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Jan Kaczkowski – Porträt eines aklerikalen Priesters

In Polen stehen derzeit im Zentrum des öffentlichen Interesses die zahlreichen Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch katholische Priester sowie ihre Vertuschung und Verharmlosung durch etliche Bischöfe. Dass es in der polnischen Kirche auch hochgeschätzte Geistliche von vorbildlichem Charakter gibt, ausgestattet mit einem besonderen Charisma und reich an Verdiensten, das gerät dabei aus dem Bick. Einer von ihnen ist Jan Kaczkowski, der über seinen frühen Tod hinaus hohes Ansehen genießt.

Geboren wurde er 1977 als drittes Kid einer geistig aufgeschlossenen, intellektuellen Familie. Er kam Monate zu früh mit bleibenden Schäden zur Welt. Auf einem Auge blind, das andere mit nur geringer Sehkraft, dazu linksseitige Lähmungserscheinungen. Dieser Befund schloss eigentlich für die Zukunft ein mit starken Belastungen verbundenes Berufsleben aus. Möglich wurde dies trotzdem, weil seine Mutter in ihrem Sohn keinen Behinderten sah und auch ihn von frühauf lehrte, seine Behinderung zu ignorieren. So ist es ihrer Beharrlichkeit zu verdanken, dass Jan nicht – wie von Pädagogen gewollt – unter blinden Altersgenossen aufwuchs, sondern eine ganz normale Schule besuchen konnte. Und er erwies sich als ein begabter Schüler, der seine Behinderung durch seinen Intellekt zu kompensieren wusste.

Der schwierige Weg zum Priestertum

Bereits in jungen Jahren regte sich in Jan der Wunsch, Priester zu werden. Doch schon in der Grundschule bekam er von seiner Lehrerin zu hören: „Dazu eignest du dich nicht.“ Mit dieser Ablehnung seines Berufswunsches wurde er wiederholt konfrontiert. So als er sich als Gymnasiast um Aufnahme bei den Jesuiten bewarb und unter Hinweis auf sein Augenleiden einen negativen Bescheid erhielt. Unter dieser Zurückweisung hat er schwer gelitten.

Jans Eltern nahmen seinen Wunsch, Priester zu werden, keineswegs mit Begeisterung auf. Es regte sich bei ihnen kein Stolz, einen ihrer Söhne am Altar zu wissen, so nah bei Gott, wie dies in frommen Familien häufig der Fall ist. Der Vater, ein Agnostiker und gewohnt, die freie Entscheidung seiner Kinder zu respektieren, erhob zumindest keine Einwände. Anders die Mutter. Sie zeigte sich besorgt. Doch nicht wegen seiner Behinderung, sondern wegen der ihrer Meinung nach ungesicherten Zukunft der Kirche. Wie seit langem in Frankreich, würden auch in Polen bald die Gotteshäuser und mit ihnen die kirchlichen Kassen leer sein. „Was dann, mein Sohn, wirst du dein ganzes Leben als Bettler verbringen?“ Darauf gab ihr Jan zur Antwort: „Aber ich werde in der Kirche und nicht vor ihr betteln.“ Eine Vorhersage, die sich, wenn auch anders als die Mutter befürchtete, bewahrheiten sollte. Und sie ließ ihn noch wissen, es wäre für die Eltern keine Schande, würde er später den Priesterberuf wieder aufgeben. Er würde stets seinen Platz in der Familie finden.

Es bedurfte auch einer besonderen Vermittlung beim Danziger Bischof Gocłowski, um Jan den Eintritt in das dortige Priesterseminar zu ermöglichen. Wenngleich er sein Theologiestudium problemlos beenden konnte, so war damit seine Zulassung zum Priestertum noch keineswegs gesichert. Wieder war es sein Augenleiden, das sich als Hürde herausstellte. Wie würde er, so fragten die Entscheidungsträger, mit dieser Behinderung seinen Priesterberuf ausüben können? Wie die heilige Messe feiern und die sonstigen sakralen Riten vollziehen? Wie Kinder und Jugendliche im Glauben unterweisen? Würde er ihnen nicht zum Gespött? Die Bedenken wogen schwer. Die Diskussion um seine Zulassung zog sich in die Länge bis ihr einer der Professoren eine humorvolle Wende gab: „Aber Geld sieht er doch. – Na ja. – Dann weihen.“

Ein Priester für alle

Nach Jans Priesterweihe schickte ihn sein Bischof als Vikar in die 45 Kilometer von Danzig entfernte pommersche Hafenstadt Puck. Der Pfarrer wies ihm in der unteren Parterre eine Dunkelkammer mit vergitterten Fenstern an, obwohl gleich gegenüber Räume leer standen. Ein volles Jahr musste er dort ausharren, ehe er diese Wohnung beziehen durfte.

