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Bericht einer polnischen Ordensschwester


Klösterliche Gemeinschaften sind ihrem Wesen nach geschlossene Gesellschaften. Selten dringt etwas von dem nach außen, was hinter dicken Klostermauern vor sich geht. Entsprechend oberflächlich ist denn auch das Bild, das sich Außenstehende von einer Nonne machen: Sie hilft als Dienerin Gottes den Priester. Mitunter auch, indem sie die Aufgaben einer Haushälterin verrichtet: putzen, waschen, kochen. Sie betreut die Kleinen, erteilt Religionsunterricht. Und man findet sie als Organistin an der Orgel. Die Apsis jedoch betritt sie nur, um den Altar für die Eucharistiefeier herzurichten und nach Beendigung des Gottesdienstes die Kerzen zu löschen und die liturgischen Geräte in die Sakristei zu tragen; es sei denn, dass sie, wie in Deutschland, auch ihren Dienst als Lektorin versieht, was in Polen allerdings kaum der Fall ist.

Nun hat sich eine Schwester, wenngleich anonym und ohne Namensnennung ihrer Ordensgemeinschaft, in einem Interview[1] zu Wort gemeldet und ihre Erfahrungen mit dem Klosterleben preisgegeben. Dazu musste sie ihre Selbstzweifel überwinden, etwa ihre Angst, dadurch möglicherweise an ihren Mitschwestern Verrat zu üben. Um dem zuvor zu kommen, sei die unbedingte Wahrung der Anonymität notwendig. Indem sie ihre Geschichte erzähle. hoffe sie, damit anderen Schwestern zu helfen. Sie selbst lebt mit Einwilligung ihrer Oberin seit drei Jahren außerhalb der Gemeinschaft und ringt mit der Frage, ob sie den Orden verlassen oder bleiben soll. Ihr Bericht spiegelt denn auch ihre innere Auseinandersetzung.

Klosterschule als Vorstufe des Ordenseinritts

Über ihre familiäre Herkunft sagt sie wenig. Wie es scheint, ist sie durch ihre Eltern religiös nicht vorgeprägt. Sie kann sich nicht einmal erinnern, in ihrer Kindheit in die Kirche gegangen zu sein. Dennoch entschließt sie sich mit 15 Jahren für ein von Ordensschwestern geleitetes Lyzeum samt Internat. Und dies, obwohl ihre Eltern weder willens noch in der Lage sind, die Kosten zu tragen. Zunächst springt die nähere Verwandtschaft ein, doch dies nur für ein halbes Jahr. Als sie aus diesem Grund sie Schule verlassen will, wird ihr ein Teil der Kosten erlassen, so dass sie bleiben kann.

Gänzlich von den Kosten befreit ist sie damit allerdings nicht. Selbst ein Antrag auf Stundung, den sie damit begründet, in den Orden eintreten zu wollen, wird abgelehnt. Sie sieht sich daher genötigt, nebenbei zu arbeiten. Und dies zusätzlich zu den niederen Arbeiten in Schule und Internat, die sie wegen des Kostennachlasses verrichten muss. So jobbt sie an den Wochenenden bei McDonalds und im Supermarkt. Die Folge sind Ohnmachtsanfälle durch Übermüdung. Trotz ihrer Bemühungen gerät sie mit der Kostenerstattung immer mehr in Verzug.

Was dies für sie bedeutet, das bekommt sie an dem Tag zu spüren, an dem die Abiturzeugnisse verteilt werden. Im feierlichen Rahmen nehmen die Klosterschülerinnen, alphabetisch geordnet, Aufstellung. Eine nach der anderen wird namentlich aufgerufen, tritt vor und empfängt unter Beifallklatschen der Schulleitung und der zahlreichen Gäste ihr Abschlusszeugnis. Doch sie wird nicht aufgerufen, sondern übergangen. Weil ihre Kosten ungedeckt sind, wird ihr das Abiturzeugnis nicht ausgehändigt. Trotz dieser demütigenden Erfahrung, die sie erstmals an ihrer Berufung zweifeln lässt, tritt sie in den Orden ein.

