Olga Tokarczuk – Nobelpreisträgerin für 2018
Sie war auf der Fahrt von Berlin nach Bielefeld, wo sie zu einer Lesung eigeladen war, als Olga Tokarczuk auf der Autobahn von der Schwedischen Akademie die Mitteilung erreichte, dass ihr der Literaturnobelpreis zugesprochen worden sei. Nicht für 2019, den erhielt Peter Handke, sondern für 2018, als wegen der bekannt gewordenen Skandale im Komitee keine Verleihung des Nobelpreises stattfand.
Olga Tokarczuk zeigte sich überrascht. Sie halte sich zwar für eine gute Autorin, doch habe sie nicht geglaubt, für den Nobelpreis ausgewählt zu werden. Dabei wurde sie als Favoritin gehandelt, seit bekannt wurde, dass die Mitglieder des Komitees vor Monaten bei der Bibliothek der Akademie sieben Werke der Autorin zur Durchsicht ausgeliehen hatten.
Man mag angesichts einer reichen Konkurrenz über die Gründe dieser Wahl spekulieren. Was vielleicht den Ausschlag gegeben hat, war die in guter Übersetzung weltweit verbreiteten Werke der Autorin, die zwar, vor allem auf dem Hintergrund der Geschichte, von polnischen Problemen handeln, deren allgemein menschliche Bedeutung aber das Interesse einer breiten ausländischen, vor allem deutschen, Leserschaft findet.
Auch wenn die Schwedische Akademie sich zur politischen Neutralität verpflichtet weiß, so ist doch die politische Relevanz ihrer Entscheidungen nicht von der Hand zu weisen. Das war zur Verärgerung der kommunistischen Machthaber bei der Verleihung des Literaturnobelpreises an Czesław Miłosz, den Verfasser von „Verführtes Denken“, der Fall, und das trifft gleichfalls auf die jetzige Entscheidung zu, ist doch Olga Tokarczuk als eine entschiedene Gegnerin der Kaczyński-Partei und ihrer Regierung bekannt und wird von ihr auch entsprechend bekämpft.
Olga Tokarczuk hat ihren Preis den Polen gewidmet und sie zugleich dazu aufgerufen, sich für die Demokratie im Land zu engagieren. Die Bedeutung der Tatsache, dass ihr der Preis verliehen wurde, sieht sie in einem Interview mit der „Gazeta Wyborzca“ darin, dass angesichts der gegenwärtigen gewaltigen Veränderungen in der Welt „jemand aus Zentraleuropa zumindest versteht, wie schrecklich diese ausfallen können, denn er lebt in einem Raum, in dem der Holocaust Wirklichkeit wurde. Die Schriftstellerin aus Zentraleuropa verfügt über ein gutes Gedächtnis und weiß, was geschehen kann, wenn man die Übergabe der Macht an Regierunen erlaubt, die die Menschen voneinander trennen.“ Und sie fügt dem hinzu: „Die Wahl, die wir am Sonntag treffen, wird höchstwahrscheinlich eine absolute, zivilisatorische sein. Wir entscheiden darüber, ob Polen im Kreis der Zivilisation des westlichen Menschen verbleibt oder sich davon trennt und sich in die verlogenen Fänge des Autoritarismus, vielleicht sogar der Gewalt, begibt.
Und auf der Pressekonferenz erklärte sie: „Am Sonntag haben wir Wahlen; ich bin der Meinung, es sind die wichtigsten seit `89. Von ihnen hängt es ab, ob wir in einem demokratischen Land leben werden, das zu Europa gehört, oder in einem solchen, das sich von Europa löst und in eine nicht näher bestimmte Richtung geht.“ Und in Hinblick auf die zahlreichen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit sowie in Anbetracht der nationalistischen Geschichts- und Kulturpolitik sagte sie: „All dies sind beunruhigende Zeichen. Die Stimmabgabe ist für mich kein abstraktes Konzept, sondern eine pragmatische Angelegenheit. Ich habe Kinder und lebe in diesem Land.“
Noch vor zwei Tagen hatte sich Kulturminister Piotr Gliński im Fernsehen zu den Büchern von Olga Tokarczuk negativ geäußert. Er habe zwar angefangen, sie zu lesen, doch es sei ihm unmöglich, die Lektüre zu beenden. Nun gratuliert er ihr für ihren Erfolg. Der Nobelpreis sei ein deutliches Zeichen dafür, dass die polnische Kultur auf der ganzen Welt geschätzt werde. Auch Präsident Duda und Premier Morawiecki gratulierten. Und der Finanzminister befreite sie sogar von den Steuern, die eigentlich vom Preisgeld zu zahlen wären. Bedenkt man den erbitterten Kampf, den die Nationalkonservativen jahrelang gegen die Autorin führten, ihr Verrat am Polentum vorwarfen und sie in den sozialen Medien sogar Morddrohungen erhielt, dann überrascht den Beobachter dieses Wohlwollen und man fragt sich, ob PiS auf diese Weise ihr negatives Verhalten gegen die liberale Autorin lediglich kaschiert – ein taktisches Manöver unmittelbar vor den Wahlen zum Sejm und Senat.