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Polens nationalkonservative Regierung vor dem Niedergang?


Seit zwei Jahren bestimmt in ihrer nunmehr zweiten Amtszeit die von der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) geführte Regierung die Geschicke Polens. Grund für eine kritische Bilanz sowie für die Frage, welche Chancen Regierungspartei und Opposition haben, die Parlamentswahl im Herbst 2023 für sich zu entscheiden.

Das Wählerpotential der Nationalkonservativen schrumpft

Seit Anfang 2022 zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Zustimmungswerte für PiS. Sie liegen gegenwärtig zwischen 30% und 28%, damit aber immer noch gegenüber dem Stimmenanteil der oppositionellen „Bürgerplattform“ (PO) und der dritten politischen Kraft, der von Szymon Hołownia gegründeten und geführten Partei „Polen 2050“, deutlich höher.

Für die Nationalkonservativen kommt dieses Ergebnis einem herben Vertrauensverlust gleich. Immerhin konnten sie Anfang 2020, nach der gewonnenen Parlamentswahl, noch 44% für sich verbuchen.

Fragt man nach den Gründen für den Verlust von gut 14 Prozentpunkten innerhalb eines kurzen Zeitraums, dann liegt der Schluss nahe, dass die zeitgleiche Corona-Pandemie sowie die Inflation dafür den Ausschlag gaben.

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie rühmte sich die Regierung, sie gut unter Kontrolle zu haben. In der Tat lag die Zahl der Corona-Infizierten zunächst weit unter dem EU-Durchschnitt. Doch das Bild änderte sich bald. Inzwischen verzeichnet Polen über 100 000 an Corona verstorbene Menschen und nimmt damit innerhalb der EU im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nach Bulgarien den zweiten Platz ein.

Wie andere Länder beschloss auch Polen einen lockdown ein. Doch weil nach Umfragen die Bevölkerungsmehrheit offenbar eine Wiederholung dieser strengen Maßnahme mehr fürchtet als die Pandemie, besitzt ihre Bekämpfung bei der Regierung keine Priorität mehr. Auch scheut man sich, irgendwelche Restriktionen für nicht Geimpfte zu verfügen, weil die Impfgegner vor allem unter der Kernwählerschaft von PiS zu finden sind.

Auch wenn die Regierung nicht für die Pandemie verantwortlich ist, so zeigt sich doch die Bevölkerung, und dies aus unterschiedlichen Gründen, mit der Art und Weise, wie die Regierung auf sie reagiert oder besser nicht reagiert, unzufrieden. Und diese Unzufriedenheit findet im Rückgang der Zustimmungswerte ihren Niederschlag.

Auch die Inflation ist ein Grund für den Verlust an Zustimmung für PiS. Sie lag im Sommer 2021 erstmals bei 5%. Seitdem ist sie weiter gestiegen und liegt gegenwärtig bei 6,3%. Tendenz steigend. Anfangs wurde sie von der Regierung bagatellisiert. Ein Anstieg der Löhne und Gehälter würde sie ausgleichen. Premier Mateusz Morawiecki hielt sie ohnehin für eine bis Ende 2021 vorübergehende Erscheinung.

Die staatliche Propaganda pries zeitgleich zum Anstieg der Inflation die Regierung als Garant wirtschaftlichen Aufschwungs und allgemeinen Wohlstands. Doch sie vermochte nicht, über den rasanten Preisanstieg der Grundnahrungsmittel, Heizkosten und Benzinpreise hinwegzutäuschen. Meinungsumfragen ergaben, dass die Menschen zunehmend negativ auf die Frage antworteten, ob es ihnen besser gehe; zudem äußerten sie Angst vor der Zukunft. Dies vor allem, weil viele Polen Kredite aufnehmen und nun Schwierigkeiten haben, sie zurückzuzahlen.

Inzwischen bemüht sich die Regierung, durch Absenken der Mehrwertsteuer und Verteilung von Geldern an besonders Bedürftige den Anstieg der Inflation aufzuhalten. Nach Meinung von Experten, gewinnt sie damit lediglich ein wenig Zeit, löst aber nicht das Problem. Im Übrigen sei diese Strategie sehr kostspielig. Sie werde allein für das erste Halbjahr 2022 dem Staatsaushalt Mindereinnahmen in Höhe von 19,2 Milliarden Zł. bescheren, Finanzmittel, die für dringende Investitionen fehlen würden.

