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P. Tadeusz Rydzyk - Bedeutung, Rhetorik, Strategie

  • Theo Mechtenberg
  • 17. Feb. 2021
  • 8 Min. Lesezeit

Würde man danach fragen, wer im Verlauf der postkommunistischen Jahrzehnte in der polnischen Kirche die größten Leistungen aufzuweisen hat, dann fiele die Wahl ohne Frage auf den Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk. Schon aus rein weltlicher Sicht erscheint er als ein bedeutsamer Investor und Unternehmer. Nach Radio Maryja, seiner ersten Gründung, mit der die katholische Stimme jedes Haus erreichen sollte, folgten der Fernsehsender Trwam, eine Kirchenzeitung sowie ein Zentrum zur Ausbildung von Journalisten. Und mit der großräumigen Kirche zur seligen Jungfrau Maria, Stern der Neuevangelisation und des heiligen Johannes Paul II., hat sich P. Rydzyk an seinem Toruner Stammsitz ein ganz besonderes Denkmal errichtet. In dieser Kirche fand denn auch am 5. Dezember 2020 im Gedenken an die Gründung von Radio Maryja vor 29 Jahren eine Eucharistiefeier statt, an der etliche Bischöfe und Politiker aus den Reihen der regierenden Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) teilnahmen.

Auch der religiöse und politische Einfluss von P. Rydzyk ist beträchtlich. Kein Geringerer als Staatspräsident Andrzej Duda brachte dies in seinem Brief aus Anlass der Gedenkfeier zum Ausdruck, indem er dessen Wirken und Werk mit dem „Wunder an der Weichsel“ verglich, wo am 15. August 1920, am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, der Vorstoß der bolschewistischen Truppen gestoppt und, nach polnischer Lesart, ganz Westeuropa vor der roten Flut gerettet wurde. Duda betonte, dass „vor fast drei Jahrzehnten ein Unternehmen von gewaltigem Einfluss auf den Lauf der Dinge in Polen gegründet wurde, ein Einfluss auf die polnische soziale, kulturelle und geistige Wirklichkeit.“ Die Ausstrahlungen des Senders verweisen „auf Werte, die das Fundament westlicher Zivilisation bilden und dazu über 1000 Jahren den Kern polnischer Identität. Dabei ist es von größter Wichtigkeit, dass es im Wirrwarr der modernen Welt nicht an Lügen, Manipulation und falschen Verheißungen mangelt. Die Wahrheit und das freie Wort stehen dem als Botschaft entgegen. In dieser Überzeugung erfüllt Radio Maryja seinen sozialen Dienst.“ Und weiter: „Radio Maryja erweckte in Millionen von Polen das Bewusstsein, Subjekt zu sein, Souverän und Herr im eigenen Land. Dank Radio Maryja gewann die Stimme des gläubigen Volkes, der Treue zu den traditionellen Werten, eine so große Bedeutung in der öffentlichen Debatte. […] Dies betrifft jene, die nicht zu Wort kamen, denn sie fühlten sich übergangen und marginalisiert. Häufig erlebten sie die Bitternis der Einsamkeit und Verlassenheit, denn sie sahen keine Chance auf positive Veränderungen. Es ist das große Verdienst von Radio Maryja, sie an die Hand zu nehmen, ihre Würde zu wahren, ihnen mit Respekt und Empathie zu begegnen.“


Elemente eines volkskirchlichen Katholizismus

Eine Analyse der von P- Rydzyk benutzten Sprachmuster zeigt eine Verknüpfung unterschiedlicher Elemente. Geschickt werden Aussagen, die in keiner Weise mit der Lehre der Kirche übereinstimmen, mit biblischen Zitaten und einzelnen, aus päpstlichen Verlautbarungen herausgegriffenen Sätzen vermischt. Auf diese Weise werden die Hörer getäuscht, so dass sie glauben, es mit einer wahrhaft katholischen, allgemein geltenden Botschaft zu tun zu haben.

