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Papst Franiskus und Putins Vernichtungskrieg


Mit dem Tag, an dem Putins Truppen die Ukraine überfielen und seine Soldateska brutal gegen die Zivilbevölkerung vorging, sind die Augen der Welt auf Papst Franziskus gerichtet. Von ihm, der durch seine bisherigen Worte und Taten als Fürsprecher der Schwachen, Unterdrückten ujd Notleidenden galt, erwartete man, dass er ohne Wenn und Aber Putins Überfall auf die Ukraine verurteilen und seine Solidarität mit den unter den barbarischen Folgen des Krieges leidenden Ukrainern unter Beweis stellen würde. Diese Erwartung wurde indes enttäuscht. Mit Verwunderung und Empörung kommentierten daher selbst Katholiken, die ein positives Bild vom Papst hatten, seine Äußerungen zum Kriegsgeschehen.

Diese vom Papst an den Tag gelegte Zurückhaltung war man nicht gewohnt. Schließlich hatte sich Franziskus nicht gescheut, 2016 auf seiner Pilgerreíse nach Mexiko den das Präsidentenamt anstrebenden Donald Trump scharf zu attackieren: „Wer nur an die Errichtung von Mauern, nicht aber an einen Brückenbau denkt, der ist kein Christ.“

Fragwürdige Äußerungen

Zum Krieg in der Ukraine hat sich Papst Franziskus mehrfach geäußert, u. a. in der argentinischen Tageszeitung „La Nacion“ und im auflagenstärksten italienischen Blatt „Corriere della Sera“. Doch was dort von ihm zu lesen stand, wurde in der Öffentlichkeit als unangemessen empfunden und scharf kritisiert. So sprach er von einem „Gebell der NATO vor den Toren Russlands“. Damit suggerierte er, die NATO habe Putin zu dieser „Spezialoperation“, wie der russische Präsident seinen Krieg nennt, provoziert. Im Grunde gab der Papst damit Putin für seine Rede am 9. Mai die Vorlage. Denn der rechtfertigte seinen Krieg u. a. damit, dass er lediglich dem Westen zuvorgekommen sei, der einen Angriff auf Russland geplant habe.

Auf die Frage, ob man Waffen liefern solle, antwortete der Papst ausweichend: „Ich weiß nicht, bin zu weit weg.“ Nun, so weit ist Kiew von Rom nicht entfernt, sondern in wenigen Flugstunden erreichbar. Eine Einladung hatte er ja auch vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj erhalten, um sich vor Ort umzuschauen, sich in Butscha ein Bild von den russischen Kriegsverbrechen zu machen, die Opfer zu betrauern und die Masse an zerbombten Wohnblocks in Augenschein zu nehmen. So vor Ort hätte er nicht anders gekonnt, als den Ukrainern bei der Verteidigung ihrer Heimat Mut zuzusprechen und Putin aufzufordern, dem Morden ein Ende zu setzen.

Doch so eindeutig will sich der Papst nicht positionieren. Auf Twitter ließ er verlauten, „wir alle“ seien für diesen Krieg verantwortlich. Wirklich? Nicht allein der Aggressor, auch die sich wehrenden Ukrainer? „Wir alle“, das kommt der Verflüchtigung von Verantwortung gleich, so dass am Ende niemand mehr schuldig ist, nicht einmal Putin.

Anstoß erregte zudem, dass Franziskus als erstes die russischen Soldaten und nicht die ukrainische Zivilbevölkerung erwähnte, als er von den Opfern dieses Krieges sprach.

