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Karol Wojtyla, Das Lied vom verborgenen Gott

Interpretation


Es ist höchst erstaunlich, dass ein junger Mann von 22 Jahren in der Lage war, eine Dichtung von solch eindrucksvoller Bildsprache und Tiefe zu verfassen. Beendet hat Karol Wojtyła „Das Lied vom verborgenen Gott“ als Theologiestudent zu Weihnachten 1944. Es erschien anonym 1946 in „Głos Karmelu“ (Stimme des Karmel), der Zeitschrift der Karmeliter.


Biographischer Hintergrund

Wesentliche Impulse für dieses Poem ergeben sich aus den Lebensumständen des jungen Karol Wojtyła. Aufgewachsen ist er in der Kleinstadt Wadowice. Auf dem Gymnasium erhielt er eine ausgezeichnete Einführung in die Werke der Antike und der polnischen Romantik. Schon früh wurde auf diese Weise sein literarisches Interesse geweckt. Verstärkt wurde es durch den Gymnasiallehrer Mieczysław Kotłarczyk und das von ihm vor Ort geleitete Schülertheater, in dem der junge Karol Hauptrollen übernahm.

Seine Kindheit und Jugend waren von Verlusterfahrungen geprägt. Gerade einmal neunjährig starb seine Mutter. Wenig später erlag sein um vieles älterer Bruder einer ansteckenden Krankheit, die er sich in Ausübung seines Arztberufes zugezogen hatte. Und sein Vater, der mit seinem Sohn aus ihrer Heimatstadt Wadowice nach Krakau verzogen war, um dem jungen Studenten nahe sein zu können, starb im Februar 1941. Der Tod des Vaters, der ihm liebevoll über viele Jahre die Mutter ersetzt hatte, traf ihn hart.

Zu Wojtyłas Verlusterfahrungen zählt auch die Unmöglichkeit, das ein Jahr vor Kriegsbeginn an der Jagiellonenuniversität begonnene Studium der polnischen Sprache und Literatur fortzuführen. Am 6. November 1939 umstellten deutsche Einsatzkräfte die Universität, verhafteten 183 Professoren, verluden sie auf Lastwagen und transportierten sie in das KZ Sachsenhausen. Für Karol Wojtyła bedeutete dies nicht nur das Ende seines Polonistikstudiums, sondern die Erkenntnis, dass es das Ziel der deutschen Besatzungsmacht war, mit der Vernichtung nationaler Kultur die polnische Nation ihrer Identität zu berauben und zu einem bloßen Sklavenvolk zu erniedrigen.

1941 begegnete Karol Wojtyła in Krakau erneut Mieczysław Kotłarczyk. Der hatte, von der Gestapo gesucht, Hals über Kopf aus Wadowice fliehen müssen. Als einziges Gepäck führte er das letzte, unvollendet gebliebene Stück „Król Duch“ (Geistkönig) von Juliusz Słowacki, dem großen Dichter der polnischen Romantik, mit sich. Um ihn sammelte sich ein Kreis junger Literaten und Schauspieler, unter ihnen auch Karol Wojtyła, die in dem von ihm im Untergrund gegründeten Rhapsodischen Theater Werke bedeutender polnischer Dichter aufführten. Zur Konzeption des Rhapsodischen Theaters gehört die völlige Konzentration der Schauspier wie des Publikums auf die Wirkung des Wortes. Die Gestik steht ganz in seinem Dienst, und die Handlung als solche wird minimalisiert. Die Aufführungen bedurften keiner großen Bühne und aufwändiger Dekoration. Sie fanden denn auch geheim in Wohnungen statt.

Diese Gründung des Rhapsodischen Theaters ist zudem als Akt des Widerstandes zu werten, ging es doch Kotłarczyk und seinen jungen Schauspielern darum, in dieser Zeit nationaler Bedrohung die in der Literatur enthaltenen Werte bewusst zu machen und auf diese Weise ihrer Negierung entgegenzuwirken.