Kennzeichnend für das Medienimperium von P. Rydzyk ist zudem die Betonung des volkskirchlichen Charakters des polnischen Katholizismus. Hier orientiert sich P. Rydzyk an Kardinal Stefan Wyszyński, den bedeutenden Primas Polens im Kampf gegen die kommunistische Ideologie und Herrschaft. Dabei bediente sich der Primas mit Erfolg volkskirchlicher Formen. Mit einer neunjährigen Novene bereitete er die Gläubigen auf die Feier des Millenniums im Jahr 1966 vor. Eine Kopie des Gnadenbildes der Schwarzen Madonna zog von Pfarrei zu Pfarrei und wurde wie die Königin Polens empfangen. Und das Volk gelobte der Kirche und dem Vaterland die Treue. Mit Bedacht achtete er darauf, dass in jenen Jahren keine reformfreudigen Ansätze des zeitgleich in Rom tagenden Konzils nach Polen drangen. Außer der Liturgiereform wurden denn auch wenige theologische und pastorale Anstöße des Zweiten Vatikanums in Polen verwirklicht. Wyszyński ging es darum, die Unvereinbarkeit des Kommunismus mit der Tradition und Identität der polnischen Nation unter Beweis zu stellen und ihn damit als eine drohende Gefahr zu erweisen.

Auch P. Rydzyk pflegt die volkskirchlichen Formen, vom täglichen Rosenkranzgebet bis zu eigens organisierten Wallfahrten. Und er beschwört immer wieder die der Kirche und der Nation drohenden Gefahren. Es ist nicht mehr der auch dank der Kirche 1989 überwundene Kommunismus, es sind die westlichen Einflüsse, Liberalismus, Gender und LGBT, ein „Neomarxismus“, wie man glaubt.

Abgesehen davon, dass sich die von Kardinal Wyszyński benutzten Sprachmuster schwerlich auf die heute gänzlich andere Situation sinnvoll übertragen lassen, gibt es einen bedeutsamen Unterschied. Wyszyński kämpfte gegen ein von Kommunisten regiertes System, P. Rydzyk dagegen weiß sich im Einklang mit Kaczyński samt seiner Partei und Regierung. Und das zum gegenseitigen Nutzen. Die Masse an Polen, die durch sein Medienimperium beeinflusst wird, bildet für PiS ein sicheres Elektorat. Wer Radio Maryja hört, der wählt PiS. Und die Kaczyński-Regierung zeigt sich erkenntlich. Selbst in Coronazeiten wird P. Rydzyk mit Millionenbeträgen unterstützt.

Würde sich P. Rydzyk mit seinem Team auf die Pflege volkskirchlicher Traditionen beschränken, dann wäre jegliche Kritik unberechtigt. Denn die religiös geprägte polnische Dorfkultur stellt, wo sie heute noch funktioniert, einen Wert dar, den es zu schätzen gilt. Wer in sie hineingeboren wird, der ist in der Dorfgemeinschaft gut integriert. Vom Brauchtum, vielerlei Ritualen und Festen begleitet verläuft sein Lebensweg von der Geburt bis zum Tod im Rhythmus des Kirchenjahrs, und das gibt dem Leben Sinn.

Doch damit begnügt sich P. Ryszyk nicht. Er instrumentalisiert die volkskirchlichen Traditionen zu politischen Zwecken und erweist sich damit, wie dies ein Leserbriefschreiber des „Tygodnik Powszechny“ nannte, als deren „Kolonisator“. So greift er auf bestimmte in der volkskirchlichen Tradition enthaltene Elemente zurück, löst sie aus ihrem Kontext, verallgemeinert sie und verleiht ihnen damit eine neue Bedeutung und andere Zielrichtung. Dies gilt etwa für die in der bäuerlichen Gesellschaft tief verwurzelte Judenfeindschaft. Sie resultiert aus einer unreflektierten Bibellektüre, die zumal in der Passionsgeschichte mit dem Ruf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Mt 27, 26) in früheren dörflichen Passionsspielen seinen Ausdruck fand. Zudem bildet die Judenfeindschaft einen Bestandteil der dörflichen Literatur des 19. Jahrhunderts. In ihr begegnet der Jude vornehmlich als Verwalter polnischer Gutsherren, der in dieser Eigenschaft die Bauern unterdrückt oder ihnen als Schankwirt das Geld aus der Tasche zieht. P. Rydzyk und seine Redakteure aktualisieren diese traditionelle Judenfeindschaft und verschärfen sie zu einem Antisemitismus, der sich gegen jüdische Forderungen nach Rückerstattung ihres während des Holocaust okkupierten Eigentums richtet wie auch gegen Historiker, welche die Schuldverstrickung von Polen in die Judenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs belegen. Erst kürzlich wurde ein von Radio Maryja begrüßter Prozess gegen zwei polnisch-jüdische Historiker geführt, die in ihrem umfangreichen Werk „Dalej jest noc“ (Weiterhin ist Nacht) derartige Fälle dokumentieren. Sie hatten es lediglich versäumt, durch eine Fußnote eine Ungenauigkeit im Text zu klären, was auf die Gesamtaussage des Werks ohne Einfluss war. Doch durch den Prozess und die Verurteilung der beiden Autoren konnte man ihre Wissenschaftlichkeit diskreditieren und von den Verbrechen der an Juden schuldig gewordenen Polen ablenken.

