Zum dramatischen Werk von Karol Wojtyła
Die polnische Schauspielerin Danuta Michałowska, Mitbegründerin des Rhapsodischen Theaters und dem engeren persönlichen Kreis um Karol Wojtyła (1920-2005) zugehörig, berichtet von einem Gespräch, das sie vor Jahren in der Residenz des Krakauer Kardinals und späteren Papstes mit ihrem einstigen Berufskollegen geführt hatte: „Was du nunmehr tust, hat ja doch auch mit unserem Theater zu tun. - In welchem Sinn? - Ich denke nicht an den Dienst am Altar, sondern an den Dienst des Wortes.“
So ungewöhnlich es auch scheinen mag, dass der Aufstieg Wojtyłas zum höchsten Amt in der Kirche in einer Gruppe von Schauspielern begann - jedenfalls lässt sich die Linie seiner Wortbegabung bis in das Kriegsjahr 1941 zurückverfolgen, als er zusammen mit seinem Wadowicer Lehrer, Professor Mieczysław Kotłarczyk (1908-1978), und drei weiteren Freunden im Krakauer Untergrund das „Rhapsodische Theater" gründete. Sie taten es nicht aus einer Lust am Spiel, sondern aus dem Bewusstsein einer Sendung. Diener des Wortes wollten sie sein, und das durchaus in einem dem Evangelium verwandten Sinn. Der Rhapsode ist ja kein bloßer Schauspieler, sondern Vermittler des durch die Tradition geheiligten Wortes. Entsprechend wählte die Gruppe ihre Theaterstücke aus: die großen Dichtungen der polnischen Romantik, die aus der Bibel, der christlichen Mystik sowie aus der Geschichte und den Mythen der Nation gespeist sind. Im Mittelpunkt dieser Dichtung steht - mehr als die Handlung - die geisterfüllte Botschaft. Das Ensemble des „Rhapsodischen Theaters" wollte in der finsteren Nacht der Besetzung ihres Landes den Geist der Nation, wie er in der Dichtung eines Adam Mickiewicz (1798-1855) und Juliusz Słowacki ((1809-1849) lebt, beschwören, ihn als Hoffnung und Kraft vermitteln. Daher die Konzentration ganz auf das Wort, unter weitgehendem Verzicht auf Bühnenbild und szenische Handlung.
Schauspieler und Dichter
Karol Wojtyła war im Urteil seines Lehrers wie seiner Kollegen ein großes schauspielerisches Talent und zugleich mehr als das: Er war ein reflektierender Schauspieler. Danuta Michałowska berichtet eine interessante Einzelheit: Bei der Premiere von „König-Geist" von Słowacki im Herbst 1941 hatte Wojtyła die fünfte Rhapsodie zu sprechen - Worte des Königs Bolesław Smiały (1040-1081), durch dessen Hand im 11. Jahrhundert der Krakauer Erzbischof Stanislaus (um 1030-1079) am Altar den Tod fand. Er sprach den Text wortgewaltig und in der einem König angemessenen Pose. Bei einer späteren Aufführung sprach er - zur Verwunderung seiner Kollegen - denselben Text mit gedämpfter, nachdenklicher Stimme. Nach dem Grund befragt, antwortete er: „Ich habe mir das wohl überlegt. Hier geht es um die Beichte des Geistes der Vergangenheit."
Ein bezeichnender Vorgang: Durch den Filter eigener Reflexion gewinnt der dichterische Text eine neue, ins Innere des Menschen verlagerte Bedeutung. Hier zeigt sich eine Tendenz, die für Wojtyłas eigenes dichterisches Schaffen charakteristisch ist: der hohe Grad an Reflexion und eine Schwerpunktverlagerung von der äußeren Wirkung auf die innere Dramatik.