Bald zeigte sich, dass dieser Neupriester anders war, anders als die Geistlichen, mit denen es die Gläubigen sonst zu tun haben. Jan Kaczkowski liebte es, mit Menschen zusammen zu kommen, vor allem mit den an den Rand Gedrängten, mit Priestern, die ihr Amt aufgaben, mit Menschen, die die Kirche, aus welchen Gründen auch immer, verlassen hatten. Für sie alle wollte er da sein, gab ihnen seine Telefonnummer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnten sie ihn anrufen.

Seine Predigten sprachen sich herum. Wer mit der polnischen Kirche ein wenig vertraut ist, der weiß, dass die Prediger mit Vorliebe moralisieren. Ständig bekommen die Gläubigen zu hören: „Ihr sollt“, „ihr müsst“. Nichts davon bei Jan Kaczkowski. Im Zentrum seiner Verkündigung stand Gottes barmherzige Liebe, die Auslegung des Evangeliums, die Botschaft Jesu vom Reiche Gottes und die Betonung der jedem Menschen zukommenden Würde.

In Sorge um die Kranken

Zu den pastoralen Pflichten von Jan Kaczkowski zählte die seelsorgliche Betreuung der Patienten des örtlichen Krankenhauses. Dieser Aufgabe nahm er sich mit voller Energie an. Es reichte ihm nicht, die Menschen auf ihrem Krankenlager regelmäßig zu besuchen, ihnen Trost zu spenden und falls sie dies wünschten, die Sakramente. Er gewann ihr Vertrauen und wurde für sie zu einem Beistand in all ihren Lebensnöten.

In Ausübung seines pastoralen Dienstes gelangte er zu der Einsicht, dass der Unterschied zwischen den Patienten, die auf baldige Heilung hoffen konnten, und jenen, die trotz aller ärztlichen Bemühungen dem Tod geweiht waren, eine strukturelle Änderung des Krankenhaussystems erfordere. Man müsse für letztere eine eigene palliative Abteilung einrichten. In Verwirklichung dieser Absicht zeigte sich sein besonderes, sich immer wieder bewährendes Talent, kreative Menschen um sich zu sammeln und sie von seinen Vorstellungen zu überzeugen. So gewann er aus dem Krankenhauspersonal einige Ärzte und Krankenschwestern, so dass seine Idee Wirklichkeit wurde.

Eine weitere von ihm in diesem Zusammenhang gewonnene Einsicht betraf die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit der durch Krankheit, Sterben und Tod verbundenen Problematik. Ihr gegenüber erweisen sich nicht nur die Kranken, sondern auch ihre Angehörigen, ja selbst Schwestern und Ärzte oftmals als hilflos. Um hier Abhilfe zu schaffen, gründete Jan Kaczkowski das „ethische Areopag“, eine Art Forum, auf dem Ärzte Philosophen, Psychologen, Bioethiker und Theologen zu Wort kamen. Dabei ging es nicht nur um theoretische Überlegungen, sondern auch um praktische Hilfen im Umgang mit Kranken und Sterbenden, um die rechte Art, eine Todesnachricht den Angehörigen zu übermitteln.

Doch Jan Kaczkowski hatte ein weiter gefasstes Ziel – die Errichtung eines Hospiz. Ein ehrgeiziger Plan, der nur durch ein engagiertes, von der Notwendigkeit des Vorhabens überzeugtes Team sowie durch ein enormes Spendenaufkommen zu realisieren war. Zumal er als Gründer keine kirchlichen Gelder in Anspruch nehmen wollte, was eine kirchliche Kontrolle über das Hospiz bedeutet und seine Entscheidungsfreiheit sowie die seines Tams eingeschränkt hätte. Der Priester Kaczkowski handelte aklerikal, denn das von ihm zu gründende Hospiz sollte eine weltliche Einrichtung sein, allerdings mit einer geistlichen Ausrichtung. Aufgrund des säkularen Charakters des Hospiz ließen sich auch leichter mit der Kirche nicht verbundene Sponsoren gewinnen. Um sie zu erreichen, nutzte Kaczkowski die Medien, gab zahleiche Interviews und trat im unabhängigen Fernsehsehen TVN auf. So wurden namhafte Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft auf ihn aufmerksam und zu seinen Unterstützern.

