top of page

Polens Jugend – Abkehr von der Kirche

Der jüngste Report von Pew Research Center zeigt einen weltweiten Rückgang der Religiosität von Jugendlichen. Ermittelt wurden die Daten, indem methodisch die Gruppe der über 40järigen von der unter 40 Jahren unterschieden wurde. Die Ergebnisse sind für Polens Bischöfe alarmierend. So wird das tägliche Gebet von 39% der Älteren verrichtet, von den Jüngeren aber nur von 14%; eine erschreckende Differenz von 25%, ein Wert, der auf der Skala der untersuchten 106 Länder nur noch von Japan (29%) übertroffen wird.

Der Sonntagsgottesdienst wird regelmäßig von 50% der Gruppe „40 plus“ besucht, von der Gruppe „40 minus“ zu 26% - eine Differenz von 29 Punkten. Damit führt Polen nicht nur die Länderliste an, auch der Unterschied zum zweitplatzierten Land Kolumbien (19%) ist mit 10 Punkten beträchtlich. Bezüglich der Frage nach der Bedeutung der Religion für das eigene Leben besteht zwischen der älteren (40%)und der jüngeren Gruppe (16%) ein Abstand von 24 Punkten. Auch unter diesem Aspekt übertrifft Polen alle anderen Länder.

Das Beunruhigende sind nicht die Prozentzahlen als solche, die – in absolute Zahlen ausgedrückt – Polen immer noch als ein religiös-katholisches Land ausweisen. Beunruhigend ist der durch die Differenz ermittelte Trend, der eine für Polens Kirche katastrophale Entwicklung belegt.

Erklärungsversuche

Das Pew Research Center beruft sich zur Erklärung für die deutliche Abkehr der Jugend von der Religion auf Aussagen von Soziologen. Sie sehen einen Zusammenhang mit der ökonomischen Entwicklung: Je mehr diese voranschreite, umso mehr nehme auch die Areligiosität zu. Ähnlich sei dies bezüglich der Bildung: Je mehr gebildet, umso weniger religiös. Für Polen macht Pew Research aber noch einen weiteren Faktor aus – die Verbindung der katholischen Kirche mit dem Nationalismus. Hier wäre allerdings eine gründlichere Untersuchung erforderlich, um – gegen die allgemeine, von den konservativen Meinungsmachern verbreitete Auffassung – den Nachweis zu führen, dass diese Symbiose bei der Jugend nicht zu einer Zunahme, sondern zu einer Abnahme der Religiosität führt.

Befragung von Abiturienten

Die von Pew Research ermittelten Daten finden durch Untersuchungen der polnischen Kirche ihre Bestätigung. So hat der Lodzer Erzbischof Grzegorz Ryś mit Hilfe von Experten der Lodzer Universität eine Befragung von Abiturienten veranlasst. Danach erklärten sich 11% für ungläubig und 10% für engagierte Katholiken. Zwischen diesen beiden Polen bewegten sich die Aussagen in Form von „Ja, aber“ – zwar irgendwie gläubig, doch auf eigene Art: 78% sehen in der Religion keine geistigen Werte. 74% feiern Weihnachten und Ostern nicht als Glaubensgeheimnisse, sondern als bloße Familienfeste. 93% halten Sex vor der Ehe für normal, 94% die Verwendung von Verhütungsmitteln für moralisch unbedenklich.

Dieser Befund sei besonders erschreckend, weil die befragten Abiturienten Ende der 1990er Jahre geboren wurden und daher schulischen Religionsunterricht erhalten haben. Allerdings fällt das Urteil über die Schulkatechese nach Untersuchungen des Soziologischen Zentrums CBOS äußerst negativ aus. Er sei nach Ansicht der Schüler langweilig und uninteressant.

