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Unzufriedenheit reformfreudiger polnischer Katholiken


Angesichts der Krise ihrer Kirche machen sich unter reformwilligen polnischen Katholiken Unzufriedenheit und Ungeduld breit. Gleich drei in kurzer Folge im Krakauer „Tygodnik Powszechny“ erschienene Beiträge bringen diese Stimmungslage mit deutlicher Kritik an der Amtsausübung der Bischöfe zum Ausdruck.

„Es ist nichts passiert.“ Mit diesem, die Einstellung der Bischöfe zur gegenwärtigen Krise signalisierenden

Satz leitet der eher konservative Publizist Tomasz T. Terlikowski seinen Beitrag ein.[1] Passiert ist dagegen

allerhand. Neun Bischöfe wurden, wenngleich in einer eher milden Form, durch die römische Kurie

verurteilt. Mit Ausnahme des emeritierten und inzwischen verstorbenen Breslauer Kardinals Henryk

Gulbinowicz, der sich an einem Minderjährigen sexuell vergangen hatte, wurden diese Bischöfe der

Vertuschung klerikaler Missbrauchsfälle für schuldig befunden. Und es handelt sich z. T. um sehr

einflussreiche Hierarchen. Der Danziger Metropolit Sławoj Leszek Głódź war jahrelang mit hohem

militärischem Rang Ordinarius der Militärseelsorge. Er spielte in den Beziehungen zwischen Staat und

Kirche eine herausragende Rolle. Seine kuriale Verurteilung war vom Kirchenvolk gefordert und lange

erwartet worden, doch die Kurie wartete mit ihrem Urteil seine Emeritierung ab. Erzbischof Wiktor Skworc

bekleidete als Mitglied des Ständigen Rats und Vorsitzender der Pastoralkommission bedeutende Ämter

innerhalb des Episkopats. Und Bischof Tadeusz Rakoczy war vor seiner Bischofsernennung in der

polnischen Sektion des Vatikans tätig. In dieser Funktion konnte er Einfluss auf die Personalpolitik der

polnischen Kirche nehmen und ist damit nicht anders wie Głódź und Skworc bestens vernetzt.

Terlikowski sieht in dieser Vernetzung einen der Gründe, warum angesichts der offensichtlichen kirchlichen Krise so getan wird, als sei nichts Besonderes passiert. Er erweist darauf, dass auch die Rolle noch nicht aufgeklärt ist, die in diesem Netzwerk der Warschauer Nuntius Kowalczyk und Kardinal Dziwisz als Sekretär Johannes Pauls II. sowie als Krakauer Metropolit spielten.

Wie sehr ein solches Netzwerk die Aufdeckung kirchlicher Skandale behindert, das zeigt der 20 Jahre zurückliegende Fall des Posener Metropoliten Juliusz Päetz. Er hatte sich zwar nicht an Minderjährige vergangen, wohl aber Theologiestudenten seines Priesterseminars zu sexuellen Handlungen genötigt. Doch aus Angst vor Sanktionen war zunächst niemand bereit, sich der Sache anzunehmen. Schließlich war es Professor Tomasz Węclawski, der gegen enorme Widerstände des kirchlichen Netzwerks die Initiative ergriff und unter Umgehung des kirchlichen Dienstweges erreichte, dass Johannes Paul II. von den Skandalen Kenntnis erhielt. Paetz musste von seinem Amt zurücktreten, trat aber bis zu seinem Tod immer wieder im vollen Ornat bei kirchlichen Feierlichkeiten in Erscheinung.

Anders Prof. Węclawski. Er galt wegen seiner Initiative in den vom kirchlichen Netzwerk bestimmten Kreisen als persona non grata, wurde als Dekan der Posener Universität abgelöst, verlor seine Mitgliedschaft in der vatikanischen Theologenkommission und war auch sonst Anfeindungen ausgesetzt. Seine schmerzlichen Erfahrungen mit dem kirchlichen System führten am Ende dazu, dass er sein Priesteramt aufgab, aus der katholischen Kirche austrat und seinen Namen änderte.

Die Praxis einer falsch verstandenen Solidarität, mit der schuldig gewordene Bischöfe von ihren Amtsbrüdern geschützt, um Aufklärung bemühte Geistliche dagegen sanktioniert werden, führt dazu, dass der kirchliche Krisenzustand ignoriert und Reformbemühungen bereits im Ansatz unmöglich gemacht werden.