Klösterliche Hierarchie und Ordnung

Neun Jahre dauert es, ehe eine Schwester nach ihrem Ordenseintritt die ewigen Gelübde ablegt. Zu diesem Ziel wird sie Stufe für Stufe hingeführt – über Postulat, Noviziat und Juniorrat. Darüber, ob sie überhaupt zur nächsten Etappe zugelassen wird, entscheidet die Oberin in Einklang mit der Gemeinschaft.

Wenn eine Schwester die Zulassung nicht erhält, dann verlängere sich für sie nicht nur die Zeit bis zu den ewigen Gelübden, sie erfahre dies auch als Stigmatisierung, als schmerzliche Ausgrenzung und persönliches Scheitern, verbunden mit quälenden Selbstzweifeln, wobei sie in ihrer Situation kaum mit Hilfe durch die Gemeinschaft rechnen könne.

Das Leben in der klösterlichen Gemeinschaft sei ein Leben unter ständiger Kontrolle. Jede Schwester erhalte jährlich einmal eine Beurteilung durch den Provinzialrat. Zustande komme sie durch anonyme Befragung der Schwesterngemeinschaft: „Von Jahr zu Jahr fiel es mir schwerer zu akzeptieren, dass die Schwestern über gewisse Dinge untereinander nicht offen reden, sondern ihre Einschätzungen anonym sind. Jede kann schreiben, was sie will, niemand verifiziert es. Manche Beurteilungen sind geradezu beleidigend. Doch man weiß nicht, wer sie geschrieben hat. Das führt zu Spannungen und Misstrauen.“

Sie zitiert aus zwei ihrer Beurteilungen. Neben durchaus positiven Einschätzungen, welche die Zulassung zur nächsten Etappe rechtfertigen, finden sich negative Äußerungen: „In der Schwester ist viel Gutes, doch zugleich ist sie nach Ansicht der Schwesterngemeinschaft sehr verschlossen und erliegt der Versuchung, Kritik zu üben.“ Zwei Jahre später heißt es: „Die Schwester muss der Gefahr eines schlecht verstandenen Individualismus Aufmerksamkeit schenken. Mitunter macht sie den Eindruck einer schwer zugänglichen und eingebildeten Person.“

Die einzelne Nonne stehe in der Gemeinschaft unter einem enormen Anpassungsdruck. Denn ihr Verhalten werde nach dem Maß ihrer Anpassung bewertet. Jede Abweichung gelte als unklösterlich, als Ungehorsam, ja als Ausdruck des Unglaubens. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Äußerlichkeiten, deren Sinnhaftigkeit nicht hinterfragt werden darf: Wie man zu Knien hat, mit gradem Kreuz, ohne sich abzustützen; wie und wo die Hände zu halten sind; wann man lächeln und wann man eine ernste Miene aufsetzen soll; wann man reden darf und wann nicht; es sei verboten, die Beine übereinander zu schlagen; und das Brevier müsse mit beiden Händen und ohne Stütze gehalten werden.

Eine Schwester, die gleich nach dem Abitur in den Orden eingetreten ist und nach neun Jahren die ewigen Gelübde abgelegt hat, sagt von sich: „10 Jahre tat ich alles, was die Schwestern von mir verlangten. Ich bemühe mich so zu sein, wie sie es von mir erwarten. Jetzt weiß ich nicht, wer ich bin.“

Abhängigkeit und Einschränkung

Das Leben in der klösterlichen Gemeinschaft ist ein Leben in Abhängigkeit und voller Einschränkungen. Die Schwestern stehen unter ständiger Beobachtung. Seien sie in der Kapelle zur Meditation und Adoration versammelt, sitze die Novizinnenmeisterin an der Tür und habe sie voll im Blick. Unterbreche eine Schwester ihre Andacht, um zur Toilette zu gehen, dann müsse sie im Hinausgehen bei ihr um Erlaubnis bitten und ihr zustimmendes Kopfnicken abwarten, ehe sie ihren Weg fortsetzen kann.

Auch die Kontakte innerhalb der Gemeinschaft sind eingeschränkt. Die Schwestern sollen untereinander Distanz wahren; Freundschaften seien ungern gesehen. Während des Noviziats seien Kontakte zu Mitschwestern, die bereits die Gelübde abgelegt haben, verboten.