Doch Pandemie und Inflation sind nicht die einzigen Ursachen für den rasanten Rückgang der Zustimmungswerte für die Nationalkonservativen. Hinzu kommen eine innere Schwäche der Regierung, politische Skandale und Konflikte auf internationaler Ebene.

Bruch der Koalition

Die Nationalkonservativen gingen zwar aus den Herbstwahlen 2019 als Sieger hervor, besaßen aber nicht die absolute Mehrheit, so dass sie mit zwei kleineren rechten Parteien, dem von Zbigniew Ziobro geführten „Solidarischen Polen“ und der Partei „Verständigung“ unter dem Vorsitz von Jarosław Gowin die Regierung der Vereinigten Rechten bildeten. Diese Koalition zerbrach nachdem Premier Morawiecki am 19. August 2021 seinen Vize Gowin entlassen hatte, was dieser aus den Medien erfuhr. Das Präsidium von „Verständigung“ beschloss daraufhin einen Tag später den Austritt aus der Regierung, womit diese ihre ohnehin knappe Mehrheit verlor.

Premier Morawiecki hat die Entlassung von Gowin damit begründet, dass dieser öffentlich und kritisch zum Regierungsprogramm „Polski ład“ (Gestaltung Polens) Stellung bezog. Damit störte er die massive Propaganda, mit der den Polen dieses Programm nach dem Motto „Alle gewinnen, nur wenige Reiche müssen zahlen“ schmackhaft gemacht wird. Nicht nur die Opposition, auch Gowin und seine Partei sehen in diesem Motto pure Augenwischerei. Man werde dem Regierungsprogramm nur zustimmen, wenn es keine Änderung des Steuerrechts, der Finanzierung der Selbstverwaltungsorgane und der Mediengesetzgebung enthalte. Die vorgesehenen Bestimmungen, etwa eine Reichensteuer in Höhe von 50%, würden die Unternehmer hart treffen. Zudem müssten die Selbstverwaltungsorgane mit weniger Staatszuschüssen rechnen und könnten so ihren Verpflichtungen gegenüber den Bürgern nur bedingt nachkommen. Und die beabsichtigte Novellierung des Mediengesetzes bedrohe die freie Informationsvermittlung und Berichterstattung. „Polski ład“ sei im Grunde reiner Sozialismus.

Auch mit dem verbleibenden Koalitionspartner „Solidarisches Polen“ gibt es ständig Probleme. Ziobro, der als Justizminister und Generalstaatsanwalt innerhalb der Regierung eine starke Position besitzt, drängt auf einen noch radikaleren nationalen Kurs als ihn Premier Mateusz Morawiecki verfolgt, woraus denn auch ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen den beiden Ministern resultiert. So sieht „Solidarisches Polen“ in der Annahme des an die Wahrung der Rechtstaatlichkeit geknüpften europäischen Wiederaufbaufonds eine Verletzung nationaler Souveränität und hat ihm denn auch die parlamentarische Zustimmung verweigert, was praktisch den Verzicht auf enorme EU-Gelder bedeutet. Das Votum für den Wiederaufbaufonds konnte im Sejm nur mit zusätzlichen Stimmen der oppositionellen Linken beschlossen werden.

Eine skandalöse Sejmsitzung

Die Konzession für den unabhängigen und systemkritischen Fernsehsender TVN 24 erlosch am 26. September 2021. Vergeblich hatte er sich um eine Verlängerung bemüht. Das allein zeigt, dass Kaczyński entschlossen war, nach dem Muster anderer Medien TVN 24 zu „polonisieren“, indem diesem unabhängigen Fernsehsender in seiner bisherigen Form und Besetzung die Konzession verweigert wird und von einer dem Regime eng verbundenen Firma übernommen werden soll.

Am 10. August 2021 wollte die Regierung die umstrittene „lex TVN“ im Sejm verabschieden. Gegen diese speziell auf die Liquidierung des beliebten und für die öffentliche Meinungsbildung überaus wichtigen Senders TVN 24 zielende Novellierung des Mediengesetzes protestierten Tausende vor dem Parlamentsgebäude und in größeren Städten. Doch zur Verabschiedung des Gesetzes kam es zunächst nicht. Unter Hinweis darauf, dass die Tagesordnung weitere Beschlüsse vorsieht, die einer besseren Vorbereitung bedürfen, beantragte die Opposition die Vertagung der Sitzung. Und sie gewann die Abstimmung, was von ihr mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Denn damit wurde erstmals deutlich, dass ein Sturz der Regierung möglich ist.