Es darf keine Kriege geben

Seine Enzyklika „Fratelli tuti“ vom 3. Oktober 2020 hat die „Geschwisterlichkeit aller Menschen“ und in diesem Kontext auch den Krieg zum Thema. In ihr verurteilt der Papst in aller Schärfe jeglichen Krieg: Man entscheide sich „leicht zum Krieg unter allen möglichen angeblich humanitären, defensiven oder präventiven Vorwänden“, und das unter der Vorgabe, dass derlei Gründe, „gerechtfertigt“ seien. (239) Im Übrigen mache es die Entwicklung moderner Waffentechnik „heute sehr schwierig, sich auf die in vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell `gerechten Krieg` zu sprechen.“ (242) Mehr noch: Aufgrund der „enormen und wachsenden Möglichkeiten der neuen Technologien (hat) der Krieg eine außer Kontrolle geratene Zerstörungskraft erreicht. […) Deshalb können wir den Krieg nicht mehr als Lösung betrachten.“ Der Passus endet mit dem Aufruf: „Stoppt den Krieg!“ (242)

Entsprechend dieser Enzyklika gibt es daher für Putins Zerstörungskrieg keine Rechtfertigung. Das sollte aber der Papst auch in aller Deutlichkeit zur Sprache bringen.

In „Fratelli tuti“ verweist Franziskus auch darauf, dass der Katechismus der Katholischen Kirche von der Möglichkeit einer legalen Verteidigung“ spricht. (239) Damit ist der heroische Widerstand, den die Ukrainer zur Verteidigung ihrer Heimat gegenüber dem Aggressor leisten, gerechtfertigt. Auch das sollte der Papst in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen.

Doch hier unterliegt Papst Franziskus wie alle Pazifisten einem Dilemma. Die bedingungslose Verurteilung jeglichen Krieges bringt sie in der Einschätzung gerechter Verteidigung in argumentative Schwierigkeiten, wenn es darum geht, den Verteidiger mit den erforderlichen Waffen auszurüsten, damit er in der Lage ist, den Angriff mit Erfolg abzuwehren. Davor schrecken Pazifisten zurück; sie beschwören, dies nicht ohne Grund, eine Eskalation, deren Risiko den Nutzen weit überwiege und die nur zu immer mehr Toten führe; sie rufen nach diplomatischen Lösungen, nach möglichen Kompromissen – Argumente, die letztlich allein dem Aggressor zu Gute kommen.

Die gemeinsame Havanna-Erklärung von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill

Wie lässt sich die dem Kriegsgeschehen in der Ukraine in keiner Weise gerecht werdende Haltung des Papstes verstehen?

Eine erste Antwort findet sich in der Analyse der 30 Punkte umfassenden Erklärung, die Papst Franziskus und der Moskauer Patriarch Kyrill bei ihrer ersten Begegnung am 12. Februar 2016 in der kubanischen Hauptstadt unterschrieben haben. Sie steht ganz unter dem Primat der Ökumene, zu der sich beide kirchlichen Oberhäupter „Fortschritte zur von Gott gewollten Einheit versprechen.“ (6) Dadurch soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass „Orthodoxe und Katholiken gemeinsam Antworten auf die Herausforderungen der Welt“ finden. (7)

Die Lektüre des gesamten Textes legt die Vermutung nahe, dass der Primat der Ökumene vor allem auf Wunsch des Vatikans formuliert wurde und die Zustimmung des Patriarchen durch Zugeständnisse zu einer Reihe anderer Punkte „erkauft“ wurde. Denn die zeigen eindeutig dessen Handschrift. So etwa, wo von einer „nie dagewesenen Erneuerung des christlichen Glaubens“ in Russland die Rede ist. Nachdem die „Ketten des Atheismus zerbrochen“ wurden, seien „Zehnausende von neuen Kirchen“ und „Hunderte von Klöstern und theologischen Schulen“ entstanden. (14) Damit wird der Eindruck erweckt, in Russland stehe das Christentum in voller Blüte, dabei besuchen gerade einmal 10% der orthodoxen Gläubigen die Gottesdienste. Im Kontrast zu diesem geschönten Bild scheint das Christentum in der westlichen Welt geradezu dem Untergang geweiht: Dort habe man es mit „säkularisierten Gesellschaften“ zu tun, „die jedem Bezug zu Gott und seiner Wahrheit fernstehen“, mit der „Ideologie eines oft sehr aggressiven Säkularismus“, durch den die „Christen an den Rand gedrängt“ würden. Sie würden diskriminiert, und sogar ihre Religionsfreiheit sei bedroht. (15) Das ist das Narrativ, das seit Jahren von Kyrill wie auch von Putin propagiert wird.