Als Reaktion auf diese ernüchternden Ergebnisse schlägt Erzbischof Ryś drei pastorale Maßnahmen vor: 1. Eine Erwachsenenkatechese für Eltern von Kommunionkindern, denn offenbar funktioniere die Glaubensvermittlung in den Familien nicht mehr; 2. Pastoralangebote für Jugendliche nach der Firmung, weil für viele Firmlinge ausgerechnet dieses Sakrament der Glaubensreife und Geistsendung der Zeitpunkt sei, sich von der Kirche zu verabschieden; 3. Pastorale Initiativen in Hinsicht auf Priesterberufe. Bereits jetzt zeichne sich ein deutlicher Rückgang an Seminaristen ab, und von Jahr zu Jahr würden mehr Priester in den Ruhestand gehen als neue geweiht werden. Auch wenn Polen, was die Anzahl der Priester betrifft, derzeit in Europa noch führend sei, so werde doch schon bald ein dramatischer Rückgang spürbar werden.

Äußerst kritische Aussagen von Professor Baniak

Seit Jahrzehnten befasst sich der Religionssoziologe Prof. Józef Banik mit religiösen wie moralischen Problemen der polnischen Kirche. Er gilt auf seinem Gebiet als Kapazität, ist aber innerkirchlich wegen seiner kritischen Befunde umstritten. So löste er beispielsweise 2009 eine Polemik gegen seine Person aus, als er öffentlich machte, dass seinen Untersuchungen zufolge 54% der Priester gerne heiraten würden, 30% gelegentlich mit Frauen Geschlechtsverkehr hätten und 12% im Konkubinat leben würden. Bezüglich der Religiosität der polnischen Jugend liefert er nicht nur kritische, sondern auch geradezu kuriose Beispiele: Die Jugendlichen seien überwiegend religiöse Analphabeten; die für Katholiken wichtigsten Gebete würden sie kaum kennen; die Personen der Heiligen Dreifaltigkeit seien Petrus, die Gottesmutter und Papst Johannes Paul II. Und was die Frage nach schweren Sünden betreffe, so werde kaum einmal der Ehebruch erwähnt, wohl aber das Aufbehalten der Kopfbedeckung bei Betreten der Kirche.

Die Reaktion des Vatikans

Die Abkehr der Jugend von der Kirche ist kein speifisch polnisches, sondern ein weltweites Phänomen. Mit ihm soll sich im Oktober eine eigene Bischofssynode befassen. Zu ihrer Vorbereitung kamen Mitte März in Rom 300 Delegierte katholischer Jugendverbände im Alter zwischen 19 und 29 Jahren zusammen und diskutierten Jugend betreffende Probleme. Mit „Instrumentum Laboris“ entstand auf dieser Basis ein Dokument, das für die Bischöfe zum Verständnis heutiger Jugend bei ihren Beratungen richtungsweisend sein soll. Darin finden sich Hinweise auf die innerkirchlichen Skandale, „die in den Augen der Jugend einen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust zur Folge haben.“ Für viele Jugendliche, vor allem aus den ökonomisch entwickelten Ländern, habe die Kirche keinerlei Bedeutung. „Sie bitten die Kirche um nichts, denn sie sehen in ihr keinen wichtigen Gesprächspartner für ihr Leben. Zu den Themen, die auf der Synode behandelt werden sollen, zählen auch Homosexualität und Gender. Damit sollen zwei Probleme aufgegriffen werden, über die unter Jugendlichen offen und ohne Tabus diskutiert werde.

Auf dem Jugendtreffen im März gab es auch Stimmen traditionalistisch eingestellter Jugendlicher, die eine Rückkehr zur vorkonziliaren Liturgie sowie die Wertschätzung der Tradition als Heilmittel gegen den Relativismus forderten. Diese Ansichten fanden jedoch im „Instrumentum Laboris“ keinen Niederschlag.

Wie zu sehen ist, startet die Kirche eine pastorale Offensive, um die Abkehrbewegung aufzuhalten und möglichst umzukehren. Es wird sich zeigen, ob sie zu positiven Ergebnisse führt.

Quelle: Michał Wilgocki, Polska młodzież odchodzi od Kościoła. Spadek religijności wśród młodych jest u nas rekordowy (Die polnische Jugend verlässt die Kirche. Die Abnahme an Religiosität der Jugend erreicht bei uns einen Rekord), Gazeta Wyorcza v. 21. 06. 2018.

Follow Us
  • Twitter Basic Black
  • Facebook Basic Black
  • Black Google+ Icon
Recent Posts
bottom of page