Doch die Freude währte nur kurz. Die Parlamentspräsidentin verkündete eine Pause von einer Viertelstunde, die sich auf fast zwei Stunden verlängerte. Zeit genug für Verhandlungen hinter den Kulissen. Danach verkündete sie, dass sich die drei Abgeordneten von Kukiz 15, einer kleinen Splittergruppe, geirrt und versehentlich für eine Vertagung gestimmt hätten. Sie annullierte kurzerhand die Abstimmung und ließ sie wiederholen. Nun stimmte eine knappe Mehrheit gegen eine Vertagung und anschließend für die „lex TVN“. Über das Angebot an Kukiz 15 für diesen Überzeugungswandel kann man nur spekulieren. Möglich, dass Paweł Kukiz und seine Leute, die nach allen Umfragen in den nächsten Wahlen keine Chance auf einen erneuten Einzug in den Sejm haben, die Zusage eines sicheren Platzes auf der Wahlliste von PiS erhielten. Wie weit Polen bereits von einer echten Demokratie abgewichen ist, dafür ist dieser skandalöse Vorfall ein Beweis.

Gegen diese Gesetzesnovellierung wurde nicht nur in Polen protestiert, auch amerikanische Regierungsstellen zeigten sich empört. Letztendlich erhielt sie keine Gesetzeskraft, weil Präsident Andrzej Duda, wohl aus Rücksicht auf das ohnehin gespannte polnisch-amerikanische Verhältnis, sein Veto einlegte.

Ein polnisches Watergate

Der äußere Beobachter gewinnt den Eindruck, dass es Kaczyński und seinen Leuten bei allem, was sie unternehmen, letztendlich nur um ihren Machterhalt geht, und dass ihnen dazu jedes Mittel recht ist.

Den jüngsten Beweis liefert die Pegasus-Affäre. Vor den Sejmwahlen im Herbst 2019 erwarb der polnische Geheimdienst auf Initiative von Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro von einer israelischen Firma die Spionage-Software Pegasus, und dies, ohne dass die Öffentlichkeit davon etwas erfuhr. Die Kosten in Höhe von 25 Millionen Zł. zahlte er durch Zweckentfremdung aus einem für die Opfer von Gewaltverbrechen bestimmten Fonds, aus dem auch Opfer sexuellen Missbrauchs entschädigt werden.

Zur Affäre wurde der Ankauf, weil Pegasus dazu verwandt wurde, die eigenen Bürger auszuspionieren. Besonders gravierend ist die Überwachung des damaligen Wahlkampfleiters der „Bürgerplattform“ und jetzigen Senators Krzysztof Brejza. Durch seine Abhörung gewann PiS Einblick in deren Wahlkampfstrategie. Polnische Juristen sind der Auffassung, dass dadurch die Wahlen im Grunde nicht frei und geheim und somit ungültig waren.

Überwacht wurden neben einer ganzen Anzahl oppositioneller Personen gleichfalls der prominente Anwalt Roman Giertych. Mehrfach hatte dieser auf Veranlassung von Ziobro Repressalien zu erleiden, darunter eine Hausdurchsuchung und eine zweitweise Verhaftung, ohne dass ihm eine Schuld nachgewiesen werden konnte. Aufgrund dieser Erfahrungen war Giertych überzeugt, abgehört zu werden. Er beauftragte eine für die Aufklärung solcher Fälle spezialisiert Firma. Und die fand heraus, dass sich der Geheimdienst der Software Pegasus bediente. Mit dieser Entdeckung wurde die Affäre öffentlich bekannt.

In einer westlichen Demokratie würde sie ausreichen, um die Regierung zum Rücktritt zu nötigen. Nicht so in Polen. Zunächst leugneten PiS und Regierung im Besitz von Pegasus zu sein. Doch schließlich musste Kaczyński unter der Beweislast den Besitz zugeben, bestritt aber, dass die Software gegen Bürger im eigenen Land verwandt wurde. Bei der Behauptung handele es sich um ein böswilliges Manöver der Opposition, die sich unlauterer Mittel einer Verbreitung von Falschnachrichten bediene.

