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Polen und die Flüchtlingsproblematik

Fragen wir zunächst nach der Haltung der katholischen Kirche, die sich immer als Anwalt der Nation und als Fürsprecher ihrer zentralen Herausforderungen verstanden hat. Ihre gegenwärtige Aufgabe – so Szymon Hołownia in seinem Beitrag „Nic prócz słów“ (Nichts als Worte, Tygodnik Powszechny vom 1./8. 01. 2017, S. 110-112) – sei die Wahrnehmung der Barmherzigkeit. Diese stehe, wie insbesondere Papst Franziskus überdeutlich gemacht habe, im Zentrum göttlichen Denkens und Wollens und verlange von der Kirche ein entsprechendes Handeln, das sich an der vor allem durch den Krieg in Syrien ausgelösten Flüchtlingskrise zu bewähren habe.

Auf den ersten Blick scheint es, dass Polens Kirche dieser Aufgabe gerecht wird. So erklärte der Episkopat durch seinen Vorsitzenden die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die Caritas wurde beauftragt, entsprechende Maßnahmen zur Unterbringung syrischer Flüchtlingsfamilien in Pfarreien und Klöstern vorzubereiten. Doch zur Verwirklichung dieses Projekts kam es aufgrund des Regierungsverbots nicht. Auch der am 2. Sonntag nach Ostern, dem Tag der Barmherzigkeit, in den Kirchen verlesene Hirtenbrief nimmt auf die Flüchtlingsproblematik Bezug, allerdings ohne zur Aufnahme von Flüchtlingen aufzufordern und ohne die Regierung für ihre Weigerung zu kritisieren. Mit einer gewissen Selbstzufriedenheit wird auf das Programm der Caritas „Familie für Familie“ verwiesen, durch das über 2000 Syrern in ihrer Heimat geholfen werden konnte. Das ist gewiss lobenswert, kann aber nicht als Ersatz für die Weigerung in Anspruch genommen werden, auch nur einen einzigen syrischen Kriegsflüchtling aufzunehmen.

Grund ist die rigorose Haltung der nationalkonservativen Regierung, die einerseits keine Gelegenheit auslässt, die christlichen Werte der Nation zu beschwören, sich aber andererseits entschieden weigert, auch nur einen einzigen Kriegsflüchtling aufzunehmen. Es verwundert allerdings, dass der politisch einflussreiche Episkopat keinen Druck auf die Regierung ausübt, wo er doch um gender und in vitro mit der liberalen Vorgängerregierung einen erbitterten Kulturkampf ausgefochten hat. So entsteht der Eindruck, dass es sich bei seinen Erklärungen um leere Worte handelt, die lediglich eine Alibifunktion erfüllen und Polens Kirche sich nicht anders als die Regierung wegen unterlassener Hilfeleistung schuldig macht.

Es fehlt im Übrigen nicht an quasi christlicher Begründung für die ablehnende Haltung gegenüber einer Aufnahme von Flüchtlingen. Als gäbe es das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht, vertreten nationalkonservativ eingestellte Moraltheologen die Auffassung, man müsse als den unmittelbar Nächsten zunächst den Notleidenden im eigenen Land helfen, ehe man daran denken könne, dem fernen Nächsten beizustehen.

Szymon Hołowna sieht zwei Barrieren, die Polen daran hindern, ein Ort der Barmherzigkeit zu sein. Der erste Widerstand rühre aus der von der Regierung geschürten Angst vor Flüchtlingen. Sie stehe einem sich in der Liebe vollenden Leben entgegen (1 Jo 4, 18). Nicht umsonst finde sich in der Schrift immer wieder der Aufruf „Fürchtet euch nicht“. Und es war schließlich der „polnische“ Papst Johannes Paul II., der nach seiner Wahl den Gläubigen auf dem Petersplatz zurief „Habt keine Angst“ und der diesen Ruf 1979 auf seiner ersten Pilgerreise in seine Heimat wiederholte. Indem er auf diese Weise seinen Landsleuten die Angst nahm, hat er entscheidend zur Überwindung des kommunistischen Systems beigetragen. Eine solche Aufforderung hätte man sich angesichts der Flüchtlingsproblematik vom polnischen Episkopat gewünscht. Aber sie blieb aus. Und so kam es, dass man – von der Propaganda geschürt – in jedem einzelnen Flüchtling, von dem man im Grunde nichts weiß, eine persönliche wie nationale Bedrohung sieht, der man sich erwehren muss. Das immer wieder zu hörende „Möchten Sie, dass Islamisten Ihre Tochter vergewaltigen?“ ist von Angst bestimmt und dient zugleich dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen.

