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Ein Text außer der Reihe - Erfahrungen mit der Stille

-Kann man Stille hören? Die Frage ist, wie mir scheint, nur durch persönliche Erlebnisse zu beantworten. Was meine Erfahrung mit der Stille betrifft, so reicht diese weit in meine Kindheit zurück. Beim Verweilen in der Seitenkapelle meiner Hagener Pfarrkirche mit einer überlebensgroßen Pieta, wo in den Kriegstagen Frauen ihre gefallenen Ehemänner und Söhne beweinten, erfuhr ich erstmals zu meiner Verwunderung Stille als einen nicht alltäglichen, geheimnisvollen, mich beglückenden Zustand.

Es blieb nicht bei dieser Kindheitserfahrung. Vor nicht langer Zeit war ich mit meiner Frau in Köln. Wir besuchten die romanische Kirche St. Andreas im Schatten des Doms. Ein erstes Erleben war, dass uns, dem Straßenlärm entronnen, Stille umgab. Wir stiegen hinab in die Krypta, setzen uns neben den Sarkophag mit den Gebeinen des mittelalterlichen Scholastikers Albertus Magnus in eine Bank und spürten, wie wir auf eine besondere Weise zur Ruhe kamen. Ein Gefühl innerer Übereinstimmung mit dem Selbst, ein Gefühl der Harmonie erfasste uns. Mit dem Hören der Stille verband sich die Erfahrung von Glück. In der mit der Heiligkeit dieses sakralen Ortes verbundenen Stille empfanden wir einen Hauch der Gottesnähe.

Den diesjährigen September verlebten wir dann für eine gute Woche in dem auf der österreichischen Seite des Steinernen Meers gelegenen malerischen Alpendort Maria Alm. Auch hier hörten wir förmlich die Stille. Und dies nicht in der reich ausgeschmückten Wallfahrtskirche, sondern abseits des Dorfes auf einer Anhöhe beim Anblick der Berge, Wälder und Wiesen, der weidenden Kühen und der sich zu bizarren Bildern formenden Wolken. Wiederum empfanden wir Harmonie und Glück, doch angesichts der lichtdurchfluteten Natur anders als in der dunklen Krypta von St. Andreas. Mir fiel Gn 1, 11 - 2,12 ein. Nachdem Gott sein Schöpfungswerk vollendet hatte, schaute er es an und fand es gut: Dann „ruhte am siebten Tag (…) Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig.“ Ich spürte Dankbarkeit für den gesegneten siebten Tag und dachte, es wäre gut, ein Leben unter dem Segen des siebten Tages zu führen. Aber schaffen wir es noch, ihn gleich Gott in Ruhe zu begehen? Die Wunder der Schöpfung zu betrachten, sich der Heilstaten Gottes zu erinnern? Und auf das eigene Werk der vergangenen Woche zurückzublicken, dabei Freude zu empfinden und Dank zu sagen für alles Gelungene?

Bei derlei Erfahrungen drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Stille und Gotteserfahrung auf. Die Evangelisten berichten, dass sich Jesus an einen einsamen Ort zurückzog, um zu beten. Und dass er wichtige Entscheidungen wie die Wahl der Zwölf traf, nachdem er „die ganze Nacht im Gebet zu Gott“ verbracht hatte. (Lk 6, 12f.) Leidet unser Gebetsleben nicht darunter, dass es ihm an der Grundvoraussetzung der Stille mangelt? Dass wir gleich zu vorgefassten Formeln greifen und so das Gebet in Gefahr steht, zu einem geistlosen Geplapper zu werden? (Mt 6,7) Und fehlt es nicht auch an Stille in unseren sonntäglichen Eucharistiefeiern bei all den Liedern und vielen Worten? Aber werden die Gemeinden jemals zur Stille angehalten und sind sie überhaupt noch fähig, Stille zu ertragen?

Schließlich eine letzte Frage: Ist Stille nur die Voraussetzung einer Gotteserfahrung? Ist sie nicht dazu auch eine Art und Weise, in der sich Gott offenbart? Die Bibel kennt verschiedene Phänomene, in denen Gott verborgen nahe ist – Feuer, Wolken, Sturmesbraus. Aber auch die Stille: In 1 Könige wird berichtet, wie Elija, an Leib und Leben bedroht, zum Berg Horeb flüchtet und sich in seiner Angst und Verlassenheit in der Enge einer dunklen Höhle verbirgt. Doch Gott ruft ihn heraus ins Lichte, Offene und Freie, um sich ihm zu offenbaren: „Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn. Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“ (19,11 – 13)

In unseren Lebensängsten sind wir allzu leicht geneigt, den Alltagssorgen zu entfliehen, suchen wir Zerstreuung statt Stille. Doch statt uns, einsam und verlassen, in unsere Höhlen zurückzuziehen, könnte uns die Stille, in der wir innere Ruhe finden, zur rettenden Erfahrung werden, ganz gemäß dem Psalmwort „sei still im Herrn“. (36,7)

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