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30 Jahre Schulkatechese in Polen 05. 11. 2022


Die erste gesellschaftlich relevante Initiative der polnischen Bischofskonferenz nach dem Ende kommunistischer Herrschaft und der Übernahme der Regierungsverantwortung durch den ehemaligen Oppositionellen Tadeusz Mazowiecki im August 1990 galt der Einführung eines schulischen Religionsunterrichts. Auf ihren Druck, vorbei am Parlament und ohne gesetzliche Grundlage, öffneten sich für die Priester bereits mit Beginn des Schuljahrs am 1. September 1990 die Schultore. Entsprechend den bischöflichen Richtlinien wird seitdem in sämtlichen polnischen Schulsystemen ein streng katechetischer, ganz auf die Vermittlung katholischer Glaubenslehre ausgerichteter Unterricht erteilt.

Die Einführung der Schulkatechese war umstritten. Und des nicht nur, weil sie auf undemokratischem Wege erzwungen wurde und angesichts des damals vorherrschenden kirchlichen Triumphalismus erzwungen werden konnte. Schließlich war Polens Kirche mit dem Untergang des kommunistischen Systems als Sieger der Geschichte hervorgegangen und bildete einen beachtlichen gesellschaftlichen Machtfaktor. Unabhängig davon gab es innerkirchliche Stimmen von Priestern und namhaften Theologen, die die Einführung einer Schulkatechese für den falschen Weg hielten und dafür plädierten, es bei den bestehenden katechetischen Punkten im Nahbereich der Gemeinden zu belassen, da man mit ihnen zu Zeiten des Kommunismus gute Erfahrungen gemacht hatte. Selbst marxistische Religionssoziologen stellten für die Jahre zwischen 1977 und 1980 einen massenhaften Zulauf jüngerer Jahrgänge sowie unter Abiturienten eine Steigerung ihrer Teilnahme an dieser Form der Glaubensunterweisung von 61,6% auf 77,4% fest. Dieser Zuwachs ist zwar der religiösen Begeisterung zu verdanken, von der Polen durch die Papstwahl des Krakauer Kardinals Karol Wojtyła erfasst wurde, doch auch ohne dem ist der damalige Stand - im Vergleich zur heutigen Situation – beachtlich.

Eine negative Bilanz

Nach 30 Jahren Schulkatechese fällt die Bilanz ernüchternd aus. Rein institutionell betrachtet erscheint sie mit rund 30 000 Katecheten höchst beachtenswert. Und dennoch können gegenwärtig nicht alle freien Stellen besetzt werden.

Fast 60% der Religionslehrer sind Laientheologen, 30% Diözesanpriester, die übrigen 10% verteilen sich auf Ordensschwestern (6%) und Ordenspriester (4%). Finanziert werden die Katecheten nicht von der Kirche, sondern aus Mitteln der Selbstverwaltungsorgane, also praktisch aus dem Steueraufkommen. Die Kosten bewegen sich pro Jahr zwischen 1,5 und 15 Millionen Złoty, je nachdem, ob es sich um Dörfer und Kleinstädte oder um Großstädte mit zahlreichen Schulen handelt.

Doch wie steht es um die Bedeutung der Schulkatechese als solche? Üben die Katechten ihren Beruf gerne aus? Werden die Lernziele erreicht? Ist ein Erfolg der Schulkatechese an der religiösen Prägung der Schülerinnen und Schüler erkennbar?

Leider fehlen für eine objektive Einschätzung die erforderlichen Daten. Der Episkopat hat offenbar kein Interesse daran, entsprechende Untersuchungen in Auftrag zu geben. Die 10 Jahre zurückliegende Studie „Schulische Katechese zwischen Wirklichkeit und erfüllte und unerfüllte Erwartungen“ ist veraltet, ihre Ergebnisse sind dennoch aufschlussreich. Danach erlebten 61,5% der Katecheten ihre Arbeit als wenig erfolgreich. Als Gründe gaben sie fehlendes Engagement und Interesse der Schülerinnen und Schüler (16,3%), Probleme mit der Disziplin (18,7%) sowie den Mangel an attraktiven Themen (12,7%) an. Die befragten Katecheten beklagten zudem ihren geringen sozialen Status; man halte sie für „Lehrer dritter Klasse“.

