erwartet“ habe. Er gesteht ein, „daß der Brief verhaltener, reservierter wirkt“ als die polnische Versöhnungsbotschaft und meint, man hätte „damals einiges wärmer formulieren können.“ Im Kern allerdings, „speziell bezüglich der Grenzfrage“, hätte man kaum „wesentlich anders“ schreiben können. Damals wie heute könne sich die Kirche „nicht in konkrete politische Auseinandersetzungen hineinziehen lassen.“ Im Übrigen stünden „die deutschen Bischöfe und die deutschen Katholiken […] in ihrem Versöhnungswillen […] nicht hinter ihren evangelischen Mitbürgern“ zurück.
Allerdings bleibt zu fragen, ob die deutschen Bischöfe in der damaligen Situation bei aller gebotenen parteipolitischen Zurückhaltung ihrem diakonischen Auftrag, zu den Lebensfragen der Nation Stellung zu beziehen, gerecht geworden sind. In ihrer Argumentration haben sie sich offensichtlich allzu sehr von der Rücksicht auf die ihr „Recht auf Heimat“ einfordernden Vertriebenen leiten lassen.
3. Der Dialog der Versöhnung bewirkt nicht unbedingt Verständigung
Die ersten interkirchlichen Gespräche nach Aufhebung der Einreissperre fanden 1973 in Warschau statt und dienten der Intensivierung der zwischenkirchlichen Beziehungen. Diese erhielten im September 1978 durch den Besuch einer hochrangigen Delegation des polnischen Episkopats in Fulda und Köln einen ersten Höhepunkt. Zwei Jahre später kam es dann im Paulinerkloster Jasna Góra zu einer gemeinsamen Sitzung beider Bischofskonferenzen. Es waren gelungene Begegnungen, die – nach einer Aussage von Kardinal Joseph Höffner (1906 – 1987) - den beiderseitigen Willen verstärkten, „diesen Weg unbeirrbar fortzusetzen.“
Um ihre Solidarität mit der unter dem Kriegsrecht leidenden polnischen Nation zu bezeugen, hielt sich im Juni 1982 eine von Kardinal Höffner geleitete Delegation in Polen auf. Gemeinsam mit ihren polnischen Amtsbrüdern richteten die deutschen Bischöfe in Auschwitz an Papst Johannes Paul II. die Bitte, den 1971 selig gesprochenen Märtyrer Maksymilian Kolbe heilig zu sprechen.
Wenngleich das gemeinsame Kommuniqué keinen Hinweis auf die dramatische Lage in Polen enthält, so war diese doch bei den Gesprächen präsent, die – in Anknüpfung an den Besuch der polnischen Bischöfe 1978 in der Bundesrepublik – von dem Verlangen bestimmt waren, in beiden Ländern einen Beitrag zur Erneuerung Europas im Geiste Christi zu leisten. Nach Überzeugung der Bischöfe sei eine Erneuerung der religiösen und moralischen Werte, auf deren Grundlage Europa entstanden ist und deren Verlust es zutiefst gefährde, die vordringlichste Ausgabe der europäischen Kirchen, und die Lösung dieser Aufgabe erfordere verstärkt einen ost-westlichen Dialog.