Gegen Ende der Erklärung kommt auch die Situation in der Ukraine zur Sprache. Wörtlich heißt es: „Wir bedauern die Auseinandersetzungen“, die „vielen Opfer“, die „unzähligen Verwundungen bei der Zivilbevölkerung“ sowie die dadurch bedingte „wirtschaftliche und humanitäre Krise.“ Die „Konfliktparteien“ werden zur „Besonnenheit“ aufgefordert sowie dazu, „den Frieden aufzubauen.“ Die Kirchen in der Ukraine werden ermahnt, „sich einer Beteiligung an der Auseinandersetzung zu enthalten.“ Der Aggressor bleibt ungenannt. Krieg scheint es gar nicht zu geben. Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt Putin die Krim bereits völkerrechtswidrig annektiert. Russische Truppen waren in die Ostukraine einmarschiert und hatten „Separatisten“ an die Macht gebracht. Das waren keine „Auseinandersetzungen“, da handelten keine „Konfliktparteien“, da war Putin am Werk und inszenierte ein blutiges Vorspiel zu dem, was mit dem 24. Februar 2022 seinen mörderischen Verlauf nahm. Aus all dem sollten sich die Kirchen tunlichst heraushalten. Ganz Im Sinn des Putin treuen Kyrill wird durch solche Formulierungen die Wahrheit verschleiert. Wie konnte der Papst mit seiner Unterschrift einer derartigen Verharmlosung beipflichten?

Vorrang der Diplomatie

„Ich kann nichts unternehmen, was ein Risiko zur Erreichung höherer Ziele sein würde, die Beendigung des Krieges, ein Waffenstillstand oder zumindest die Schaffung eines humanitären Korridors.“ Mit diesen Worten begründete der Papst seinen Entschluss, der vom ukrainischen Präsidenten ausgesprochenen Einladung nicht nachzukommen. Zuerst müsse er mit Putin sprechen. Doch der will ihn offensichtlich gar nicht empfangen, würdigt ihn nicht einmal einer Antwort. Dennoch werde man sich weiter um ein Gespräch mit Putin bemühen, wobei der Papst selbst seine Zweifel äußerte, ob es zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten kommen werde, „denn wir fürchten, dass Putin zum jetzigen Zeitpunkt an einem solchen Treffen nicht interessiert ist.“ Und der kann weiterhin sicher sein, dass der Papst nicht deutlich und direkt für die Ukraine Partei ergreift.

Es ist diese „positive Neutralität“, die der Vatikan traditionell in internationalen Konflikten als Voraussetzung für eine mögliche Friedensvermittlung wahrt, die neben der Havanna-Erklärung den Grund für die auffällige Zurückhaltung des Papstes gegenüber Putins Vernichtungskrieg bildet. In diesem Sinne wurde Franziskus aktiv. Am Tag des Kriegsausbruchs besuchte er in dem Bemühen, den Krieg zu stoppen, in Rom den russischen Botschafter.

Dass Papst Franziskus bald darauf zum Moskauer Patriarchen Kontakt aufnehmen würde, um zu versuchen, das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden, war erwartet worden. So war das Videotelefonat mit Kyrill keine Überraschung. Offenbar wollte der Papst den Patriarchen für eine gemeinsame Friedensinitiative gewinnen, obwohl die Havanna-Erklärung dazu wenig Hoffnung bot. So war es denn auch. Die Initiative des Papstes stieß beim Moskauer Patriarchen, der zu diesem Zeitpunkt Putins Aggression bereits seinen Segen erteilt hatte, auf taube Ohren. Drei Tage nach dem Überfall auf die Ukraine verlieh er in seiner Predigt der „militärischen Sonderaktion“ eine „metaphysische Bedeutung“ ganz im Sinn des Narrativs der Havanna-Erklärung, wonach der christliche Glaube mit seinen Werten in Russland blühe, während er im dekadenten Westen bedroht sei. Vor dieser Ansteckungsgefahr die ukrainischen Brüder zu bewahren, sei für Russland eine heilige Pflicht.

