Es tut sich etwas in Polens Kirche
Mit der auf Initiative des Rechtswissenschaftlers Prof. Fryderyk Zoll Ende 2020 erfolgten Gründung des Reformen anstrebenden „Kongresses von Katholikinnen und Katholiken“ kommt ein wenig Bewegung in die polnische Kirche. Angesichts ihres gegenwärtigen Krisenzustandes wird der Ruf nach Reformen lauter. Adam Boniecki, Ordenspriester und langjähriger Chefredakteur des „Tygodnik Powszechny“, stellt denn auch in seiner ständigen Rubrik ganz allgemein die Frage, wie die Kirche zu reformieren ist.[1] Er verweist darauf, dass Reformen in der Kirche nichts Ungewöhnliches sind. Es habe sie in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte immer wieder gegeben, gelungene wie missratene. Näher geht er ein auf das 1950 erschienene, 1968 unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanums überarbeitete und neu herausgegebene Buch von Yves Congar „Wahre und falsche Reformen in der Kirche“. Gleichsam als Leitlinie für Reformen in der polnischen Kirche zitiert er daraus folgenden Passus: „Die Sache ist nicht so einfach, denn das, was man unter dem einen oder anderen Aspekt reformieren muss, betrifft ja die konkrete Kirche. Diese konkrete Kirche muss gleichzeitig akzeptiert und so, wie sie ist, nicht akzeptiert werden. Wenn jemand sie nicht akzeptiert, dann ist er auf dem Weg, eine andere Kirche zu schaffen. Wenn er sie jedoch so akzeptiert, wie sie ist, dann verändert er nichts in ihr und reformiert sie nicht. Man muss nicht die Kirche verändern, sondern etwas in der Kirche.“
Was aber bedeutet dies konkret für die innerkirchliche Auseinandersetzung um Reformen? Boniecki warnt in diesem Zusammenhang vor Einseitigkeiten: Das Magisterium betone gewöhnlich die Unveränderlichkeit und fördere „sichere Theologen“, die „gefährliche“ Themen vermeiden und die Gläubigen in Sicherheit wiegen. Dem entgegen habe die Kirche die Pflicht, nach der Wahrheit zu streben. Dabei müsse sie sich in Erfüllung ihrer prophetischen Sendung bis an die Grenze der Orthodoxie wagen. Die Grenzfragen im großen Bogen zu umgehen, weil man Angst habe, sich in Irrtümer zu verstricken, sei ebenso ein Fehler wie der, etwas Falsches als wahr auszugeben.
Boniecki verdeutlicht, wie man sieht, auf diese Weise ein Fehlverhalten beider Seiten, das der Gegner von Reformen wie das ihrer Befürworter.
Kenntnisnahme westlicher Reformbemühungen
Kaum zufällig erschien in derselben Ausgabe ein Interview, das die Theologin Zuzanna Radzyk mit dem österreichischen Pfarrer Schüller führte.[2] Der 59jährige Schüller war eine Zeitlang Generalvikar und ist heute Pfarrer einer nahe bei Wien gelegenen Gemeinde, die nach seiner Emeritierung aus Mangel an Priestern keinen Nachfolger finden wird. Schüller ist der Gründer einer 2006 geschaffenen, auf Reformen drängenden Pfarrerinitiative, die 300 Priester umfasst. Nach ihrem 2012 erfolgten „Aufruf zum Ungehorsam“ wurde ihm auf Verlangen des Vatikans der Prälatentitel aberkannt, was ihn allerdings nicht weiter stört.
Die Reformanliegen, über die Schüller in diesem Interview berichtet, basieren auf an der kirchlichen Basis gewonnene Einsichten und Erfahrungen. So wendet sich die Pfarrerinitiative gegen die gängige Praxis, wegen des Priestermangels immer mehr Pfarreien zu großen Seelsorgeeinheiten zusammenzufassen, was nach ihrer Ansicht eine pastorale Arbeit, die diesen Namen verdient, unmöglich mache. Sie plädiert dagegen für ein Modell, das die Aufteilung seelsorglicher Aufgaben unter eine kleine Gruppe gewählter Gemeindeglieder vorsieht, um auf diese Weise die für den Bestand der Gemeinde erforderliche Funktionsfähigkeit zu erhalten. In diesem Zusammenhang plädiert Schüller für die Weihe von viri probati und die Zulassung von Frauen zum Priestertum. Die Pfarrer sind jeweils bemüht, die Charismen, die es in jeder Gemeinde gibt, zu entdecken, zu fördern und pastoral zu nutzen. Unter Berufung auf den kirchenrechtlichen Kanon 517, der grundsätzlich die Übernahme pastoraler Verantwortung durch Laien erlaubt, spricht sich Schüller dafür aus, die mit diesem Kanon gegebenen Einschränkungen aufzuheben, so dass Laien auch berechtigt werden, die Eucharistie zu feiern.
