Kardinal Dziwisz unter erhöhtem Druck
Seit Monaten wird zunehmend nach der Rolle gefragt, die Kardinal Stanisław Dziwicz als früherer Sekretär von Papst Johannes Paul II. gespielt hat. In den Jahren, als der von Krankheit und Alter gezeichnete Papst kaum noch in der Lage war, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen, habe Dziwisz im Vatikan enorm an Einfluss gewonnen. Es war dies zudem die Zeit, in der sexuelle Missbrauchsfälle höchster kirchlicher Vertreter ruchbar wurden. So stellt ich die Frage: Hat Sekretär Dziwisz darum gewusst und sein Wissen gegenüber P. Johannes Paul II. verheimlicht? Hat er sich selbst der Vertuschung schuldig gemacht? Oder hat er den Papst darüber in Kenntnis gesetzt, ohne dass dies für die Betroffenen Folgen gehabt hätte? Von der Klärung dieser Fragen hängt es ab, ob der heiliggesprochene Johannes Paul II. belastet wird oder nicht. Kritiker verlangen vorschnell schon jetzt, dass ihm die Heiligkeit abgesprochen wird.
Kardinal Dzwisz hat bisher zu all dem geschwiegen. Nun lief am 9. November im unabhängigen Fernsehen TVN-24 die Dokumentation „Don Stanislao – Dziwisz‘ zweites Gesicht“, in der verschiedene Zeugen aussagen, dass Dziwisz von den Skandalen gewusst habe. Zudem gerät er in den Verdacht der Korruption, weil er für die Vermittlung von Audienzen beim Papst Geld genommen habe. Dabei sei es um Kuverts mit teils sehr hohen Summen gegangen. In einer Erklärung weist Kardinal Dziwisz diese Vorwürfe zurück.
Am 10. November, einen Tag nach Ausstrahlung der Dokumentation, nahm Erzbischof Gądecki, der Vorsitzende der Bischofskonferenz zu der Dokumentation Stellung. Eine Kommission des Apostolischen Stuhls soll die gegen Kardinal Dziwisz erhobenen Beschuldigungen prüfen. Der Kardinal sagte zu, vor der Kommission aussagen zu wollen.
Zum gleichen Zeitpunkt wurde der von Papst Franziskus in Auftrag gegebene Rapport zu dem Fall des amerikanischen Kardinals McCarrick veröffentlicht. Die Dokumentation umfasst 449 Seiten. 90 Zeugen kommen zu Wort. Sekretär Dziwisz wird 49 mal erwähnt, was seine Bedeutung unterstreicht, ohne dass damit schon eine Beschuldigung gegeben wäre. Aber er ist in den Fall verwickelt. McCarrick sei er freundschaftlich verbunden gewesen. Am 8. August 2000 habe er von ihm einen Brief erhalten, in dem McCarrick die gegen ihn erhobenen sexuellen Beschuldigungen als Verleumdung bezeichnet und zurückgewiesen habe. Zweck des Briefes war es, den Papst, der angesichts der im Umlauf befindlichen Gerüchte , von der bereits geplanten Ernennung McCarricks zum Erzbischof von Washington und zum Kardinal Abstand genommen hatte, zu bewegen, seine Entscheidung zu revidieren. Diesen Brief habe Dziwisz an Johannes Paul II. weitergeleitet. Die Intervention war erfolgreich. McCarrick wurde 2001 von Johannes Paul II. zum Erzbischof von Washington und zum Kardinal ernannt und blieb dies, bis er 2006 in den Ruhestand ging.
Dass Johannes Paul II. seine Entscheidung revidierte und McCarrick Glauben schenkte, sei aus den Erfahrungen des Wojtyła-Papsts aus der Zeit des Kommunismus zu erklären, als das kirchenfeindliche System immer wieder vergleichbare Verleumdungen verbreitet habe, um der Kirche zu schaden.
McCarricks sexuelle Verbrechen, die in dem Rapport im Detail beschrieben werden, gehen in die 1970er Jahre zurück. Erstaunlich, dass sie solange geheim bleiben konnten. Erstaunlich auch, dass ein derart pädophiler Priester in der Kirche Karriere machen konnte. Erst 1999 gab es die erste offizielle Beschuldigung. Doch das Opfer, das den Fall angezeigt hatte, galt als unglaubwürdig, so dass eine Untersuchung unterblieb. Die erfolgte erst unter Papst Franziskus, der den inzwischen emeritierten Kardinal aller Würden enthob und als Priester suspendierte.
Noch ist die vatikanische Kommission nicht ernannt; noch gibt es gegen Kardinal Dziwisz keine offizielle Untersuchung. Doch bereits jetzt schon gibt es Proteste vor seinem Krakauer Wohnsitz.
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