Doch um ein Hospiz zu gründen, einzurichten und zu leiten, bedarf es der Erfahrung anderer. Kaczkowski begab sich auf Reisen, besuchte entsprechende Einrichtungen in Polen, Weißrussland und den Niederlanden. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelte er seine Vorstellung von einem Hospiz mit einer intimen Atmosphäre, wohnlicher Ausstattung, mit einer Küche, die den Wünschen der Patienten gerecht wird, als einem Ort der Stille, an dem ihre Persönlichkeitsrechte respektiert werden, wo selbst sexuelle Beziehungen kein Tabu sind. In seinem Hospiz sollen auch Juden einen Platz finden. Um ihnen dies zu ermöglichen, zeigt er sich bereit, in ihrem Zimmer das Kreuz von der Wand zu entfernen.

Konflikt mit der Kurie

2010 ist das Hospiz nach sechsjähriger Vorbereitung und Bauzeit bezugsfertig. Und Kaczkowski fragt sich: „Was nun?“ Kaum ist das eine Projekt verwirklicht, denkt er bereits an ein anderes – an die Gründung eines Gymnasiums mit hohem intellektuellen Anspruch. Er will es den besonders begabten Schülern der Stadt ersparen, wie bisher täglich nach Danzig zur Schule zu fahren, weil ihnen offenbar das örtliche Gymnasium als nicht gut genug erscheint. Doch die Gründung dieser Alternative wurde als Affront gegenüber dem örtlichen Gymnasium verstanden und erwies sich als konfliktträchtig.

Deutlich wurde dies, als sich der Nachfolger von Bischof Gocłowski, Erzbischof Głódź, zu einer Feierlichkeit in der Stadt aufhielt und ihm die Direktorin des örtlichen Gymnasiums ein Kuvert übereichte. Der Umschlag enthielt den gegen Kaczkowski erhobenen Vorwurf, mit seiner neuerlichen Initiative einer Schule, in der „Doktoren der Dreistadt“ lehren würden, mache er dem örtlichen Gymnasium Konkurrenz und störe den sozialen Frieden. Es dauerte gerade einmal zwei Tage bis im Auftrag von Erzbischof Głódź eine dreiköpfige Kommission der Danziger Kurie im Pfarrhaus von Puck eintraf, um Kaczkowski einem förmlichen Verhör zu unterziehen. Er war wegen seiner Eigenständigkeit dem für seinen diktatorischen Leitungsstil bekannten Danziger Ordinarius seit langem ein Dorn im Auge. Entzog sich bereits das Hospiz seiner Kontrolle, so war gleiches für die zu gründende Schule zu erwarten. Für den machtbewussten Głódź eine Herausforderung.

Entsprechend fiel das Verhör aus. Kaczkowski wurde allen Ernstes gefragt, ob er überhaupt gläubig sei. Und wenn ja, wie es dann dazu kommen könne, dass eine als Atheistin bekannte Lehrerin in seiner Schule lehren dürfe. Und mit welchem Recht er seine weltliche Schule ohne Genehmigung der Kurie als „katholisch“ firmiere.

Jan Kaczkowski hat dieses Verhör wie folgt in Erinnerung: „In Gegenwart des Pfarrers wandte sich ein bekannter Prälat, Mitglied der Kommission, mit den Worten an mich: ‚Meinst du, dass du ein Leben lang eine Hure bist, wenn du einmal unter der Laterne standst?“ Er war der Auffassung, ich würde die Errichtung des Hospiz zur Festigung meiner Position und für ein bequemes Leben nutzen. Und er bemerkte noch. ‚Glaubst du, die Medien werden dich verteidigen? Gazeta Wyborcza und TVN? Wir vernichten dich.‘“

Das Verhör war eine Kampfansage an sein Lebenswerk. Kaczkowski befürchtete, in ein entlegenes Dorf versetzt zu werden und damit das gleiche Schicksal zu erleiden wie ein enger priesterlicher Freund, Doktor der Gregoriana und Vorstandsmitglied des Hospiz, den Erzbischof Głódź auf diese Weise kalt gestellt hatte. Auch der „ethische Areopag“ fand unter kirchlichem Druck sein Ende. Vorsichtshalber zog sich Kaczkowski aus dem schulischen Projekt zurück und beauftragte mit der Realisierung einen Laien seines Vertrauens.