Schüller weiß natürlich, dass eine so weit reichende Reform gegenwärtig nicht realisierbar ist. Aber er ist überzeugt, dass sie um der Kirche willen in gar nicht so weiter Ferne unumgänglich sein wird. Und um dieser Zukunft willen bereitet er bereits jetzt Gemeindeglieder auf diese Alternative vor.
Aber ist dies alles überhaupt für die polnische Kirche von Bedeutung? Schließlich gibt es in ihr den pastoralen Notstand aufgrund des Priestermangels nicht. Noch nicht, denn die die Zahlen der Seminarbewerber und jährlichen Priesterweihen nehmen rapide ab. Der Säkularisierungsprozess, von dem Polen lange Zeit verschont geblieben ist, trifft das Land derzeit mit voller Wucht. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch die polnische Kirche mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat, wie ihre westlichen Nachbarkirchen. Da ist es gut, sich zeitig auf diese Situation vorzubereiten.
Am Ende fragt Zuzanna Radzyk ihren Interviewpartner, was er polnischen Priestern, Ordensschwestern und Laien rate, die sich für Reformen der Kirche engagieren möchten. Schüllers Antwort: „Äußerst wichtig ist es, laut und klar über Reformen zu sprechen und damit zu beginnen, sie zu praktizieren. Nicht einsam und allein – wichtig ist die Gruppe, mit der du handeln wirst, aber mit der du auch die Gedanken austauschst.“
Kritische Solidarität
Fast zeitgleich zu den beiden im „Tygodnik Powszechny“ erschienen Texten brachte die „Gazeta Wyborza“ ein ausführliches Interview mit Prof. Fryderyk Zoll, dem Initiator des „Kongresses von Katholikinnen und Katholiken“ und seiner Pressesprecherin, der Ordensschwester Barbara Radzimińska.[3]
Ausgangspunkt des Interviews bildet eine Äußerung des Posener Erzbischofs und Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, während der Einführung des neuen Danziger Ordinarius Tadeusz Wojda. Sinngemäß sagte er: Ein Bischof hat allein auf das zu hören, was Gott sagt, und nicht auf das, was einem Laien nicht gefällt. Seine Worte wurden allgemein als auf den Kongress gemünzt verstanden und von Schwester Barbara, die sie in der Kathedrale selbst gehört hatte, empört zurückgewiesen.
Die in ihrer Mehrheit sehr konservativ eingestellten Oberhirten fürchten offenbar ein Übergreifen des westlichen Reformbazillus auf ihre Gläubigen sowie eine Beeinträchtigung ihrer Autorität. Dabei betont Prof. Zoll, dass es dem Kongress keineswegs darum gehe, die Autorität der Hierarchie zu untergraben. Aber es gehe sehr wohl darum, „neu zu definieren, wie wir gemeinsam in der Kirche zu funktionieren haben.“ Dazu sei ein breiter innerkirchlicher Dialog erforderlich, auch und vor allem mit den Bischöfen, die seitens des Kongresses dazu ausdrücklich eingeladen sind. Es wäre gut, wenn in jeder der zu bildenden Arbeitsgruppen einer vertreten wäre. Sich dem Dialog zu verweigern, sei keine Lösung, zumal eine solche Haltung nur als „Ausdruck der Angst verstanden werden kann und sie nicht in der Lage ist, die gegenwärtige Dynamik in der Kirche zu stoppen.“
Vertreter des Kongresses haben denn auch bereits Gespräche mit einzelnen Bischöfen geführt, doch mit dem Warschauer Weihbischof Piotr Jarecki hat erst einer von ihnen sich zur Mitarbeit bereitgefunden.