Am 7. Dezember 1985 gedachten die polnischen und deutschen Bischöfe in der römischen Kirche Santa Maria Trastevere des 20. Jahrestages des Austausches der beiderseitigen Versöhnungsbotschaften. Im Rückblick auf den zurück gelegten Weg der Versöhnung zogen beide Seiten eine insgesamt positive Bilanz. So erklärte Kardinal Höffner zu Beginn des Gottesdienstes: „Das Werk der Versöhnung, das damals so kräftige Impulse erhielt, hat bereits dauerhafte Erfolge erreicht. Die Menschen in beiden Ländern begegneten sich und lernten sich besser kennen, zu einem guten Teil durch Vermittlung der Kirche. Das Verständnis für das andere Volk, für seine Geschichte, seine Kultur und seinen Lebensstil, ist gewachsen.“
Doch neben dieser positiven Bilanz verwies der Kardinal auch auf „ungelöste Fragen, die zwischen unseren Völkern stehen und um deren Ernst wir auch nach 20 Jahren des Dialogs wissen.“ Er sagte dies auf dem Hintergrund einiger Irritationen, die das beiderseitige Verhältnis in der ersten Hälfte der 1980er Jahre belastet hatten. Diese betrafen vor allem die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der „Rückkehr der katholischen Kirche“ nach Pommern, die am 23./24. Juni 1985 in Szczecin/Stettin begangen worden waren. Trotz Einladung waren ihnen die deutschen Bischöfe fern geblieben, weil sie mit ihrer Präsenz den mit dem Begriff der „Rückkehr“ verbundenen geschichtlichen Anspruch auf einst deutsche Gebiete nicht unterstützen wollten. Der Vorfall zeigt, dass Versöhnung und Verständigung keineswegs deckungsgleich sind, sondern zwischen beiden Polen durchaus ein Spannungsverhältnis bestehen kann. In dieser nüchternen Einsicht wurde denn auch in dem römischen Gedenkgottesdienst bei aller Versöhnung eine mangelnde Verständigung eingestanden. Dieses Eingeständnis hatte im Übrigen eine von den deutschen Bischöfen vorgeschlagene gemeinsame Erklärung zum 20. Jahrestag des „offiziellen Versöhnungsbeginns“ nicht zustande kommen lassen, weil die polnischen Bischöfe darauf bestanden, im dem Text eine über den Warschauer Vertrag hinaus gehende völkerrechtliche Bindungskraft der Anerkennung der polnischen Westgrenze zu verankern.
Die Erfahrung, dass Versöhnung und Verständigung nicht deckungsgleich sind, bestimmte den interkirchlichen Dialog auch in den folgenden Jahren. So zogen zwar beide Seiten drei Jahrzehnte nach dem denkwürdigen Briefwechsel eine positive Bilanz, verschwiegen aber auch nicht „die ernsten und immer noch nicht völlig bewältigten Probleme unserer gemeinsamen Geschichte und Zukunft.“ Zu den Streitpunkten zählt u. a. die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat, die im polnischen Versöhnungsbrief nicht als „Unrecht“, sondern als „Leid“ vermerkt wurde. Fünf Jahre vor dem Gemeinsamen Wort von 1995 war es auf dem Treffen in Gnesen in dieser Frage zu keiner Verständigung gekommen. Nun einigte man sich auf eine Kompromissformel, in der vom „Unrecht“ die Rede ist, „das vielen Deutschen durch Vertreibung und Verlust der Heimat im Gefolge der Beschlüsse der Siegermächte von Polen angetan wurde.“ Mit dieser Aussage entsprachen die polnischen Bischöfe in dem Gemeinsamen Wort dem Wunsch der deutschen Seite, ohne allerdings deren Auffassung zuzustimmen, dass es sich bei der Vertreibung um ein völkerrechtswidriges Unrecht gehandelt hat.
Kurz angemerkt sei noch die Solidarität, die Polen in Zeiten der Not erfahren hat. So gingen allein in der Zeit des Kriegsrechts im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes Hilfsgüter im Werte von über 100 Millionen DM in unser östliches Nachbarland. Die Hilfe wurde auch in den Folgejahren fortgesetzt und seit der Gründung von Renovabis im Jahr 1993 in einem beträchtlichen Umfang geleistet. Zu erwähnen ist auch das 1973 ins Leben gerufene Maximilian-Kolbe-Werk, das bis heute durch persönliche Begegnung und materielle Unterstützung bemüht ist, die physischen und psychischen Leiden ehemaliger KZ-Insassen zu lindern. Und mit ihrem Beschluss vom 20. August 2000 schufen die deutschen Bischöfe in Abstimmung mit der Polnischen Bischofskonferenz die Voraussetzung für eine Entschädigung von Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen sowie für die Förderung von der Versöhnung dienenden Projekten.