Das zweite Hindernis – so Hołownia – sei die „Wahrung des Besitzstandes“. Das reiche christliche Erbe, das 2016 in Erinnerung an die „Taufe Polens“ vor 1050 Jahren im Zentrum kirchlichen Gedenkens stand und das in Polen durch die feierliche Inthronisation Jesu Christi am Ende des Heiligen Jahres seine Bestätigung fand, müsse gegen eine mit der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge verbundene Gefahr einer Islamisierung verteidigt werden. Eine solche Einstellung sei Gift für den Glauben und bringe die Kirche um ihre Glaubwürdigkeit. Ihre Auftrag in der Nachfolge Jesu sei es schließlich, sich der Armen und Verlassenen, der Unterdrückten und Verfolgten anzunehmen (Mt 25, 31-46) und nicht ihren Besitzstand auf Biegen und Brechen zu verteidigen.

Hołownia schließt seinen Beitrag mit einem Appell: „Wir können den Flüchtlingen die Chance zu leben geben, und sie können uns dies auf gleiche Weise vergelten. Indem wir die Angst überwinden, diesen Menschen die Hand zu reichen, überwinden wir dabei auf einen Schlag andere Ängste, die insgeheim unser soziales, privates und politisches Leben bestimmen, sämtliche Ängste – zunehmend von Misstrauen, Einsamkeit und Aggressionen genährt, wird uns das eigene Haus zum Gefängnis. Nehmen wir die Chance wahr, sie zu retten und damit uns selbst.“ (S. 112)

Auf die innergesellschaftlichen und innerpolitischen Folgen der Ablehnung von Flüchtlingen verweist der für die Wahrung von Menschenrechten zuständige Politiker Adam Bodna (Uchodźcza opozycja, Flüchtlingsopposition, Tygodnik Powszechny, vom 1./8. 01. 2017, S. 113). Er verweist darauf, dass sich weder die Regierung noch die Opposition und auch nicht das für Demokratie und Menschenrechte eintretende Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) mit der Flüchtlingsproblematik befasst. Weil Polen keine Flüchtlinge aufnimmt, glaube man, das Problem existiere nicht. Dabei habe die von der Regierung geschürte Angst vor Flüchtlingen bereits zu vermehrten Überfällen auf dunkelhäutige Ausländer geführt, vor allem auf hier Studierende, und dies, ohne dass von Regierungsseite darauf reagiert worden wäre. Die habe im Gegenteil alles daran gesetzt, ein negatives Bild von den Flüchtlingen aus muslimischen Ländern zu verbreiten. Besonders ausgeschlachtet habe man die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht 2016, so dass in Polen die allgemeine Vorstellung herrsche, Flüchtlinge seien allesamt Diebe und Vergewaltiger. Die wolle man im eigenen Land unter keinen Umständen haben. Auf diese Weise habe das Wort „Flüchtling“ seine eigentliche Bedeutung eingebüßt. Ein Flüchtling sei nicht mehr „jemand, der vor Krieg, Folter und Verfolgung flieht, der Schutz und Hilfe sucht. Ein Flüchtling ist heute jemand, der eine Bedrohung darstellt – er ist gefährlich, er kann versuchen, die angestammten Werte zu vernichten, das Modell einer funktionierenden Gesellschaft zu zerstören.“ Bezeichnend ist folgender Vorgang: Als in Posen ein dort ansässiger Syrer attackiert und niedergeschlagen wurde, entschuldigte man diese Tat in der Öffentlichkeit mit dem Hinweis, es habe sich um ein Versehen gehandelt, denn der Mann sei kein Moslem, sondern Christ.

Adam Bodnar kommt aufgrund von Befragung betroffener Muslime zu folgendem Schluss: „Die feindliche Atmosphäre wirkt sich selbst auf Erasmusstudenten aus, die früher Polen – offen und tolerant – gerne aufsuchten. Jetzt zeigt sich, dass sie sich fürchten müssen.“

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