Dass diese Problematik überhaupt öffentlich gemacht und reflektiert wird, ist den regierungsfreien und wenigen kirchlich unabhängigen katholischen Zeitschriften wie dem „Tygodnik Powszechny“ zu verdanken. Doch sie gelten ihren erzkonservativen Gegnern als Medien, die gegen die Kirche Hass streuen.

Verschleierung durch kuriale Sprache

Dass von einem Krisenbewusstsein bei den meisten polnischen Hierarchen keine Rede sein kann, das verdeutlicht Terlikowski an der Sprache, mit der die Verurteilung der wegen Vertuschung von klerikalen Missbrauchsfällen für schuldig befundene Bischöfe bekannt gemacht wird. So ist etwa in den Erzbischof Skworc betreffenden kurialen Verlautbarungen von „Versäumnissen“ und „Situationen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen“ die Rede, Situationen, in denen es zu Versäumnissen „kam“.

Klartext ist das nicht. Terlikowski kommentiert: „Was die persönliche Rolle des Erzbischofs ist, was seine Versäumnisse sind, darüber kein Wort. Die unpersönliche Form ´es kam dazu` erlaubt die Vermutung, dass sich der Erzbischof nicht persönlich verantwortlich fühlt. ´Es passierte halt`.“ Und dass die Missbrauchsfälle nicht durch die Bischöfe selbst ans Tageslicht gebracht, sondern durch den äußeren Druck kirchlich unabhängiger Medien bekannt wurden, das wird in den Verlautbarungen gleichfalls verschwiegen.

Terlikowskis Fazit: „Die unpersönliche Form, bar der Erkenntnis eigener Verantwortung für die Leiden konkreter Menschen, zeigt, dass vielen polnischen Bischöfen das Bewusstsein fehlt, welche Aufgaben als Hirten vor ihnen stehen.“

Ohne Reform des Bischofsamtes kein Weg aus der Krise

Der Jesuit und Psychotherapeut Jacek Prusak zieht aus den klerikalen Missbrauchsfällen und ihre bischöfliche Vertuschung die zwingende Konsequenz einer Reform des Bischofsamtes. Seine These begründet er einleitend am Beispiel von Kardinal Stanisław Dziwisz, der als Sekretär Johannes Pauls II. und Krakauer Metropolit als der wohl einflussreichste zeitgenössische polnische Kirchenvertreter gelten kann.

Der Beitrag von Prusak trägt die Überschrift „Dämonen des Kardinals Dziwisz“[2]. Erschienen ist er während der Zeit der Untersuchung der von Kardinal Bagbosco geführten vatikanischen Kommission zur Klärung der gegen Kardinal Dziwisz erhobenen Vorwürfe. Offenbar erwartete Prusak eine Verurteilung des Kardinals, denn er verweist darauf, dass man es im Falle der Krakauer Erzdiözese mit Opfern zu tun hat, die sich vergeblich an ihn um Hilfe wandten. Im Übrigen sei dieses Versäumnis durch den Priester Isakowicz-Zakeski beglaubigt. „Das ist zu viel, um die Angelegenheit als marginal oder einzig und allein als Frucht medialer Hetzjagd betrachten zu können.“ Im Übrigen habe Isakowicz-Zaleski wissen lassen, dass er nicht nur über die Dinge befragt worden sei, die er längst bekannt gemacht habe, sondern auch nach „Fäden, über die er sich öffentlich nicht äußere.“ Damit dürfte die Vernetzung gemeint sein, die Prusak auch kurz anspricht, und der sich Kardinal Dziwisz aufgrund seiner herausgehobenen Position in besonderer Weise erfreuen dürfte. Vermutlich war sie letztlich dafür ausschlaggebend, dass Dziwisz trotz der Untersuchung von aller Schuld frei gesprochen wurde. Allerdings sind dadurch die Vorwürfe als solche nicht aus der Welt geschafft, und der „Fall Dziwisz“ entpuppt sich am Ende als ein Paradebeispiel für die Dringlichkeit einer Reform des Bischofsamtes.

