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Charismatische Bewegung in Polen

Das kirchliche Leben in Polen ist vielfältiger als es auf den ersten Blick erscheint. Es gibt nicht nur die „normalen“ Gemeinden mit ihren Sonntagsgottesdiensten, den besonderen Festen und Andachten im Verlauf des Kirchenjahres, nicht nur Prozessionen und Wallfahrten, es gibt auch zahlreiche kirchliche Gemeinschaften, die sich karikativen Aufgaben widmen oder um eine Vertiefung und Erneuerung des Glaubens bemüht sind. Zu den letzteren zählt die „Bewegung zur Erneuerung im Heiligen Geist“. Sie umfasst einige tausend Mitglieder und an die 200 000 Sympathisanten. Täglich finden landauf, landab bei vollen Sälen und Kirchen charismatische Zusammenkünfte, Gebetstreffen, Exerzitien, Vorträge und Messen statt.

Das Wirken der Charismatiker

Besonders spektakulär sind die Auftritte des ugandischen Priesters John Bashobora. Selbst Vollwaise kümmert er sich in seiner Heimat um elternlose Kinder, für deren Bildung er durch Errichtung von Schulen sorgt. Sein Kontakt zur charismatischen Bewegung geht auf das Jahr 1972 zurück, als er in Rom mit einer pneumatologischen Arbeit promovierte. Seit 2007 kommt er auf Einladung des Warschauer Bischofs Henrky Hoser Jahr für Jahr nach Polen, hält Exerzitien, leitet in zahlreichen Städten Gebetstreffen und Konferenzen und füllt ganze Fußballstadien mit seinen Gottesdiensten, wodurch seine öffentlichen Auftritte jeweils zu einem Medienereignis werden. Ihm geht der Ruf voraus, Kranke zu heilen, ja sogar Tote erweckt zu haben, was ihm natürlich eine große Anziehungskraft verleiht. Er versteht es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder von Jesus unmittelbar berührt fühlt und Menschen in Ekstase geraten.

John Bashobora ist nicht der einzige Charismatiker, der in Polen Aufmerksamkeit erregt. Vor einiger Zeit schaffte es der 25-jährige charismatische Heiler Mariusz Zieliński, in das Fernsehstudio des populären Morgenmagazins eingeladen zu werden. Dort gab er zu Protokoll, als Halbwüchsiger seine Bekehrung erlebt und intensiv darum gebetet zu haben, von Gott die Heilungsgabe zu erhalten. Nichts sei zunächst geschehen. Erst als er gesagt habe, „das ist nun mal der Wille Gottes“, hätten sich mit der Heilung einer Frau erste Effekte gezeigt.

Heilungen spielen denn auch bei den polnischen Charismatikern eine besondere Rolle. Und die Hoffnung, gesund zu werden, dürfte der besondere Grund für den Zulauf sein, dessen sich die Charismatiker erfreuen. Und hier zeigt sich eine personelle wie inhaltliche Überscheidung mit den Exorzisten. Einer von ihnen, der Krakauer Franziskaner Teodor Knapczyk, hält in ganz Polen mehrmals in der Woche derlei Heilungsmessen. Während des Gottesdienstes legt er jedem die Hände auf. Manche sind gerührt, haben Tränen in den Augen, andere sinken ohnmächtig zu Boden. Auch Gesunde treten vor, weil sie sich „Kraft und Energie versprechen, die es eben in den Sonntagsmessen nicht gibt.“

An Heilungen mangelt es offenbar nicht. Das Internet ist voller Berichte von Menschen, die entweder Zeuge von charismatisch bewirkten Heilungen waren oder solche selbst erfahren haben. Mit Magie habe dies nichts zu tun, erklärt P. Knapczyk. „ich habe keinerlei Macht. Gott ist es, der durch mich heilt. Die wahre Kraft kommt aus Glaube, Liebe und Gebet.“

