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Ukraine – 5 Jahre nach dem Majdan

Im Winter 2003/2004 harrten hunderte Demonstranten bei eisiger Kälte auf dem Majdan, dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt aus und forderten grundlegende Reformen. Am 18. Februar 2014 brach der harte Kern in Richtung Parlament auf, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Er wurde von den Sicherheitskräften aufgehalten und zurückgedrängt. Es gab Tote und Verletzte. Zwei Tage später unternahmen die Demonstranten einen weiteren Versuch, und der ende mit einem Massaker. Innerhalb einer Stunde gab es an die 50 Tote. Insgesamt verloren in diesen Tagen blutiger Auseinandersetzung 97 Menschen ihr Leben, 77 auf Seiten der Demonstranten, 20 aus den Reihen der Sicherheitskräfte. Eine Tafel mit den Fotos der Toten bildet heute den Gedächtnisort auf dem Majdan.

Die Außenminister Polens, Deutschlands und Frankreichs hatten derweil in Verhandlungen mit dem russlandhörigen Präsidenten Wiktor Janukowytsch über ein Ende des Blutvergießens verhandelt und am 21. Februar einen Kompromiss erzielt. Doch der hatte keinen Tag Bestand, denn Janukowytsc, der offenbar um sein Leben fürchtete, hatte Kiew in Richtung Russland verlassen, wo er sich seitdem aufhält. Damit hatte die „Revolution der Würde“ den Sieg errungen.

Zerstörte Hoffnungen

Die Hoffnungen der Majdan-Helden waren hoch gesteckt. Zu hoch, wie sich zeigen sollte. Ihr Ziel war eine demokratische Ukraine, unabhängig, ohne Oligarchen, ohne Korruption, die sich durch einen inneren Umbau der Europäischen Union annähert und von ihr baldmöglichst aufgenommen wird. Doch für Putin war eine solche Entwicklung nicht hinnehmbar. Wie zu Zeiten der Zaren und der Sowjetunion beansprucht auch er die Ukraine als seine Einflusssphäre. Entsprechend fiel seine Reaktion aus: Die Annexion der Krim und mit Hilfe von Separatisten und dem Einsatz eigener Militärkräfte die Kontrolle über die Ostukraine.

Seit 5 Jahren herrscht nun Krieg in der Ukraine, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Zahl der Toten wird auf über 10 000 geschätzt. Die internationalen Bemühungen um eine Schlichtung des Konflikterbrachten erbrachten mit den Abkommen von Minsk I und Minsk II lediglich einen brüchigen Waffenstillstand. Doch gestorben wird weiterhin. 2018 hatte die Ukraine immer noch 135 Gefallene zu beklagen.

Als Lösung hatte der Kreml eine „Föderalisierung“ der Ukraine in einen West- und einen Ostteil vorgeschlagen. Dabei sollte der Ostteil, nicht aber Kiew bei allen wichtigen außen- und innenpolitischen Fragen ein Vetorecht bekommen, was nicht nur jegliche Reformbemühungen zunichte gemacht, sondern die Ukraine faktisch russischer Kontrerolle unterstellt hätte. Ein unannehmbarer Vorschlag.

Reformbemühungen unter erschwerten Bedingungen

Unter den Bedingungen eines Krieges innere Reformen durchzuführen, das dürfte für jedes Land schwierig sein. Der Krieg bindet Kräfte – finanzielle, personelle, materielle. Er setzt politische Prioritäten, hinter denen Reformwünsche zurücktreten. Angesichts dieser Lage zeigen sich die Reformkräfte gespalten: Die einen drängen darauf, trotz des Krieges vorrangig liberale Reformen in Gesellschaft, Wirtschaft und in den staatliche n Strukturen zu verwirklichen und Verzögerungen seitens der Regierung scharf zu kritisieren. Andere halten eine wirksame Verteidigung des Landes für vorrangig und plädieren dafür, Kritik am Präsidenten und der Regierung um der Einheit der Nation willen vorerst zurückzustellen.

Die Macht der Oligarchen

Doch selbst unabhängig vom Krieg stoßen Reformbestrebungen in der Ukraine auf Widerstand. Die Ursache dafür liegt in den Umständen, unter denen die Ukraine Anfang der 1990er Jahre unabhängig wurde. Es entstand kein demokratisches Staatswesen nach westlichem Vorbild, sondern eine oligarche Demokratie. Nutznießer des Übergangs waren zu Nationalisten gewandelte kommunistische Funktionäre, die einen Zugriff auf die Staatsbetriebe besaßen. An diesem die Korruption fördernden System hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Auch der jetzige Präsident Petro Poroschenko ist ein Oligarch. Er besitzt einen Schokoladenkonzern sowie einen meinungsbildenden Fernsehsender. Der Kampf um die politische Macht im Lande war und ist weitgehend ein Kampf unter Oligarchen. So regieren seit über 20 Jahren faktisch Oligarchen die Ukraine. Das System hat die orangene Revolution von 2004 überlebt, und es überdauert auch den Majdan.

Dennoch gibt es im Schatten der Oligarchie einzelne Reformfortschritte: Eine Stärkung der Selbstverwaltung auf lokaler und regionaler Ebene, Teilerfolge bei der Bekämpfung der Korruption sowie Ansätze einer Zivilgesellschaft. Doch es gibt auch neue Belastungen: Als Folge des Krieges 1 Million Binnenflüchtlinge, 300 000 Kriegsveteranen, die es schwer haben, sich nun im zivilen Leben zurechtzufinden. Dazu verlassen junge, gut ausgebildete Ukrainer in großer Zahl das Land und stehen als dringend gebrauchte Reformkräfte nicht zur Verfügung. Quo vadis Ukraine?

Quelle: Tadeusz A. Olszański, Oligarchia trzyma się mocno (Die Oligarchie hält sich unvermindert), Tygodnik Powszechny v. 24. 02. 2019.

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