Karol Wojtyła begnügte sich nicht mit der Rolle des Schauspielers. Er schrieb selbst: Lyrik und Dramen. Er schrieb auch noch, als er längst aus dem Kreis des „Rhapsodischen Theaters" ausgeschieden und Priester geworden war. Er schrieb auch noch als Bischof, selbst noch als Papst. Er schrieb unter einem Pseudonym; am häufigsten signierte er seine Texte mit Andrzej Jawień, seltener mit Stanisław Andrzej Gruda. Nur Eingeweihte wussten, dass sich dahinter der Krakauer Bischof verbarg. Gelüftet wurde das Pseudonym erst nach seiner Papstwahl. Und mit Irritation und Skepsis registrierte eine breite Öffentlichkeit das eigentümliche Phänomen eines polnischen Dichter-Papstes.
Fünf Dramen hat Wojtyła in der Zeitspanne eines Vierteljahrhunderts geschrieben, und alle stehen in der Tradition des Rhapsodischen Theaters: Die Dramatik ist von der äußeren Handlung nach innen, in die Tiefe verlagert; der szenische Dialog wird oft durch den Monolog gesprengt; Schicksals- und Wesensfragen der Nation und des Menschen stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Modisch ist diese Tradition nicht, und ihre Unkenntnis erschwert den Regisseuren und dem Publikum den Zugang.
Das Schicksal der Nation
Die ersten Dramen - „Hiob"(1) und „Jeremia" - datieren aus dem Jahre 1940. Es ist Krieg, Polen ist besetzt, die Universitäten sind geschlossen. Auf dem polnischen Volk lastet das Kreuz der Unterdrückung. Karol Wojtyła, zwanzigjährig, arbeitsloser Student der polnischen Sprache und Literatur, deutet das Schicksal seines Volkes im Rückgriff auf die Heilsgeschichte. Seinem auf Deutsch bislang nicht erschienenen Drama „Hiob“ stellt der Autor den Satz voran: „Die Handlung spielt in unseren Tagen, der Zeit Hiobs - Polens und der Welt." Und ehe der Vorhang fällt, schaut Hiob im Morgenrot des aufgehenden Tages das Kreuz. Vor dem Vorhang spricht der Epilogos das Schlusswort:
„Achtet wohl der Zeit der Prüfung,
achtet wohl der Hiobs Zeit -
ihr, mit Füßen getreten,
in die Verbannung geführt - wir
Hiob gleich - Hiob gleich.“
Noch dichter ist das zweite Werk: „Jeremia. Nationales Drama in drei Teilen".(2) Voran gestellt ist ein Spruch, der Polens geschichtliche Bestimmung, Vormauer des christlichen Abendlandes zu sein, thematisiert:
„Siehe, hier ist die Vormauer – unser Ruhm. Als eine heilige Vormauer hast du uns aufgerichtet, o Herr – und wir widersetzen uns nicht deinen Befehlen – unsere Rüstung schmücken wir mit deinen Rosen, die Grenzsteine bewachen wir auf das Schwert gestützt.“(3)
Kunstvoll wird die Zeit des Propheten Jeremia mit der des polnischen Sejmpredigers Piotr Skarga (1536-1612) verwoben - als Deutehorizont der leidvollen Gegenwart. Im Zentrum steht die quälende Frage nach den Gründen nationalen Unheils, das nicht allein aus der äußeren Schwäche, sondern auch aus dem inneren Verfall erwächst.
Das Schicksal des Volkes steht unter dem Gericht und der Verheißung. Wie einst Jeremia, so findet auch Skarge mit seiner Ankündigung des nahenden Unheils kein Gehör. Es dennoch abzuwenden, ist die Aufgabe des Hetmanen Stanisław Żólkiewski. (1547-1620). Beide Männer schließen einen Bund, der aber im Volk keinen Rückhalt findet, so dass die Katastrophe nicht aufzuhalten ist. Doch es bleibt, ganz in der Tradition des polnischen Messianismus, Hoffnung für die Zukunft:
„Also werdet ihr niedergestreckt,
doch auferweckt am dritten Tag,
also ist Knechtschaft euer Geschick
bis der Tage Zahl sich erfüllt.