Eine ähnliche Instrumentalisierung betrifft die Distanz der Dorfkultur allem Fremden gegenüber und die ihr eigene tiefe Heimatverbundenheit. So wird die traditionelle Fremdenskepsis zu einer ausgeprägten, vornehmlich gegen Flüchtlinge und Deutsche gerichtete Fremdenfeindlichkeit und die Heimatverbundenheit zu einem sich gegenüber der Europäischen Union deutlich abgrenzenden Nationalismus.


Kultivierung einer ständigen Gefährdung

Mit dem von P. Rydzyk propagierten Nationalismus verbindet sich die Behauptung einer permanenten Bedrohung von Kirche und Nation. Finstere Mächte seien am Werk, um Kirche und Nation zu vernichten. Auch hier zeigt sich die Übereinstimmung mit der Rhetorik von Kaczyński und seiner Partei und Regierung. Ihr zufolge sind diese „finstreren Mächte“ vor allem die unabhängigen Medien, die Kaczyński mit seinem jüngsten Plan unter Hinweis auf die durch die Pandemie bedingten hohen Staatsausgaben durch eine auf Reklameeinkünfte zu erhebende „Solidaritätssteuer“ entscheidend schwächen und am liebsten vom Markt verbannen möchte.

Die unabhängigen Medien haben in der Vergangenheit immer wieder politische und kirchliche Skandale aufgedeckt. Ihre Journalisten und Filmemacher brachten auf diese Weise das ganze Ausmaß von Priestern verübte sexuelle Verbrechen an Minderjährige ans Licht samt ihrer Vertuschung durch etliche Bischöfe. Doch P. Rydzyk sieht in der Beschuldigung solcher Bischöfe nichts weiter als einen kirchenfeindlichen Akt. Für ihn sind sie geradezu „Märtyrer“. Und mit ihnen stellt er sich in eine Reihe. Denn angefeindet wird ja auch er. An den bei der Gedenkfeier am 5. Dezember des Vorjahres anwesenden Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro gewandt, sagte er: „Schauen Sie, was sie alles über mich schreiben und reden. Herr Justizminister, wäre ich schuldig, dann müssten Sie mich einsperren, dann würde ich bereits sitzen – nach all dem, was sie von sich geben. Achten wir daher auf das, was sie sagen. Und geben wir ihnen nicht nach. Geben wir ihnen nicht nach. Auch nicht in der Kirche.“

Sebastian Duda, der sich seit Jahren mit Sprache und Strategie des Toruner Redemptoristen befasst, kommentiert: „Lautet dies nicht wie die Aufforderung, für die ‚heiligen Festungsverteidiger‘ unter der Führung eines charismatischen, von ‚finsteren Mächten’ als schuldig verurteilten Priesters einzustehen? Lange Zeit übte P. Rydzyk unbegrenzt seine Position entsprechend einer solchen Autopräsentation aus. Bis zu dieser Stunde war für ihn die Abwehr jeder Art von ‚Attacke auf die Kirche‘ von Nutzen. Konnte dies anders sein nach den Filmen der Brüder Sekielski oder während der Zeit der Straßendemonstrationen gegen das Urteil des Verfassungsgerichts zur Abtreibung, als sich in aller Deutlichkeit das Ausmaß an Entchristlichung jener jungen Polinnen und Polen zeigte? P. Rydzyk wusste sehr wohl, dass alles beim Alten blieb, und daher wandte er sich mit dem für ihn typischen Appell an seine Anhängerschaft: ‚Katholiken, gebe wir nicht nach, wenn sie damit beginnen, gegen irgendwelche Priester die Trommel zu rühren, wenn sie irgend ein Filmchen fabrizieren – und alle zittern.‘“[1]

Sebastian Duda verdeutlicht mit seinem Kommentar ganz, komme, was kommen mag, auf die Verteidigung der Kirche ausgerichtete Strategie von P. Rydzyk. Und die erfordert einen entschlossenen Kampf gegen alle ihre inneren und äußeren „Feinde“, die Skandale aufdecken und bewusst machen. Es ist dies die Mentalität eines in sich geschlossenen Kirchenverständnisses im Gegensatz zu einem offenen Katholizismus, der sich der durch Skandale heraufbeschworenen Situation stellt und sich um eine Selbstreinigung der Kirche bemüht.