Die politische Relevanz des Briefwechsels
Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit der Briefwechsel der Bischöfe in der Bundesrepublik für einen Impuls politischer Neuorientierung gesorgt hat. Sie ist allerdings nur im Zusammenhang mit der Ost-Denkschrift der EKD vom 1. Oktober 1965 zu beantworten, die nicht nur einige Wochen vor dem Austausch der Versöhnungsbotschaft polnischer und deutscher Bischöfe veröffentlicht wurde, sondern die auch in ihrer politischen Bedeutung über den deutschen Antwortbrief hinausgeht. Zwar sprechen sich ihre Autoren gleichfalls nicht direkt für eine Anerkennung der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße aus, aber sie betonen „daß das Erbe einer bösen Vergangenheit dem deutschen Volk eine besondere Verpflichtung auferlegt, in der Zukunft das Lebensrecht des polnischen Volkes zu respektieren und ihm den Raum zu lassen, dessen es zu seiner Entfaltung bedarf.“ Wegen des dem polnischen Volk angetanen Unrechts müsse „eine deutsche Regierung heute zögern, einen Rechtsanspruch auf die Rückgabe von Gebieten zu erheben, deren Besitz wegen des Verlustes von Ostpolen zu einer wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeit für Polen geworden ist.“
Zudem muss bedacht werden, dass der Briefwechsel der Bischöfe in eine Zeit hineinwirkte, die ohnehin für eine politische Neuorientierung reif schien. Wir erinnern uns, dass die Welt 1962 mit der Kubakrise am Abgrund eines Atomkrieges stand. Die Gefahr wurde zum Glück gebannt. Doch der Schock saß tief. Aufgrund dieser Erfahrung war im Ost-West-Konflikt zur bisherigen Politik eine Alternative gefragt, wie sie Egon Bahr 1963 auf einer Tagung der evangelischen Akademie in Tutzing in Abweichung von der Hallstein-Doktrin mit der Formel „Wandel durch Annäherung“ zur Diskussion stellte.
Es ist nicht zuletzt diese Umbruchssituation, die dem Briefwechsel eine weit über die Kirchen hinausgehende Aufmerksamkeit sicherte und – an ihr gemessen – zugleich die politische Unzulänglichkeit des deutschen Antwortbriefes deutlich werden ließ. Der Bamberger Katholikentag von 1966 bot eine erste Gelegenheit zu einer weiterführenden Aussage. So findet sich in seiner Erklärung zum deutsch-polnischen Briefwechsel die Versicherung, „sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, daß das deutsche Volk die nationalen Existenzrechte des polnischen Volkes respektiert, die deutsche Politiker in der Vergangenheit mißachtet haben.“ 1968 trat dann der im Wesentlichen aus Linkskatholiken bestehende Bensberger Kreis mit seinem Polenmemorandum an die Öffentlichkeit. Ähnlich wie die Ost-Denkschrift der EKD zeigt auch das Memorandum das Bemühen, die Vertriebenen in einen letztendlich auf die Anerkennung der polnischen Westgrenze hinauslaufenden Versöhnungsprozess einzubeziehen. Anstatt auf ihr „Recht auf Heimat“ zu pochen, werden sie mit Blick auf das dem polnischen Volk durch Krieg und Okkupation zugefügte furchtbare Unrecht aufgefordert, sich „innerlich von dem zu lösen, was ihnen einst gehörte“, wobei sie dies nicht als „Verzicht“, sondern „als Beitrag zu einer übernationalen Friedensordnung verstehen“ möchten. Doch diese Initiative stieß – nicht anders als die Ost-Denkschrift – bei den Vertriebenenverbänden auf Ablehnung. So beteuerten die katholischen Vertriebenenorganisationen in ihrer Erklärung vom 11. April 1968 zwar ihre Versöhnungsbereitschaft, wiesen aber den Verzicht auf ihre „natürlichen Rechte“ entschieden zurück.
