Polens Schulwesen unter politischem Druck
Unter der trügerischen Maxime eines „guten Wandels“ betreibt die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) seit Jahren eine Politik, die darauf abzielt, sämtliche staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen unter ihre Kontrolle zu bringen. Das betrifft auch das Schulwesen. Seit sechs Jahren fühlen sich die Lehrkräfte unter Druck gesetzt, ihre Schülerinnen und Schüler zu Patrioten zu erziehen, wozu vornehmlich die Unterrichtsmaterialien zum Polnisch- und Geschichtsunterricht mit Vermittlung eines Polenbildes nationalen Martyriums und Heldentums die Grundlage bieten. Der stellvertretende Sejmmarschall Terlecki sagt denn auch unverhohlen, es komme darauf an, „künftige PiS-Wähler zu erziehen.“
Przemysław Czarnek – Vollstrecker einer ultrakonservativen Bildungspolitik
Diese seit Jahren von PiS verfolgte Bildungspolitik hat nun durch Przemysław Czarnek, den seit Oktober 2020 amtierenden Minister für Erziehung und Wissenschaft, eine deutliche Verschärfung erfahren. Der habilitierte Rechtswissenschaftler ist einer der auffälligsten nationalkatholischen Politiker. Seine Attacken gelten insbesondere den LGBT-Aktivitäten. So diskriminierte er die homosexuellen Teilnehmer des „Marsches der Gleichheit“ als „widernatürlich“. In einer Fernsehdiskussion um die Rechte von Homosexuellen sagte er „man muss sich nicht diesen Idiotismus von irgendwelchen Menschen- und Minderheitsrechten anhören.“ Es hagelte Kritik. Der für die Bürgerrechte zuständige Ombudsmann sah in diesen Äußerungen Anzeichen von Hass sowie die Verletzung der Würde und Rechte von LGBT-Personen.
Zudem vertritt Czarnek ein ultrakonservatives Frauenbild. So bekräftigte er die Aussage seines gleichgesinnten Beraters in der zum Medienimperium von Pater Rydzyk gehörenden Kirchenzeitung „Nasz Dziennik: „Wir beobachten in der Kultur sehr gefährliche moralische Erscheinungen, auch solche religiöser Art, nämlich eine gewisse geistige Vergiftung der Frau, basierend auf einem sich in ihr verbreitenden Dünkel, eine innere Leere, ein Interesse ausschließlich für sich selbst, einen Egoismus, den Verstoß gegen die objektive Ordnung zugunsten eines Selbstbildes.“ Czarnek äußerte sich auf ähnliche Weise: „An erster Stelle steht die Karriere, ein Kind kommt vielleicht später? Die Konsequenzen sind tragisch. Wenn eine Frau erst mit 30 Jahren ein Kind zur Welt bringt, wie viele Kinder kann ie dann noch gebären? Das sind die Konsequenzen, wenn man meint, eine Frau muss nicht das tun, wozu Gott sie berufen hat.“
Gegen die Ministerernennung von Czarnek regte sich in der Öffentlichkeit Widerstand. In zahlreichen Städten kam es zu Protesten. Namhafte Politiker der Opposition, darunter frühere Bildungsminister sowie rund 100 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur wandten sich gegen seine Nominierung. Und das Forum „Moderne Jugend“ rief zu der Aktion „schwarze Woche“ auf, in der Schülerinnen und Schüler schwarz gekleidet zur Schule gingen. Selbst eine Petition mit 100 000 Unterschriften vermochte die Amtseinführung von Czarnek nicht zu verhindern.
Die „Lex Czarnek“
Nachdem die Lehrergewerkschaft, von den Schülern unterstützt, 2019 zu einem längeren Streik aufgerufen hatte, um, wenngleich erfolglos, bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu erkämpfen, sorgt nun die als „lex Czarnek“ betitelte Gesetzesvorlage für neue Unruhe. Sie sieht auf Kosten schulischer Autonomie und Einflussnahme von Schulträgern und Elternschaft eine starke Zentralisierung des Schulwesens vor. In Zukunft hat das Ministerium durch die vom Minister ernannten und entsprechend PiS-treuen Kuratoren die volle Kontrolle über die Schulen. Ohne ihr Votum dürfte wohl kaum noch jemand zum Schuldirektor oder zur Schuldirektorin gewählt werden, wobei die Kuratoren dazu berechtigt sind, sie während des Schuljahrs ohne Begründung abzuberufen. Es bedarf keiner Phantasie, um sich vorzustellen, zu welcher Verunsicherung des Lehrkörpers diese Gesetzeslage führen wird. So sind denn auch bereits Stimmen aus der Lehrerschaft zu hören, die chaotische Verhältnisse in der Schule vorhersagen.
