Die Polnische Bischofskonferenz und die kirchlichen Missbrauchsfälle
Am 14. März 2019 befasste sich die Polnische Bischofskonferenz mit den sexuellen Vergehen ihrer Priester an Minderjährige. Der Direktor des Statistischen Instituts der katholischen Kirche gab das für den Zeitraum 1999 – 2018 ermittelte Ergebnis bekannt: 382 Fälle, davon 198 sexuelle Übergriffe auf Jugendliche unter 15 Jahren. Verübt worden die Vergehen von 74 Ordens- und 41 Diözesanpriestern. 95% der Fälle unterlagen einer kanonischen Untersuchung. 40% der beschuldigten Priester erhielten eine Kirchenstrafe. Ungefähr jeder vierte verlor sein Priesteramt. Bei 13% der untersuchten Fälle kam es zu keinem abschließenden Urteil, und 10% der beschuldigen Priester wurden kirchlich frei gesprochen. Besonders besorgniserregend ist die Dynamik dieser die Kirche belastenden Entwicklung, denn von Jahr zu Jahr zeige sich ein Anstieg kirchlicher Missbrauchsfälle. Nicht ermittelt wurde, in wieviel Orden und Diözesen sexuelle Vergehen der Priester vertuscht wurden. Zudem ist es fraglich, ob aufgrund der Ermittlungsmethode sämtliche Fälle erfasst wurden, so dass man wohl von einer gewissen Dunkelziffer ausgehen muss.
Warum der Zeitraum zwischen 1999 und 2018 gewählt wurde, erläuterte der für Missbrauchsfälle von der Bischofskonferenz beauftragte Koordinator, der Jesuit Adam Żak. Er verwies darauf, dass sein Orden nach dem Ende des Kommunismus den Auftrag erhalten habe, die kirchlichen Archive auf belastendes Material hin zu untersuchen. Es habe sich gezeigt, dass nichts zu finden war. In der Zeit kirchlicher Verfolgung und Unterdrückung habe man offenbar darauf verzichtet, Vorgänge zu dokumentieren und zu archivieren, die von der kirchenfeindlichen Propaganda hätten ausgenutzt werden können. Somit lässt sich icht belegen, auf welche Weise Polens Kirche in den Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft von priesterlichen Missbrauchsfällen betroffen war.
P. Żak machte zudem deutlich, dass die Untersuchung von Missbrauchsfällen im Episkopat auf Widerstand stieß: „Unter den Hierarchen fehlte es an Gemeinsamkeit, das Problem anzugehen. Auch die Recherchen von Journalisten, kirchliche Missbrauchsfälle aufzuklären, blieben ergebnislos, weil sich die jeweilige Kurie weigerte, die entsprechenden Informationen zu liefern, wozu sie im Übrigen rechtlich nicht verpflichtet war.“
Kirchliche Missbrauchsfälle – Anlass für kirchenfeindliche Kampagnen?
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, verwahrte sich auf der Konferenz gegen die Tendenz, die Pädophilie als ein beinahe ausschließlich kirchliches Problem auszugeben. Er sieht in der in der Öffentlichkeit immer wieder anzutreffenden Formel „Pädophilie in der Kirche“ ein ideologisches Schlagwort. „Es soll die Kirche um ihre Autorität gebracht, das Vertrauen zu ihr zunichte gemacht werden. Ihr wisst, welche Intentionen dahinter stehen, dass dieses Schlagwort so beharrlich wiederholt wird.“ Der Vorsitzende der Bischofskonferenz bedauerte, dass dieses Problem nicht in gleicher Weise die Gesellschaft im Ganzen beschäftigt, weder auf der Ebene der Regierung, noch auf der der lokalen Selbstverwaltungen. „Was nützt es, wenn wir das Problem der Pädophilie in der Kirche lösen, es aber in der Gesellschaft weiter besteht?“
Plakativ, polemisch und offenbar ohne genaue Kenntnis bezog sich Erzbischof Gądecki zudem auf die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen, aber keineswegs verordneten „Standards sexueller Erziehung in Europa“. Er sagte: „Einerseits schafft man Programme der Sexualerziehung von Kindern, um möglichst viel an Antikonzeptionsmitteln zu verdienen und das sexuelle Leben in Gang zu bringen. Andererseits attackiert man die Folgen, das, was zum späteren Verbrechen führt.“ Damit sind, reichlich verklausuliert, die sexuellen Vergehen von Priestern gemeint, die ja das Thema der Konferenz bildeten. Doch wo ist hier der logische Zusammenhang? Es ist ja wohl eher anzunehmen, dass die schuldig gewordenen Priester keine schulische Sexualerziehung erhalten haben, schon gar nicht entsprechend der Standards der WHO, so dass die Frage erlaubt ist, ob nicht eher dieses Defizit eine der Ursachen ihrer sexuellen Verbrechen sein könnte.
