Außer der Reihe: „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden.“ (Apg 2, 6)
- Theo Mechtenberg
- 30. Mai 2020
- 2 Min. Lesezeit
Glücklich die Menschen, die einander verstehen, bei denen das Wechselspiel von Wort und Antwort die Herzen erwärmt. Sie leben in der Verbundenheit gegenseitiger Liebe.
Doch selbstverständlich ist dies nicht. Nur zu oft sind mitmenschliche Beziehungen durch Missverständnisse, ja durch Unverständnis bestimmt. Wie viele Freundschaften, wie viele Ehen und Familien sind gescheitert, weil der eine den anderen nicht mehr verstehen konnte oder nicht verstehen sollte, und das selbst bei gleicher Sprache. Wie gefährlich ist es, wenn auf internationaler Ebene Missverständnis und Unverständnis die Oberhand gewinnen. Derlei Kommunikationsstörungen sind nicht selten die Ursache verheerender Kriege.
Angesichts eines solchen Befunds erscheint die Tatsache, dass jeder der Menschen, die sich aus allen Teilen der damaligen Welt zum jüdischen Wochenfest in Jerusalem versammelt hatten, die vom Geist erfüllten Apostel in ihrer Sprache reden hörte, als das eigentliche Pfingstwunder.
Die Bedeutung dieses Geschehens erschließt sich erst, wenn wir es im Lichte der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel betrachten. (Gn 11, 1-9) Dieser Text, der die biblische Urgeschichte beschließt und seine Fortsetzung in der Berufung Abrahams, eines einzelnen Menschen, findet, vermittelt das Bild eines menschlichen Kollektivs. Das Band des Zusammenhalts ist eine Einheitssprache, und als Ausdruck geballter Macht soll ein bis in den Himmel ragender Turm dienen. Modern gesprochen ist es das Bild einer totalitären Gesellschaft, die sich in den für sie typischen Megabauten ihre Symbole schafft, in der niemand sich zerstreuen, aus der Reihe tanzen darf, in der eine verordnete Einheitssprache den Zusammenhalt diktiert, in der jede Abweichung von ihr Gefahr bedeutet, in der der Einzelne seiner Freiheit beraubt wird. Was mit der Zerstörung des Turms und der Zerstreuung dieser Megastadtbewohner auf den ersten Blick als Strafgericht erscheint, ist in Wahrheit ein göttlicher Gnadenakt.
Pfingsten kann als Gegenbild zu dieser Deutung der Geschichte vom Babeler Turmbau verstanden werden. Es geht um eine neue Einheit der zerstreuten Menschheit, in der der Reichtum an Sprachen und Kulturen weiterhin Bestand hat, in der trotz aller Unterschiede Verständigung möglich ist, indem dem Anderen Respekt gezollt wird und die Würde des Menschen, eines jeden Menschen, oberstes Gebot ist. So verstanden ist Pfingsten das Gegenbild zu jeder Art totalitärer Gesellschaft, auch einer theokratischen.
Doch ohne den entsprechenden Geist lässt sich eine solche Gesellschaft nicht verwirklichen. Wobei ihre Realisierung angesichts der sich zunehmend globalisierenden Welt letztlich eine Frage des menschlichen Überlebens auf diesem Planeten ist. Auch darauf ist die Pfingstbotschaft zu beziehen, und das im Sinne kirchlicher Herausforderung. Nicht dass die Kirche selbst diese Gesellschaft wäre. Aber sie sollte es als ihren Auftrag verstehen, ein zeichenhaftes Abbild in dieser Welt und für diese Welt zu sein. Und dies dadurch, dass der Geist Gottes, der Geist Jesu, der Geist des Evangeliums in ihr wirksam ist. Leider scheint es oft so, dass er gelöscht wird, ehe er seine lebendige Kraft erweisen kann. Nicht machtvolle Institutionen und schon gar nicht die sich in den Jahrhunderten herausgebildeten klerikalen Herrschaftsstrukturen machen die Kirche zu diesem Hoffnungszeichen für die sich globalisierende Welt, sondern allein jener Geist, von dem man sich wünscht, er würde auch heute das ach so stabile Haus der Kirche mit einem heftigen Sturm erschüttern.
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