Anmerkungen zu Klerikalismus und Antiklerikalismus in Polen
Seit einiger Zeit ist in Polen ein rasant zunehmender Antiklerikalismus zu beobachten. So wurden in den letzten zwei Jahren über 800 Profanierungen religiöser Symbole und katholischer Kultstätten registriert. Jeder zehnte Priester erfuhr Akte der Aggression, zumeist verbaler Art. Und es gab öffentliche Proteste, an denen sich Tausende beteiligten – den Marsch der schwarz gekleideten Frauen, die auf die Straße gingen, um ihre Stimme gegen die von der Kirche gewünschte Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung zu erheben. Über Nacht hatten Unbekannte die Mauern der Warschauer Kurie mit folgenden Sprüchen versehen: „Das ist mein Blut, das ist mein Leib – hütet euch“; „Genug der Hölle für die Frauen!“ Unter dem Eindruck der weltweit bekannt gewordenen klerikalen Missbrauchsfälle demonstrierten am 7. Oktober überzeugte Kirchengegner Seite an Seite mit kritischen Katholiken unter dem Slogan „Hände weg von den Kindern“. Sie forderten ein Ende der Vertuschung und die Bestrafung schuldig gewordener Priester. Vor den Kirchen wurden die Namen derer verlesen, die wegen ihrer sexuellen Vergehen von den Gerichten zu Haftstrafen verurteilt worden waren, und es wurde eine Karrte der „Pädophilie in der polnischen Kirche“ entfaltet, die jene Orte markiert, an denen derlei Verbrechen begangen wurden.
Antiklerikalismus – ein weit in die Vergangenheit zurückreichendes Faktum
Antiklerikalismus hat in Polen eine lange Tradition. Es gab ihn bereits in der christianitas des Mittelalters. Damals unterstanden die Priester allein der Gerichtsbarkeit der Bischöfe und Ordensoberen, und waren sie schuldig geworden, fiel die kanonische Strafe in der Regel unangemessen milde aus, was in der Bevölkerung Anstoß erregte. So kam es zu Konflikten wie 1456 in Krakau. Dort wurden zwei von der weltlichen Gerichtsbarkeit schuldig gesprochene Priester öffentlich enthauptet. Obgleich der Rat der Stadt für diese Eigenmächtigkeit beim Apostolischen Stuhl um Dispens nachsuchte, sah sich der Bischof seiner Rechte beraubt, verhängte über die Stadt das Interdikt und exkommunizierte die Ratsherren.
Vergleichbare Konflikte gab es in der polnischen Geschichte immer wieder. Dazu ein paar Beispiele: In der Zwischenkriegszeit des wiedererstandenen Polens boykottierten etliche Bischöfe, die sich eine katholische Partei wünschten, die Bauernpartei. Ihr Gründer, der Bauernführer Wicenty Witos, und ihm nahestehende Geistliche wurden damals von der Hierarchie als „antiklerikal“ abgestempelt.
Im kommunistischen Polen gehörte der Antiklerikalismus zum damaligen Parteiprogramm. Tadeusz Żychiewicz, Redakteur des „Tygodnik Powszechny“, bezeichnete ihn als „inquisitorisch“, weil die Partei, zumal in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, im Kampf gegen die Kirche die Bürger unter ideologischen Druck setzte, um sie von jeder Art religiöser Praxis abzubringen. Vergeblich, wie man weiß. Polens Kirche wahrte gegenüber dem kommunistischen System innere Geschlossenheit, wodurch eine innerkirchliche Kritik an klerikalen Phänomenen und Strukturen, wie sie unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils in westlichen Kirchen zu beobachten war, als inopportun galt und kaum zum Ausdruck gebracht wurde.
Auch nach dem Ende des Kommunismus findet sich in den ersten Jahren des demokratischen Neuaufbaus Polens die Auseinandersetzung um Klerikalismus und Antiklerikalismus. Als Polens Kirche im Bewusstsein, den Sieg über den Kommunismus davon getragen zu haben, den christlichen Werten und ihren Moralvorstellungen, zumal in der Abtreibungsfrage, Gesetzeskraft verleihen wollte, als der Episkopat versuchte, am Parlament vorbei den schulischen Religionsunterricht als Pflichtfach einzuführen, als von den Kanzeln herab den Gläubigen gesagt wurde, welche Parteien sie wählen und welche sie nicht wählen sollen, stieß dies in der Gesellschaft, aber auch in Teilen der Kirche, auf Widerstand. Befürchtungen wurden laut, anstelle der „roten“ könne eine „schwarze Diktatur“ treten.
