Mahnende Worte des polnischen Primas
Zu kommunistischen Zeiten waren es sowohl kirchliche als auch nationale Höhepunkte, wenn an den Marienfesten Primas Stefan Wyszyński von der Klostermauer der Jasna Góra herab zu der unübersehbaren Schar an Gläubigen sprach, die Wahrung von Freiheit und Menschenwürde einklagte und das Politbüro herausforderte. Auch wenn der Titel eines Primas von Polen seine einstige Bedeutung durch eine kirchliche Strukturreform eingebüßt hat, ganz bedeutungslos ist er auch heute nicht. Das zeigte sich am 26. August 2017. An diesem Tag feierte Polens katholische Kirche auf der Jasna Góra in Gegenwart von Staatspräsident Andrzej Duda und Vertretern der Regierung den 300. Jahrestag der Krönung des Gnadenbildes der Schwarzen Madonna. Und wie zu Zeiten von Kardinal Wyszyński predigte auch jetzt Primas Wojciech Polak von der Brüstung herab und sprach Probleme an, die gegenwärtig die Nation bewegen und ihr künftiges Schicksal maßgeblich bestimmen dürften.
Der Primas rief dazu auf, die politische und soziale Ordnung zu respektieren und sie nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. „Wir haben die verfassungsmäßige Ordnung zu achten; sie ist der Garant unseres Zusammenlebens und unserer gemeinsamen Existenz. Wir dürfen sie nicht verletzen oder gar geringschätzen. Wir müssen in einem ehrlichen und breiten Dialog Lösungen suchen, die sich gegen niemanden richten, sondern auf beständige und vernünftige Weise die Institutionen reformieren, die dem menschlichen Wohl und der Gerechtigkeit dienen. Wir müssen unser aller Wohl im Blick haben, es achten, um unser Gemeinwohl in Einheit und Harmonie bemüht sein und zugleich offen, sensibel und hilfsbereit sein gegenüber den am meisten Bedürftigen, den Schwachen und Verfolgten, den Migranten und Flüchtlingen. Wir dürfen auch nicht den Ruf des heiligen Papstes Johannes Paul II. zur Errichtung eines gemeinsamen Hauses Europa überhören, basierend auf einer solidarischen und sozialen Liebe, im Verlangen nach einem wechselseitigen Verständnis.“
Erzbischof und Primas Polak sprach zwar nicht direkt die Kaczyński-Partei und ihre Regierung an. Aber seine Worte sind so klar und eindeutig, dass kein Zweifel besteht, an wen sie vor allem adressiert sind. Ob sich allerdings die anwesenden Vertreter von Partei und Regierung diese Worte zu Herzen nehmen und sich zu einem vom Primas angesprochenen politischen Kurswechsel bereit finden, ist mehr als fraglich.
Quelle: Adam Boniecki, Głos prymasa (Die Stimme des Primas), Tygodnik Powszechny v. 03. September 2017.