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2020 - ein düsteres Jahr für Polens Kirche

2020 – ein düsteres Jahr für Polens Kirche

2010 sollte, so der Wunsch der polnischen Bischöfe, ein Jahr religiösen Aufbruchs werden. Den Anlass dazu bot der 100. Geburtstag von Johannes Paul II. Von langer Hand vorbereitet, waren Veranstaltungen unterschiedlicher Art vorgesehen, von wissenschaftlichen Symposien bis zu pastoralen Initiativen auf Pfarrebene. Doch aus all dem wurde nichts. Die Corona-Pandemie erlaubte keine Versammlungen größeren Stils. Zudem waren zeitweise die Kirchen für Gottesdienste geschlossen, und als die Kirchtüren wieder geöffnet wurden, war aufgrund der Hygienevorschriften die Zahl der Gottesdienstbesucher begrenzt. Entsprechend mager fielen die Kollekten aus, so dass Polens Kirche, für die es keine Kirchensteuer gibt, mit empfindlichen finanziellen Einbußen rechnen muss.

Kirchliche Politisierung im Präsidentschaftswahlkampf

In dem sich monatelang hinziehenden Wahlkampf um das Präsidentenamt hatte sich Polens Kirche indirekt wie auch mehr direkt für die Wiederwal des Kandidaten der Kacziński-Partei, des amtierenden Präsidenten Andrzej Duda ausgesprochen. Damit hatte sie sich in der breiten Öffentlichkeit angreifbar gemacht, die darin eine Allianz von Thron und Altar sah und entsprechend kirchenkritisch bis kirchenfeindlich reagierte.

Der Herbst im Zeichen des Kulturkampfs

Nach dem langen Wahlkampf kam der Herbst und mit ihm eine Zeit, in der Polens Kirche einen erbitterten Kulturkampf um eine neue, sehr strenge Abtreibungsgesetzgebung erlebte. Am 22. Oktober, an dem Tag, der im liturgischen Kalender dem heiligen Papst Johannes Paul II, gewidmet ist, entschied das mit PiS-treuen Richtern besetzte Verfassungsgericht, dass die geltende Abtreibungsgesetzgebung nicht verfassungskonform ist und geändert werden muss. Die in einem mühsamen errungenen Kompromiss jahrzehntelang geltende Gesetzgebung erlaubt in drei Fällen einen Schwangerschaftsabbruch – bei einer ernsten gesundheitlichen Gefährdung der Schwangeren, bei Vergewaltigung sowie bei einer schwer geschädigten Leibesfrucht. Für die soll nun ein uneingeschränkter Lebensschutz gelten, so dass Frauen per Gesetz verpflichtet werden, auch diese nicht lebensfähigen oder für ihr ganzes Leben behinderten Kinder zu gebären.

Noch am gleichen Tag, an dem das Verfassungsgericht sein Urteil bekanntgab, nahm dies der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Posener Erzbischof Stanisław Gądecki, mit „Hochachtung“ zur Kenntnis. Und sein Stellvertreter, der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski erklärte: „Man kann sich kaum eine herrlichere Botschaft vorstellen.“ Polens Bischöfe sind offenbar der Auffassung, der Staat sei verpflichtet, den von der Kirche vertretenen moralischen Prinzipien Gesetzeskraft zu verleihen, falls die politischen Mehrheitsverhältnisse dies erlauben.

Doch die absolute Mehrheit der regierenden Nationalkonservativen spiegelt nicht die Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung. Umfragen ergeben eine deutliche Mehrheit, die sich dafür ausspricht, am bislang geltenden Recht festzuhalten und die ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bei einer geschädigten Leibesfrucht ablehnt.

Wie stark der Widerstand gegen das Urteil des Verfassungsgerichts war und weiterhin ist, zeigte sich nach dem Aufruf des „Allpolnischen Streiks der Frauen“. Zu Zigtausenden gingen die Frauen, und nicht nur sie, trotz des Versammlungsverbots wegen der Corona-Pandemie aus Protest auf die Straße. Und ihr Protest betraf auch die Kirche, die seit Jahrzehnten ein absolutes Abtreibungsverbot fordert. Unter dem Motto „ein Wort zum Sonntag“ rief der „Allpolnische Streik der Frauen“ dazu auf, an einem Sonntag vor und, wenn möglich, auch in den Kirchen zu protestieren. Ein besonders Ziel war die Kathedrale des Posener Erzbischofs Gądecki. Nachdem der Zelebrant zur Predigt die Kanzel bestiegen hatte und im Chorraum die liturgische Handlung unterbrochen war, besetzte eine Gruppe von Frauen den Altarraum und protestierte mit ihren Plakaten gegen das Verfassungsurteil. Erst unter dem Einsatz der herbeigerufenen Polizei gelang es, diesen Protest zu beenden. Ein in der Geschichte der polnischen Kirche präzedenzloser Vorfall!