Karol Wojtyła stand in diesen frühen Kriegsjahren nicht nur unter dem Einfluss von Kotłarczyk und dem Rhapsodischen Theater. Auf ganz andere Weise war für ihn der Kontakt mit dem Mystiker Jan Tyranowski prägend. Er, der als Schneider sein Brot verdiente, wurde für einen kleinen Kreis geistig aufgeschlossener junger Menschen zu deren geistlichen Führer. Er gab ihnen neben Texten der Bibel Auszüge aus den Werken von Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila und Thomas von Aquin zu lesen, die anschließend in dem Kreis besprochen wurden. Auf diede Zeit zurückblickend bekennt Karol Wojtyła in späteren Jahren: „Durch den Kontakt mit Tyranowski wurde ich in eine neue Welt eingeführt, von deren Existenz ich selbst zuvor nichts gewusst habe.“[1] Besonders tief beeindruckt hatte ihn Johannes vom Kreuz, der in finsterer Verlassenheit das Licht innerer Erleuchtung erfahren und in seiner Dichtung „Die dunkle Nacht“ zum Ausdruck gebracht hatte. Nicht zuletzt war es wohl dieser Kontakt zu Jan Tyranowski, der Karol Wojtyła zu dem Entschluss bewogen hat, nicht, wie von ihm ursprünglich geplant, Schauspieler, sondern Priester zu werden.

Im Oktober 1942 begann Karol Wojtyła sein Theologiestudium, und das verlangte als erstes eine intensive Beschäftigung mit den Schriften von Thomas von Aquin, speziell mit seiner philosophischen Gotteslehre. Ausgehend von der Prämisse, dass jedes Wesen nach seinem letzten Ziel strebt und daher die menschliche Vernunft nach der Erkenntnis Gottes verlangt, fragt der Aquinate, wie überhaupt eine rationale Gotteserkenntnis möglich ist, wo doch Gott als solcher unerkennbar bleibt. Als Antwort entwickelt er die Lehre von der Seinsanalogie, nach der die Welt als Schöpfung Gottes nicht nur von ihrem Schöpfer abhängig ist, sondern Spuren Gottes aufweist, die es ermöglichen, eine analoge Beziehung zu Gott herzustellen. In der rationalen Gotteserkenntnis geht es daher immer um eine Bestimmung des Verhältnisses des Geschöpflichen zum Schöpfer, die auf Ähnlichkeiten basiert, die Andersartigkeit Gottes wahrt und sowohl eine Nähe zu Gott wie die unüberwindbare Distanz zu ihm beinhaltet.

„Das Lied vom verborgenen Gott“ ist durch diese lebensgeschichtlichen Impulse des Autors bestimmt. Ohne die literarische Bildung, die Karol Wojtyła als Gymnasiast erfahren und durch seine Mitwirkung am Rhapsodischen Theater weiter entwickelt hat, wäre diese Dichtung nicht entstanden. Und auch nicht ohne den Kontakt zu Jan Tyranowski und die durch ihn vermittelte Kenntnis des großen Mystikers Johannes vom Kreuz, der seine Gotteserfahrung nicht in dogmatische Sätze gefasst, sondern in Form der Dichtung zum Ausdruck gebracht hat. Formal wie durch die Verwendung bestimmter Metaphern gibt es eine deutliche Affinität des „Liedes vom verborgenen Gott“ zu dem Poem „Die dunkle Nacht“. Was schließlich den Einfluss der thomistischen Lehre von der Seinsanalogie betrifft, so findet diese durchgängig als Methode in diesem „Lied“ Anwendung.