Die „lex Czarnek“ betrifft auch das zur Verfügung stehende freie Stundenkontingent. Bislang konnte es genutzt werden, außerschulische Themen aufzugreifen und dazu interessante Persönlichkeiten einzuladen. Mit der Freiheit, derlei Projekte durchzuführen, dürfte es nun vorbei sein. Das Ministerium selbst gibt dazu de Vorlagen Kostenübernahme. Doch sollte eine Lehrkraft ein eigenes Thema wählen dann ist es dem Kurator zur Genehmigung vorzulegen, der es dann wohl ablehnen wird, wenn es von der bildungspolitischen Pateilinie der Nationalkonservativen abweicht. Allein schon diese Abhängigkeit der Pädagogen dürfte ihren Eifer und ihre Kreativität bremsen.
Minister Czarnek verteidigt die Kontrollfunktion der Kuratoren mit dem Hinweis darauf „die Kinder vor Ideologisierung schützen zu wollen, wobei „Ideologisierung“ eher für sein pädagogisches Konzept gelten dürfte und nicht für das zum Feindbild stilisierte liberale Wertesystem und deren Vertreter, denen er unterstellt, „nicht für die Freiheit, sondern für die Knechtschaft zu sein.“
Der Minister für Wissenschaft und Bildung nimmt für sich in Anspruch, den Schülerinnen und Schülern die „wahren“ Werte vermitteln zu wollen. Er zählt sie auf: Im Geist der Antike das Wahre, Gute und Schöne, den sich aus der Geschichte Polens ergebenden Patriotismus, das zivilisatorische Erbe Europas. Das klingt durchaus vernünftig und ansprechend. Doch der Teufel steckt im Detail, in dem, was Czarnek darunter versteht. So umfasst seine Vorstellung vom zivilisatorischen Erbe Europas wohl Antike und vor allem das Christentum, nicht aber die in der Aufklärung gründende moderne Freiheitsgeschichte. Und was soll man davon halten, wenn Czarneks Berater im „Nasz Dziennik“ als Erziehungsziel für Schülerinnen die „weiblichen Tugenden“ beschwört. Was diese „weiblichen Tugenden“ sind, das ist im Rahmen einer patriarchalischen Gesellschaft hinlänglich beschrieben worden und läuft darauf hinaus, sich dem Mann unterzuordnen, ihn gut zu verssorgen und ihm die gewünschten Kinder zu gebären. Nachdem sich die Frauen, auch die polnischen, durch ihre Emanzipation aus dieser Enge befreit haben, möchte Czarnek mit seinem Erziehungsprogramm offenbar das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen. Es ist zwar verständlich, dass angesichts des deutlichen Rückgangs der Geburten die PiS-Regierung diesem Trend Einhalt gebieten möchte, doch ob dies ein erfolgversprechender Weg ist, darf bezweifelt werden. Die Kinder, die am 1. September eingeschult werden, verbringen ihr künftiges Leben in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhundert und haben ein Recht auf eine adere Erziehung als sie Minister Czarnek vorschwebt.
Eine Hoffnung bleibt
Zu Beginn des neuen Schuljahrs erhielten einige Lehrkräfte von ihren Direktoren die Aufforderung, bloß keine Unterrichtsmaterialien zu den Menschenrechten vorzusehen. Dies zeigt, welcher Wind nunmehr weht. Aber erreicht PiS mit der „lex Czarnek“ wirklich ihr nationalkatholisches und nationalkonservatives Bildungsziel? Ist die bei autoritären und diktatorischen Machthabern so beliebte Maxime „wer die Jugend hat, der hat die Zukunft“ wirklich immer vom Erfolg gekrönt? Schließlich hatten die Arbeiter, die mit der Gründung der „Solidarność“ das Ende kommunistischer Herrschaft einleiteten, eine ideologisch ausgerichtete Schulbildung genossen. Und es gab im damaligen System Lehrkräfte, die gleichsam als „Partisanen“ das System unterliefen. Das wird bei allem Risiko, das Pädagogen damit eingehen, auch heute nicht anders sein. Zudem gibt es zum Glück nicht nur die Schule, die auf junge Menschen Einfluss nimmt, sondern auch das Elternhaus und das Internet als Informationsquelle. Gegen diese Hoffnung wird die „lex Czarnek“ wohl wenig ausrichten können.
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