Nicht alle Charismatiker gehören der „Bewegung zur Erneuerung im Heiligen Geist“ an. So gibt es eine von Anna Saj gegründete „Armee der Kinder“. Von einer „Armee“ kann allerdings nicht die Rede sein, zählt ihre Gemeinschaft doch lediglich 100 Mitglieder, unter ihnen ihre sechs Kinder. Auch sie lädt überall in Polen zu Versammlungen ein, Eltern mit Kindern, Jugendliche, alte Menschen. Bei diesen Treffen geht es fröhlich und spontan zu, voller Enthusiasmus für Jesus. Dabei soll jeder zu der Erkenntnis gelangen, welchen Lebensplan Gott für ihn hat, damit er vom Heiligen Geist geleitet wird.

Nach ihrer Berufung befragt, sagt Anna Saj, ihr Charisma habe sich auf ganz natürliche Weise gezeigt, und sie sei der Überzeugung, dass Gott durch sie wirken möchte.

Was dies Popularität der Charismatiker betrifft, so muss diese wohl als ein Zeichen der Unzufriedenheit mit einem weitgehend rituellen und kanonisierten, in festen Bahnen verlaufenden kirchlichen Leben gewertet werden; auch als Ausdruck eines geistigen Hungers, besonders unter der Jugend, sowie des Verlangens nach religiöser Erfahrung an Stelle bloßer Belehrung.

Wie stehen Polens Bischöfe zu den charismatischen Aktivitäten?

Spätestens seit dem römischen Pfingsttreffen 2017 mit Papst Franziskus aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der charismatischen Bewegung dürfte ihre grundsätzliche kirchliche Anerkennung außer Frage stehen. Doch Polens Bischöfe halten sich noch in ihrer Bewertung zurück. Manche sind der charismatischen Bewegung gegenüber positiv eingestellt, andere unentschieden oder skeptisch. Mit Vorbehalten haben bislang der Erzbischof der Diözese von Tschenstochau, der Oppelner Ordinarius sowie die Kurie von Płock reagiert. Sie warnten ihre Gläubigen vor dem charismatischen Priester Daniel Galus und seine Gemeinschaft „Liebe und Barmherzigkeit“. Die in ihrem Zentrum regelmäßigen, mit speziellen Gebeten um Heilung und geistige Befreiung verbundenen Treffen sind gut besucht. Doch dies alles ohne bischöfliche Beauftragung. Eine Kommission soll nun die Aktivitäten der Gemeinschaft, die zudem eine Zeitschrift herausgibt und über eine Stiftung verfügt, überprüfen. Inzwischen mehren sich Stimmen, welche die Bischofskonferenz auffordern, ein für alle Diözesen verbindliches Dokument zu verabschieden, das sich mit der charismatischen Bewegung in Polen befasst und bestimmte Kriterien für ihre kirchliche Anerkennung festlegt.

Theologische Begründung der charismatischen Bewegung

Die charismatische Bewegung bedarf einer theologischen Begründung und Rechtfertigung. Einen solchen Versuch bietet der Beitrag des für Glaubensfragen zuständigen Redakteurs Piotr Sikora vom Krakauer Tygodnik Powszechny. Er geht davon aus, dass fast allen religiösen Anfängen, ob im Judentum, im Christentum, im Islam oder im Hinduismus, eine religiöse Erfahrung zugrunde liegt. Doch mit der Zeit würde die „geistige Temperatur der Anfänge“ erkalten und an ihre Stelle ein „System von Lehren, Ritualen und moralischen Vorschriften treten.“ Doch die Sehnsucht nach der ursprünglichen Erfahrung könne im „Heute und Jetzt“ wieder aufbrechen. Für die Kirche gelte, dass „der erste Impuls, ohne den es kein Christentum geben würde, die Erfahrung vom Empfang des Geistes ist.“ Somit sei die Kirche ihrem Wesen nach eine charismatische Gemeinschaft, was sich im Übrigen durch eine Vielzahl an Textstellen in den paulinischen Briefen belegen lasse.