Also werdet ihr niedergestreckt
bis ER dem Engel sagt: Weck' auf!“(4)
Innere Wandlung und Weltverbesserung
Erst fünf Jahre später nimmt Karol Wojtyła die Arbeit an seinem dritten Drama „Der Bruder unseres Gottes" auf, und weitere fünf Jahre braucht er bis zum Abschluss des Werkes. Vorausgegangen ist eine Zeit tief greifender innerer Wandlung und äußerer Veränderungen. Karol Wojtyła, das schauspielerische und literarische Talent, ist Priester geworden. Der Krieg ist zu Ende. Polen wird sozialistisch, ein Land importierter Revolution. Entsprechend wählt Wojtyła seinen Stoff: Adam Chmielowski (1848-1916), eine Gestalt in der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, Freiheitskämpfer, Maler; ein Mann, der eine zweite Bekehrung erfährt, der zum Bruder der Bettler und Asylanten wird und der mit den Albertinern eine Brüder- und Schwesterngemeinschaft gründet, die bis in unsere Tage sein Werk fortführt. Nicht mehr die Nation, sondern der Mensch steht fortan im Zentrum der Dichtung Wojtyłas. Der Mensch und seine innere Wandlung, die dramatische Spannung zwischen dem alten und dem neuen „Adam". Und nicht zufällig ist „Adam“ die zentrale und zugleich verbindende Figur seiner drei Dramen, die er als Priester und Bischof verfasste. Doch „Der Bruder unseres Gottes" ist keine dramatisierte Biographie jenes Adam Chmielowski. Dem Autor geht es - wie er in der Einleitung zu diesem Stück schreibt - um das „transhistorische Element“ dieser historischen Gestalt - und um die Teilhabe an eben dieser Wirklichkeit, um seine, des Autors Teilhabe zuerst. „Der Bruder unseres Gottes“ ist also kein biographisches, wohl aber ein autobiographisches Drama: eine Spiegelung des eigenen Lebensschicksals, das ja eine auffällige Parallelität zur Gestalt Chmielowskis aufweist. Beide fanden über die Kunst zur religiösen Berufung. So bildet denn auch das bis zum äußersten gespannte Verhältnis zwischen ästhetischer und religiöser Berufung die dramatische Mitte dieses Dreiakters. Auch formal wird dies deutlich. Während der erste und dritte Akt an der klassischen Einheit von Handlung, Ort und Zeit festhält, ist diese im mittleren Akt aufgehoben. Was bleibt, ist ein „psychologischer Ort", an dem Erinnerung und Vorstellung, Vernunft und Liebe spielen - ein „Raum" personaler Innerlichkeit, in dem der durch das „Atelier der Schicksale“ vorbereitete Durch-Bruch zur religiösen Berufung geschieht. Eine Wandlung, die durch eine tiefe Lebenskrise führt, voller Zweifel. Das Kollegengespräch über Wirkung und Wirkungslosigkeit der Kunst, über ihre Verantwortung und soziale Mission erhöht Stück für Stück Adams innere Distanz zur reinen Kunst. Eine eher zufällige Begegnung mit den Asylanten der Stadt wird dann dem Maler zum erschütternden Erlebnis. In dem Versuch einer ästhetischen Verarbeitung bringt er die „Vision der Verlassenen" im Bilde des „Ecce Homo" zu einem künstlerischen Ausdruck, um vor eben diesem Bild der „Schönheit voller Mühsal" den Durchbruch zur religiösen Berufung zu erfahren: nicht mehr die Leinwand, sondern der erniedrigte Mensch selbst dient ihm fortan dazu, das Bild des „Ecce Homo" zu gestalten. Aus dem Maler Adam Chmielowski wird Bruder Albert - ein Bruder der Armen, ein „Bruder unseres Gottes".