Klerikalismus bedingt Antiklerikalismus
Unter Antiklerikalismus versteht man die Forderung nach einem vom kirchlichen Einfluss unabhängigen Gesellschaftsleben. Dabei beschränkt sich das Verständnis von Antiklerikalismus nicht allein auf außerkirchliche Kräfte. Es gibt auch einen innerkirchlichen Antiklerikalismus im Sinne der Kritik an bestimmten theologischen Positionen und kirchlichen Strukturen, insbesondere an einer politischen Einflussnahme der Kirche. Er wird sogar von Papst Franziskus vertreten, wie er dies in seinem „Brief an das Volk Gottes“ um Ausdruck brachte. Der außerkirchliche Antiklerikalismus ist für gewöhnlich Teil einer Ideologie gesellschaftspolitischer Bewegungen in ihrem Kampf gegen von der Kirche sanktionierte Systeme und Staatsmächte. Entsprechend lässt sich der Klerikalismus als Anspruch einer klerikalen Dominanz des Klerus nicht nur in Glaubensfragen, sondern auch bezüglich weltlicher Angelegenheiten verstehen. In diesem Sinn bilden Klerikalismus und Antiklerikalismus zwei Seiten einer Medaille. Je mehr Klerikalismus, umso mehr Antiklerikalismus.
Doch so klar eine begriffliche Unterscheidung auch erscheint, so unklar ist im konkreten Fall, was Klerikalismus, was Antiklerikalismus ist. Interpretiert man den Antiklerikalismus als Forderung nach einer radikalen Trennung von Kirche und Staat, um auf diese Weise jede säkulare Einmischung des Klerus a priori auszuschließen, dann wäre bereits die Ausübung des moralischen Wächteramtes der Kirche Klerikalismus. Dies verdeutlicht der emeritierte Bischof Tadeusz Pieronek in einem Interview. Unter Berufung auf Augustinus verweist er darauf, dass bei einer radikalen Trennung von Kirche und Staat der Konflikt unumgänglich sei. Schließlich sei es Aufgabe der Bischöfe, nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern wie „Hunde zu bellen“, wo moralische Grundprinzipien in einer Gesellschaft verletzt würden und im Namen des Rechts Unrechts geschehe. Doch weil es im konkreten Fall nicht immer klar sei, ob eine bischöfliche Einmischung ihre Berechtigung hat oder nicht, sei es immer wieder irritierend, wenn Bischöfe und Priester in außerkirchlichen Fragen ihre Stimme erheben. Der darauf reagierende Antiklerikalismus sei daher in gewisser Weise uneindeutig: Entspreche er der gesellschaftlichen Mehrheit, dann verschärfe er sich, und er löse sich in Nichts auf, wenn eine kirchliche Intervention gesellschaftliche Zustimmung finde. Als beispielweise die polnischen Priester vor den halbfreien Wahlen im Juni 1989 den Wahlkomitees der „Solidarność“ kirchliche Räume zur Verfügung stellten, ihre Kandidaten in den Gemeinden vorstellten und von der Kanzel erklärten, hinter welchem Namen man sein Kreuzchen zu machen habe, wurde dieses klerikale Engagement allgemein positiv aufgenommen. Doch als wenig später Bischöfe und Priester bei den ersten freien Wahlen im demokratischen Polen ein ähnliches Verhalten an den Tag legten und die Gläubigen dazu aufriefen, nur überzeugten Katholiken ihre Stimme zu geben, regte sich in der Gesellschaft Widerstand, und es wurden Vorwürfe des Klerikalismus laut.
Der polnische Antiklerikalismus ist nicht unbedingt mit einer Abwendung von der Kirche verbunden. So gibt es einen selbst von Papst Franziskus vertretenen Antiklerikalismus, der von der Sorge um die Kirche bestimmt ist, der kritisch die pathologischen Erscheinungen beim Namen nennt und auf Abhilfe bedacht ist. Eine weitere Form von Antiklerikalismus ist unter polnischen Katholiken verbreitet, die ihre Kirchenkritik mit der Pflege religiöser Riten wie Taufe, Erstkommunion, Firmung und Beerdigung verbinden, in denen sie lediglich Elemente polnischer Kultur sehen und nicht das Bekenntnis ihres Glaubens.
