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Polens Reparationsforderungen an die Bundesrepublik 20. 09. 2022


Am 01. September 2022, dem 83. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, versammelten sich die Spitzenpolitiker der regierenden Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) im Warschauer Königsschloss, einem symbolträchtigen Ort. Vor ausgewählten Journalisten aus aller Welt wurden, was lange erwartet worden war, die Reparationsforderungen für die im Zweiten Weltkrieg von Deutschen verursachten Kriegsschäden an Material und Menschenopfern präsentiert. Die vorgestellte Summe beläuft sich auf 6 Billionen, 200 Milliarden Zł, was einem Betrag in Höhe von 1,6 Billionen € entspricht, das Dreifache des Bundeshaushaltes.

Bei Reparationsforderungen geht es nicht nur, aber auch um Rechtsfragen. Daher verwundert es, dass sich unter den Autoren des Rapports kein Jurist befindet. Statt ihrer sind als verantwortliche Verfasser drei Ökonomen und zwei Historiker ausgewiesen, wobei der eine Experte für das Mittelalter ist, der andere keine nennenswerte Arbeit zur Reparationsfrage aufzuweisen hat. Allein diese Tatsache erlaubt es, Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität dieses Rapports zu hegen.

Falsche Behauptungen

Der Rapport enthält ein Vorwort von Parteichef Jarosław Kaczyński. Er suggeriert wahrheitswidrig, dass sämtliche Vorgängerregierungen aus der Zeit der kommunistischen Volksrepublik wie die des demokratischen Polens nach 1990 es versäumt haben, sich mit Reparationsforderungen gegenüber Deutschland zu befassen. Das Problem habe erst Fahrt aufgenommen, als seine Partei an die Macht kam. Tatsächlich hat es, wie zu zeigen ist, eine ganze Reihe solcher Anläufe gegeben.

Falsch ist auch Kaczyńskis Feststellung, die Bundesrepublik habe, während Polen leer ausgegangen sei, an über 70 Staaten Reparationen geleistet. Diese hohe Zahl kann schon deswegen nicht stimmen, weil sich Nazideutschland nicht mit derart zahlreichen Ländern im Kriegszustand befand. Hier verwechselt er Reparationen offenbar mit Zahlungen an die in aller Welt verstreuten Holocaustopfer.

Auch die Behauptung, die an die UdSSR verlorenen polnischen Ostgebiete seien mehr wert gewesen als die Polen zugesprochenen deutschen Ostgebiete ist falsch und das Gegenteil wahr. In diesem Zusammenhang fragt sich der Leser, warum Polen nur gegenüber Deutschland Reparationen fordert und nicht auch von Russland. Schließlich überfiel die Rote Armee am 17. September 1939 Polen, beging zahlreiche Kriegsverbrechen, deportierte große Teile der ostpolnischen Bevölkerung und annektierte ihre Gebiete.

Die Geschichte polnischer Reparationsforderungen

Das Problem polnischer Reparationsforderungen hat eine lange und verwickelte Geschichte. Im Potsdamer Abkommen von 1945 hatte sich die Sowjetunion verpflichtet, aus den von ihr besetzten deutschen Gebieten Reparationen an Polen in der Größenordnung von 15% zu entrichten. In Wahrheit beutete die UdSSR diese Gebiete für sich aus, ohne dass Polen davon einen nennenswerten Nutzen hatte. Experten sprechen daher davon, dass Polen diese „Reparationen“ selbst bezahlt habe., etwa durch die endlosen aus Oberschlesien nach Osten rollenden Kohlenzüge.

In Hinblick auf die Londoner Außenministerkonferenz befasste sich 1947 erstmals ein eigens eingerichtetes polnisches Büro mit der Entschädigung der Kriegsschäden.

1953 verzichtete das kommunistische Polen allerdings auf Reparationsleistungen und bestätigte diesen Verzicht auch auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen, wie dies aus einem Protokoll hervorgeht. Doch die polnische Regierung macht geltend, dass dies auf sowjetischem Druck geschah und daher rechtlich nicht bindend sei – ein Argument, das kaum vor dem Haager Internationalen Gerichtshof Bestand haben dürfte.

Nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bunderepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen wurde 1973 die „Kommission zur Erarbeitung des Problems deutscher Entschädigungen“ berufen.

