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Das Licht kam in die Welt..., Jo 3,19


Es war die dritte Schicht zu der ich als Werkstudent auf einer Bochumer Zeche mit dem Förderkorb in die Tiefe fuhr, um vor Ort als Schlepper zu arbeiten. Nach einigen Stunden vernahm ich ein eigentümliches Knistern, und ehe ich mich versah, waren die Kumpel verschwunden, denn sie hatten das Warnsignal verstanden, das einen Bruch des Gesteins ankündigte. Das knickte denn auch mit gehörigem Getöse die Stempel weg, krachte in den Hohlraum sowie in Teile des Stollens. Das Geröll verschüttete meine Grubenlampe. Ich selbst blieb unverletzt, doch undurchdringliche Finsternis umgab mich.

Ich weiß nicht, wie lange ich in meiner Angst und Verlassenheit ausgeharrt habe, denn in einer totalen Dunkelheit verliert man das Zeitgefühl. Doch dann sah ich in der Ferne Lichtschimmer, die sich auf mich zu bewegten, und ich wusste, meine Rettung nahte.

Die ist meine persönliche Erfahrung vom Licht im Dunkel, eine Erfahrung existentieller Verlorenheit und Angst sowie des befreienden, rettenden Lichts.

Wohl jeder macht in seinem Leben auf seine Art Erfahrungen mit dem Licht im Dunkel. In der Regel sind sie ohne sonderliche Dramatik, eingebettet in den Alltag, so dass sie leicht übersehen werden und in Vergessenheit geraten. Die Spannbreite solcher Erfahrungen findet ihren Niederschlag in der Sprache. So sprechen wir vom Licht am Ende des Tunnels, davon, dass einem ein Licht aufging, dass etwas im rechten Licht erscheint, dass wir Licht in eine Sache zu bringen und, mit biblischem Anklang, unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Licht als Erleuchtung, als Zeichen der Hoffnung, als Aufdeckung dessen, was im Dunkeln verborgen ist.

… und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Taten waren böse, Jo 3,19

Die Bibel ist reich an Lichtsymbolik. Es würde viele Seiten füllen, all die Fundstellen anzuführen und in ihrer Sinnhaftigkeit zu ergründen, in denen in beiden Testamenten vom Dunkel und vom Licht die Rede ist. Ich begnüge mich, von der biblischen Botschaft geleitet, mit einem Aspekt, mit der Bedeutung des Leitwortes „Licht im Dunkel“ für die klerikalen Kinderschänder und der Vertuschung ihrer Taten.

Der klerikale Missbrauch an Kindern geschah im Verborgenen, sollte unter keinen Umständen ans Licht kommen. Die Taten sollten geheim bleiben. Der Titel eines polnischen Dokumentarfilms, der diese Missbrauchsfälle zum Inhalt hat, lautet denn auch „Sag es nur keinem“. Entsprechend wurde den Kindern eingeredet, dass das, was zwischen ihnen geschah, ein Geheimnis bleiben muss, das zu hüten sei. Ohnehin würden die Eltern ihrem Kind nicht glauben, sollte es das Schweigen brechen.

Die ihnen auferlegte Schweigepflicht und die eigene Scham verhinderten, dass den Opfern geholfen werden konnte. Die geschändeten Kinder waren dazu verurteilt, mit diesem „Geheimnis“ zu leben. Oftmals über viele Jahre, mitunter ein ganzes Leben lang. Und dies verfinsterte ihre Seele, bedrückte sie als eine schwer zu tragende Last, wurde zu einer Quelle innerer Zerstörung, die nicht versiegen wollte.

Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, Jes 5,20

Zur Verführungsstrategie eines sexuell unreifen oder pädophilen Priesters gehört es zumeist, sein Opfer gezielt auszusuchen, und zwar vornehmlich aus einer ärmlichen Familie. Mit ihr knüpft er freundschaftliche Bande, beglückt sie mit Geschenken. Bald gilt er als enger Freund der Familie, die sich durch die Gunst des Priesters geehrt fühlt und ihr Kind bereitwillig in seine Obhut gibt.