Prusak nimmt in diesem Kontext auch Bezug auf die Rolle des 1989 durch Johannes Paul II. zum Warschauer Nuntius ernannten Erzbischof Józef Kowalczyk, der bis 2010 diese Funktion innehatte. Weil sämtliche polnische Ordinarien Kowalczyk bekannt waren, fiel es leicht, unliebsame Dinge zu blockieren. „Schmutz darf nicht aus dem polnischen Haus hinausgetragen werden. Es bedurfte schon eines großen Mutes, den eigenen Ordinarius beim Nuntius anzuzeigen. Solche Anschuldigungen wurden sorgfältig zur Kenntnis genommen, und niemals blieben sie für den Kläger ohne Konsequenzen.“

Prusak blieb selbst von dieser Strategie der Unterdrückung all dessen, was das Bild der Kirche verdunkelt, nicht verschont. Als er 2004 im „Tygodnik Powszechny“ die Untersuchungsergebnisse seines dreijährigen Amerikaaufenthaltes veröffentlichte, wonach die Mehrheit der dortigen Priester sexuell unreif und das Problem klerikaler Pädophilie keineswegs marginal ist, zeigte sich Dziwisz über seine Publikation beunruhigt. Er fürchtete, das Problem könne damit in der polnischen Kirche „entfacht“ werden, und zog Erkundigungen über Prusak ein.

Ein Staat im Staate?

Kardinal Dziwisz sagte einmal von sich: „In meinem ganzen Leben übergab ich keinen einzigen Priester an die Staatsanwaltschaft. Denn was würden andere Priester dazu sagen?“ Hier zeigt sich das besondere Verhältnis zwischen Priester und Bischof, das in der Priesterweihe grundgelegt wird, indem der Neupriester dem Bischof Gehorsam verspricht und dieser die Vaterschaft über ihn annimmt. Aus dieser Konstellation folgert der polnische Episkopat, anders als in Deutschland, die Weigerung, klerikale Missbrauchsfälle durch eine unabhängige Kommission untersuchen zu lassen. Er ist nicht einmal bereit, der von der PiS-Regierung berufenen, als durchaus kirchenfreundlich geltenden staatlichen Kommission die klerikale Missbrauchsfälle betreffenden Akten zur Verfügung zu stellen. Die ohnehin kirchenkritisch eingestellte Öffentlichkeit fragt „erbittert, ob die Kirche außerhalb des Gesetzes bzw. über dem Gesetz steht.“

Plädoyer für eine synodale Kirche

Prusak hält nach all dem Gesagten das Modell, nach dem die Kirche funktioniert, für „krank“. Die gegenwärtige Krise zeige, dass sich der Episkopat in der bisherigen Gestalt überlebt hat. „Versuche, schlechte Bischöfe gegen gute auszutauschen, genügen nicht.“ Prusak plädiert für eine tiefgreifende Reform, wobei er weiß, dass das bisherige Modell höchst schwierig zu verändern ist. „Wir erleben, auf welchen Widerstand Franziskus stößt, die römische Kurie zu reformieren. […] So kann man sich vorstellen, auf welchen Widerstand wir treffen bei dem Bemühen, den Weltepiskopat zu reformieren. Franziskus versucht es dennoch – und sieht in der Synodalität die Alternative zum Klerikalismus.“

Doch welche Art von Synodalität braucht es, um die Kirchenkrise zu überwinden? Nicht eine auf die Bischofsebene begrenzte Synodalität, sondern „eine Bewegung von unten, beginnend mit den Laien. Eine prophetische Vision. Doch sie prallt auf zweitausend Jahre einer Gestaltung der hierarchischen Struktur der Kirche, auf die wir vor einer noch nicht langen Zeit so stolz waren.“ Eine Vision also, die wenig Hoffnung auf Erfüllung lässt.

Die Laien – ein bloßer Kirchenschwanz?[3]

Der Publizist Józef Majewski wählt als Ausgangspunkt seiner Überlegungen eine vom Posener Metropoliten Stanisław Gądecki, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, bei der Amtseinführung eines Bischofs mehrfach benutzte Passage „Es geziemt sich nicht, dass Du, ein Bischof, der Du der Kopf bist, zum Verderben auf den Schwanz hörst, das heißt auf den rebellischen Weltmenschen, denn Du sollst allein auf Gott hören. Du sollst die Untergebenen regieren und nicht ihrer Macht unterliegen. Im Einklang mit der durch die Geburt gegebenen Ordnung bestimmt nicht der Sohn über den Vater, der Schüler nicht über den Lehrer, der Soldat nicht über den König und auch nicht der Laie über den Bischof.“

Der Text entstammt den „Apostolischen Konstitutionen“, einem Apokryph aus dem IV. Jahrhundert, das zu keiner Zeit kirchlich anerkannt war. Dass sich Erzbischof Gądecki bei Amtseinführungen von Bischöfen auf diesen zweifelhaften Text beruft, kommentiert Majewski mit völligem Unverständnis. Mehr noch: Dieser Text erlebe durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz nicht nur seine Auferstehung, nein, er gilt als Schlüssel zum Verständnis der Berufung eines Bischofs und der Rolle der Laien in der Kirche. […] Und das zu einer Zeit, in der auf skandalöse Weise Bischöfe die Tragödie der Leiden von Kindern ignorieren, die ihnen durch pädophile Verbrechen mancher Priester zugefügt wurden.“