2004 wurde die Reparationsfrage zu einem deutsch-polnischen Politikum. Als die ostpreußischen Vertriebenen über ihre „Treuhand“ gegenüber Polen ihre Ansprüche auf ihre ehemaligen Besitztümer erhoben. Die Polen reagierten empört. Im Sejm kam es zu stürmischen Szenen. Man beschloss, unverzüglich damit zu beginnen, den Wert der von Deutschen verursachten Kriegsschäden zu ermitteln. Es kam zu einer starken Störung der deutsch-polnischen Beziehungen. In dieser Situation reiste Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Warschau und versicherte, dass seine Regierung die Bemühungen der „Treuhand“ in keiner Weise unterstütze und dass sie erfolglos sein würden. Die Wogen glätteten sich wieder, und der polnische Ministerrat bestätigte am 19. Oktober 2004 die Verzichtserklärung von 1953. Doch aus dieser Phase stammen immerhin zwei Bände an Materialien zum „Problem der Reparation, der Entschädigung und der Zahlungen bezüglich der deutsch-polnischen Beziehungen 1944-2004“. Damals beliefen sich die polnischen Forderungen auf 258 Milliarden Zł., etwa 48,8 Milliarden Dollar, eine Summe, die weit unter der liegt, die heute von der polnischen Regierung gefordert wird.

Eine letzte Möglichkeit, gegenüber der Bundesrepublik Reparationsforderungen geltend zu machen, wären die zum 2+4-Vertrag führenden Verhandlungen gewesen, mit denen die mit dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Probleme endgültig geregelt wurden. Doch Reparationsforderungen spielten in diesem Rahmen keine Rolle.

Dass Reparationsforderungen, aufs Ganze gesehen, weder für das kommunistische, noch für das demokratische Polen nach 1989 kaum von Bedeutung waren, hat seinen Grund nicht allein in der Verzichtserklärung. In all den Jahren besaß die Grenzfrage für Polen absolute Priorität. Geklärt wurde sie vorläufig durch den Warschauer Grundlagenvertrag, endgültig als Ergebnis der 2+4-Vertrages.

Reparationsforderungen als Wahlkampfmunition?

Nach all dem überrascht es denn doch, dass 2017 der Sejm eine vom Abgeordneten Mularczyk geleitete „Parlamentarische Kommission zur Schätzung der Höhe der Polen gebührenden Entschädigung für die von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden“ berufen wurde. Ergebnis ihrer fünfjährigen Arbeit sind drei am 1. September vorgestellte umfangreiche Bände und die bekannt gegebene astronomische Summe. Entspringt diese Initiative einem Wunschdenken oder ist sie das Ergebnis politischer Kalkulation?

Dass die deutsche Seite diese Forderung zurückweist, steht außer Frage. Dies geschah schon 2017 mit dem vom Deutschen Bundestag bei ihrem wissenschaftlichen Dienst in Auftrag gegebenen Gutachten, das die verschiedenen polnischen Verzichtserklärung als Begründung für die Abweisung der Reparationsforderungen anführt und dabei den von polnischer Seite angegebenen Grund für die Verzichtserklärung von 1953 zitiert: Deutschland sei „bereits im bedeutenden Maße“ seinen Verpflichtungen nachgekommen. Zudem gehe es um die „Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland im Interesse einer friedlichen Entwicklung.“

Ob die PiS-Regierung versuchen wird, ihre Ansprüche beim Haager Internationalen Gerichtshof einzuklagen, ist eher unwahrscheinlich. Allein schon die Verzichtserklärungen lassen eine solche Klage 77 Jahre nach Kriegsende chancenlos erscheinen. Warum aber dann dieser Aufwand? Kommentatoren sehen den Grund vor allem darin, sich durch Anheizen einer antideutschen Stimmung den Wahlsieg im Herbst 2023 zu sichern. So überbieten sich derzeit in Zusammenhang mit den Reparationsforderungen PiS-Leute mit antideutscher Hetze: Über mehrere Generationen sollen die Deutschen auf den Knien um Vergebung bitten für ihre im Krieg begangenen Verbrechen und das Geld fließen lassen. Und Parteichef Kaczyński wird nicht müde zu betonen, die Deutschen wollten mit ihrem Einfluss in der Europäischen Union Polen vernichten. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Sieci“ sagte er mit Blick auf die Auseinandersetzungen der polnischen Regierung mit der EU-Kommission, ihr Ziel sei nicht die Verteidigung europäischer Rechtstaatlichkeit, sondern die Demontierung der Rechtstaatlichkeit in Polen. „Man versucht, uns die Freiheit, die Souveränität zu nehmen und noch dazu uns auszurauben. Es ist höchste Zeit, daraus Schlüsse zu ziehen.“ Und an anderer Stelle behauptet er allen Ernstes, Deutschland sei für Polen eine größere Bedrohung als Russland. Und das angesichts von Putins Vernichtungskrieg gegen den ukrainischen Nachbarn. Der Journalist Wieliński sieht denn auch in den Reparationsforderungen „nichts anderes als eine auf den Gräbern der vom Dritten Reiches verursachten Opfer und der auf den Ruinen der von den Deutschen zerstörten polnischen Städte geführte Wahlkampagne.“



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