Demgegenüber dürfte es sich bei jenen Antiklerikalen, die bei jeder Gelegenheit ihrer Wut auf die Kirche freien Lauf lassen, um eine Minderheit handeln. Gleiches gilt für den unter atheistischen Philosophen und Soziologen anzutreffenden ideologischen Antiklerikalismus, der von der Überzeugung bestimmt ist, bei der Religion handele es sich im Sinne Feuerbachs um eine Illusion und Projektion. Diese Antiklerikalen sehen in den gegenwärtig in der Weltkirche und nicht allein in Polen zu Tage getretenen klerikalen Missbrauchsfällen eine Bestätigung ihrer Meinung, wonach diese und andere menschliche Gefährdungen unabdingbar und unlöslich mit jeder Art von Religion verbundenen seien.
Typologie des polnischen Klerikalismus
Die weltweit bekannt gewordenen zahllosen Fälle klerikalen Kindermissbrauchs, deren Quelle, wie Papst Franziskus in seinem Schreiben an das Volk Gottes erläutert, der Klerikalismus sei, sowie der Film „Kler“ des Regisseurs Wojciech Smarzowski haben in Polens Kirche eine breite Diskussion um Probleme des Klerikalismus ausgelöst
Aufgrund der großen Zahl an Priestern ist das Erscheinungsbild der polnischen Kirche bereits stark klerikal geprägt. Sie sind in ihren Soutanen und Mönchskutten aus dem Straßenbild der Städte nicht wegzudenken. Wie stark der Klerikalismus in der polnischen Kultur verwurzelt ist, zeigt bereits das einen Priester bezeichnendes Wort „ksiądz“, das wie ein Doktortitel seinem Namen voransteht und mit dem er von den Laien angeredet wird. Schon diese Selbstbezeichnung und Anredeform enthält den Keim eines Klerikalismus. Denn „ksiądz“ besitzt den gleichen Wortstamm, aus dem sich der Begriff „Fürst“ herleitet. Damit ist ein polnischer Priester schon durch seine Bezeichnung eine herausgehobene Persönlichkeit, der die übrigen Menschen untergeordnet sind, über die er die Führung beansprucht und dem mit besonderem Respekt zu begegnen ist.
Mir ist aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, die ich in Polen verlebte, eine Szene in Erinnerung, die diese klerikale Grundeinstellung eines polnische Priesters verdeutlicht: Ein junger Priester steigt in eine überfüllte Straßenbahn ein. Bei seinem Anblick erhebt sich ein altes Mütterchen und bietet ihm ihren Platz an. Und mit großer Selbstverständlichkeit nimmt er das Angebot an. Das Beispiel veranschaulicht den polnischen Klerikalismus als eine uneingeschränkte Wertschätzung des Priesters aus dem einzigen Grund, dass er Priester ist. Das Verhalten des alten Mütterchens zeigt zudem, dass der Klerikalismus der Priester mit dem der Laien korrespondiert, die im Geiste dieses Klerikalismus erzogen wurden und ihn verinnerlicht haben. Vor etlichen Jahren war es mancherorts noch üblich, nicht nur dem Bischof, sondern auch dem einfachen Priester die Hand zu küssen, und es gibt immer noch den einen oder anderen Geistlichen, der nostalgisch dieser Geste nachtrauert. Die devote Haltung muss nicht immer in solch krasser Weise ihren Ausdruck finden, ist aber in vielfältigen Formen für das Verhältnis der Gläubigen zu den Priestern typisch. Die Kommunikation zwischen ihnen ist oft gestört, weil die Priester es gewohnt sind, immer und zu allem gehört zu werden, kaum aber fähig sind, den Laien zuzuhören, die denn auch, aufs Ganze gesehen, in der polnischen Kirche so gut wie nichts zu sagen haben.
Aus dem gleichsam „fürstlichen“ Grundverständnis des polnischen Klerus resultiert sein Paternalismus. Ein polnischer Priester gefällt sich in der Vaterrolle. Im Beichtstuhl duzt er ganz selbstverständlich den Pönitenten, erweist sich als Herr über dessen Gewissen. Manche Predigten, zumal in der Provinz, sind voller Zurechtweisung. Die Gläubigen werden darüber belehrt, welche Zeitungen sie lesen, welche Partei sie wählen sollen und welche nicht. Der Gläubige fühlt sich wie ein Kind behandelt, für den der „Vater“ denkt und darüber entscheidet, was zu tun und was zu lassen ist. Auf diese Weise entspricht dem Paternalismus des Klerus ein Infantilismus der Laien, an den manche Katholiken gewöhnt sind, gegen den andere rebellieren. Die Stimmen derer mehren sich, die darauf bestehen, als Erwachsene behandelt zu werden, und die vom Priester eine allein am Evangelium orientierte Verkündigung erwarten und keine christliche Bemäntelung einer politischen Agitation.