Der Kongress möchte in kritischer Solidarität mit dem Episkopat tätig sein. Er sei weder „links“ noch „rechts“ einzuordnen. „Sein Ziel ist die Aufnahm eines Gesprächs, und allein das bedeutet eine sehr tiefe Veränderung in einer Kirche, die durch Hirtenbriefe kommuniziert, die zumeist an der Wirklichkeit vorbeigehen und Thesen vertreten, die niemanden berühren, oder die Probleme behandeln, die keine Bedeutung besitzen und im besten Fall so verwässert sind, dass sie folgenlos bleiben.“
Der Kongress will dagegen die Fragen diskutieren, welche die Menschen bezüglich der Kirche wirklich haben. Allein das werde bereits die Funktionsweise der polnischen Kirche verändern. Sie müsse schließlich „auf die Bedürfnisse der Menschen in der heutigen Zeit antworten und nicht auf imaginäre Fragen einer in sich geschlossenen Gruppe, die in einem gewissen Grade ihren Bezugspunkt verloren hat.“
Unterschied zu den westlichen Nachbarkirchen
Die Vertreter des Kongresses wissen sehr wohl um die besondere Eigenart ihrer Kirche, die sie von ihren westlichen Nachbarkirchen stark unterscheidet. Sie sind nicht so naiv zu meinen, man könne die dortigen Reformansätze ohne weiteres auf die eigene Situation übertragen. Ein derart radikales Programm ist daher vom Kongress nicht zu erwarten. Prof. Zoll, der selbst in einer dörflich geprägten Umwelt wohnt, betont denn auch den Wert einer über Jahrhunderte gewachsenen Volksfrömmigkeit mit ihren paraliturgischen Ritualen. Auch dies „braucht die Kirche, und ich möchte nicht, dass dies plötzlich verschwindet. Aber eine auf das bloße Ritual reduzierte Kirche bringt den Menschen nicht das, was sie suchen.“ Der Kongress spricht sich daher für einen innerkirchlichen Pluralismus aus, für eine Kirche, in der konservative wie weltoffene Christen ihren Ort finden.
Vom Kongress ist somit nicht zu erwarten, dass er westliche Forderungen wie die Aufhebung des Pflichtzölibats oder den Zugang von Frauen zum Priestertum einfach übernehmen wird. Was er vom Westen übernimmt, ist die Grundvoraussetzung einer vom Volk Gottes getragenen Reform, nämlich die „gemeinsame Suche von Gläubigen und Priestern nach neuen Wegen und Lösungen im Rahmen ihrer Gemeinschaften.“ Dazu bedarf es der „Offenheit für bestimmte Themen“ sowie eines „demokratischen Charakters der Diskussion“. Daran mangelt es in der „monarchisch strukturierten“ polnischen Kirche, die in dieser Verfasstheit zwar ihrer Aufgabe in der Zeit des Kommunismus gerecht wurde, die sich aber für die jetzige Situation einer demokratischen Gesellschaft als Hindernis erweist. „Wir leben in einer Welt der Demokratie, der Bürgerechte, in der man sich als Bürger und nicht als Untertan versteht. Eine Kirche, die sich in diesen Wandel nicht inkulturiert, verfehlt ihre Mission.“
Der Kongress eine Chance für Polen?
Angesichts der, gelinde gesagt, deutlichen Zurückhaltung des Episkopats gegenüber der Gründung des Kongresses sehen Skeptiker kaum eine Chance, dass er in der polnischen Kirche den erforderlichen Mentalitätswandel bewirken kann, damit heutigen Bedürfnissen entsprechende Reformen möglich werden. Doch Prof. Zoll und Schwester Barbara zeigen sich zuversichtlich. Sie wissen, dass es für Veränderungen eines langen Atems bedarf und nicht damit zu rechnen ist, dass ihre Initiative auf Anhieb im Episkopat die nötige Unterstützung findet. Sie setzen hoffnungsvoll auf die wenigen, auch auf die wenigen Bischöfe, die zur Mitarbeit bereit sind. „In jeder Gesellschaft gibt es, statistisch gesehen, 5% Personen, die für Veränderungen offen sind und in sich das Verlangen nach mehr spüren. Der Kongress kann dies 5% sein.“ Bedenkt man, aus welch zahlenmäßig bescheidenen Anfängen die Kirche entstanden ist, dann ist das sehr biblisch gedacht und hoffentlich vom Erfolg gesegnet.
[1] Adam Boniecki, Jak reformać Kościół (Wie sich die Kirche reformieren lässt), Tygodnik Powszechny v. 11. 04. 2021, S. 3 [2] Ks. Helmut Schüller, Ostatni ksiądż w parafii (Letzter Pfarrer in der Pfarrei), ebd., S. 32-35. [3] Magazyn Wyborzej, Ludzka potrzeba po szukiwania sensu jest niezmienna, a Kościół ma niezwykle aktrakcyną odpowiedź (Das menschliche Bedürfnis nach Sinnsuche ist unwandelbar, und die Kirche hat darauf eine ungewöhnlich attraktive Antwort), 17. 04. 2021.
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