Ein Vergleich der von beiden kirchlichen Oberhäuptern herausgegebenen Kommuniqués zeigt im Übrigen einen deutlichen Dissens. Während die Moskauer Verlautbarung nicht vom Krieg, sondern lediglich von einer „kritischen Situation in der Ukraine“ spricht, heißt es in dem römischen Text: „Als Seelsorger haben wir die Pflicht, allen Menschen, die unter dem Krieg leiden, nahe zu sein und ihnen zu helfen.“ Inzwischen wurden Details des Gesprächs bekannt. So habe der Patriarch die Hälfte des vierzigminutigen Gesprächs darauf verwandt, Papst Franziskus die Berechtigung des Überfalls auf die Ukraine zu verdeutlichen, worauf Franziskus entgegnet habe: „Bruder, wir stehen nicht in Diensten eines Staates. Es steht uns nicht zu, die Sprache der Politik zu sprechen, sondern die Sprache Christi. Wir sind Hirten desselben Gottesvolkes. Daher müssen wir Wege des Friedens suchen. Der Patriarch darf sich nicht in einen Putindiener verwandeln."

Die in der Sache erfolglose Intervention des Papstes dürfte auf die vatikanische Position in diesem Konflikt Rückwirkungen haben. Zwar nennt Papst Franziskus auch nach dem fehl geschlagenen Videogespräch den Aggressor nicht beim Namen, aber seine Rhetorik hat sich verschärft. So heißt es in einer Stellungnahme vom 17. März: „Ströme von Blut und Tränen fließen in der Ukraine. Es handelt sich nicht um eine Militäroperation, sondern um einen Krieg, der Tod, Zerstörung und Elend mit sich bringt.“

Die „positive Neutralität“, die der Vatikan traditionell in internationalen Konflikten als Voraussetzung für eine mögliche Friedensvermittlung wahrt, steht allerdings angesichts des ergebnislosen Videogesprächs mit dem Moskauer Patriarchen und dessen unverblümter Unterstützung der russischen Invasion samt ihren verheerenden Folgen auf dem Prüfstand. Denn in diesem Konflikt gibt es keine moralisch zu rechtfertigende Neutralität.

Es ist eine Gratwanderung des Papstes zwischen seiner diplomatisch bedingten Zurückhaltung und seiner Solidarität mit den leidenden Menschen in der Ukraine, mit all den Millionen Menschen, die auf ihrer Flucht Haus und Hof hinter sich ließen und nicht wissen, ob sie jemals wieder in ihre Häuser zurückkehren können, mit den zahlreichen durch Bomben und Raketenbeschuss zu Tode gekommenen Frauen und Kindern, mit den grauenvoll von der russischen Soldateska Ermordeten, denen der Papst gedachte, indem er eine ukrainische Fahne aus Butscha, der Stadt russischer Kriegsverbrechen, küsste. Auch sonst nutzt der Papst das Mittagsgebet und die Generalaudienz, um das Ende des barbarischen Krieges zu fordern und seine Solidarität mit den ukrainischen Opfern zu betonen.

Ein aufschlussreiches Gespräch

Am 19. Mai 2022 trafen sich in der Privatbibliothek des Apostolischen Palastes die Chefredakteure der in der westlichen Welt verbreiteten Jesuitenzeitschriften mit Papst Franziskus. Dabei nutzte der Papst die Gelegenheit, seinen Standpunkt zum Krieg in der Ukraine zu konkretisieren. Die Aussage vom „Gebell der NATO vor den Toren Russlands“ habe er von einem Staatschef, dessen Namen er allerdings nicht nennt, Monate vor Ausbruch des Krieges gehört und übernommen. Und damit auch die auf den Westen gemünzte These, „man verstehe nicht, dass die Russen imperial sind und keiner fremden Macht erlauben, sich zu nähern.“ Der Krieg sei, so der besagte Staatschef, daher voraussehbar.