Insofern „die Bewegung zur Erneuerung im Heiligen Geist an die charismatischen Texte des Neuen Testaments anknüpft […] und die Mitglieder ihrer Gemeinschaften zu einem intensiven religiösen Erleben anleitet“, habe sie ihre Berechtigung. Allerdings sieht Sikora drei ihr drohende Gefahren: eine allzu starke Konzentration auf Heilungen, eine übermäßige Emotionalität sowie eine rein innerkirchliche Beschränkung der Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Gerade angesichts der Beliebtheit der Heilungsgottesdienste bestehe die Gefahr einer auf den bloßen persönlichen Nutzen reduzierten „unreifen Religiosität“, bei der man als Gegenleistung für seine Frömmigkeit die leibliche Gesundheit erwarte. Hier seien die Charismatiker, die solche Gottesdienste anbieten, in der Pflicht, den Menschen klar zu machen, was sie selbst intern betonen, nämlich „dass physische Gesundheit lediglich Zeichen und Impuls dafür ist, in eine Verbindung mit Gott einzutreten und diese zu vertiefen.“

Ein Spezifikum charismatischer Gottesdienste ist ihre Emotionalität, wie sie in den Gesängen, den Gebetsrufen und der Aufforderung, zur Erhebung des Geistes den Leib in rhythmische Schwingungen zu versetzen, zum Ausdruck kommt. Auch wenn es, wie Sikora anmerkt, nicht darum gehe, derlei Emotionen zu verurteilen, so würden diese doch, wie die Mystiker des geistlichen Lebens stets betont hätten, zu einem „Hindernis für eine authentische Gottesbegegnung“, falls sie die Oberhand gewännen. Er zitiert in diesem Zusammenhang die Aussage eines Studenten: „Bei einem charismatischen Gebetstreffen widerfuhr es mir einmal, dass ich mich wie auf einem Rockkonzert fühlte. Wie kann ich erkennen, ob ich in beiden Fällen Gott erfahre oder dass es sich um gänzlich verschiedene Dinge handelt?“

Für besonders gefährlich hält Sikora eine rein innerkirchliche Beschränkung der Wirkung des Heiligen Geistes bei gleichzeitiger Annahme geistlicher Bedrohung durch die Außenwelt. Insbesondere den Messen und Gebeten um geistige Befreiung würde oft eine, zumal von Exorzisten vertretene Theologie zugrunde liegen, „in der alles außerhalb des rein christlichen Bereichs als dem Wirken Satans unterworfen erscheint.“

Gegen die Auffassung, das Wirken des Heiligen Geistes beschränke sich allein auf die Kirche, verweist Sikora darauf, dass er alles umfasst und alles durchlebt (Weisheit 1,7; Joh 3,8; Apg 17,28). Auch Johannes Paul II. habe in seiner Enzyklika Redemptoris missio die These einer universalen Präsenz und Aktivität des Heiligen Geistes vertreten, „indem er in den religiösen Initiativen sowie in den menschlichen, auf die Wahrheit, das Gute und auf Gott ausgerichteten Bemühungen präsent ist.“ (RM 28-29)

Die von Sikora angeführten Gefährdungen der charismatischen Bewegung sind nicht bloß theoretischer Natur. Sie verlangen vielmehr eine kritische Überprüfung der unterschiedlichen charismatischen Gruppierung und Aktivitäten in Polen, die nur unter der Voraussetzungen ihrer Beachtung eine Erneuerung im Heiligen Geist bewirken können.

Erstveröffentlichung: imprimatur 3/2017

Mariusz Sepoło, Liderzy Ducha (Führer des Geistes), Tyodnik Powszechny v. 4.06.2017.

Vgl. meinen Beitrag, Exorzisten auf dem Vormarsch, imprimatur 8/2013.

Piotr Sikora, Ten, który przemika wszystko (Der, der alles durchdringt), Tygodnik Powszechny a.a.O.

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