P. Rydzyk – doch nicht sakrosankt?

Nach dieser Devise hat P. Rydzyk jahrelang gehandelt. Er hat Bischöfe verteidigt, die schuldig waren wie der Posener Erzbischof Paetz, der Seminaristen zu sexuellen Handlungen genötigt hat und nach langwierigen Bemühungen sein Amt aufgeben musste. Oder sein Eintreten für Bischof Wielgus, der am 7. Januar 2007 feierlich in sein Amt als Warschauer Erzbischof eingeführt werden sollte, doch eine Stunde vor Beginn der Zeremonie wurde sie wegen seiner Verstrickung in die Machenschaften des Geheimdienstes abgesagt. Dessen ungeachtet tritt P. Rydzyk für alle in die Kritik geratenen Bischöfe ein: „Wir verteidigen euch vor jeglicher Beschuldigung und wenn nötig, werdet ihr für uns zu Märtyrern; und wir kümmern uns um jene Verfolger, die gegen euch vorgehen, und sagen ihnen den Kampf an.“

Entsprechend äußerte er sich denn auch während der besagten Gedenkfeier, auf der er öffentlich für den Kalischer Bischof Janiak eintrat, der von seinem Amt zurücktreten musste, weil er das sexuelle Verbrechen eines Priesters an einem Minderjährigen jahrelang vertuscht hatte. Im Einzelnen sagte er. „Bischof Janiak ist ein moderner Märtyrer. Dazu gemacht haben ihn die Medien. Halten wir stand, wir Katholiken! […] Und wenn ein Priester gesündigt hat, nun dann sündigte er eben. Wer hat denn keine Versuchung?“

Diese Äußerung hatte Aufsehen erregt, und diesmal nicht nur bei denen, die P. Rydzyk mit leichter Hand als Feinde der Kirche abzustempeln pflegt. Sowohl die Bischofskonferenz als auch der Warschauer Nuntius sahen in den Aussagen von P. Rydzyk keine Verteidigung der Kirche, sondern im Gegenteil einen Loyalitätsverstoß und eine weitere Verschärfung der durch die zahlreichen Missbrauchsfälle bedingten Krise der Kirche.

Selbst eine „Richtigstellung“ durch den Sprecher der Redemptoristen reichte nicht, um diese Sache aus der Welt zu schaffen. P. Rydzyk musste sich erstmals persönlich entschuldigen: „Die Sünde eines sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist ein Verbrechen, das entsprechend den Richtlinien der Kirche und dem Procedere des Zivilrechts geahndet werden muss. […] Ich liebe die Kirche und habe in keiner Weise die Absicht, das sie belastende Drama von Sünde und Verbrechen der Pädophilie zu leugnen. Dabei denke ich vor allem an die Opfer dieser Täter, denn es handelt sich schließlich um Kinder der Kirche. […] Ich bin mir bewusst, dass meine spontan geäußerten Worte anders verstanden wurden und viele Personen schmerzlich berührt haben. Ich entschuldige mich, dass es dazu kam. Das war nicht meine Absicht.“

Abgesehen davon, dass seine Aussage und die mit ihr verbundene Absicht keineswegs missverständlich sind, fällt die für P. Rydzyk gänzlich ungewohnte Sprache dieser „Entschuldigung“ auf, so dass die Vermutung nahe liegt, dass P. Rydzyk dieser Text vorformuliert und zur Unterschrift vorgelegt wurde.

Dieser präzedenzlose Vorfall zeigt jedenfalls, dass innerhalb der polnischen Kirche die Einsicht wächst, dass die von P. Rydzyk und seinem Medienimperium verbreitete Rhetorik und Strategie angesichts der krisenhaften Situation zunehmend kontraproduktiv wirkt. Sie vermögen es in keiner Weise, die gegenwärtigen Krisenphänomene zu bewältigen und tragen nur dazu bei, die in der Kirche besehende Spaltung weiter zu vertiefen.



[1] Sebastian Duda, Nosil wilk razy kilka (Frei übersetzt: Wer die Beute packt, der wird am Ende selbst zur Beute), Tygodnik Powszechny . 17. 01. 2021, S. 40.

 
 
 

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