Aufklärung ist somit angesagt. Der Senat, in dem die Opposition über eine knappe Mehrheit verfügt, beschloss gegen die Stimmen von PiS einen Untersuchungsausschuss zur Pegasus-Affäre. Auch wenn das zu erwartende Ergebnis rechtlich folgenlos bleibt, so ist doch schon die bloße Aufklärung politisch brisant. Im Einzelnen soll ermittelt werden, wer gegen polnische Bürger Pegasus benutzt hat, und dies wann und wie oft; des Weiteren ob diese Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte legal waren. Zudem soll der Einfluss der Abhörungen auf die Sejmwahlen 2019 ermittelt werden. Schließlich will sich der Untersuchungsausschuss um eine rechtliche Grundlage für die Nutzung von Pegasus bemühen. PiS verweigert nicht nur die Mitarbeit im Untersuchungsausschuss, die Kaczyński-Partei übt auch Druck auf vorgeladene Zeugen aus, nicht auszusagen.

Wichtiger als der Untersuchungsausschuss im Senat wäre einer im Sejm. Denn seine Ergebnisse hätten juristische Folgen. Bemühungen in diese Richtung gibt es, und dies ausgerechnet von Paweł Kukiz, dem Vorsitzenden einer Minipartei, die bisher PiS bei Abstimmungen im Sejm unterstützt und für die erforderliche PiS-Mehrheit gesorgt hat. Er hat angekündigt, nicht weiter mit und für PiS zu votieren, sollte die Kaczyński-Partei versuchen, einen Untersuchungsausschuss zu verhindern. Inzwischen hat sich Kukiz mit der Opposition verständigt. Auf Antrag im Sejm soll ein Untersuchungsausschuss unter seinem Vorsitz mit jeweils fünf Abgeordneten von PiS und der Opposition alle mit Pegasus im Zusammenhang stehenden Fragen klären. Sollte er zustande kommen, dann dürfte es die Taktik von PiS sein, die Untersuchung hinauszuzögern und ein Ergebnis zu verhindern.

Konflikte mit der EU-Kommission

In dem am 19. Juli 2021 von der EU-Kommission vorgelegten Bericht zum Zustand der Rechtstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten wird Polen die politische Verfolgung von Richtern, Staatsanwälten, unabhängigen Medien und Homosexuellen vorgeworfen sowie die Instrumentalisierung des Justizwesens und des Sicherheitsdienstes für politische Zwecke.

Bereits zweimal wurde Polen wegen Verstöße gegen die Rechtstaatlichkeit vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Im Frühjahr 2019 betraf dies die Säuberung des Obersten Gerichts durch Zwangsemeritierung von Richtern und im Herbst des gleichen Jahres die Herabsetzung ihres Pensionsalters, womit sich die PiS-Regierung die Möglichkeit verschaffte, missliebige Richter in den Ruhestand zu schicken und durch ihr treu ergebene Richter zu ersetzen. Und am 15. Juli 2021 stellte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil fest, dass die polnische Disziplinarkammer mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Beanstandet hatte er dies bereits 2019.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs ist die Disziplinarkammer weder unabhängig noch neutral, weil sie mit Personen besetzt ist, die durch den als politisches Organ geltenden Landesjustizrat berufen wurden und sie daher bezüglich der Unabhängigkeit „begründete Zweifel erweckt“.

Noch am gleichen Tag, an dem der Europäische Gerichtshof sein Urteil verkündete, konterte das polnische Verfassungsgericht und verschärfte den Konflikt. Es stellte fest, dass Polen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für den Bereich des Justizwesens nicht respektieren muss.

Wenige Tage später entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über Einzelanträge und stellte fest, dass polnische Gerichte die Rechte der Kläger verletzt haben, indem auf die Prozesse politischen Einfluss genommen wurde, womit gerechte Gerichtsverfahren nicht mehr garantiert waren.

Die EU-Kommission setzte der polnischen Regierung für die Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eine Frist bis zum 16. August. Konkret bedeutete dies die unverzügliche Einstellung jeglicher Tätigkeit der Disziplinarkammer. Weil der Konflikt weder zur Zufriedenheit der EU-Kommission noch des Europäischen Gerichtshofes gelöst werden konnte, wurden vorerst die Gelder des Wiederaufbaufonds gesperrt und Polen zu einer täglichen Strafzahlung in Höhe von einer Million € verpflichtet, wobei allerdings die Regierung die Zahlung verweigert.

Bildung eines Bündnisses rechtsnationaler Parteien

Angesichts der Zuspitzung von Konflikten mit den EU-Instanzen sieht die Opposition die Gefahr eines Polexit. Ein Austritt aus der Europäischen Union nach dem Beispiel Großbritanniens dürfte zwar nicht die Absicht von Kaczyński sein, zumindest nicht solange die EU-Fördergelder reichlich nach Polen fließen, aber dass der Chef von PiS ein anderes Europa als das der Europäischen Union im Blick hat, ist unbestritten. So vollzog sich unlängst auf Initiative von Kaczyński der Zusammenschluss rechtsnationaler Parteien Polens, Ungarns, Frankreichs, Italiens und Spaniens mit dem erklärten Ziel einer triefgreifenden Veränderung der Europäischen Union. In Sonderheit geht es den Rechtsnationalen um die Entmachtung der EU-Kommission und eine weitgehende Rücknahme europäischer Integration, so dass am Ende von der Europäischen Union kaum mehr übrig bliebe als eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft.