Der polnische Klerikalismus ist zudem tief im Bewusstsein nationaler Identität verwurzelt. Die Kirche propagiert denn auch eine mit der Taufe Mieszkos I. im Jahr 966 begründete Einheit von Glaube und Nation. Die hat sich ohne Frage als Kraft erwiesen, die über ein Jahrhundert währende Phase der Aufteilung des Landes unter fremder Herrschaft, die Tragödie des Zweiten Weltkriegs sowie die Jahrzehnte des Kommunismus zu überstehen. Aber sie verschafft dem Klerus eine nationale Sonderrolle, die es ihm ermöglicht, zu eigenem Nutzen seinen Einfluss auch im weltlichen Bereich geltend zu machen und somit die verführerische Gefahr der Korruption in sich birgt.
Der Film „Kler“ als kritische Aufdeckung des polnischen Klerikalismus
Seit seiner Premiere am 28. September 2018 haben Millionen von Polen den Film „Kler“ (Klerus) gesehen. Er bestimmte über Wochen die öffentliche Diskussion. Der Film ist voller Szenen, welche die Pathologie des Klerikalismus aufdecken. Die Protagonisten sind ein Erzbischof und drei ihm unterstellte Priester. Einer von ihnen verursacht unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall, bei dem ein Familienvater so schwer verletzt wird, dass er wenig später stirbt. Doch es kommt nicht zu einer Protokollaufnahme. Ein Telefonanruf des jungen Geistlichen genügt, und die beiden Polizeibeamten verlassen unverrichteter Dinge den Tatort. Dem Erzbischof gelingt es, durch seine Beziehungen zu verhindern, dass ein kirchlicher Skandal an die Öffentlichkeit gelangt, was die Kurie denn auch in überschwänglicher Freude als Erfolg feiert. Für eine kirchliche Großveranstaltung soll ein Platz vorbereitet werden. Doch bei den Bauarbeiten werden die Gebeine gefallener Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Anstatt das Vorhaben zu stoppen und die Funde zu melden, erreicht der Erzbischof mit reichlich Schmiergeld die Einbetonierung der Leichen und die Fertigstellung des Platzes, auf dem denn auch eine machtvolle kirchliche Selbstinszenierung stattfindet. Die beiden anderen Priester haben sich des sexuellen Kindermissbrauchs schuldig gemacht, wurden aber selbst in ihrer Kindheit Opfer sexueller Gewalt. Der eine erlebte in einer von Ordensschwestern geleiteten Einrichtung Demütigung, brutale, von einer Schwester angeordnete Züchtigung und Vergewaltigung durch ältere Heiminsassen. Aus ihm, einem sensiblen Jungen, wurde ein kalter, auf den eigenen Vorteil bedachter Priester. Um sein Karriereziel zu erreichen und als Mitglied einer vatikanischen Kommission nach Rom entsandt zu werden, sammelt er auf hinterhältige Weise Material, das den Erzbischof belastet, und erpresste sich so seine Freistellung für Rom. Auch der andere Priester wurde als Kind sexuell missbraucht, und zwar von einem Pfarrer. Beide sind somit als Täter zugleich Opfer, deren Lebensschicksal der Kinobesucher mit einer gewissen Empathie verfolgt, die aber nicht auf Kosten der Opfer geht, weil der Film einige aneinander gereihte Selbstzeugnisse traumatisierter Missbrauchsopfer und deren schreckliche Leiden vor Augen führt, was im Übrigen dazu beitrug, dass durch „Kler“ eine breite Debatte zum Umgang der Kirche mit den Opfern ausgelöst wurde.
