Polen im Vorwahlkampf
Am 10. Mai sind in Polen Präsidentschaftswahlen. Der offizielle Wahlkampf hat noch nicht begonnen, wohl aber ein Vorwahlkampf. Die Parteien haben ihre Kandidaten bestimmt. Und es gibt auch einen parteiunabhängigen Kandidaten, den als Vertreter eines offenen Katholizismus politisch bislang nicht in Erscheinung getretenen Publizisten Szymon Hołownia. Wie zu erwarten, tritt Präsident Andrzej Duda zu seiner Wiederwahl an, und die regierenden Nationalkonservativen setzen alles daran, dass der alte Präsident auch der neue sein wird. Ohne seine Bereitschaft, sämtliche von der Regierung erlassenen Gesetze ohne Veto durchzuwinken, wie dies stets der Fall ist, könnte PiS kaum ihre Politik des angeblich „guten Wandels“ realisieren.
In diesem Vorwahlkampf suggeriert die rechte Presse, Präsident Duda werde von allen Seiten attackiert. Man stellt ihn als Opfer böswilliger Angriffe dar und erklärt sich zu seinem Verteidiger: Wir lassen es nicht zu, dass unserem Staatsoberhaupt eine solche Verachtung entgegengebracht wird, dass man gegen ihn hetzt, ihn mit Hass überschüttet. So argumentieren diejenigen, die ansonsten der Opposition Verrat an Polen unterstellen, die Richterschaft als ein Relikt des Kommunismus bezeichnen, die Demonstranten, die zum Zeichen des Protests gegen PiS auf die Straße gehen, übel beschimpfen und die für das Kesseltreiben gegen Senatsmarschall Prof. Grodzki verantwortlich sind. Ein typischer Fall von Umkehrung der Tatsachen. Was man selbst an Üblem unternimmt, das projiziert man auf andere.
Als besondere Zielscheibe dient PiS der einstige Premier und ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk. Man war überzeugt, er würde als Präsidentschaftskandidat der Bürgerplattform (PO) Duda herausfordern. Die Wahlkampfstrategen von PiS hatten sich bereits darauf eingestellt. Doch Tusk kandidiert nicht, bleibt aber dennoch für PiS eine Gefahr. Es gilt, ihn weiterhin zu bekämpfen, wenngleich mit veränderter Strategie: Man erklärt ihn als politisch bedeutungslos. Seine Zeit als Ministerpräsident sei ebenso Vergangenheit die seine Jahre als EU-Ratsvorsitzender. Und die hätten für Polen nichts Gutes gebracht. Dass Tusk im Europaparlament die Europäische Volkspartei anführt, verschweigt man. Seine Verdienste verkehrt man ins Gegenteil. Er sei an allem schuld, was in der Vergangenheit in Polen falsch gelaufen sei. Er habe die gegenwärtige tiefe Spaltung der Gesellschaft zu verantworten. Auch das ein Beispiel der Umkehrung von Tatsachen.
Tusk sei ein politisches Nichts, und das wisse er auch selbst. Warum habe er sich denn aus der polnischen Politik zurückgezogen? Weil er überzeugt sei, gegen Duda nicht gewinnen zu können. Weil er auch sonst keine Chance einer politischen Rückkehr sehe, selbst nicht in seiner eigenen Partei. Auch sein jüngstes Buch über seine Zeit als EU-Ratspräsident interessiere die Leute nicht.
Doch wenn dem so ist, warum befasst man sich dann so intensiv mit hm? Weil er provoziere. Er sei nur noch ein „Provokateur“. Und als solchen nimmt ihn die rechte Presse äußerst ernst. Wo zitiert sie sein an die Wähler gerichtetes Twitter vom 17. Januar: „Sie führen Polen aus der EU, machen die Gerichte zunichte, bringen die Polen gegeneinander auf. Du stimmst für sie? Recht dazu hast du. Aber du kannst dann nicht weiter so tun, als wüsstest du das nicht. Du weißt es.“
Damit legt Tusk den Finger in die Wunde und kündigt an, welche Rolle im bevorstehenden Wahlkampf er und die neuerlichen Gesetze der Justizreform spielen werden, die die Richter in ihrer beruflichen Existenz gefährden und den Konflikt mit der Europäischen Kommission verschärfen. PiS reagiert darauf, indem sie das, was Tusk negativ beschreibt, ins Positive kehrt. Anders als Tusk glaube, würden diese Gesetze „das Elektorat von PiS mobilisieren und nicht schaden.“ Es wird sich zeigen, wie sich die Wähler verhalten werden. Eines scheint aber klar, man hat offenbar Angst vor Tusk. Anderenfalls würde man ihn nicht zur bevorzugten Zielscheibe machen. Er könnte in der Rolle des „Provokateurs“ Dudas Wiederwahl gefährden, indem er seine aussichtsreichste Gegenkandidatin, Małgorzata Kidawa-Błońska von der Bürgerpattform, unterstützen wird.
Präsident Duda eröffnete den Wahlkampf nach bekannter PiS-Metode. Er versprach eine weitere soziale Wohltat, indem er in Aussicht stellte, dass Männer frühzeitig nach 40 Arbeitsjahren, Frauen nach 35 in Rente gehen können. 400 000 Polen könnten jährlich von einer solchen Vergünstigung Gebrauch machen, müssten aber eine geringere Rente in Kauf nahmen. Die jährlichen Kosten werden auf 900 Millionen Zł. geschätzt. Dazu kämen noch 300 Millionen Zł., die der Rentenkasse entgehen würden. Finanzexperten warnen bereits, dieser Vorschlag des Präsidenten sei unbezahlbar. Ob er realisiert wird, ist ohnehin fraglich, denn zu seiner Verwirklichung besitzt der Staatspräsident keinerlei Kompetenz. Das müssten per Gesetz Sejm und Regierung entscheiden. Doch für den Wahlkampf macht sich ein solches Verspechen, selbst wenn es nach der Wahl nicht erfüllt wird, immer gut.