Hat ein solcher Priester auf diese Weise eine Vertrauensbasis geschaffen, nimmt die sich oft über Jahre erstreckende Missbrauchsgeschichte ihren Anfang. Der Priester redet dem Kind ein, wie gerne er es hat, und dass alles, was zwischen ihnen geschieht, nichts Böses, sondern Ausdruck der Zuneigung ist.

Es gibt zudem Belege dafür, dass Priester ihrem sexuellen Missbrauch eine religiöse Aura verleihen. Sie gründet darauf, dass der Priester in den Augen des Kindes durch seine Weihe als Heiligkeit in Person erscheint, eine durch die religiöse Erziehung grundgelegte verhängnisvolle Auffassung. Dadurch haben Priester ein leichtes Spiel, ihren Opfern vorzugaukeln, sie würden durch die intimen Akte an dieser Heiligkeit teilhaben. So wird auf infame Weise das Böse zu etwas Gutem und die Finsternis zum Licht.

Die Abgründigkeit des Geschehens wird in ihrem ganzen Ausmaß deutlich, wenn man es in Bezug setzt zu dem Jesuswort „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im triefen Meer versenkt würde“, Mt 18, 6.

damit seine Taten nicht aufgedeckt werden, Jo 3, 20.

Nicht nur die Täter setzten und setzen alles daran, dass ihre Verbrechen an den kindlichen Opfern nicht ans Licht kommen. Nicht anders handelten ihre zuständigen Bischöfe, indem sie zu verhindern suchten, dass Fälle klerikalen Missbrauchs Minderjähriger an die Öffentlichkeit gelangten. Geriet in einer Gemeinde ein Seelsorger in den Verdacht pädophiler Handlungen und erreichte das Gerücht die Kurie, dann wurde er kurzerhand in eine andere Gemeinde versetzt. Damit war - auf Kosten der Opfer – für´s erste dafür gesorgt, dass „böse Zungen“ zum Schweigen gebracht wurden, bis in der neuen Pfarrei erneut entsprechende Gerüchte laut wurden, so dass der Priester wieder seine Koffer zu packen hatte und in der nächsten Gemeinde das gleiche Spiel von Neuem begann. Erst verschärfte römische Vorschriften, welche die Bischöfe dazu zwingen, die Missbrauchsfälle der päpstlichen Kurie zu melden, beendete diese allgemein verbreitete Praxis, wobei sich nicht alle Bischöfe an diese Auflagen hielten.

Erstaunlich ist, dass die Bischöfe, bar jeden Schuldgefühls, offenbar ihre Vertuschungen mit einem guten Gewissen praktizierten. Die Rechtfertigung ihres Handelns ergab sich unmittelbar aus ihrem Amtsverständnis. Als Bischöfe glaubten sie sich dazu berufen, dafür zu sorgen, dass keine dunklen Schatten auf die Kirche fielen, dass sie ohne Fehl und Makel als Fels in der Brandung allen äußeren Stürmen standhielt. Als Hüter dieses Kirchenverständnisses sahen die Bischöfe daher ihre Aufgabe darin, nichts an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, was dieses Bild hätte trüben können. Also wurde der innerkirchliche Dreck zur Geheimsache erklärt, und jeder, der von ihm Kenntnis hatte, zum Stillschweigen verpflichtet. Die Opfer nicht ausgenommen, wenn sie es gegen manche Widerstände geschafft hatten, zur bischöflichen Kurie vorzudringen und dort angehört wurden.

Und es gibt noch einen weiteren Grund für die aus dem bischöflichen Amtsverständnis resultierenden Vertuschungen: Während der Weihe verspricht der Neupriester seinem Bischof Gehorsam, und indem er sich auf diese Weise in dessen Hand gibt, übernimmt der Bischof quasi im Gegenzug über ihn die Vaterschaft. Und seinen Sohn verrät man nicht. So rühmt sich Kardinal Dziwisz, der langjährige Sekretär Johannes Pauls II. und spätere Krakauer Metropolit, zu keiner Zeit schuldig gewordene Priester der Staatsanwaltschaft gemeldet zu haben. Noch deutlicher äußerte sich im Sommer 2021 der emeritierte Weihbischof Antoni Długosz: „Ein Bischof würde seine Berufung verleugnen, sollte er einen sündigen Sohn bei der Staatsanwaltschaft anzeigen.“ Dass es den Opfern durch Verweigerung kirchlicher Kooperation dadurch erschwert oder unmöglich gemacht wird, ihren Fall vor Gericht zu bringen, das scheint die Bischöfe nicht zu interessieren oder bewusst gewollt zu sein, um eine gerichtlich verordnete Entschädigung nicht zahlen zu müssen.

Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird, Mt 10, 26

Wie sehr sich auch die Bischöfe bemühten, die sexuellen Verbrechen ihrer pädophilen Priester zu vertuschen, ihre Rechnung ging letztlich nicht auf. Das hätte ihnen klar sein müssen, denn das Evangelium sagt in aller Deutlichkeit, dass auf Dauer nichts m Dunklen bleibt.

Dabei ist es nicht egal, auf welche Weise das Verborgene ans Licht kommt. Im Epheserbrief findet sich die Weisung an die Gemeinde, die „Werke der Finsternis“ nicht nur zu meiden, sondern sie „aufzudecken“. Eph 5, 11) Die Bischöfe, und nicht nur sie allein, sind in der Pflicht, statt sie zu vertuschen, die „Werke der Finsternis“ ans Licht zu bringen. Hätten sie dies getan und damit einen Prozess kirchlicher Selbstreinigung eingeleitet, dann wäre ihre Glaubwürdigkeit wohl nicht so radikal beschädigt worden und der Kirche die gegenwärtige Krise in ihrer Massivität erspart geblieben. Doch sie taten alles, um den Prozess der Selbstreinigung zu verhindern: Die Opfer wurden nicht gehört und spielten bei ihren Erwägungen und Handlungen kaum eine Rolle; Priester, die sich für sie verwandten, galten oft als Nestbeschmutzer und wurden aufgrund einer falsch verstandenen Solidarität von ihren Mitbrüdern gemieden, zuweilen auch von ihren Bischöfen sanktioniert.

Statt aus dem Inneren der Kirche geschah somit die längst fällige Aufklärung von außen – durch Recherchen von Journalisten und Filmemachern, die von manchen Bischöfen zu Feinden der Kirche abgestempelt wurden, wie beispielsweise durch den erwähnten Weihbischof Długosz, der ihnen unterstellt, „die Missbrauchsfälle in der Kirche zu geplanten, gegen die Bischöfe gerichteten Attacken zu nutzen.“

Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet, Eph 5, 13

Mit der medialen Aufdeckung der Missbrauchsfälle wurde zugleich die bischöfliche Strategie des Vertuschung als ein „Werk der Finsternis“ entlarvt, und so mancher Purpurträger geriet unter öffentlichen Druck, hatte vor Gericht zu erscheinen, wurde am Ende von der römischen Kurie gemaßregelt und verlor sein Amt: Der Anstoß von außen setzte, wenngleich weltkirchlich höchst unterschiedlich, das Bemühen um Reformen in Gang. Das Aufgedeckte wurde „vom Licht erleuchtet“. Es trat damit nicht nur selbst in aller Klarheit zu Tage, sichtbar wurden auch die Bedingungen, unter denen die klerikalen Missbrauchsfälle möglich wurden. Neben der sexuellen Unreife und pädophilen Neigungen der Täter gerieten auch die systembedingten, strukturellen Ursachen in den Blick – der Klerikalismus, die Zölibatsverpflichtung, die schwache Position der Laien, die fehlende Gewaltenteilung in der Kirche, die den Bischöfen eine geradezu uneingeschränkte kirchliche Macht ermöglicht. Es sind dies Probleme, die zu ihrer Lösung eine tiefgreifende Kirchenreform erfordern, die nur gelingen kann, wenn sie vom Kirchenvolk mitgetragen wird, d.h. durch das Engagement der Laien. Der „Synodale Weg“ der deutschen Kirche bietet dazu eine Chance.

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