Außer der Reihe: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren.“ (Joh 14,1)
Das Evangelium zum 5. Sonntag nach Ostern ist ein Abschnitt aus den johannesischen Abschiedsreden Jesu. Insofern geht er der Passion voraus. Seinen nachösterlichen Sinn gewinnt der Text dadurch, dass die Urgemeinde, nicht anders als wir heute, ihren Glauben aufgrund des Zeugnisses des engeren Jüngerkreises und seiner schriftlichen Überlieferungen leben musste, also ohne ihren Herrn leibhaftig vor Augen zu haben. Die Gemeinde soll sich dennoch nicht verlassen fühlen, sondern sie soll wissen, dass der Herr ihr auf andere Weise, durch sein Wort, nahe ist; und dass er für sie die Wohnung dort bereitet, wohin er mit seiner Auferstehung zum Vater heimgekehrt ist.
Doch all dies steht unter dem einleitenden Satz „euer Herz lasse sich nicht verwirren“. Denn an der Gefahr der Verwirrung, die sich wie eine Sichtblende vor den Glauben schiebt, wird es der Gemeinde und jedem einzelnen Glaubenden nicht mangeln. Die Geschichte des Christentums ließe sich durchaus als eine Geschichte der Verwirrungen beschreiben – durch äußere Einflüsse, durch innere Auseinandersetzung.
Selbst Jesus sah sich der Gefahr der Verwirrung ausgesetzt. Denn was ist der Bericht von der Versuchung in der Wüste anderes als der diabolische Versuch, seinen Geist zu verwirren, seine Heilssendung in die falsche Richtung zu lenken? Hin zu einer rein materiell verstandenen Erlösung; hin zu dem Herrschaftsmuster von Brot und Spielen; hin zur totalen Macht und ihrer Vergötzung.
Das öffentliche Leben Jesu steht, wie es uns die Evangelien überliefern, in einem deutlichen Gegensatz zu dieser Art der Verwirrung und Verfälschung seiner Sendung: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, und seine Wunder sind keine show, sondern Heilszeichen im Dienst an den Menschen. Und dies zu unserer Orientierung.
In diesen Tagen blicken wir zurück auf das Ende des Krieges vor 75 Jahren. Zu diesem Anlass gab es im Fernsehen einige zu dem Leitsatz des Evangeliums gut passende Sendungen. Sie zeigten, dass manche Menschen in ihrer geistigen Verwirrung angesichts der in Schutt und Asche versinkenden „Reichshauptstadt“ immer noch an den Endsieg glaubten. Sie zeigten Hitler und mehr noch Goebbels als die Meister solch geistiger Verwirrung. Sie vermochten es, „die Finsternis zu Licht und das Licht zu Finsternis zu machen“ (Is 5,20). So etwa Goebbels mit seiner Rede zu Hitlers Geburtstag am 20. April, kurz vor dem Ende dieses furchtbaren Krieges, in der er den einem Wrack gleichenden und für Millionen von Toten verantwortlichen Diktator als die Verkörperung wahren Deutschtums verherrlichte, und dies unter dem Beifall der Massen. Die Filme zeigten, wie mit der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1939 tropfenweise und mit vermehrter Dosis Herzen und Sinne der Menschen propagandistisch vergiftet wurden, wie mit ihrem wachsenden Stolz auf die „Volksgemeinschaft“ der Hass auf die Juden geweckt und verstärkt wurde.
Die Erinnerung an jene weit zurückliegende geistige Verwirrung ist nicht einfach historisch, sie ist vielmehr ein Lehrstück auch für unsere Zeit, in der an Initiatoren der Verwirrung kein Mangel herrscht, wenngleich ihnen, Gott sei Dank, das Talent eines Goebbels abgeht. Doch die technischen Möglichkeiten, Verwirrung zu stiften, haben sich seitdem bei Weitem erhöht. Und sie werden tausendfach genutzt.
Gegen das Gift der Verwirrung verweist Jesus auf das eine Mittel: „Glaubt an Gott, und glaubt an mich.“ (Joh 14,1) Gemeint ist kein Glaube eines bloßen Für-wahr-haltens, sondern ein Glaube der Beziehung zu Gott, der Befolgung des Dekalogs, der Beschreitung des von Jesus vorgezeichneten Weges, der immer neuen Entdeckung seiner Wahrheit, der Offenheit für das Leben in seiner ganzen Fülle.