Das Drama besitzt noch ein weiteres Spannungsmoment: das Verhältnis von Revolution und Barmherzigkeit. Auch hier lässt sich der „Sitz im Leben" unschwer ermitteln; er liegt in der Auseinandersetzung des jungen Priesters Karol Wojtyła mit dem Marxismus-Leninismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg zum ideologischen und gesellschaftlichen Gestaltungsprinzip Volkspolens wurde - und damit zu einer wachsenden Herausforderung für den christlichen Glauben. Diese Auseinandersetzung findet vor allem in den Dialogen zwischen Adam und dem Unbekannten ihren Ausdruck, für die es in der - historisch nicht belegbaren - Legende einer Zakopaner Begegnung zwischen Bruder Albert und Lenin (1870-1924) einen biographischen Anhaltspunkt gibt. Diese Dialoge haben gleichfalls ihre Mitte, ihren transzendenten Raum, und zwar in dem Gespräch zwischen Adam und seinem Schatten, seinem „alter ego“, in dem es um die Dialektik von Vernunft und Liebe geht, ein Konflikt, den Adam im Sinne von Liebe und Barmherzigkeit für sich entscheidet.
Auch hier zeigt das Drama ein spannungsvolles Verhältnis, und zwar in der Beziehung zwischen Revolution und Barmherzigkeit, die keine simple Lösung findet, sondern bis in die Schlusssätze durchgehalten wird. Die Revolution hat ihre Ratio, ihre unbestreitbare Logik. Sie besitzt im „großen Zorn“, der sich an den Ungerechtigkeiten der Welt entzündet, ihren objektiven Grund. „Der Bruder unseres Gottes“ enthält Aussagen schärfster Sozialkritik, und dies nicht nur aus dem Munde des Unbekannten. Vieles, was hier gesagt wird, verdient auch heute Gehör. Keines der revolutionären Argumente wird polemisch bestritten, auch nicht der religionskritische Einwand, die Mildtätigkeit stabilisiere nur ein ungerechtes System und verhindere den notwendigen - dialektischen - Umschlag der Geschichte. Erst mit dem Gewicht ihrer Argumente wird die Revolution zu einer Herausforderung der Barmherzigkeit Diese bleibt nicht hinter den revolutionären Forderungen zurück, sie geht vielmehr über jene weit hinaus; und dies aus der Einsicht, dass „das Elend des Menschen größer ist als alle Güter zusammen“, so dass die Revolution an ihrem Anspruch scheitern muss, den Menschen zu allen Gütern zu erheben.
„Adam: Nein, zu allen ‑ ausgeschlossen. Das Elend des Menschen ist größer als alle Güter zusammen [...] Hier trügt der Zorn, hier ist BARMHERZIGKEIT nötig“.(4) Das Drama endet mit dem unaufhaltsamen Ausbruch der Revolution. Doch das letzte Wort hat Bruder Albert: „Ich wählte die größere Freiheit“(5)
Transparenz und Dramatik der Liebe
Das als erstes ins Deutsche übersetzte, doch wenig überzeugend inszenierte Werk „Der Laden des Goldschmieds" handelt von der Liebe, von der Sakramentalität der Ehe. Karol Wojtyła veröffentlichte es 1960 als Krakauer Weihbischof unter dem Pseudonym Andrzej Jawień, im gleichen Jahre übrigens, in dem sein Werk „Liebe und Verantwortung" erschien. Der tiefe Gehalt der Dichtung lebt von der intensiven Beschäftigung mit der menschlichen Person und dem Wesen personaler Liebe. Zur besonderen Kennzeichnung versieht der spätere Papst seine Dichtung mit einem Untertitel: „Meditationen über das Sakrament der Ehe, die sich vorübergehend zum Drama wandeln:“ Es ist ein Hinweis darauf, dass der Text aus „Meditationen“ besteht und nur durch Meditation erfasst werden kann. Verlangt ist ein auf die Mitte und in die Tiefe zielendes Denken. Die Handlung der drei miteinander verwobenen Paare spielt jeweils vor dem Laden des Goldschmieds, der die Funktion einer Transparenz ehelicher Liebe erfüllt. Sie bildet gleichsam eine dünne Realitätshaut, die das Geheimnis menschlicher Liebe umspannt, die es birgt und zugleich durchsichtig macht. Das dichterische, stark poetische Wort, ist mystagogisch geprägt: es will in das Geheimnis der Liebe einführen. Und auf diesem Wege verwandelt sich die Meditation überall dort zum Drama, wo der „Zwiespalt zwischen dem, was von der Liebe greifbar, und dem, was ihr Geheimnis ist", deutlich wird. Dieses Drama ist „eines der schmerzlichsten menschlicher Existenz.“(6)
Die drei Teile dieser dramatischen Dichtung sind formal wie inhaltlich miteinander verknüpft. Der erste, „Signale“ betitelte Teil beschreibt den inneren Weg einer Liebe zweier Menschen, Andrzej und Tereza. Er wird in der Rückerinnerung bis zu dem Punkt deutlich, an dem er sich zur gemeinsamen, ungewissen, doch im Vertrauen angenommenen Zukunft eröffnet, wobei der Laden Goldschmieds die psychologisch wie ethisch tief angelegte Liebe transparent macht. Gestalt und Handwerk des Goldschmieds gewinnen hier wie in diesem Drama insgesamt eine Symbolik, die den sakramentalen Urgrund von Liebe und Ehe durch die Bildkraft der Sprache zum Ausdruck bringt.