Einen gewissen Einblick in die gegenwärtige Situation erlaubt die Auswertung der Ergebnisse des synodalen Prozesses, der – wie in allen Diözesen der Weltkirche – in Vorbereitung auf die römische Bischofssynode auch in Polen stattfand. Er wurde im Sommer 2022 mit der Veröffentlichung entsprechender Schlussdokumente abgeschlossen. In diesem Rahmen kam auch eine kritische Einschätzung der Schulkatechese zur Sprache. Eine immer wieder erhobene Forderung ist die nach einer Reduzierung der Katechese auf nur eine Wochenstunde, was allein schon als ein Zeichen gewertet werden muss, dass sich die Schulkatechese bei den Religionslehren wie bei den Schülerinnen und Schülern keiner besonderer Beliebtheit erfreut. Auch findet sich gelegentlich der Wunsch, die Schulkatechese gänzlich aufzugeben und zu den bewährten katechetischen Punkten zurückzukehren.

Die Äußerungen befragter Teilnehmer des synodalen Prozesses sowie die Aussagen der Abschlussdokumente lassen sich als ein erstes Eingeständnis nicht erfüllter Erwartungen seit Einführung der Schulkatechese lesen. So heißt es im Abschlussdokument der Krakauer Erzdiözese, das zwar von Metropolit Marek Jędraszewski nicht freigegeben wurde, aber dennoch an die Öffentlichkeit gelangte: „Für viele Schülerinnen und Schüler, aber leider auch für Katecheten, ist die Schulkatechese eine verlorene Zeit.“

Ein Krakauer Priester, der aus Furcht, identifiziert zu werden, nicht einmal seinen Vornamen preisgeben wollte, sagt von sich, er nehme Antidepressiva und sei in psychiatrischer Behandlung, weil er beruflich ausgebrannt sei. „Seit 17 Jahren unterrichte ich Religion im Liceum sowie in den oberen Klassen einer Grundschule. Nach dem Theologiestudium ging ich voller Enthusiasmus an die Arbeit, doch der nahm von Jahr zu Jahr ab. Und das nicht der Schüler wegen. Stellen Sie sich bitte vor, dass man zu Ihnen am Montag von der christlichen Barmherzigkeit spricht, Sie aber am Tag zuvor vom Bischof hörten, Polen werde von einer Homopest überflutet. Oder die Eltern der Kinder nehmen Antikonzeptionsmittel, und ich soll die Lehre der Kirche zur Empfängnisverhütung vertreten. Heute ist der Religionsunterricht eine missio impossibile. Ich habe das Gefühl, dass Religion in der Schule der katholischen Kirche mehr Schaden als Nutzen bringt.“

Ein seit sechs Jahren als Katechet tätiger Priester zeigt sich von der Lektüre der Abschlussdokumente erschüttert: „Es ist mit Händen zu greifen, dass die mindere Qualität der Katechese in den Schulen zur Laisierung beiträgt. Ich habe die Umfragen aus vier verschiedenen Pfarreien zur Kenntnis genommen, und überall ist es ein und dasselbe – auch die in Gemeinschaften religiös engagierte Jugend lehnt die Schulkatechese als langweilig ab.“

Die Teilnahme an den zwei Wochenstunden Katechese ist freiwillig. Volljährige Jugendliche können sich selbst abmelden, für minderjährige Schülerinnen und Schüler muss dies durch die Eltern geschehen. Wie groß die Quote an Abmeldungen landesweit ist, darüber gibt es keine Daten. Einzeluntersuchungen zeigen aber, dass sie – besonders in den Städten – erschreckend hoch ist. Im November 2020 haben sich beispielsweise allein in Warschau weit über 2 000 Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht befreien lassen. Ein konkreter Grund für diesen Schub an Abmeldungen ist die damalige Beteiligung vieler Schülerinnen an den öffentlichen Protestaktionen von Frauen gegen das Urteil des Verfassungsgerichts, das die bislang geltende Abtreibungsgesetzgebung für nicht verfassungskonform erklärt und selbst den Schwangerschaftsabbruch einer geschädigten Leibesfrucht aus Gründen des Lebensschutzes untersagt. Auch eine Befragung in 20 Krakauer Lyzeen zeigt eine radikale Abnahme der Frequenz in den letzten Jahren. Vor vier Jahren betrugen die Abmeldungen nur 4%, gegenwärtig sind es 60%.