Unter dem Eindruck dieses Films stellt sich die Frage, auf welche Weise der Klerikalismus diese Doppelung von Täter und Opfer bedingt. Man fragt sich, warum offenbar in der Seminarzeit der in der Kindheit erfahrene sexuelle Missbrauch nicht entdeckt und entsprechend aufgearbeitet wurde. Ohne die erforderliche Therapie zu Priestern geweiht, verbleiben beide in den klerikalen Strukturen verstrickt und erfahren keine Befreiung. Als Ausweg wählt der eine die Karriere, der andere die Selbstverbrennung. Während der machtvollen kirchlichen Selbstinszenierung übergießt er sich mit Benzin und zündet sich an. In Kreuzesform am Boden liegend verglüht er, umgeben von einem großen Kreis untätiger Laien. Es ist das letzte Bild des Films.
„Kler“ erweist den Klerikalismus als die eigentliche Quelle aller im Film thematisierten negativen Geschehnisse – ein klerikales, sich selbst genügendes Kastenbewusstsein, das echte menschliche Beziehungen beinahe unmöglich macht, mit der Konsequenz pathologischer Erscheinungen wie Alkoholismus, Zölibatsprobleme, Kindes- und Machtmissbrauch.
Einige Bischöfe und Priester, die den Film gesehen haben, äußerten sich keineswegs ablehnend, sondern wurden im Gegenteil durch ihn angeregt, sich mit dem Klerikalismus auseinanderzusetzen. So der Oppelner Bischof Andrzej Czaja, der unter dem Eindruck des Films die klerikalen Missbrauchsfälle in seiner Diözese in einem von den Kanzeln verlesenen Hirtenbrief offenzulegte. Anders Vertreter der regierenden Kaczyński-Partei, die in diesem Film eine Schande für Kirche und Nation sehen, ihn boykottieren und dort, wo es ihnen möglich ist, seine Ausstrahlung verhindern. Dies zeigt, dass diese Kreise am Fortbestand des Klerikalismus zu beiderseitigem Nutzen Interesse haben, wie es denn auch im Film nicht an entsprechenden Anspielungen mangelt.
Überlegungen zur Überwindung des polnischen Klerikalismus
Es fehlt nicht an Überlegungen, wie der polnische Klerikalismus überwunden werden kann. Den Ausgangspunkt bildet die Analyse des für eine Kaste typischen innerklerikalen Beziehungsgeflechts, das den Priestern ein elitäres Bewusstsein verleiht und sie von der Welt der Laien künstlich trennt. Zu ihnen gibt es keine Beziehung gleich zu gleich. Das Wissen, einer Kaste anzugehören, die sich gegen die Außenwelt abschirmt und ein Eigenleben führt, ist wohl auch der Hauptgrund dafür, dass über eine lange Zeit die klerikalen Missbrauchsfälle vertuscht wurden und die betroffenen Priester gemäß des einer Kaste eigenen Chorgeistes in der Regel mehr Verständnis und Solidarität erfahren haben als ihre Opfer.
Eine weitere Konsequenz des klerikalen Kastenwesens ist eine tiefe Spaltung der Kirche in geweihte Amtsträger und ungeweihte Laien, wobei die ursprüngliche Wortbedeutung von „Laie“ als Angehöriger des „Volkes Gottes“ verloren ging und der Begriff einen Mangel gegenüber dem geweihten und eingeweihten Priester beinhaltet, wodurch die Kluft zwischen ihnen gleichsam festgeschrieben wird. Die beklagt auch Papst Franziskus in seinem „Brief an das Volk Gottes“, in dem es heißt: „Der Klerikalismus, den sowohl die Priester selbst als auch die Laien begünstigen, verursacht einen Riss des Leibes der Kirche, der die Verübung vieler schlechter Dinge, die wir jetzt verdammen, fördert und zu ihnen beiträgt.“
Unter einem psychologischen Aspekt analysiert der Jesuit und Psychotherapeut Jacek Prusak den vom Kastenwesen geprägten polnischen Klerikalismus. Er blockiere die für das Priesteramt erforderliche menschliche Reifung: „Klerikalismus ist die Ersatzfunktion einer auf persönlicher Unreife basierenden Identität.“ Die Reduzierung auf das bloße Priestersein gehe auf Kosten menschlicher und christlicher Reifung. „Wir haben es mit einer Verkürzung zu tun. ‚Ich wurde geboren, um Priester zu sein, also bin ich etwas Außergewöhnliches‘. Wir haben es somit mit einer gewissen psychologischen Abhängigkeit zu tun: Je weniger gereift ein Bischof oder Priester ist, umso klerikaler ist er als Geistlicher und umso weniger authentisch als Mensch. Um in den eigenen Augen etwas zu gelten, muss er sich unterscheiden. Damit ihm diese Unterscheidung Befriedigung verschafft, bedarf es der Privilegien. Klerikalismus ist die Kompensation von Komplexen und Defiziten in Form von Attributen der Institution und der Macht.“