Im zweiten Teil, „Der Bräutigam“, wechseln die Personen. Anna, mit Stefan in einer Ehe verbunden, in der die Liebe erkaltet ist, begegnet in dieser Lebenskrise einem „zufälligen Gesprächspartner“, der sich im weiteren Verlauf als „Adam“ vorstellt. Er erscheint in diesem Mittelstück, wie auch im letzten Teil dieses Triptychons, als Typos, als der Mensch, „dazu ausersehen, anstelle eines jeden Menschen dessen weiteres Schicksal auf mich zu nehmen“, wobei Adam zur Begründung sagt: „denn auch sein früheres Los hat in mir seinen Ursprung.“(7)
Für Anna bedeutet dies, dass Adam sich das Schicksal ihrer unerfüllten Liebe auflädt und bemüht ist, diese vom Ursprung her zu heilen. Dieser Ursprung ist das sakramentale Verständnis, das Anna und Stefan mit dem Erkalten ihrer Liebe verloren ging. Die Möglichkeit seiner Rückgewinnung ist durch den „Bräutigam“ im Gleichnis von den törichten und klugen Jungfrauen symbolisiert, der am Ende Stefans Züge trägt. Das Gleichnis selbst verdeutlicht die Entscheidungssituation, in der sich Anna – und der in einer vergleichbaren Krise stehende Mensch – gestellt sieht.
Wie eng „Signale“ und „Der Bräutigam“ aneinander schließen, das wird im dritten Teil voll erkennbar. „Die Kinder“, um deren Liebesbeziehung es nun geht, entstammen beiden Ehen: Monika der gestörten Ehe zwischen Anna und Stefan, Krzysztof der geglückten, doch durch Andrzejs Soldatentod äußerlich zerrissenen Ehe mit Tereza. Diese unterschiedliche Störung elterlicher Liebe – eine für die nachfolgende Generation weithin typische Situation – wirkt sich als Belastung ihrer Liebesbeziehung aus. Sichtbar wird dies sowohl durch den Dialog zwischen Monika und Krzysztof als auch durch die meditierende Betrachtungen von Tereza und Anna. Dabei liegt der Akzent nicht auf dem Gestörtsein als solchem, sondern auf seine Heilung. Diese ereignet sich nicht nur in der Reifung der Liebe des jungen Paares, sie greift auch auf das Verhältnis von Anna und Stefan über, das in den Schlusszeilen des Dramas eine Wendung zu einem neuen Anfang erwarten lässt.