Einführung in die Welt der Mystik

Durch die Meditation der Texte, vor allem der des Johannes vom Kreuz, erschloss sich für Karol Wojtyła die Welt der Mystik. Das Wort leitet sich her vom griechischen Wortstamm „myein“, was so viel besagt wie verborgen, verlassen, geschlossene Augen. Unter Mystik versteht man eine Form des Bewusstsein oder der Erfahrung der Begegnung mit der letzten Wirklichkeit, der Gegenwart Gottes. Dabei handelt es sich um eine spezielle Erfahrung, um eine besondere Art des Kontaktes zwischen dem Menschen und Gott, die sich der Verbalisierung entzieht. Diese Art der Beziehung ist innerhalb unseres Wirklichkeitsverständnisses nicht „sagbar“ und findet in der Kunst, somit auch in der Poesie, ihren Ausdruck. (Wittgenstein)

Zu klären ist auch die Frage, ob und in wieweit der Autor dieses „Liedes“ mit dem lyrischen Ich identisch ist. Sie bedarf einer vorsichtigen, zurückhaltenden Antwort. Von einer durchgängigen Identität kann wohl kaum die Rede sein. Andererseits ist es jedoch schwer denkbar, dass eine solche Dichtung ohne persönliche Erfahrung entstehen konnte. Auf sie verweist im Übrigen gleich zu Anfang des „Liedes“ die zweite Strophe: „Ein Freund ist er. Deine Erinnerung kehrt zurück/zu jenem Morgen im Winter/Seit so vielen Jahren glaubtest du, wusstest du sicher, und dennoch staunst du“ .(I.2,1)


Staunende Wahr-nehmung

Die zitierten Verse verweisen nicht nur auf eine vage Lokalisierung persönlicher Erfahrung, sie markieren auch einen Übergang vom rationalen Glauben an die Offenbarung Gottes zu seiner staunenden Wahr-nehmung im Sinne einer über die rationale Glaubensannahme hinausreichende ehrfürchtige Haltung vor der Erhabenheit des Seins. Damit eröffnet sich für das lyrische Ich im Staunen die Möglichkeit einer neuen Gottesbeziehung. Das Staunen ist Grundvoraussetzung einer Gottes e r f a h r u n g. Für Karol Wojtyła ist es bis weit in seine Zeit als Papst von zentraler Bedeutung. Es begegnet auch sonst in seinen literarischen wie philosophischen Werken. So etwa im Römischen Tryptychon, seiner letzten, im hohen Alter verfassten Dichtung. Einleitend heißt es dort: „- der Mensch aber: Er staunt!/Die Schwelle, die die Welt in ihm überschreitet,/ist die Schwelle des Staunens. Aufgrund des Staunens wird der Mensch zum „Ort der Begegnung mit dem urewigen Wort.“

Sechsmal ist in den Strophen des ersten Teils dieses „Liedes“ vom Staunen die Rede, als Eröffnung eines neuen Zugangs der Begegnung mit Gott (I.2,1); als ein sich letztlich in der Ewigkeit erfüllendes Staunen (I.2,3); als Frucht liebender Erfahrung Gottes (I.6,3); als kindliche Haltung, der selbst der Tod nichts anhaben kann (I.10,3); als eine über die antike Philosophie hinausgehende Erkenntnisform (I.13,2); als Lebenssehnsucht endzeitlicher Erfüllung (I.16,1).


Im „Lied vom verborgenen Gott“ finden sich zahlreiche Metaphern, die in immer neuen Konstellationen begegnen; z. B. Sonne, Licht, Dunkel, Meer, Strahlen, Stille, Ufer, Tiefe, Nichts. Sie dienen als Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach Gott sowie der liebenden Zuneigung Gottes. Die Mitgerissenheit der Seele im „Strom“ der Liebe und die Zuneigung Gottes „voller Frische und Glut“ treffen sich in sehnsüchtiger Erwartung. (I.1,3;6,3)

Als Beispiel mag die Metapher „Meer“ dienen, das mit seiner unermesslichen Weite und Tiefe zum Symbol der Vereinigung mit Gott am Grund der Seele wird: „es schien dir, als wohne das Meer in dir/solche Stille ergoss sich, Stille rundum, solche Frische.“(I.3,1) „Eintauchen“ in dieses innere Meer, in sich stufenlos hinabsteigen, „nur die Seele, die Seele des Menschen in ein kleines Tröpfen getaucht,/die Seele mitgerissen vom Strom.“ (I.3,2)

