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Russland aus der Sicht eines Oppositionellen

Russland aus der Sicht eines Oppositionellen

Seit nunmehr 17 Jahren wird Russland von Putin regiert. Und alles deutet darauf hin, dass er in knapp einem Jahr erneut zum Präsidenten gewählt wird. Wie ist die politische Situation Russlands unter diesem Vorzeichen einzuschätzen? Auf diese uns auch im Westen interessierende Frage gab Aleksandr Podrabinek, einer der prominentesten russischen Oppositionellen, in einem dem „Tygodnik Powszechny“ erteilten Interview Auskunft.

Zunächst befasste sich Podrabinek mit den großen Märzdemonstrationen, über die auch in westlichen Medien berichtet wurde. Aleksiej Nawalny, der sich gleichfalls um das Präsidentenamt bewerben will, hatte im Internet ein umfangreiches Material zur Korruption in den höchsten politischen Kreisen des Kreml veröffentlicht, damit etliche Millionen Russen erreicht und die Demonstrationen ausgelöst. Auf die Frage, ob sich der Kreml durch diese Ereignisse bedroht fühlt, gab Podrabinek eine erstaunlich nüchterne Einschätzung: Der Kreml rechne gar nicht damit, „dass die Situation ruhig ist und alles glatt verläuft.“ Ihm gehe es ausschließlich darum, „die Situation unter Kontrolle zu halten.“ Im Übrigen sei die Aufdeckung von Korruption für die Russen keine Überraschung, sondern lediglich die Bestätigung ihrer ohnehin vorhandenen Überzeugung. Daher sei die Korruption auch nur der Auslöser, nicht aber die Ursache der Demonstrationen gewesen. Ursache sei vielmehr die in der Bevölkerung herrschende allgemeine Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen.

Zudem sei die Korruption dem System immanent. Der Reichtum, den die Herrschenden anhäufen, resultiere einzig und allein aus ihrer Teilhabe an der Macht. Aus diesem Grunde würden sie alles daran setzen, „sich an der Macht zu halten, denn das füllt ihre Taschen. Das Wohl der Gesellschaft interessiert sie nicht besonders, auch nicht, ob die Preise steigen.“

In der wachsenden Unzufriedenheit der Gesellschaft sieht Podrabinek allerdings keine Gefahr für das System. Mit wachsender Unzufriedenheit würden nur die Repressionen zunehmen. Damit würde man in die Zeiten der Sowjetunion zurückkehren. „Noch haben wir eine solche Situation, dass die Regierung kalkuliert, was für sie das Beste ist. Die Schraube anzudrehen oder sie nur unter Kontrolle zu halten und sagen: Wir haben genug Macht, sie weiter zu drehen.“

Wie erklärt sich aber dann angesichts dieser Unzufriedenheit die offenbar große Unterstützung, die Putin nach wie vor erfährt? Podrabinek sieht in den angeblichen 86% Zustimmung für Putin reine Propaganda. Sie spiegelten nicht die Wirklichkeit. Auch in Russland zeige sich das normale menschliche Verhalten in einer Diktatur: „Die Menschen haben Angst, das zu verlieren, was sie haben, Rente, Lohn, Arbeit, weil man sie wegen Teilnahme an Demonstrationen entlässt. Und so weiter…“ Hinzu komme der Mangel an politischer Kultur: „In Russland gab es keine Freiheit des Wortes, keine politische Freiheitstradition; die Menschen haben ein niedriges Selbstbewusstsein, sie schätzen sich und ihr Leben nicht. Sie halten sich nicht für Bürger, sind geneigt, sich unterzuordnen. Moses führte das Volk 40 Jahre durch die Wüste, damit es den Zustand der Sklaverei vergisst.“

Doch, so Podrabinek, stabil sei das System Putin deswegen nicht. Und Putin wisse dies. Nur nach außen erscheine es so, dass der Kreml alles in der Hand habe. „In Wirklichkeit ist dort alles morsch. Nichts als Korruption, persönliche Ambitionen, Geldwäsche. Die Regierung denkt nicht daran, wie sich das Land entwickeln soll, auch nicht daran, dass man in Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Kultur, Gesundheitswesen investieren muss. Die gegenwärtig Russland regieren denken nicht in diesen Kategorien. Das einzige, was sie können, ist die Schaffung von Illusionen. So ein Potemkinsches Dorf.“

Trotz dieser inneren Instabilität verfolge Putin eine Politik der Wiederherstellung des einstigen Imperiums. Die Annexion der Krim und die militärische Intervention in der Ostukraine seien Teil dieses Ziels. Darüber hinaus sei der Kreml bemüht, mit Hilfe prorussischer Kräfte außerhalb der Grenzen Russlands instabile politische Zustände zu schaffen, eine Methode, die bereits zu Sowjetzeiten angewandt worden sei. Doch diese Politik sei zum Scheitern verurteilt. „Der allgemeine Trend in der Welt ist die Globalisierung, das Verlangen nach gemeinsamen Werten, nach Mechanismen der Kooperation. Die Zivilisation wird sich in diese Richtung weiter entwickeln, und das unabhängig davon, ob Politiker dies wollen oder nicht wollen.“

Diesem Trend stelle sich Putin entgegen. Er strebe nach Isolation, und dies nicht nur für Russland, sondern für den gesamten postsowjetischen Bereich, den er als „eine ausschließliche Einflusssphäre Russlands betrachtet, in die sich niemand einzumischen hat.“

Was die Zukunft Russlands betrifft, hat Podrabinek offenbar wenig Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel. Die Opposition sei schwach und bewege sich im Rahmen des bestehenden Systems. Abgesehen davon, dass Nawalny keine Chance eingeräumt wird, die Präsidentschaftswahlen gegen Putin zu gewinnen, hält Podrabinek ihn keineswegs für einen Hoffnungsträger. Er sage zwar von sich, dass er „ein Anhänger eines demokratischen Weges der Entwicklung Russlands sowie der Gewaltenteilung ist“ und dass er „die Kompetenzen des Staatsoberhauptes zu Gunsten des Parlaments bescheiden will“, doch manche seiner Aussagen würden ihn als „Nationalisten“ mit einem „Sentiment für die Zeiten des Imperiums“ ausweisen. Podrabinek sieht ihn in der Reihe „vieler Politiker, die keine dauerhaften Werte und Überzeugungen besitzen und sich den herrschenden Stimmungen, den Erwartungen der Wähler anzupassen versuchen, und darauf ihre Karriere bauen.“ Podrabinek verstärkt diese pessimistische Sicht noch durch den Hinweis, dass Russland „als Atommacht mit einer unverantwortlichen Regierung“ eine „Bedrohung des Friedens“ sei. Man müsse „daher überall dort, wo dies möglich ist, Putin rote Linien ziehen.“ Und man müsse „die Länder unterstützen, die sich vom Moskauer Kuratel befreien wollen“, und sie „in die NATO aufnehmen.“

Ob dieser Ratschlag des angesehenen russischen Oppositionellen allerdings die richtige Alternative im Umgang mit Putins Russland ist und die Welt friedlicher macht, darf bezweifelt werden.

Quelle: Aleksandr Podrabinek, Wracamy do czasów sowieckich (Wir kehren zu sowjetischen Zeiten zurück), Tygodnik Powszechny vom 14. 05. 2017.

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