Die „Dramatik" dieses Werkes liegt somit nicht in der Verstrickung äußerer Beziehungen, die manchem Ehedrama seine prickelnde Spannung verleiht, auch nur bedingt in einer gestörten Partnerbeziehung, sondern letztlich in einem Versagen des Menschen vor dem Anruf der Liebe. Die eigentliche Spannung des Textes ist die zwischen dem Wesen der Liebe und ihrer nur ungenügenden Verwirklichung. Und das Erlebnis eben dieser Spannung hängt wesentlich davon ab, ob und inwieweit das Geheimnis der Liebe erfasst wird. Um dieses Geheimnis - und damit das Sakrament der Ehe - transparent zu machen, dienen die Dialoge, vor allem die Gestalt des Adam, der Chor und nicht zuletzt der Laden des Goldschmieds, vor dem die „Handlung" jeweils spielt und der diese Transparenz noch einmal verdichtet.
Transparenz und eine - im Sinne des Autors verstandene - Dramatik der Liebe sind das vielfältig abgewandelte Thema dieser Dichtung. Dem Autor gelingt es, das Thema und seine Variationen am Ende auf eine Formel zu bringen, die den Menschen unter den Anspruch stellt, dass er das „absolute Sein und die Liebe widerspiegelt, sie immer auf irgendeine Art widerspiegelt [...] Auf welche Art? Das ist eine Frage, die ohne Antwort bleiben muß [...] Doch man lebt, ohne davon zu wissen."
An der Scheide von Einsamkeit und Vaterschaft
Mit „Strahlung des Vaters" (1964) endet die Reihe der dramatischen Werke Karol Wojtyłas. Nicht nur zeitlich, auch formal und thematisch folgt der Text dem „Laden des Goldschmieds", doch sind Transparenz und innere Spannung, Verinnerlichung und Entgrenzung, so weit vorangetrieben, dass eine über diesen Punkt hinausgehende dramaturgische Entwicklung kaum mehr als möglich erscheint.
Auch „Strahlung des Vaters“ erschließt sich nur meditativ. Den Text durchweht ein johanneischer Geist. Der Autor kennzeichnet diese Dichtung im Untertitel als „Mysterium“. Dabei ist sie keineswegs mit ästhetischen Mitteln künstlich verschlossen. Vielmehr ist der Mysteriencharakter dieses Dramas mit dem Wesensgrund des Menschen als solchem gegeben, was bedeutet, dass nur der den Text versteht, wer zum Wesen des Menschen Zugang hat.
Doch wer hat Zugang? - Der Vorspruch aus 1 Joh. 5,7f.(8) gibt Antwort. Dieser Prolog verweist darauf, dass alles, wovon im Folgenden die Rede ist, im Geheimnis des dreifaltigen Gottes seinen Grund hat, ein deutlicher Verweis auf die theologische Schicht, die dem Text insgesamt zugrunde liegt. Zugleich klingt mit diesem Zitat das trinitarische Thema der Einheit in der Dreiheit an, dessen anthropologische Bedeutsamkeit das dreiteilige Werk durchzieht.
Das Drama entspricht einer Ellipse, deren dynamisches Spannungsfeld durch die beiden Pole „Adam“ (Teil I) und „Mutter“ (Teil II) bestimmt ist. Beide Pole sind in einer meditativ-reflektierenden Prosa abgefasst und gegen das verbindende poetische Mittelstück „Erfahrung des Kindes“ formal stark abgehoben.
Adam, der Vater wird, die Mutter und das Kind Monika sind nicht als Gestalten, sondern als Archetypen des Menschseins zu verstehen. Doch gewinnen Adam und Monika in dem Mittelstück, das dem Bereich der Erfahrung vorbehalten ist, persönliche, ja autobiographische Züge. So verbinden sich in dieser Dichtung Analyse und Selbsterfahrung, wobei auch ein für den Priester-Dichter zentrales Existenzproblem eine Rolle spielt: die Bewältigung des Zölibats - nicht durch Verdrängung des Eros, sondern durch seine Integration in die Agape einer Vaterschaft aus Wahl.
Allerdings darf diese Interpretation nicht isoliert gesehen werden; sie steht in einem umfassenden Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen des Menschseins überhaupt, das ein jeder unbewusst in sich trägt und das durch den mühevollen Weg reflektierender Erinnerung als kostbarer Schatz gehoben werden muss. Den Ausgangspunkt für diese geistige Expedition bildet Adam als der ausgeklammerte, „gemeinsame Nenner aller Menschen", zugleich zum „Prisma" göttlicher Vaterschaft berufen, deren Strahlung in sich durchzulassen und in sich zu brechen.