Ablehnung des Verfassungsurteils auch von Katholiken

Die freudige Begrüßung des Verfassungsurteils seitens der Bischöfe wurde keineswegs von allen katholischen Frauen geteilt. Auch sie beteiligten sich in einer so großen Zahl an den Protesten, dass sich Erzbischof Gądecki genötigt sah, sie in seinem Adventshirtenbrief eines sündhaften Verhaltens zu beschuldigen. Dabei ging es diesen Frauen gar nicht um eine weitgehende Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung, wie sie von den Initiatorinnen des „Allpolnischen Streiks der Frauen“ mehrheitlich angestrebt wird, sondern darum, dass die Ebenen von Moral und Gesetz nicht miteinander vermischt werden und den Frauen, die vor der schwierigen Frage stehen, ob sie ein schwer geschädigtes oder lebensunfähiges Kind zu Welt bringen sollen oder nicht, die Wahlfreiheit nicht genommen wird.

Die protestierenden katholischen Frauen waren mit ihrer Haltung nicht allein. Auch einzelne Theologen meldeten sich kritisch zu Wort. So der Dominikaner Ludwik Wiśniewski: „Man muss schon ein engstirniger Doktrinär sein, um zu glauben, dass ein gesetzliches Verbot oder Gebot die Gesellschaft heilt und die Ungeborenen zu achten lehrt. Ein solches übereiltes, Widerspruch weckendes Verbot kann nur der Sache, um die es eigentlich geht, schaden und noch dazu die Menschen der Kirche, die ein solches Gesetz forciert, entfremden.“ (Tygodnik Powszechny v. 15. 11. 2020, S. 37)

P. Wiśniewski verweist auch darauf, dass das Verfassungsurteil ohne jedes Verständnis für die davon betroffenen Frauen erlassen wurde. Und die es betrieben haben, Parteichef Kaczyński und die Bischöfe, seien allesamt zölibatär lebende Persönlichkeiten, die nie in eine solche Lage kämen. Für sie gelte das Wort Jesu: „Wehe euch Gesetzeslehrer! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selbst aber rührt ihr keinen Finger dafür.“ (Lk 11, 46)

Der Fall des Kardinals Henryk Gulbinowicz

Henryk Gulbinowicz, der langjährige Breslauer Erzbischof, war eine hoch angesehene Persönlichkeit. Für seine verdienstvolle Unterstützung der „Solidarność“ verlieh ihm die Stadt die Ehrenbürgerwürde. Doch der Öffentlichkeit blieb verborgen, dass er einen minderjährigen Franziskanerschüler missbraucht hatte. Der stellte später Strafantrag, doch der Fall war verjährt und Gulbinowicz blieb straffrei. Ebenso verborgen blieb, dass er jahrelang bereitwillig dem polnischen Sicherheitsdienst, der in als IM führte, über Unstimmigkeiten innerhalb der Bischofskonferenz Auskunft gab.

Erledigt und vergessen war dies alles aber nicht. Die für die Untersuchung solcher Vergehen zuständige Instanz der römischen Bischofskommission hatte die Anzeige des Opfers ernst genommen und ihr Urteil gefällt. Den 97jährign Gulbinowicz holte die Vergangenheit ein, als am 6. November 2020 der Apostolische Nuntius in Warschau sein Kommuniqué veröffentlichte. Ohne den konkreten Fall sexuellen Verbrechens zu benennen, heißt es einleitend: „Als Ergebnis der Untersuchungen der gegen Kard. Henryk Gulbinowicz erhobenen Anklagen sowie der Analyse anderer die Vergangenheit des Kardinals betreffende Vorwürfe erlässt der Apostolische Stuhl folgende disziplinarische Entscheidungen.“ Es folgt die Aufzählung der Sanktionen: Verbot öffentlichen Auftretens, kein Beerdigungsgottesdienst und keine Beisetzung in der Kathedrale, Zahlung einer angemessenen Summe an die St. Josef Stiftung zugunsten von Opfern sexuellen Missbrauchs. Wenige Tage später verstarb Kardinal Gulbinowicz und wurde fernab von seiner Wirkungsstätte Breslau im Kreis seiner engsten Angehörigen beigesetzt. Und der Rat der Stadt sprach ihm die Ehrenbürgerwürde wieder ab.

Auch dieser präzedenzlose Vorgang wirft einen dunklen Schatten auf Polens Kirche.

Kardinal Dziwisz unter Druck

Seit Monaten wird zunehmend nach der Rolle gefragt, die Kardinal Stanisław Dziwicz als früherer Sekretär von Papst Johannes Paul II. gespielt hat. In den Jahren, als der von Krankheit und Alter gezeichnete Papst kaum noch in der Lage war, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen, habe Dziwisz im Vatikan enorm an Einfluss gewonnen. Es war dies zudem die Zeit, in der sexuelle Missbrauchsfälle höchster kirchlicher Vertreter ruchbar wurden. So stellt ich die Frage: Hat Sekretär Dziwisz darum gewusst und sein Wissen gegenüber P. Johannes Paul II. verheimlicht? Hat er sich selbst der Vertuschung schuldig gemacht? Oder hat er den Papst darüber in Kenntnis gesetzt, ohne dass dies für die Betroffenen Folgen gehabt hätte?