Doch geschlagen gab sich Jan Kaczkowski nicht. Im März 2013, zweieinhalb Monate vor der Diagnose seiner todbringenden Erkrankung, nutzte er den internationalen IX. Gnesener Kongress zu einer persönlichen Stellungnahme: „Sind wir als Christen, insbesondere als Kirche, darauf vorbereitet, uns in Wahrheit zu öffnen – jenen am Rand, für die Behinderten? Ich weiß, wovon ich rede, denn selbst behindert, auch wenn ich dies nicht so empfinde, erfuhr ich in der Kirche häufig meine Entwürdigung, insbesondere von Vorgesetzten. Ich bin dennoch nicht frustriert. Man kann sagen, dass ich – kirchlich gesehen – ein Mann des Erfolges bin, mit Doktorat, Bioethiker. Ich spreche zu diesem geschätzten Gremium. Doch die Häufung an Situationen, die ich in der Kirche erlebte, ist abstoßend und ungeheuerlich.“

Die letzten Jahre

Die Menge an Aktivitäten und die Intensität mit der er seine Aufgaben und Pflichten wahrnahm, hatten an seiner Lebenskraft gezehrt - ein Vierundzwanzigstundentag, ein Minimum an Schlaf, stete Erreichbarkeit, besonders für Sterbende seines Hospiz, das nebenbei erworbene Doktorat mit der Folge eines Lehrauftrags an einer Theologischen Fakultät. Dazu innerkirchliche Konflikte. Er selbst negierte die Anzeichen der Erkrankung bis zu dem Tag, als eine seiner Mitstreiterinnen ihm sagte: „Jan, zum Teufel, geh endlich zum Arzt und lass dich untersuchen. So geht es nicht weiter.“ Die Diagnose: Hirntumor. Seine erste Reaktion: „Für mich bricht eine Welt zusammen, und die Welt um mich herum schreit nicht!“ Eine Erfahrung vieler Menschen in ähnlicher Situation.

Die Ärzte gaben ihm noch ein halbes Jahr. Es wurden über vier Jahre, in denen er sich zu keiner Zeit aufgab. Ganz im Gegenteil. Auch in dieser letzten Lebensphase blieb er aktiv. Vor seiner ersten Operation bat er das Fernsehteam des unabhängigen TVN zu sich zu einem Interview, dem zahlreiche weitere folgten. Von seinem Vater begleitet unternahm er Reisen, sammelte Spenden; mit anderen Autoren verfasste er Bücher; er erhielt hohe staatliche Ehrungen. Jan Kaczkowski bewies, wie man bis in die letzte Stunde in Würde leben kann. Und er teilte diese Erfahrung über die Medien einem breiten Kreis von Interessenten mit: „Im Leben allgemein und erst recht in der Krankheit ist Nähe das allerwichtigste.“

Seine letzte Tage verlebte Kaczkowski im Schoss seiner Familie. Im Rückblick auf sein Leben bekannte er: „Ich sage offenherzig, dass ich die Kirche als Institution nicht liebe. Ich halte sie für scheinheilig und gewalttätig. Wäre nicht die Krankheit, würde ich wohl nicht mehr Priester sein. Das Leben wirft einen hin und her, so dass ich nicht weiß, ob ich in der Krisensituation ohne die Krankheit durchhalten würde.“ Einer seiner engsten priesterlichen Freunde hielt nicht durch. Angesichts dem, was Jan seitens seiner Kirche zu leiden hatte, gab er das Priesteramt auf.

Jan Kaczkowski verstarb am 28. März 2016. Tage zuvor hatte er auf die Frage eines Freundes „wie geht‘s?“ geantwortet: „Ohne Groll.“

Quelle: Katarzyna Włodkowska, Jan Kaczkowski - kaplan antyklerykał, Gazeta Wyborcza v. 27. 05. 2019.

Erstveröffentlichung: Imprimatur 3/2019

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