Ein Film macht Furore
Wann geschieht es schon einmal, dass in einem Lichtspielhaus ein Film vom frühen Morgen bis in den späten Abend ununterbrochen läuft? Mehr als 20 mal an einem Tag. In Polen ist dies seit Wochen der Fall. Den Film des Regisseurs Wojciech Smarzowski mit dem lapidaren Titel „Kler“ Klerus) sahen allen in den ersten Tagen landesweit eineinhalb Millionen Kinobesucher. Ein bislang unerreichter Rekord.
Doch es gibt auch Städte, in denen der Film nicht gezeigt wird; Städte, in denen die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) das Sagen hat und sich die Kinosäle im städtischen Besitz befinden. Dort stehen sie auf Anordnung des Stadtpräsidenten für eine Vorführung dieses Filmes nicht zur Verfügung.
Der Film hat den sexuellen Missbrauch polnischer Priester zum Inhalt. Die rechtsnationalen Medien sehen in ihm einen Anschlag auf die Kirche und damit zugleich eine Verletzung der Würde der Nation. In der „Gazeta Polska“ ist geradezu von einer Verschwörung des vom „Genderismus und islamischen Horden“ bedrohten Westens die Rede. Nur in einer solchen Atmosphäre könne der Plan geboren sein, „die Polen zum Aufstand gegen die Priester aufzurufen. Nur in den Köpfen der Feinde Polens konnte ein solcher Plan entstehen.“
Um den „wahren“ polnischen Klerus zu versinnbildlichen, zeigt das Cover der Zeitung, mit einem roten Aufdruck „Kler“ versehen, neben Kardinalprimas Wyszyński und den „polnischen“ Papst Johannes Paul II. den vom kommunistischen Geheimdienst ermordeten Priester Popiełuszko und den in der Auschwitzer Todeszelle umgebrachten Franziskanerpater Maximilian Kolbe. Doch lassen sich mit diesem Gegenbild die schuldig gewordenen pädophilen Priester einfach zum Verschwinden bringen?
Damit nicht genug. Der Chefredakteur der „Gazeta Polska“ warnte eindringlich vor dem Besuch des Filme, Während der Okkupationszeit habe man gesagt, „nur Schweine sitzen im Kino“, um sich die Nazipropaganda anzuschauen. Gleiches gelte nun für diesen antiklerikalen Film.
Antikirchlich oder nicht?
Aber ist „Kler“ wirklich antiklerikal? Ist die Aufdeckung der von der Kirche verheimlichten Missbrauchsfälle tatsächlich ein geplanter Schlag gegen sie und eine Verletzung der Würde der Nation?
Die Beantwortung dieser Fragen hängt weniger von Film selbst ab. Die ihn als besonders kirchenfeindlich verurteilen, sind solche, die ihn gar nicht gesehen haben und ihn auch nicht sehen wollen. Als kirchenfeindlich dürfte er auch von Kinobesuchern empfunden werden, für die der eigentliche Skandal nicht das ganze Ausmaß an klerikalem Missbrauch ist, sondern sein Publikmachen. Anders dagegen urteilt jener, der sich dieser Problematik stellt.
Die Bewertung des Films durch P. Tomasz Golonka OP
Einer, der den Film positiv bewertet, ist der Prior des Kattowitzer Dominikanerklosters Tomasz Golomka. Unter dem Titel „Ich war in dem Film `Kler`“ hat er seine Eindrücke auf der Internetplattform der Dominikaner veröffentlicht. Und er bekennt: „Für mich ist der Film „Kler“ vor allem eine Manifestation der Solidarität mit den Opfern. Sie sind hier das allerwichtigste; das allerwichtigste ist, ihnen eine Stimme zu geben an ihrer Seite zu stehen, gemeinsam mit ihnen. Im Namen aller Opfer. Kinder, Frauen, Männer, … auch Priester.“
Warum auch Priester? Sie sind doch nicht Opfer, sondern Täter. P. Golomka meint, nicht nur. Sie würden im Übrigen in diesem Film eine wohlwollende Behandlung erfahren. So werde ein in seiner Kindheit von einem Priester missbrauchter Priester gezeigt, der am Altar weint. „Priester sind Opfer von Vergewaltigung, der Gewohnheit, des Systems. Und sie sind Täter. Pathologie gebiert Pathologie.“
Der Film sei ein Spiegel der Wirklichkeit, und man müsse bereit sein, in ihn zu schauen, sich dem auszusetzen, was der Film zeigt. Doch würde er nach dem Wahrheitsgehalt von „Kler“ gefragt, ob es sich wirklich so verhalte oder nicht so sei, wie in dem Film gezeigt, dann würde er weder das eine noch das andere bejahen. „Einerseits ist der Film kein Dokumentarfilm, andererseits wurde er geschaffen cum fundamento in re.“
Der Film werfe Fragen auf nach dem Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der polnischen Kirche. Um dies zu wissen, müsse man die Archive öffnen, vor allem aber den Opfern Gehör schenkten. „Aber wollen wir das?“
P. Golomba schließt seinen Bericht mit folgenden Sätzen: „Dieser Film ist nicht dazu da, wie viele sagen und darin stimme ich ihnen zu, sich zu quälen. Die Quälerei, die das Thema dieses Filmes ist, gibt es bereits zur Genüge. Diesen Film gibt es, um zu demaskieren, offenzulegen, zu bewegen. Und er demaskiert, legt offen, bewegt.“