Ganz im Geiste des Johannes vom Kreuz und seiner Dichtung „Die dunkle Nacht“ spricht das „Lied“ von der „Kraft des Lichtes“, das in die Seele hereinbricht, um ihre Finsternisse, ihre Schatten, aufzudecken. Vor diesem inneren Licht gibt es kein Verbergen. Und indem sich das Dunkel der Seele aufhellt, erfasst „Helligkeit von allen Seiten“ die Seele. Dann ist der Augenblick gekommen, in sich zu blicken und den „Freund“ zu treffen. (I.4,3) Es gehört zu den mystischen Erfahrungen, dass das Licht in der Finsternis leuchtet. (Jo 1,5) Gleiches bringt Karol Wojtyła mit den Worten „in der Dämmerung ist so viel Licht“ zum Ausdruck. Und dies bedingt durch den „Abstieg Gottes/zu den Ufern der Seele.“ (I.8,3) Im „Lied“ wird staunende Wahr-nehmung der Schöpfung zum Gleichnis einer transzendenten Wirklichkeit.

Alle diese die Gotteserfahrung umschreibenden Metaphern zielen letztlich auf die Vereinigung mit Gott in der Liebe. Wo der „Freund“ im Innersten der Seele erfahren wird, da „merkst du nichts,/und spürst nicht, von welcher Liebe du umfangen bist.“ (I.4,3) In der Liebe klärt sich alles. Deshalb gilt ihr der Lobpreis, „wo immer sie zu finden ist.“ (I.5,1)

Die Liebe ist der Ursprung der Schöpfung aus dem Nichts. Aus Liebe hat Gott die Welt in ihrer Vielfalt geschaffen. Daher die mystische Sehnsucht nach dem Nichts, das der Schöpfung voraus ist. „Langsam fülle ich alles mit dem Nichts,/das auf den Tag der Schöpfung wartet.“ (I.9,1). Und zwei Strophen weiter heißt es: „Nicht gesättigt von einem Tag der Schöpfung/begehre ich immer mehr das Nichts,/um das Herz geneigt zu machen für den Hauch/ Deiner Liebe.“ (I.9,3)

Die Liebe ist das, was bleibt. Wo der Glaube am Ende der Tage in Schau übergeht und die Hoffnung ihre letzte Erfüllung findet, da bleibt die ewige Liebe. Die Gotteserfahrung ist bestimmt von der Sehnsucht „nach jenem Tag,/der alles umfängt mit der unermesslichen Einfachheit./mit liebendem Hauch.“(I.16,2)

Der verborgene Gott

Gott ist nur in seiner Verborgenheit erfahrbar. „Wo ich mich verbarg, dort bin ich da.“ (I.12,2) Bereits das Volk Israel erfuhr Gottes Nähe in seiner Verborgenheit. Was Moses vor dem brennenden Dornbusch erlebte (Ex 3,4-6), das kann als Urbild jeglicher Gotteserfahrung verstanden werden: Die Schöpfungswirklichkeit von Dornbusch und Feuer, der sich Moses staunend nähert unter Wahrung einer unüberwindbaren Distanz, wird zum Ort, wo sich Gott mit seinem Namen als der Ferne-Nahe offenbart. Nähe und Ferne bedingen einander.

