Außer der Reihe: „Die Stunde ist da.“ (Jo 17,1)
Unser Leben verrinnt Stunde um Stunde. Ein zumeist ruhiger Strom vergehender Zeit. Hin und wieder blicken wir auf die Uhr, um uns zu vergewissern, wie spät es ist.
Aber es gibt auch Stunden, die sich aus dem normalen Alltag abheben, die wir in unseren Kalender eintragen, um sie nicht zu verpassen – den Arztbesuch, den Empfang lieber Gäste, eine notwendige Erledigung.
Doch derlei Termine bilden noch nicht d i e Stunde, von der im Evangelium des Sonntags nach Christi Himmelfahrt die Rede ist und die es, wenngleich auf andere Art, auch in unserem Leben gibt. Es sind jene Stunden gemeint, die unser Leben in besonderer Weise bestimmen, Stunden weitreichender Entscheidungen, Stunden voller Lebenshoffnung, aber auch solche voller Angst, Stunden des Glücks, aber auch Stunden der Trauer. Es sind Stunden, die sich tief in unser Gedächtnis eingraben, deren wir uns immer wieder erinnern, die noch Jahre später in uns Freude auslösen, aber auch Beklemmung, Scham oder gar Schuldgefühle.
Der Evangelist Johanns berichtet mehrfach von solchen Stunden im Leben Jesu. Als sich ihm die ersten beiden Jünger nähern, vermerkt der Evangelist den genauen Zeitpunkt: „Es war um die zehnte Stunde.“ (Jo 1,39) So wichtig erscheint ihm dieser Augenblick, der Beginn einer Jüngerschaft als Voraussetzung einer Weiterführung der Wirksamkeit Jesu über seinen Tod und seine Auferstehung hinaus. Und als Maria ihren Sohn auf der Hochzeit in Kana ihren Sohn darauf anspricht, dass den Gastgebern der Wein ausgeht, weist Jesus seine Mutter barsch zurück: „Was willst du von mir, Frau. Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Jo 2,4) Doch gleich darauf lässt er die Krüge mit Wasser füllen, das zu Wein wird. Ein widersprüchliches Handeln, das sich daraus erklärt, dass für Jesus d i e Stunde nie durch äußere Einflüsse bedingt ist, sondern durch das innere Hören auf seinen himmlischen Vater und dessen Auftrag – auch wenn Maria offenbar diese Stunde vorauszuahnen vermag.
Es gibt weitere Textstellen, in denen es um d i e Stunde geht (Jo 4,52; 5,25; 7,29; 12,27; 16,21) Im heutigen Sonntagsevangelium ist es die nahe Stunde, in der Jesus aus nachösterlicher Betrachtung seine Verherrlichung durch Tod und Auferstehung erfährt. Ehe er von den Seinen Abschied nimmt, legt er in einem an den Vater gerichteten Gebet Rechenschaft über die Erfüllung seines irdischen Auftrags ab. Die Bilanz ist positiv: „Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast.“ (Jo 17,4) Doch das Werk als solches ist damit keineswegs zu Ende; ganz im Gegenteil. Es wird, getragen von den Seinen, durch die Zeiten weiterwirken, durch jene und in jenen, die zum Glauben kamen, dass Jesus der Gesandte des Vaters ist. (Jo 17,8) Für sie – und das heißt auch für uns – betet Jesus, dass sie, die er in der Welt zurücklässt, vor dem Bösen bewahrt bleiben.
Es gibt wohl kaum eine bessere Umsetzung dieses Evangeliums als die Rechenschaft, die wir vor uns selbst und vor Gott ablegen. Als Rückblick auf unser Leben in all seinen Höhen und Tiefen; als die Frage nach jenen bedeutsamen, unser Leben prägenden Stunden. Eine solche Rechenschaft gleicht einer inneren Entdeckungsreise mit mancherlei Überraschungen. Auch mit solchen, an denen wir erkennen, d i e Stunde verpasst zu haben.
Doch, so ist zu hoffen, mit einer ehrlichen Rechenschaft vor Gott und vor uns selbst verbindet sich am Ende auch der Dank, dass wir in vielerlei Anfechtungen dieser Welt im Namen Gottes vor dem Bösen bewahrt geblieben sind. (Jo 17,11) Eine solche Ein-Sicht erfüllt unser Herz mit Freude und stärkt unseren Glauben.