Der Papst ist der Auffassung, es handle es sich nicht um einen „metaphysischen“ Krieg, in dem sich Gut und Böse unversöhnlich gegenüberstehen. Damit wendet er sich nicht nur gegen die Deutung von Patriarch Kyrill, sondern auch gegen eine westliche Sicht, in der die Ukraine die Guten und die Russen die Bösen sind. Ein solches Verständnis des Kriegsgeschehens erfasse nicht die tieferen Ursachen. „Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Guten und Bösen zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind.“

Papst Franziskus sieht den Krieg in der Ukraine in einem globalen Zusammenhang, indem er auf das Kriegsgeschehen in anderen Teilen der Welt verweist, das „niemanden kümmert.“ Er wiederholt, was er bereits in „Fratelli tuti“ zum Ausdruck gebracht hat, dass wir gegenwärtig „den Dritten Weltkrieg in Stücken und Brocken erleben.“ Dabei gehe es um den Test moderner Waffen sowie um den lukrativen Waffenhandel: „Was wir vor Augen haben, ist eine Situation des Weltkriegs, der globalen Interessen, der Waffenkäufe und der geopolitischen Vereinnahmung, die ein heldenhaftes Volk zum Märtyrer macht.“

Es ist sehr gewagt, von einem Dritten Weltkrieg im Verlauf eines Jahrhunderts zu sprechen. Und was besagt diese These in Bezug auf den Krieg in der Ukraine? Die Staaten, welche die Ukraine mit Waffen unterstützen, sehen selbst die Gefahr einer Ausweitung des Krieges, tuen aber gleichzeitig alles, damit es dazu nicht kommt. Andererseits hat der Krieg bereits jetzt globale negative Auswirkungen, wie die befürchtete weltweite Hungerkatastrophe, der rasante Anstieg der Preise sowie die Energiekrise zeigen.

Der Papst verwahrt sich in dem Gespräch mit den Chefredakteuren der Jesuitenzeitschriften dagegen, er würde mit seinen Aussagen Putin begünstigen. Doch wenn er der Meinung ist, der Kremlchef sei durch die NATO provoziert worden, dann entlastet er den russischen Präsidenten und lenkt von den eigentlichen Gründen ab, die Putin bewogen haben, gegen die Ukraine diesen brutalen Krieg zu führen.

Die kritikwürdige Einschätzung des Krieges in der Ukraine wirft auch einen Schatten auf die Sympathien, die der Papst für das ukrainische Volk in dem Gespräch durchaus zeigt. „Es ist ein reiches Land, das immer wieder zerschnitten wurde, zerrissen durch den Willen derer, die es in Besitz nehmen wollten, um es auszubeuten. Es ist, als ob die Geschichte die Ukraine dazu prädisponiert hätte, ein heroisches Land zu sein. Dieses Heldentum zu sehen, berührt unsere Herzen.“ Und er sorgt sich um die Frauen, die ihre Männer im Kampf zurückgelassen haben und mit ihren Kindern geflohen sind.

Gescheiterte humanitäre Initiativen

Nicht nur die päpstlichen Bemühungen um eine diplomatische Vermittlung, auch Initiativen humanitärer Hilfe scheiterten. Zwar gelang die Evakuierung eines Kinderheims und die Rettung Dutzender Säuglinge aus dem Kampfgebiet. Doch das Hauptanliegen des Papstes war die Rettung der im Stahlwerk der seit Kriegsbeginn umlagerten und bekämpften Hafenstadt Mariupol ausharrenden Zivilisten. Ihre Situation verschlimmerte sich von Woche zu Woche. Nicht nur dass sie in den Kellern den unablässigen Bombenangriffen und dem Raketenhagel ausgesetzt waren, auch die Vorräte an Lebensmitteln, Medikamenten und Wasser gingen zu Ende. Ihre Hilferufe wurden immer lauter und dringlicher. Und sie fanden im Vatikan Gehör.

