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Außerhalb der Reihe: „Aber sie verstanden nicht den Sinn“ (Jo 10,6)

Nicht nur das Evangelium vom 4. Sonntag nach Osten vermerkt, dass die Jünger den Sinn dessen nicht verstanden, was Jesus ihnen sagte. Auch andere Gleichnisse verstanden sie nicht auf Anhieb, so dass Jesus sie ihnen erklären musste. (Mt 13,36) Und dass er leiden werde, mochten und wollten sie nicht wahrhaben. (Mt 16,22) Alles spricht dafür, dass sie, befangen in ihren innerweltlichen Messiasvorstellungen, den HERRN erst im österlichen Licht begriffen haben.

Doch obwohl den Jüngern so manches, was Jesus sagte und tat, unverständlich blieb, sie standen ihm dennoch treu zur Seite – bis in die Stunde der Passion, in der sie ihn, durch die sich überstürzenden Ereignisse verwirrt, für kurze Zeit verlassen haben.

Das sollte uns Trost und Beispiel sein. Denn wer versteht schon alles, was die Schrift uns überliefert? Wer sich mit den Evangelien befasst, wer ein Hörer des Wortes sein will, der macht auch die Erfahrung, dass ihm manche Texte nichts sagen, ja zuweilen einen ärgern und Widerwillen erregen. Und es mag auch sein, dass sie in dunklen Stunden keinen Halt bieten, so dass das Licht des Glaubens in einem zu erlöschen droht – bis es einem dann doch wieder wie Schuppen von den Augen fällt. Das Unverständnis der Jünger teilen, auch das gehört zu unserem Glaubensleben.

Etwas nicht verstehen, das ist im Übrigen durchaus menschlich. Wieviel Unverständnis erfahren wir im Laufe unseres Lebens, und mit wie viel Unverständnis begegnen wir mitunter anderen! Aus Unaufmerksamkeit, aus Desinteresse. Das sind die kleinen Fehler und Schwächen des Alltags. Dramatisch wird es, wenn es sich um wichtige Fragen handelt, bei denen die gemeinsame Basis der Verständigung nicht mehr gegeben ist. Dann können langjährige Beziehungen ein Ende finden, sich die Wege scheiden.

Es gibt noch eine andere Art der Grenzerfahrung unseres Verstehens. Das habe ich als jahrelanger Betreuer todkranker Menschen auf der inneren Station des Wittenberger Kreiskrankenhauses erfahren. Als Gesunder an ihrem Bett sitzend, erlebte ich eine schier unüberbrückbare Kluft zu ihnen. Da verbot sich billiger Trost: „Kopf hoch, es wird schon. Der liebe Gott wird schon wissen, wozu das für Sie gut ist.“ Da war es besser, dem Kranken still die Hand zu halten und darauf zu warten, dass er zu sprechen begann. Und aus dem Hören auf seine Worte ergab sich dann doch zumeist ein helfendes Gespräch.

Eine solche Grenzerfahrung besitzt eine Nähe zur Theodizee, zur ewigen, zumal von religiösen Menschen gestellten Frage: „Wie kann Gott das zulassen?“ Sie drängt sich auf im Erleben des eigenen Unglücks und angesichts des Elends in der Welt. So mancher ist an ihr zerbrochen, hat seinen Glauben an den allmächtigen, gütigen Gott verloren. Und dies oft, weil ihm in seiner dunklen Stunde ein allzu billiger Trost gespendet wurde. Voreilige Antworten helfen hier nicht. Man muss vielmehr, auch wenn es schwer fällt, die eigene Verständnislosigkeit aushalten. So wie Jesus am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,47) Auch hier blieb der Himmel stumm. Erst transzendent, im Lichte des Ostermorgens erhellte sich das Dunkel.

Dies sollte uns in dieser Coronazeit eine Lehre sein. Wer etwa glaubt und verkündet, diese Pandemie sei ein göttliches Strafgericht für die Sünden der Welt, sollte kein Gehör finden. Kein Geringerer als Jesus selbst hat vor solchen Deutungen gewarnt. (Lk 13.1-5)

Doch zurück zu dem Satz aus dem Evangelium: „Aber sie verstanden nicht den Sinn.“ Das heißt schließlich, dass der Sinn der Schrift erschlossen werden muss, dass eine oberflächliche Lektüre der biblischen Texte nicht genügt. Meditation, Reflexion, Gedankenaustausch, das sind die Formen solcher Texterschießung. Wer sich in ihnen übt, der erfährt mit der inneren Bereicherung auch reichlich Freude. So wie die Teilnehmer eines Bibelkreises in einem Dorf nahe Wittenberg, in dem eine Frau freudig erregt plötzlich sagte: „Eine gute Dreiviertelstunde sprechen wir gerade einmal über fünf Sätze, und mit der Zeitung am Morgen bin ich in wenigen Minuten durch.“

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