Erneute Belastung der polnisch-jüdischen Beziehungen

Im polnisch-jüdischen Verhältnis kommt es immer wieder zu Irritationen und diplomatischen Konflikten. Vor nicht langer Zeit war es die Verabschiedung eines Gesetzes, das in der jüdischen Kommunität Empörung auslöste. Es bedroht jeden mit Strafe, der behauptet, Polen hätten am Holocaust mitgewirkt. Auch wenn außer Frage steht, dass für den Holocaust allein Deutsche verantwortlich sind, so hat es doch zahlreiche Polen gegeben, die Juden an die Gestapo verraten oder während des Zweiten Weltkriegs und noch danach umgebracht haben, so dass die Empörung über das Gesetz verständlich ist.

Nun ist es eine am 24. Juni 2021 verabschiedete Gesetzesnovellierung, auf die sowohl jüdische Weltorganisationen als auch Israel mit Protest reagierten. Danach können nach Ablauf von 30 Jahren administrative Entscheidungen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Diese Terminierung macht es unmöglich, Entschädigungen für den nach dem Zweiten Weltkrieg vom polnischen Staat konfiszierten jüdischen Besitz vor polnischen Gerichten einzuklagen.

Bei dem Streit geht es um erhebliche Summen. Jüdische Organisationen beziffern sie auf 230-300 Milliarden Złotych. Nach Schätzungen der Weltorganisation für die Rückerstattung jüdischen Besitzes belaufen sie sich auf 300 Milliarden Dollar, also auf über eine Billion Złotych.

Die Reaktion Israels auf die Novellierung ließ nicht lange auf sich warten. Noch am Tag des Sejmbeschlusses reagierte die israelische Botschaft mit einer Stellungnahme, in der es heißt: „Dieses unannehmbare und amoralische Gesetz ist ein ernsthafter Schlag in den Beziehungen unserer Staaten.“ Und der israelische Außenminister schrieb auf Twitter: „Die israelische Regierung beabsichtigt nicht, zu diesem Gesetz zu schweigen, denn es handelt sich um eine klare und schmerzhafte Missachtung von Rechten der Holocaustopfer und ihrer Nachkommen.“

Besonders emotional äußerte sich Israels Warschauer Botschafterin: „Hört auf die Stimme der jüdischen Welt, hört auf die Stimme des jüdischen Staates, hört auf den Schmerz, den dieses Gesetz hervorruft, hört auf die Stimme der Überlebenden, die uns sagen, stoppt dieses Gesetz und bedenkt es von neuem. Noch ist es nicht zu spät.“

Doch die polnische Seite zeigte sich von den israelischen Protesten unbeeindruckt. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kommentierte die Stellungnahme des israelischen Außenministers mit den Worten: „Solange ich Premier sein werde, wird Polen ganz sicher nicht für deutsche Verbrechen zahlen. Keinen Złoty, keinen Euro und auch keinen Dollar.“

Eine unmittelbare Folge dieses Streits ist ein erneutes Aufflammen des Antisemitismus. So schüttete die rechtsradikale und antisemitische „Allpolnische Jugend“ vor die israelische Botschaft einen Haufen Steine, versehen mit einer Tafel mit den Worten: „Das hier ist euer Besitz“. Und um ihrer Aktion Nachdruck zu verleihen, gab sie eine Erklärung heraus, in der es heißt: „Es empört uns die Dreistigkeit jüdischer Kreise. Es empört uns, dass Polen der Mitwirkung am Holocaust beschuldigt werden. Es empört uns die Forderung nach einem Besitz, der ihnen gar nicht gehört. Es empört uns das Bewusstsein der Straffreiheit für die an Palästinensern verübten Verbrechen und für die räuberische Politik Israels, vor der die Welt die Augen verschließt.“ Zudem initiierte die „Allpolnische Jugend“ eine an Ministerpräsident Morawiecki gerichtete Petition. Ihr Titel: „Sag NEIN zur rechtlosen jüdischen Entschädigungsforderung.“

Gestörtes Verhältnis zur neuen amerikanischen Administration

Die Bedrohung durch Russland ist eine bis in die Zeit der Teilungen zurückreichende polnische Erfahrung. Zur nationalen Existenzsicherung haben daher gute Beziehungen zu den USA Vorrang. Denn – so die parteiübergreifende Überzeugung – nur das militärische und diplomatische Gewicht der Vereinigten Staaten kann Polen einen wirksamen Schutz vor russischer Aggression garantieren.