Auch theologisch kommt einiges in Bewegung. So sprach sich der Posener Erzbischof Stanisław Gądecki am Gründonnerstag, also lange vor „Kler“, in der Chrisammesse vor den Priestern seines Bistums gegen eine verbreitete Überidentifikation des Priester als alter Christus“ aus. Wörtlich sagte er: Christus währt ewig. Er besitzt ein unvergängliches Priestertum. [...] Das erleichtert das Verständnis, dass keiner Erbe Christi ist noch sein kann, und er ist auch nicht sein Vertreter. Christus ist der einzige Priester des Neuen Bundes. Der geweihte Priester ist somit kein Mittler zwischen Gott und der Gemeinschaft, sondern lediglich ein Diener Christi. Christus ist der einzige Mittler. Die Vollmacht, die das Sakrament einem Bischof und einem Priester verleiht, damit er lehrt, weiht und das Volk Gottes in persona Christi capitis leitet, hat einzig und allein die Verkündigung der durch Christus bewirkten Erlösung sowie die Bildung der Gemeinschaft zum Ziel. Darin besteht die wahre Größe und zugleich die wahre Verantwortung eines Priesters.“
Gefordert wird ein Wandel in der Seminarerziehung
Wenn, wie dies in Polen diskutiert wird, die Ursache des Klerikalismus in einer gegenüber der Außenwelt abgeschotteten Kaste liegt, wodurch die Beziehungen innerhalb der eigenen Gruppe verbleiben und von Privilegien, Pflichten und Macht bestimmt werden, die für persönliche Vertrauensverhältnisse wenig Raum lassen und so die Einsamkeit fördern, dann muss dieses Beziehungssystem reformiert werden. Anzusetzen sei bei der Seminarausbildung: „Es geht nicht darum, das jetzige Modell abzuwandeln, sondern es radial zu verändern, das was im Seminar geschieht, mit einer von außen kommenden Formierung, mit Gemeinschaft zu verbinden. Es handelt sich um den gesamten Lebensbereich des künftigen Priester, um seine direkten Beziehungen zu den Laien: nicht nur als geistlicher Führer, sondern als Dialogpartner, d. h. als einer, welcher der Gemeinschaft auch zu führen erlaubt.“
Wenn auf diese Weise die jungen Kleriker nicht mehr auf ihre Andersartigkeit gegenüber den Laien ausgerichtet, sondern zu einer Beziehung von gleich zu gleich befähigt werden, dann – so die Erwartung – werden die Priester für Laien, ob Männer oder Frauen, gemeinschaftstauglich und ihre Beziehungen zu ihnen von Offenheit und wechselseitigem Gewinn bestimmt. Damit wäre die Möglichkeit gegeben, dass Laien gegenüber Priestern auch Kritik äußern zu können, und diese wären bereit, sie anzunehmen.
Damit wäre zudem der Weg frei, dass Laien im Leben der polnischen Kirche eine wichtige Rolle spielen. Dazu wäre es allerdings erforderlich, sich von der verbreiteten Auffassung zu verabschieden, im kirchlichen Dienst bedürfe es der Laien nicht, weil man ja, gottdank, noch über reichlich Priester verfüge. Es geht darum, dass Laien ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Lebenserfahrung in den Dienst der Kirche stellen können und es ihnen nicht so ergeht, wie jenem Lubliner Psychologieprofessor, der dem Pfarrer seine Mitarbeit anbot und zu hören bekam: „Sie sind hoch gewachsen, vielleicht können Sie Glöckner werden, denn unser Küster kommt damit nicht zurecht.“
Erstveröffentlichung: imprimatur 4/2018
Adam Boniecki, Antyklerykalizny są róźne (Antiklerikalismen sind verschieden) Tygodnik Powszechny v. 24. 10, 2018,
Ann Goc, Marcin Żyła, We władzy deficytów (Unter der Macht der Defizitären), ebd. v. 23. 09. 2018, S. 13.
Wacław Oszajca, A nam się pomyliło (Wir haben uns geirrt), ebd. v. 28. 10. 2018.
Ebd., S. 15.
Halina Bortnowska, Kwalifikacje nabyte (Erworbene Qualifikationen), ebd., S.16.