Die Auseinandersetzung um die Ost-Denkschrift, den Briefwechsel der Bischöfe und um das Polenmemorandum des Bensberger Kreises führte so zu einer gesellschaftlichen Polarisierung, hatte zahlreiche Austritte, zumal bei den evangelischen Kirchen, zur Folge und brachte eine deutliche Annäherung des Linkskatholizismus an die SPD. Trotz all dieser Spannungen hat dennoch der Briefwechsel der Bischöfe letztendlich mit dazu beigetragen, die deutsche Gesellschaft für eine neue, mehrheitsfähige Ostpolitik zu sensibilisieren und den Abschluss des Warschauer Vertrages von 1970 zu ermöglichen. Zudem stellte der Briefwechsel in aller Deutlichkeit klar, dass Versöhnung die bleibende Grundlage für eine Verständigung mit Polen sein muss. Mit seinem Kniefall vor dem Warschauer Gettodenkmal bekräftigte der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt diesen unlöslichen Zusammenhang zwischen Versöhnung und Verständigung in den deutsch-polnischen Beziehungen.
Doch bevor es 1970 zum Abschluss des Warschauer Vertrages kam, hatten Polens Bischöfe einen harten Kirchenkampf zu bestehen. Denn ihre Versöhnungsbotschaft verstieß eklatant gegen die von der kommunistischen Führung vertretene Staatsdoktrin. Diese basierte auf dem „unverbrüchlichen Bündnis mit der Sowjetunion“. Nur sie allein, so glaubte man, könne die Oder-Neiße-Grenze gegen den „westdeutschen Revanchismus“ sichern und somit Polens Existenz garantieren. Eine Versöhnung mit den Deutschen und mit Deutschland – wobei in dem Briefwechsel zwischen Bundesrepublik und DDR nicht differenziert und damit gleichsam die Einheit Deutschlands vorweg genommen wurde – entzog dieser Staatsdoktrin die Grundlage.
Hinzu kommt das in der polnischen Versöhnungsbotschaft enthaltene brisante Geschichtsverständnis. Die seitenlangen Ausführungen zur tausendjährigen Geschichte Polens mit ihrer Symbiose von Kirche und Nation mögen dem bevorstehenden Millennium geschuldet sein. Doch damit brachten Polens Bischöfe – erneut im Widerspruch zur kommunistischen Staatsdoktrin – die Zugehörigkeit ihres Landes zum westeuropäischen Kulturkreis zum Ausdruck. Die Bedeutung dieser Grundaussage wurde damals weder von den deutschen Bischöfen, noch von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen. Es blieb der polnischen Opposition vorbehalten, diese Geschichtssicht aufzugreifen und auf ihrer Grundlage seit Mitte der 1970er Jahre eine politische Konzeption zu entwerfen, die unter der Voraussetzung völkerrechtlicher Anerkennung der polnischen Westgrenze eine Wiedervereinigung Deutschlands einschloss und das Ziel verfolgte, Polen aus der Vorherrschaft der Sowjetunion zu lösen, die volle Souveränität zurückzugewinnen und die Integration in die Europäische Gemeinschaft anzustreben. 1981, also lange vor dem erfolgreichen Abschluss dieser angestrebten Entwicklung, würdigte daher der Literaturwissenschaftler und mehrfach inhaftierte Dissident Jan Józef Lipski (1926 – 1991) die Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe als „die mutigste und weitest blickende Tat der polnischen Nachkriegsgeschichte“.
Seit dem denkwürdigen Briefwechsel sind 50 Jahre vergangen. Seine politischen Implikationen haben sich längst erfüllt. Der interkirchliche Dialog wird zwar weiterhin gepflegt, scheint aber durch die auf der römischen Bischofssynode vertretenen unterschiedlichen Positionen in Fragen der Ehe- und Familienpastoral belastet. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf das diesjährige Gedenken auswirkt. Die Kontaktgruppe beider Episkopate hat am 19./21. Mai auf ihrer 21. Sitzung ein Programm verabschiedet, das einen gemeinsamen Gottesdienst im polnischen Nationalheiligtum in Tschenstochau, eine zeitgleich am 18. November in Berlin und Breslau zu eröffnende Ausstellung sowie Symposien vorsieht. Von einer gemeinsamen Erklärung, wie dies an runden Gedenktagen bislang üblich, war nicht die Rede.
Erstveröffentlichung: imprimatur 3/2015