Die Antipode zur Strahlung der Vaterschaft ist des Menschen Einsamkeit. In welchen Denksystemen auch immer der Mensch als Individuum begriffen wird – er ist einsam. So steht der Mensch an der Scheide von Einsamkeit und Vaterschaft - vor dem Problem der Verbindung von Personalität und Sozietät. Wie kann sie gelingen? Aus welcher Kraft wird der Mensch fähig, seine Einsamkeit zu überwinden?
Hier bedarf es des Gegenpols - der Frau, Braut und Mutter in einem, des weiblichen Archetypus mit den Zügen Marias und der Kirche, der Ekklesia. Die Mutter hat das neue Leben in Liebe empfangen und schenkt es in Liebe. Nur wo der Mensch sich der Liebe öffnet, erfährt er jene innere Wandlung, die ihn der Einsamkeit entreißt. und in ihrer Liebe ist sie das der Einsamkeit widerstreitende Prinzip. Nur durch sie findet Adam zu seiner Vaterschaft - über die Erfahrung des Kindes.
Diese Mitte der „Erfahrung des Kindes" ist von einer seltenen Dichte der Sprache, voller Schönheit und Tiefe. Im Dialog zwischen Adam und Monika nehmen wir teil an den Wehen und Freuden einer Geburt der Vaterschaft und des Kindes aus Wahl. Die erste Stunde ist die der Furcht um den anderen:
„Eine S c h l a n g e,
deutlich gereizt.
Ich bin einsam. Ich zittere.“
Das ganze Bewußtsein erbebt in dem einen Inhalt:
'Schlange' ‑ und der kommt von außen.
Doch dazu zeigt sich ein zweiter Gehalt - von innen her.
'KIND'.
Man muß das Kind schützen!
Ich bin tief bewegt. Ich weiß, etwas geschah.
Nur weiß ich noch nicht – was.“(9)
Doch die letzte Stunde ist frei von Furcht; sie ist gleichsam die Verwirklichung des johanneischen ‘Du in mir und ich in dir’ (Joh. 17, 21):
„Liebt man, dann geht durch dein und mein Wollen ein Strom,
ein gemeinsamer Strom. Das bringt die Gewissheit hervor,
und aus ihr beginnt aufs neue die Freiheit. Das ist Liebe.
Dann denke ich furchtlos
‘mein’ ...“(10)
Dann wird die Vaterschaft zu einem inneren Band: ‘In mir selbst bin ich gebunden’.“(11)
(1)Im Deutschen bislang unveröffentlichtes Manuskript in eigener Übersetzung.
(2)Karol Wojtyla, Jeremia. Ein nationales Drama in drei Teilen, Paderborn 1996, Übersetzung: Theo Mechtenberg, S. 70.
(3)Ebd., S. 47.
(4)Karol Wojtyła, Der Bruder unseres Gottes. (polnisches Original: Brat naszego Boga). Strahlung des Vaters. (polnisches Original: Promieniowanie ojcostwa). Zwei Dramen, Freiburg 1981, Übersetzung: Theo Mechtenberg, S. 100f. .
(5)Ebd., S. 127.
(6)Karol Wojtyła, Der Laden des Goldschmieds. Szenische Meditationen über Liebe und Ehe. (polnisches Original: Przed sklepem jubilera), Freiburg 1979, Übersetzung: Theo Mechtenberg, S. 57.
(7) Ebd., S. 104ff.
(8) Drei sind es, die Zeugnis ablegen im Himmel
der Vater, das Wort und der Heilige Geist,
und diese drei sind eins.
Und drei sind es, die Zeugnis ablegen auf Erden:
der Geist, das Wasser und das Blut;
(9)Ebd., S. 153.
(10)Ebd., S. 167.
(11)Ebd., S. 171.