Der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski, der als Vertreter des Polnischen Episkopats an der Missbrauchskonferenz im Vatikan (21. – 24. Februar 2019) teilgenommen hatte, erstattete Bericht. Dabei kritisierte er, wenngleich indirekt, Papst Franziskus. Der hatte im November letzten Jahres „Null Toleranz“ gegenüber sexuellen Vergehen von Priestern gefordert. Diese Formal hält der Krakauer Erzbischof offenbar ffür unan gemessen. Er brachte sie in Zusammenhang mit der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg: „Als Hitlers Nazismus den Kampf gegen die Juden führte, wurde gegen sie „Null Toleranz“ angewandt, infolgedessen es zum Holocaust kam. Und als im bolschewistischen System „Null Toleranz“ den Volksfeinden gegenüber praktiziert wurde, kam es zu einem weiteren Massaker. Dagegen muss die Kirche ganz entschieden das Böse brandmarlen, doch sie muss auch – in Übereinstimmung mit der Lehre Jesu - zur Buße und Umkehr aufrufen sowie den Tätern Barmherzigkeit erweisen, wenn sie wirklich ein neues Leben anfangen möchten, wenn sie aufrichtig bedauern und nach innerer Umkehr streben.“
Eine enttäuschende Konferenz
Was ist nach alldem von dieser Bischofskonferenz zu halten? Was hat sie an Positivem gebracht? Reichlich wenig. Der Beobachter gewinnt den Eindruck, die versammelten Bischöfe hätten mit deutlichem Widerwillen die Fakten zur Kenntnis genommen, sie haben es aber versäumt, sich mit der Problematik ernsthaft auseinanderzusetzen. Geradezu skandalös mutet es an, dass von den Opfern keine Rede war. Kein Wort zu ihren Leiden, ihren Traumatisierungen; kein Wort des Bedauerns und der Entschuldigung; kein bischöflicher Austausch über Formen der Wiedergutmachung.
Man fragt sich, war es das mit der Vorlage der Fakten? Glaubt man, damit dem Verlangen nach Transparenz Genüge getan zu haben? Hofft man, unter diese für die Kirche höchst unangenehme Thematik nun einen Schlussstrich ziehen, die belastete Vergangenheit abhaken zu können? Die Absicht, die Missbrauchsfälle durch eine unabhängige Expertengruppe aufarbeiten zu lassen, wie dies durch Bischofskonferenzen anderenorts veranlasst wurde, ist jedenfalls nicht zu erkennen. Auch nicht der Wunsch nach einer gründlichen Ursachenforschung, sich, ohne Tabus, allen zu einer Klärung führenden Fragen zu stellen, einschließlich der nach dem von Papst Franziskus mehrfach angeprangerten Klerikalismus. Vermutlich hat man Angst vor einer solchen Ursachenforschung, bei der dann wohl auch der Pflichtzölibat hinterfragt werden würde.
Angesichts des enttäuschenden Ergebnisses fallen denn auch die Kommentare in der weltlichen, nicht regierungstreuen Presse entsprechend negativ aus. So sieht der Journalist Michał Danielewski in den Äußerungen der Erzbischöfe Gądecki und Jędraszewski geradezu eine Rechtfertigung der pädophilen Priester. Beider Argumentation würde ein Konstrukt schaffen, das für die elementare Logik und das menschliche Anstandsgefühl ein Hohn sei. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz relativiere zudem durch den Hinweis auf den sexuellen Missbrauch als eines globalen Problems die Pädophilie von Priestern. In den Aussagen des Krakauer Erzbischofs sieht Danielewski den Versuch zu suggerieren, die katholischen Priester in Polen würden wie Juden im nazistischen Deutschland behandelt; das sei eine Schande. Den Zusammenhang schließlich, den Erzbischof Gądecki zwischen der schulischen Sexualerziehung und dem sexuellen Missbrauch konstruierte, kritisierte Danielewski mit den Worten: „Würde er keine Soutane tragen, die in Polen zu einer beleidigenden Dummheit verleitet, und wäre er Chef einer anderen Institution, in der es einen massenhaften sexuellen Missbrauch gibt, dann müsste er nach solchen Worten den Hut nehmen.. Ab er ist Chef der Polnischen Bischofskonferenz.“
Man mag eine derartige Kritik für übertreiben halten, doch man soll sie nicht vorschnell als antikirchlich werten. Sie kann durchaus ihren Grund in einer tief empfundenen Enttäuschung über den kirchlichen Umgang mit Missbrauchsfällen haben, wie dies auf dieser Bischofskonferenz deutlich wurde.
Quelle: Michał Wigocki, Konferencja Episkopatu Polski: Od 1990roku 382 przypadki wykrzystywania małoletnich (Konferenz des Episkopats Polens: Seit 1999 382 Fälle von Missbrauch Minderjähriger), Gazeta Wyborzca v. 14. 03. 2019; Michał Danielewski, Wściekłość, zdumienie, wstyd i ohyda. Mówiąc o pedofilach, bispkupi tworzyli konstrukcje urągające przyzwartości (Erbitterung, Erstaunen, Scham uind Schande. Indem sie von Pädophilen sprechen, schufen die Bischöfe Konstrukte