Die Bedeutung der Laien

Gądecki verstößt mit seiner Aussage gegen die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums sowie gegen die Lehrmeinung der letzten Päpste. Als Beleg zitiert Majewski Sätze aus dem Apostolischen Schreiben von Papst Franziskus „Evangelii gaudium“: „ Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger. Das Bewusstsein der Identität und des Auftrags der Laien in der Kirche ist gewachsen. Wir verfügen über ein zahlenmäßig starkes, wenn auch nicht ausreichendes Laientum mit einem verwurzelten Gemeinschaftssinn und einer großen Treue zum Einsatz in der Nächstenliebe, der Katechese, der Feier des Glaubens. Doch die Bewusstwerdung der Verantwortung der Laien, die aus der Taufe und der Firmung hervorgeht, zeigt sich nicht überall in gleicher Weise. In einigen Fällen, weil sie nicht ausgebildet sind, um wichtige Verantwortungen zu übernehmen, in anderen Fällen, weil sie in ihren Teilkirchen aufgrund eines übertriebenen Klerikalismus, der sie nicht in die Entscheidungen einbezieht, keinen Raum gefunden haben, um sich ausdrücken und handeln zu können.“ (Nr. 102)

Zur Verschärfung seiner Kritik an der Amtsführung der Bischöfe verweist Majeswski auf den Stellenwert der Kinder in der Verkündigung Jesu (Mt 19, 13-15) sowie darauf, welches Gericht denen droht, die sich an ihnen vergehen (Mt 18, 1-10) Aufgrund der klerikalen Missbrauchsfälle und ihrer bischöflichen Vertuschung habe „die Krise der Kirche ihren Triefpunkt erreicht.“ Die Krise, die Priester und Bischöfe heraufbeschworen haben, sei von ihnen unmöglich zu bewältigen.

Der Ruf nach Demokratisierung

Wenn nicht durch Hierarchie und Klerus, wie ist dann die kirchliche Krise zu bewältigen? Durch eine tiefgreifende Strukturreform. Das bisherige pyramidenhafte, vertikale Kirchenverständnis muss durch ein Modell flacher Hierarchien ersetzt werden. Majewski beruft sich auf den jungen Ratzinger und das Buch „Demokratie in der Kirche. Grenzen und Möglichkeiten“, in dem der spätere Papst gemeinsam mit Hans Meier – im Rückgriff auf Cyprian – das Zusammenspiel von Bischöfen, Presbytern und Laien als „klassisches Modell kirchlicher Demokratie“ bezeichnet, eine `Demokratie`, die sich „aus der inneren Struktur kirchlicher Ordnung“ und nicht aus der Übernahme weltlicher Formen ergibt.

Aber führt diese Abgrenzung nicht zu einer Verwässerung des Demokratiebegriffs? Wenn sinnvoll von Demokratie in der Kirche gesprochen werden soll, dann muss auch für die Kirche die Gewaltenteilung als zentrales Element jeglicher Demokratie gelten. Doch bislang entzieht sich die bischöfliche Gewalt jeglicher Kontrolle. „Im Grunde verfügt jeder Ordinarius über eine uneingeschränkte Macht, indem er in seinen Händen die gesamte gesetzgebende, richterliche und ausführende Gewalt hält. Ohne Gewaltenteilung kein Ausweg aus der Krise! Und ohne Laien keine Gewaltenteilung. Vorbild ist für Majewski der „synodale Weg“ der deutschen Kirche, wobei er vermutet, „dass die getroffenen Beschlüsse, die sich, radikal und bahnbrechend, für viele als unannehmbar herausstellen, einer kritischen Konsultation und Akzeptanz durch die höchste kirchliche Institution, durch ein allgemeines Konzil, bedürfen.“



[1] Tomasz T. Terlikowski, Trzęsienie ziemi w kawałkach (Erbeben in Scheibchen), Tygodnik Powszechny v. 25. 07. 2021, S. 32-35. [2] Jacek Prusak, Demony kardinala Dziwisza, ebd. v.11. 07. 2021. S. 32-35. [3] Jósef Majewski, Ogon Kosciola i jego glowa (Der Schwanz der Kirche und ihr Kopf), ebd., S. 32-35.

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