Dass die PiS-Regierung aufgrund polnischer Sicherheitsinteressen um ein gutes Verhältnis zu Donald Trump bemüht war, ist daher verständlich. Während zweier USA-Reisen erhielt denn auch Präsident Andrzej Duda Zusagen militärischen Schutzes durch Stationierung amerikanischer Truppen auf polnischem Boden, die allerdings während Trumps Amtszeit nicht realisiert wurden.

Doch die guten Beziehungen zu Donald Trump beschränkten sich nicht allein darauf. Anders als die westlichen EU-Staaten zeigten die polnischen Nationaldemokraten für Donald Trump deutliche Sympathien. Dabei störte es sie nicht, dass der amerikanische Präsident eine Politik der Schwächung der Europäischen Union verfolgte. Ganz im Gegenteil. Die kam ihren eigenen Interessen entgegen. So verwundert es nicht, dass – von Teilen der Kirche unterstützt – PiS und die von ihr geführte Regierung ihre Hoffnung auf eine Wiederwahl von Donald Trump setzten. So hat denn auch Präsident Duda, was höchst ungewöhnlich ist, bei seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten die dortige Polonia dazu aufgerufen, für die Wiederwahl von Trump zu stimmen. Und offenbar fiel es Präsident Duda schwer, Joe Biden zu seiner gewonnenen Wahl zu gratulieren, denn sein eher kühler Glückwunsch kam reichlich spät.

Auch die politische Richtung, die Joe Biden als neuer amerikanischer Präsident bei seinem Europabesuch zum Ausdruck brachte, missfällt den polnischen Nationaldemokraten: sein Bekenntnis zur Integration Europas, die herausgehobene Rolle, in der er Berlin als Garant europäischer Integration sieht, die Rücknahme der Sanktionen gegen die Fertigstellung von Nord Stream 2.

Polens geschwächte Position innerhalb der Europäischen Union und auf internationaler Ebene ist, wie obige Konflikte zeigen, die Folge der innenpolitischen Agenda. Die von Jarosław Kaczyński verfolgte Politik des so genannten „guten Wandels“, vor allem die unter Verletzung rechtstaatlicher Prinzipien durchgesetzte Justizreform, der Versuch, die noch unabhängigen Medien unter Kontrolle zu bringen, sowie eine Geschichtspolitik, die Polen nur als Helden und Märtyrer erscheinen lässt, dies alles erweist sich für die außenpolitischen Beziehungen als äußerst konfliktträchtig.

Spekulationen über den Ausgang der Sejmwahlen im Herbst 2023

Bereits jetzt wird darüber spekuliert, welche Chancen die Opposition hat, die nationalkonservative Regierung abzulösen. Donald Tusk bemüht sich derzeit um ein breites Bündnis der Parteien, die eine Wiederwahl von PiS verhindern wollen. Doch die gegenwärtig drittstärkste Kraft, die von Szymon Hołownia geführte Gruppierung „Polen 2050“, sperrt sich. Das Wählerpotential dieser Partei besteht vor allem aus Bürgerinnen und Bürger, die sowohl der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ als auch der „Bürgerplattform“ ablehnend gegenüber stehen. In einem engen Anschluss an die „Bürgerplattform“ sieht Hołowia somit einen Verrat an seiner potentiellen Wählerschaft. Er plädiert daher für die Bildung zweier oppositioneller Blöcke, wobei er eine Verbindung seiner Partei mit der Bauernpartei sowie mit den Linken anstrebt.

Allerdings wird auch PiS wohl ein Parteienbündnis eingehen, und zwar, wie bisher, mit „Solidarisches Polen“ sowie möglicherweise mit der äußerst rechts eingestellten „Konföderation“. Entscheidend dürfte zudem sein, wer von diesen Bündnissen am Ende als Sieger aus den Wahlen hervorgeht, denn diese politische Formation kann mit zusätzlichen Stimmen der Parteien rechnen, welche die 5%-Hürde nicht geschafft haben. Es wird ein offenes Rennen mit knappem Wahlausgang werden.



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