Für diesen negativen Trend sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Er spiegelt den gewaltigen Autoritätsverlust, den Polens Kirche durch die klerikalen Missbrauchsfälle und ihre Vertuschung erfahren hat. Zudem wird die Schulkatechese von vielen als doktrinär, inkompetent und aus der Zeit gefallen empfunden, wie aus zahlreichen Aussagen hervorgeht. Eine 12jährige Schülerin berichtet, man habe der Klasse eine Frau als vorbildhaft vor Augen gestellt, die ein Kind geboren hat, obwohl sie wusste, dass sie selbst infolge der Geburt sterben werde. „Ich habe nicht verstanden, warum diese Frau, nur um ein reines Gewissen zu behalten, sich dazu entschied, ihr Kind ohne Mutter und den Mann ohne Frau zurückzulassen. Und ich habe auch nicht verstanden, warum wir uns ebenso verhalten sollen. Eine Antwort auf meine Fragen bekam ich nicht. Mir blieb nur die Wut auf die Katechetin.“

Kein Wandel in Sicht

Es hat nicht den Anschein, dass diese negative Bilanz den polnischen Episkopat zu einem Kurswechsel veranlassen wird. So heißt es einleitend in einer von der Bischofskonferenz Anfang Oktober herausgegebenen Erklärung: „Angesichts der in der Öffentlichkeit verbreiteten negativen Einstellungen und Meinungen bezüglich des Religionsunterrichts in der Schule drängt es die Kommission für die katholische Erziehung, die charakterliche und erzieherische Bedeutung schulischen Religionsunterrichts zu betonen und allen zu danken, die mit ihrer Einstellung seinen Wert unterstreichen.“ Man beharrt weiterhin auf der durch die Wirklichkeit nicht gedeckten Idealvorstellung, nach der die Schulkatechse neben íhrer religiösen und charakterlichen Prägung junger Menschen auch von nationaler Relevanz ist, wie eine Äußerung von Bischof Wojciech Osial, dem Vorsitzenden dieser Kommission, zeigt: „Dank des schulischen Religionsunterrichts ist eine integrale Erziehung des Menschen sowohl in seiner intellektuellen, physischen und – was besonders wichtig ist – geistigen Sphäre möglich. Während dieser Stunden kommt es zu einer Formung der Gewissen, der Charaktere und der Einstellung junger Menschen. […] Die Religionsstunden finden auch in unserer christlich verwurzelten Kultur ihre Berechtigung. Das Zeugnis eine über 1050 Jahre währenden Tradition des Christentums in Polen zeigt, wie der Glaube unsere Geschichte gestaltet und der Nation ermöglicht hat, die tragischen Zeiten zu überdauern. Man muss sich nur die Werke und den Glauben vieler großer und kluger Persönlichkeiten vor Augen halten, unsere Dichter und Helden, Gelehrte und Heilige, Menschen von Kultur und Kunst. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Geschichte tief in Gott verankert ist.“

Mit dieser Einschätzung der Bischofskommission für die katholische Erziehung weiß sich der Episkopat in Einklang mit der nationskonservativen Regierung. Der für die Schulen zuständige Bildungsminister Przemysław Czarnek kündigte zwar eine Reform der Schulkatechese an, doch niemand erwartet, dass sie die von den Katecheten geäußerte Kritik berücksichtigen und etwa die Schulkatechese auf eine Wochenstunde reduzieren wird. Der Minister ließ bereits verlauten, dass er die Abmeldung vom schulischen Religionsunterricht erschweren werde, indem dieser zum Pflichtfach erklärt wird. Abmeldungen sollen zwar weiterhin möglich sein, doch in solchen Fällen wäre die Teilnahme am Ethikunterricht verpflichtend.

Im Herbst 2023 wird das Parlament neu gewählt. Der Wahlkampf ist bereits im vollen Gange. Und in ihm spielt die Schulkatechese eine gewisse Rolle, weil die politische Linke ihre Abschaffung fordert. Sie dürfte mit dieser Forderung ihren Stimmenanteil ein wenig erhöhen, doch praktische Auswirkungen hat dies nicht, denn die zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse schließen eine Regierungsverantwortung der Linken aus.


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