Im ersten Jahr des Noviziats gebe es so gut wie keine Außenkontakte. Lediglich Briefe an die Eltern seien erlaubt. Und zum 2. Weihnachtstag dürften sie ihre Tochter im Kloster besuchen.

In den späteren Jahren beschränke sich der Kontakt zu den Eltern auf gelegentliche, wenngleich nicht zu häufige Telefonate. Für die vorösterliche Zeit gelte es als ein besonderes Fastenopfer, auch darauf zu verzichten.

Abhängigkeit und Einschränkungen sind bedingt durch die herausgehobene Stellung der Oberin wie der Novizinnenmeisterin. Sie möchten über alles und jedes informiert sein und um alles gefragt werden. Und man solle ihnen möglichst keine Probleme machen. Auch nicht im Falle einer Erkrankung. Darauf geht die Schwester in ihrem Bericht besonders ein. Sie sei während des Noviziats von starken Rückenscherzen geplagt worden. Als sie die Novizinnenmeisterin um Erlaubnis bat, einen Arzt aufsuchen zu dürfen, habe sie von ihr zu hören bekommen: „Fühltest du dich wirklich schlecht, dann würdest du jetzt nicht in meiner Tür stehen.“

Besonders schlecht ergehe es psychisch erkrankten Schwestern. Eine, die unter permanenter Müdigkeit litt, sei zur Direktorin einer Klosterschule ernannt worden. Eine andere mit einer ungeklärten Depression sollte eine in Urlaub befindliche Mitschwester vertreten, obgleich alle wussten, dass sie dazu nicht in der Lage war.

Selbst geringe Anlässe konnten rigorose Konsequenzen nach sich ziehen. Eine Schwester hatte die Angewohnheit, sich die Strickweste über den Kopf zu stülpen, statt sie ‚ordnungsgemäß‘ anzuziehen. Sie musste zwar nicht, wie eine andere Nonne mit einem schielenden Blick ihren Koffer packen, wurde aber nicht zur nächsten Ertappe auf dem Weg zu den ewigen Gelübden zugelassen.

Die Problematik der Gelübde

Wer einer klösterlichen Gemeinschaft beitritt, der entscheidet sich für ein Leben in Keuschheit, Armut und Gehorsam. Die Jahre bis zur Ablegung der Gelübde dienen der Prüfung, ob man wirklich willens ist und sich in der Lage glaubt, diese Verpflichtungen ein Leben lang auf sich zu nehmen. Dazu muss man aber wissen, worauf man sich einlässt, was die Gelübde im Einzelnen von einem verlangen. Daran habe es jedoch, so die Berichterstatterin, in ihrer Gemeinschaft gemangelt. Bezüglich der Keuschheit habe die Aufklärung lediglich darin bestanden, man müsse Gott so stark lieben, dass dadurch die eigene Sexualität negiert werde. Als ob das so einfach und überhaupt eine Lösung wäre. Wie man unter dem Keuschheitsgebot mit seiner Sexualität zurechtkommen kann, dazu habe es in der Gemeinschaft keine Gespräche gegeben.

Das Gelübde der Armut bedeutet persönliche Besitzlosigkeit. Was von den Schwestern erwirtschaftet wird, das gelangt in die Hände der Oberin und wird von ihr verwaltet. Benötigt eine Schwester Geld, dann muss sie vor der Oberin offenlegen wofür und darum bitten. Und diese entscheidet, ob sie der Bitte nachkommt oder nicht.

Gänzlich ohne Geld seien allerdings die Schwestern nicht. Jede erhalte monatlich ein Taschengeld von 50 Zł. (etwas über 10 €). Das reiche knapp für Telefonate, Zahnpasta und Strumpfhosen. Davon etwas sparen sei kaum möglich.

Ein besonderes ‚Geschenk‘ gibt es zum 25jährigen Ordensjubiläum: Die halbe Summe für eine Pilgerfahrt nach Jerusalem: Das restliche Geld müssen die Schwestern selbst aufbringen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie dies aus Anlass des Jubiläums von ihren Angehörigen und Freunden. Wenn nicht, dann müssen sie sich das Geld förmlich erbetteln oder auf die Reise verzichten.