Diese Dialektik von Ferne und Nähe bestimmt die Gotteserfahrung. Der Mystiker weiß nicht, ob sie sich „dort, in der Ferne,/oder hier hinter geschlossenen Augen“ abspielt. (I.2,2f) Das „aus der Tiefe unergründlichen Tages“ erflehte Licht soll „nicht zu nah am Himmel/und nicht zu weit“ brennen. Bei aller Hinneigung Gottes und Zuneigung des Herzens bleibt diese unüberbrückbare Distanz. (I.7,2f). Es ist die Ferne der Verborgenheit Gottes, durch die er uns nahekommt. /I,12,2), zumal im Mysterium des Brotes (I.12,3; I.13,2)

Mit einem fünffachen Lobpreis thematisiert die 11. Strophe eine dreifache verborgene Nähe Gottes – in der Inkarnation (I.11,1), im Kreuz (I.11,,2) und in der Eucharistie (I.11,3).Während das weihnachtliche Geheimnis mit dem „duftenden Stroh“ und dem „barfüßigen Kind“ nur angedeutet wird, erscheint das Kreuz als „strenger Baum“, der Jesu Schultern „unter blutigem Geäst“ verbirgt deutlicher, wobei das Thema im Dialog zwischen Vater und Sohn erneut aufgegriffen wird (I.14, 4f).

Eindrucksvoll begegnet in diesem Poem die Nähe Christi in der Brotgestalt. Den Ausgangspunkt bildet eine mystagogische Deutung des Berichts von den Jüngern, die ihren Hunger an den Ähren stillen (Mt 12,1-8; Mk 2, 23-28; Lk 6, 1-5). Während sie die Ähren „schälen“ – ein Hinweis auf die Enthüllung des in ihnen verborgenen eucharistischen Geheimnisses -, entschwindet Jesus „im Schatten der Ähren“ und taucht „noch tiefer in das Feld.“ (I.12,1f) – ein Bild für die Verborgenheit Christi in der Brotgestalt. Einen Hunger zu haben, der durch keine innerweltlichen Gaben gestillt werden kann, Christus im eucharistischen Mysterium zu erkennen, ihm „in dieser Fülle“ zu begegnen und sich mit ihm zu vereinen, das ist die Botschaft der Ähren.


„Dein Blick auf die Seele gerichtet“, mit diesen Worten beginnt Teil II dieser Dichtung. Worauf Gottes Blick gerichtet ist, aber auch das, was das lyrische Ich in den Blick nimmt, was sich ihm erschließt (II.9,6), ist Thema des „Liedes von der unerschöpflichen Sonne“.

Die Sonne ist der Urquell des Lichtes. Mit ihrem Aufgang und Niedergang bestimmt sie die Abfolge von Tag und Nacht sowie die Jahreszeiten je nach ihrer Nähe und Ferne zur Erde. Sie bringt die Natur zum Blühen und gibt den Rhythmus vor für all das, was sich in seinem Dasein regt und bewegt. Und wie das menschliche Auge durch ihren Glanz geblendet wird, so vermögen wir auch Gott nicht von Angesicht zu Angesicht zu schauen. All dies macht die Sonne zu einem Sinnbild Gottes, seiner Schöpferkraft und Güte, seiner Macht und Herrlichkeit sowie zum Gleichnis der Erfahrung des verborgenen Gottes in einem reichen geistigen Leben. Der Ort dieser Erfahrung ist das Innerste des Menschen, seine Seele. Doch was wird, wenn der Abend naht, auf den kein Morgen mehr folgt? (II.1,1)

Die Seele ist nicht wie die Natur der Vergänglichkeit unterworfen. Sie teilt mit der Sonne deren Untergang und vereint sich mit ihr. (II.3,1f) Abend, Dunkel, Nacht werden zu Orten mystischer Erfahrung.

