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Eine Frau fordert Lukaschenko heraus

Die Präsidentschaftswahl in Belarus hat ihre Besonderheiten. Nach 26 Jahren uneingeschränkter Macht tritt Lukaschenko am 9. August erneut zur Wahl an. Damit hält er noch vor Putin einen für alle Demokraten traurigen Rekord.

Ernste Konkurrenten gab es nicht. Wie bei vergangenen Wahlen wurden sie erst gar nicht als Bewerber zugelassen oder gar hinter Gittern gebracht. So auch der in Weißrussland bekannte Blogger Sergiej Cichanouski, der unter fadenscheinigen Beschuldigungen seit dem 29. Mai sein Leben hinter Gefängnismauern verbringt.

Und wie reagierte seine Frau auf die Verhaftung ihres Mannes? Swietlana Cichanouska, 38 Jahre alt, Sprachwissenschaftlerin und Übersetzerin, entschloss sich, an Stelle ihres Mannes zur Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Überraschenderweise wurde sie registriert, was sie damit erklärt, dass Lukaschenko in ihr offenbar eine willkommene Rivalin sieht, die er der Lächerlichkeit preisgeben kann, wie er dies ja auch in seiner Rede an die Nation vier Tage vor der Wahl getan hat. Das Mädel würde ja nicht einmal verstehen, was man ihm da zum Vorlesen gegeben habe. Eine Frau als Präsidentin? Das erschien wohl dem Diktator einer, wie er glaubt, zutiefst patriarchalischen Gesellschaft geradezu als Witz.

Doch wie sich zeigen sollte, hatte sich Lukaschenko gründlich verkalkuliert. Zigtausende strömten zu ihren Wahlkundgebungen. In kürzester Zeit wurde sie zu einer nationalen Ikone.

Aber hat sie eine Chance, gewählt zu werden? In einer freien und geheimen Wahl gewiss. Doch die gab es in der Vergangenheit nicht, und kaum einer glaubt, dass dies bei dieser Wahl anders sein wird. Aber in der Gesellschaft ist ein deutlicher Stimmungswandel zu spüren. Die Weißrussen scheinen wach geworden zu sein, bekennen sich zur eigenen Würde, haben sich von ihrer Angst befreit, die Lukaschenko bisher die Macht sicherte – Angst vor Verlust der Arbeit, vor Verhaftung, vor Folter. Für viele ist der „König“ mit einem Male nackt, ein sterblicher Mensch wie jeder andere.

Ausgerechnet die Corona-Pandemie hat zu diesem Bewusstseinswandel beigetragen. Wie andere autoritäre und diktatorische Machthaber, so hat auch Lukaschenko die Gefahr durch das Coronavirus zunächst negiert. Das sei eben eine Art Grippe. Da helfe schon ein guter Schluck Wodka. Und Sterben sei ja etwas Normales, treffe eben vor allem die Schwachen. Viele Weißrussen fühlten sich ob solcher Worte wie von ihrem Präsidenten ins Gesicht gespuckt. Und sie wussten, vom Lukaschenko-Regime ist in dieser Not kaum Hilfe zu erwarten. Also nahmen sie ihr Los in die eigene Hand. Eine Bürgergesellschaft wechselseitiger Solidarität bildete sich heraus. Geld wurde gesammelt, um die Krankenhäuser mit dem Nötigsten zu versorgen, freiwillige Helfer unterstützten die Gesundheitsämter.

Das zahlt sich nun für die Präsidentschaftswahl aus. Es gibt verschiedene Initiativen, um die zu erwartenden Wahlfälschungen möglichst auszuschließen. Swietlana Cichanouska rief dazu auf, nicht bereits während der seit dem 6. August möglichen Vorwahl seine Stimme abzugeben, sondern erst am Nachmittag des Wahlsonntags. Das würde Wahlfälschungen erschweren. Und sie appellierte an die Mitglieder der örtlichen Wahlkomitees, die Stimmen ehrlich auszuzählen. Eine Plattform „Golos“ wurde geschaffen, auf die die von den Wählerinnen und Wählern bei der Stimmabgabe abgelichteten Stimmzettel gesammelt werden als Nachweis persönlicher Wahlentscheidung. Das Regime hat darauf reagiert und – wegen der Pandemie – angeordnet, dass die Wahlkabinen ohne Vorhänge bleiben, also einsichtig sind, eine Verletzung der Verpflichtung geheimer Wahlen. Mit der Organisation „Ehrliche Leute“ gibt es zudem ein Bekenntnis zur Selbstverpflichtung für eine demokratische Wahl. Schließlich dient das Tragen eines weißen Armbands als Zeichen für Freiheit und Solidarität.

Zu den Besonderheiten dieser Präsidentschaftswahl gehört schließlich auch die Tatsache, dass es bei Swietlana Cichanouska nicht um ein konkretes politisches Programm geht, das sie nach ihrer Wahl zu realisieren gedenkt. Einzig und allein geht es ihr darum, eine erneute Wiederwahl von Lukaschenko zu verhindern. Das ist auch der Grund, warum sie von der Opposition bei all ihren politischen Unterschieden unterstützt wird. Frau Cichanouska plant denn auch, im Falle ihrer Wahl sich mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, wirklich freie und geheime Wahlen möglich zu machen. Sie möchte nach getaner Arbeit in einem halben Jahr von ihrem Amt zurücktreten und den Weg für neue Präsidentschaftswahlen frei machen.

Doch dass es dazu kommt, ist höchst fraglich. Wahrscheinlich ist, dass Lukaschenko am Abend des 9. August erneut zum Wahlsieger erklärt wird. Die zu erwartenden Proteste zigtausender Weißrussen werden daran nichts ändern. Die Armeeführung hat bereits Lukaschenko ihre Unterstützung zugesagt. Nur eine Revolution könnte ihn hinwegfegen. Das aber wird kaum geschehen. Auch Frau Cichanouska will dies nicht, wie sie ausdrücklich betont. Auf keinen Fall, ein Blutvergießen.

Ich schreibe dies zwei Tage vor dem Wahltag. Dann werden wir wissen, wie diese mit Spannung erwartete Wahl ausgeht. Und welche Folgen das Ergebnis haben wird.

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