Als besonders problematisch erweist sich das Gehorsamsgelübde. Es verleiht der Oberin und anderen vorgesetzten Schwestern eine fast uneingeschränkte Befehlsgewalt. Mehr noch: Die Schwestern sind gehalten, in deren Willen, den Willen Gottes zu erkennen. „Der Wille der Oberin ist gleichbedeutend mit dem Willen Gottes. […] Was die Oberin sagt, gilt als Offenbarungswahrheit. Selbst wenn du innerlich damit nicht einverstanden bist, nimmst du sie an.“

Die den Orden verlassen

Aus dem Jahrgang, dem die Schwester dieses Berichts angehört, verließ frühzeitig ein Viertel die Gemeinschaft. Nur die Hälfte legte nach neun Jahren die ewigen Gelübde ab. Diese Abgänge erfolgten keineswegs immer aus eigenem Entschluss, sondern zumeist aufgrund der bereits besprochenen jährlichen Beurteilungen. Fiel diese negativ aus, so bekam die jeweilige Schwester zu hören: „Du eignest dich nicht; das hier ist kein Ort für dich.“

Doch was bedeutet das für jene, die auf diese Weise das Kloster verlassen müssen? Manche fühlt sich, wie es in diesem Interviewbericht heißt, „als würde sie von Gott verstoßen.“ Auch dies ist eine Folge des verinnerlichten Gehorsamsgebots und der Art, wie es in dieser Gemeinschaft von der Oberin verstanden und praktiziert wird.

Was aus den Schwestern wird, die der Gemeinschaft den Rücken kehren, wie sie nach Jahren im Orden in der Welt zurechtkommen, danach frage im Kloster niemand. Man „betet für sie. Und die Provinzoberin bittet, für sie zu fasten.“ Ansonsten bleibt eine ehemalige Nonne sich selbst überlassen, „ohne finanzielle Sicherheit, ohne das nötige Geld, sich eine Wohnung zu mieten. Die Wahrheit ist, dass die meisten Schwestern nicht wissen wohin. Nach Jahren in der Gemeinschaft haben sie es verlernt, selbständig zu leben. „Wer geht, der muss im Hinterkopf haben, unter der Brücke zu landen.“

Am Ende dieses Berichts wird noch einmal deutlich, warum aus der geschlossenen klösterlichen Gemeinschaft selten etwas nach außen dringt. „Als sich die Nachricht über mich verbreitete, riefen Schwestern mich an. Sie erzählten ihre Geschichten. Davon dass man ihnen nicht erlaubt habe, ihre Depression zu heilen. Eine von ihnen sagte, dass ein Mönch sie sexuell missbraucht habe. Er fuhr mit der Hand durch die Taschen ihres Habits und berührte intime Stellen. Das alles während der Beichte. Als sie die Oberin davon in Kenntnis setzte, reagierte diese nicht.“

Von den zwölf Schwestern, die sich äußerten, waren nur zwei bereit, dass die Autorin dieses Berichts ihre Geschichte aufschreibt und der Generaloberin zusendet. Und auch diese zwei zogen ihre Einwilligung wieder zurück. Es sei die Angst, die Gemeinschaft vielleicht verlassen zu müssen, die diese Schwestern davon abhielt, ihre Geschichte öffentlich zu machen.


Der Interviewbericht dieser Ordensschwester vermittelt nicht mehr und nicht weniger als einen Einblick in das hinter Klostermauern verborgene Leben einer konkreten Gemeinschaft. Er hinterlässt bei der Lektüre einen erschütternden Eindruck, wobei sich die Frage aufdrängt, warum angesichts des offensichtlich systembedingten Machtmissbrauchs von Oberin und Novizinnenmeisterin die gedemütigten und in ihrer Würde verletzten Schwestern überhaupt in der Gemeinschaft des Ordens verbleiben wollen.

[1] Anna Goc, Zachowania niezakonne (Unklösterliches Verhalten) Tygodnik Powszechny v. 09. 05. 2021, S. 30-34.

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