Die Sehnsucht nach dem verborgenen Gott

Trotz der Unsterblichkeit seiner Seele bleibt dem Menschen die Erfahrung der Vergänglichkeit nicht erspart. Angstvoll führt er immer wieder den Trank aus „Traurigkeit und Abend“ an seine Lippen. (II.4,1) Doch der verborgene Gott überlässt sein Geschöpf nicht dem „Grauen des Abends“. Er lässt den Menschen nicht allein, sondern ermöglicht ihm bereits im Jetzt mit dem „Geschmack des Brotes“, der Eucharistie, die Teilhabe an der Ewigkeit (II.4,2) Tief in seinem Inneren spürt er die Sehnsucht nach dem „Verborgenen“. (II.5,2) Auch zu späterer Zeit spricht Karol Wojtyła von diesem dem Menschen eigenen „Drang nach Gott“ als einer conditio humana; so zwei Jahre vor seiner Papstwahl in der vor dem Kardinalskollegium gehaltenen Fastenmeditation „Zeichen des Widerspruchs“. Es ist der jedem Menschen eigene Drang, „der von dem verborgenen Gott, dem Deus absconditus, bewirkt wird.“

Damit sich die menschliche Sehnsucht erfüllt und der Blick unserer Augen nicht ins Leere geht, hat Gott sich in Christus erniedrigt und sich in seiner Erniedrigung „im Kreuz“ und „im reifem Korn“ verborgen. (II.6)

Inkarnation, Passion, Eucharistie

Bereits im ersten Teil seiner Dichtung hat Karol Wojtyła diese Verborgenheit des nah-fernen Gottes verdeutlicht. Dieses Grundmotiv greift er im II. Teil erneut auf. Aus Liebe hat sich Gott inkarniert. Und indem sich Gott im Zeichen von Einfachheit und Armut mit dem Menschsein umkleidet, geschieht das Wunder, dass er uns mit seiner Liebe umhüllt. (II.7,3f) Doch um auf diese Weise seine Nähe zu erfahren, müssen wir seine Einfachheit teilen (II.7,1: vgl. auch Mt 11, 25)

Die äußerste Erniedrigung Gottes, seine nicht mehr überbietbare Verborgenheit, sind die in Einsamkeit am Kreuz erlittenen Qualen (II.10,3); mehr noch die Erfahrung, vom Vater verlassen worden zu sein, sowie die Mutter, die ihn gebar, weinend unter dem Kreuz zu sehen. (II.10,4) Hier verbietet sich jedwede vorschnelle Erklärung, denn dieses Geheimnis ist unergründbar. (II.10,2) Geboten ist, dies Geheimnis in Stille auszuhalten, bis auch die eigenen Lippen zu sprechen vermögen: „Vater unser“. (II.10,4)

Die Betrachtung der Passion Jesu steht in einem engen Zusammenhang mit „der weißen Glut des Brotes“ (II.9,7), dem Anbetungskult der Hostie in der Monstranz. Von ihr weiß sich der Beter lange angeschaut und gefragt, ob er sich bewusst ist, „wie sehr unser Vater uns liebt“ (II.101) Nicht nur durch die communio ihres Empfangs, sondern auch dort, wo die Hostie den Blick fesselt, geschieht das „Wunder der Wandlung“. (II.13,4)

Meditation im Anblick der Hostie

Es ist der auf die „sanfte Hostie“ gerichtete „kindliche Blick“, der auf den „himmlischen Vater“ trifft. Von dem sich der Beter selbst „mit grenzenloser Liebe“ angeschaut weiß. (II.8,1) In diesem Blick erfüllt sich „die Sehnsucht unserer Liebe“ (II.8,3) Es ist ein „Schöpferischer Blick“, der im Verborgenen Neues entstehen lässt. (II.8,4)

Doch es ist nicht leicht, zu solcher Tiefe zu gelangen, sich innerlich so weit zu entleeren, das Nichts „vor der Schöpfung“ zu verspüren, um von göttlicher Gnade erfüllt zu werden. (II.9,1f) Jeder, der Gottes Geheimnisse meditiert, weiß um diese Schwierigkeit, um die ständige Ablenkung, um das Herumschweifen der Gedanken. (II.9,3,5) Aber er weiß auch um das angestrengte Sich-sammeln, um erneut, „geliebt von der weißen Glut des Brotes“, bei den göttlichen Gedanken zu verweilen. (II.9,6f)