Insgesamt unternahm der Vatikan drei Rettungsversuche. Am 16. März, während des Videogesprächs mit Patriarch Kyrill, habe dieser zugesagt, sich für diese humanitäre Aktion einzusetzen. Starten sollte sie mit einem Konvoi am 27. März als gemeinsame Aktion beider Kirchen. Doch dazu kam es nicht. Die russische Armeeführung verweigerte die erforderliche Feuerpause sowie den Zugang zum Stahlwerk. Der Apostolische Nuntius in Kiew, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, äußerte sich dazu in der italienischen Tageszeitung „Messaggeo“ sowie in dem Wochenblatt „L` Espresso“: „Es ging um das Leben von Menschen, die wir vor den Kugeln nicht retten konnten. Es ist frustrierend, wenn man das Flehen derer nicht erhören kann, die in Kürze sterben werden.“

Der zweite Versuch steht in Zusammenhang mit einer Ukrainereise von Kardinal Krajewski, der als enger Vertrauter des Papstes schon des Öfteren in seinem Auftrag zu humanitären Aktionen unterwegs war. So war er bereits mit Hilfsgütern mehrfach in die Ukraine gefahren. Doch diesmal mit einer zusätzlichen geheimen Mission zur Rettung der im Stahlwerk ausharrenden Alten, Frauen und Kinder. Aber auch dieser Versuch scheiterte ebenso wie ein dritter, bei dem mit einem Schiff unter vatikanischer Flagge die im Stahlwerk Eingeschlossenen gerettet werden sollten. Dass es am Ende dennoch zur Rettung der meisten von ihnen gekommen ist, dürfte vor allem das Verdienst von UN-Generalsekretär Guterres gewesen sein, der – so ist zu vermuten – diese Zusage während seines Besuchs bei Putin erhalten hat.

Auch die westlichen Politiker sind bei ihrem Versuch gescheitert, Putins Vernichtungskrieg zu stoppen. Aber sie haben daraus die Konsequenz gezogen, indem sie ihre Russlandpolitik einer radikalen Revision unterzogen und die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Invasion massiv unterstützen. Eine vergleichbare Neuausrichtung vatikanischer Einstellung zum Krieg in der Ukraine ist leider nicht erkennbar. Natürlich kann der Vatikan keine Waffen an die Ukraine liefern, aber er kann ihr doch mit der ganzen Autorität, über die der Papst verfügt, Solidarität erweisen und moralisch beistehen.

Wünschenswert wäre zudem eine deutliche Distanzierung vom Moskauer Patriarchen. Auf ihn die Hoffnung ökumenischer Fortschritte zu setzen, war eine Illusion. Inzwischen trägt Kyrill durch seine Putin unterstützenden Worte und Gesten eine Mitschuld an diesem Krieg. Damit hat er sein Ansehen in der Ökumene verspielt. Stimmen aus seiner eigenen Kirche verlangen, ihn vor Gericht zu stellen. Selbst in Russland verweigern ihm Priester die Gefolgschaft, erwähnen seinen Namen bei der Feier der heiligen Geheimnisse nicht mehr. Und die ihm bislang unterstehende orthodoxe Kirche der Ukraine hat sich von ihm distanziert. Den Anspruch, Patriarch der gesamten Rus zu sein, hat er eingebüßt. Es ist daher gut, dass der Papst, wie „La Nacion“ berichtete, das für Juni in Jerusalem geplante Treffen mit dem Moskauer Patriarchen abgesagt hat, doch er hofft, anlässlich des 7. Kongresses der Führer der Weltreligionen im September in Kasachstan Patriarch Kyrill erneut zu treffen, zu dem er ein „sehr gutes“ Verhältnis pflege; zu diesem Kirchenfürsten, der auf so eklatante Weise Verrat am Glauben und an den Gläubigen übt?

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