Kardinal Dzwisz hat bisher zu all dem geschwiegen. Nun lief am 9. November im unabhängigen Fernsehen TVN-24 die Dokumentation „Don Stanislao – Dziwisz‘ zweites Gesicht“, in der verschiedene Zeugen aussagen, dass Dziwisz von den Skandalen gewusst habe. Zudem gerät er in den Verdacht der Korruption, weil er für die Vermittlung von Audienzen beim Papst Geld genommen hätte. Dabei sei es um Kuverts mit teils sehr hohen Summen gegangen. In einer Erklärung weist Kardinal Dziwisz diese Vorwürfe zurück.

Am 10. November, einen Tag nach Ausstrahlung der Dokumentation, nahm Erzbischof Gądecki, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, zu der Dokumentation Stellung. Eine Kommission des Apostolischen Stuhls soll die gegen Kardinal Dziwisz erhobenen Beschuldigungen prüfen. Der Kardinal sagte zu, vor der Kommission aussagen zu wollen.

Zum gleichen Zeitpunkt wurde der von Papst Franziskus in Auftrag gegebene Rapport zu dem Fall des amerikanischen Kardinals McCarrick veröffentlicht. Die Dokumentation umfasst 449 Seiten. 90 Zeugen kommen zu Wort. Sekretär Dziwisz wird 49 mal erwähnt, was seine Bedeutung unterstreicht, ohne dass damit schon eine Beschuldigung gegeben wäre. Aber er ist in den Fall verwickelt. McCarrick sei er freundschaftlich verbunden gewesen. Am 8. August 2000 habe er von ihm einen Brief erhalten, in dem McCarrick die gegen ihn gerüchteweise erhobenen sexuellen Beschuldigungen als Verleumdung bezeichnet und zurückgewiesen habe. Zweck des Briefes war es, den Papst, der angesichts der im Umlauf befindlichen Gerüchte , von der bereits geplanten Ernennung McCarricks zum Erzbischof von Washington und zum Kardinal Abstand genommen hatte, zu bewegen, seine Entscheidung zu revidieren. Diesen Brief habe Dziwisz an Johannes Paul II. weitergeleitet. Die Intervention war erfolgreich. McCarrick wurde 2001 von Johannes Paul II. zum Erzbischof von Washington und zum Kardinal ernannt und blieb dies, bis er 2006 in den Ruhestand ging.

Dass Johannes Paul II. seine Entscheidung revidierte und McCarrick Glauben schenkte, sei aus den Erfahrungen des Wojtyła-Papsts aus der Zeit des Kommunismus zu erklären, als das kirchenfeindliche System immer wieder vergleichbare Verleumdungen verbreitet habe, um der Kirche zu schaden.

McCarricks sexuelle Verbrechen, die in dem Rapport im Detail beschrieben werden, gehen in die 1970er Jahre zurück. Erstaunlich, dass sie solange geheim bleiben konnten. Erstaunlich auch, dass ein derart pädophiler Priester in der Kirche Karriere machen konnte. Erst 1999 gab es die erste offizielle Beschuldigung. Doch das Opfer, das den Fall angezeigt hatte, galt als unglaubwürdig, so dass eine Untersuchung unterblieb. Die erfolgte erst unter Papst Franziskus, der den inzwischen emeritierten Kardinal aller Würden enthob und als Priester suspendierte.

Noch ist die vatikanische Kommission nicht ernannt; noch gibt es gegen Kardinal Dziwisz keine offizielle Untersuchung. Doch bereits jetzt schon gibt es Proteste vor seinem Krakauer Wohnsitz.

Doch nicht nur gegen den Krakauer Kardinal richten sich die Proteste. Mit ihm fällt auch ein Schatten auf Papst Johannes Paul II. Die unglückliche Ernennung von McCarrick zum Erzbischof von Washington und zum Kardinal dürfte aber kaum ausreichen, um dem „polnischen“ Papst schuldhaftes Fehlverhalten nachweisen zu können. Und was die Vertuschung von klerikalen Kindesmissbrauch betrifft, war er es, der als erste Papst in Zusammenhang mit den Vorfällen in den USA und Irland die Devise „Null Toleranz“ herausgegeben und betroffenen Priestern den Amtsentzug angedroht hat.

Dennoch werden voreilig Stimmen laut, ihm den Grad der Heiligkeit abzuerkennen, und in Polen fragt man sich bereits, was mit der Fülle an Papstdenkmälern und Johannes Paul II. gewidmeten Straßen und Plätzen geschehen soll.


Für Polens katholische Kirche fällt nach all diesen Vorgängen die Bilanz für das Jahr 2020 schmerzlich negativ aus. Noch sind die Auswirkungen nicht abzusehen. Doch schon jetzt zeichnet sich mit dem Verlust an Glaubwürdigkeit eine starke, vor allem Frauen betreffende Abwendung von der Kirche ab.


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