Die durch den einen „weißen Punkt“ angeregte Meditation lässt vor dem geistigen Auge Szenen aus dem Leben Jesu entstehen – den „See von Genesareth“ und den „Abend mit Nikodemus“ (II.12,1-4) Ein reichlicher, sich der Betrachtung anbietender Stoff: die Berufung der ersten Jünger (Mk 1,16; Mt 1,18,22); die Stillung des Sturms (Mk 4,335-41; Mt 8,18-23; Lk 8,22-25); Jesu Gang auf dem Wasser (Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Jo 6,6-21); der reiche Fischfang (Lk 5.1-11); die österliche Erscheinung. (Jo 21,1-25) In diesem Lied besonders herausgehoben ist die Begebenheit, in der Jesus unter dem Andrang der Menge ein Boot besteigt und sie vom See aus in Gleichnissen unterweist. (Mk 4,1-9; Mt 13,1-9) Und die Menge wird selbst zum Gleichnis für jenen Tag, an dem sich Gottes Liebe darin erfüllt, dass die Herzen der Menschen eins werden in dem „einen Herzen“. (II.12,1f)

Im Unterschied zur Menge handelt der „Abend mit Nikodemus“ (Jo 3,1-13) von einem Zwiegespräch um die Notwendigkeit einer Neugeburt, das sich für eine mystagogische Betrachtung besonders eignet. (II. 12,3)

Gebet aus mystischer Erfahrung

Was hat einer zu sagen, der den fern–nahen, verborgenen Gott in der Tiefe seiner Seele erfahren hat? Die Antwort findet sich in dem sich über fünf Strophen erstreckenden Gebet, das mit einer „Ufer zerreißenden“ Gottessehnsucht endet. (II.16,3)

Voran steht die Bitte, dass diese Erfahrung in einer Verortung weit ab von allem Störenden Bestand hat. Dort, der Zerstreuung enthoben, gefesselt durch die in die Tiefe gerichteten Blicke, vollzieht sich im lyrischen Ich das Wunder der Wandlung im wechselseitigen Tausch: „Du wirst ich -/- ich eucharistisch“. (II.13,1-4)

Doch wer eine solche mystische Wandlung erlebt, der weiß auch, dass er ihrer in seinem „fehlbaren Denken“, seiner „Schwäche“, seiner „Hilflosigkeit“ nicht würdig ist. Keine Dankbarkeit, nicht einmal die Selbsthingabe, würde als Gegengabe reichen. Hilflos steht der Beter dem gegenüber, wo Gottes Unendlichkeit auf die Fehlbarkeit seines Denkens trifft. (II.14,1)

Wie also danken und womit? Umrahmt von den sich wiederholenden Versen mit dem Dank an das Meer für das Bewusstmachen der „täglichen Verirrungen“ sowie an die Sonne für die Erfahrung, „dass der Morgen vom Abend nicht lange getrennt ist“ (II.15,1), gesteht der Beter seine Unfähigkeit, das Erleben der „Nähe Gottes“ und seiner „Vertrautheit“ zu entgelten. (II.15,2f) Er weiß um den Mangel seiner Liebe, weil sie zu stark an das rationale Denken gebunden ist und er sich daher in seiner Rationalität unfähig fühlt, die „Feuersglut“ der Liebe zu empfangen. (II-16,1) Was dem Beter in dieser Situation Zuversicht verleiht, ist das „Staunen“, das „dem Herzen entspringt“. Mit diesem Staunen, das bereits am Anfang dieses Poems steht, beendet das lyrische Ich sein Gebet. Der Beter weiß, dass nicht aus dem Denken, sondern aus dem Staunen „die Glut kommt“. Und er bittet darum, dass Gott dieses sein Staunen, seine „Bewunderung“, annimmt und sie nicht zurückweist.“ (II.16,2) Sie ist für ihn wie ein die Ufer zerreißender Strom der „Sehnsucht“. (II.16,3)
















[1] A. Frossarol, Nie lękajcie się (Habt keine Angst) Vaticanum 1982, S. 21.

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