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Wladyslaw Bartoszewski

Władysław Bartoszewski – polnischer Patriot und Freund der Bundesrepublik Deutschland

Freunde vergisst man nicht. Man gedenkt ihrer über ihren Tod hinaus. Das gilt im persönlichen Leben, und es gilt in der Geschichte der Völker. Einer der als polnischer Patriot ein Gedenken verdient, ist der am 14. April 2015 verstorbene Władysław Bartoszewski. Am 19. Februar 2022 wäre er 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass beschloss der polnische Senat am 26. November 2021, das Jahr 2022 Władysław Bartoszewski zu widmen, „dem großen Patrioten, dessen Credo für das für Polen bedeutsame Engagement zugunsten der Zukunft der demokratischen Republik Anerkennung verdient“, wie es in dem Senatsbeschluss heißt. Vorgesehen sind zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen.

Freund der Bundesrepublik Deutschland

Eine gleiche Wertschätzung sollte Władysław Bartoszewski auch in Deutschland zuteilwerden. Als erster Pole in der Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen und als Außenminister seines Landes hielt er 1995 zum 50. Jahrestag des Kriegsendes vor den versammelten Abgeordneten des Deutschen Bundestags und Bundesrats eine von ihnen mit einer minutenlangen standing ovation bedachten Rede. Er zeichnete nicht nur ein schonungsloses Bild vom Leiden der Polen unter deutscher Gewaltherrschaft, er nannte auch die von Polen mit zu verantwortende Vertreibung der Deutschen ein „Übel“, wenngleich ein geringeres im Vergleich zu dem, was sein Volk erlitten hat. Und er betonte, dass Deutsche und Polen nur gemeinsam eine Zukunft haben.

In der Rede findet sich ein Passus, der Aufschluss über das Selbstverständnis von Bartoszewski gibt: „Die Erfahrungen dieser wenigen furchtbaren Jahre, das Wissen um die Konzentrationslager, die Folterstätten und Gaskammern haben für mich ein für alle Mal die Entscheidung für meinen weiteren Lebensweg mit sich gebracht: gegen Hass, gegen Diskriminierung von Menschen, aus welchen Gründen auch immer -- im Blick auf Rasse, Klasse, Nationalität oder Religion --, wie auch gegen intellektuelle Gewalt, wozu die Lüge in der Geschichte gehört und der Mangel an Toleranz gegenüber Andersdenkenden.“

Jahre zuvor wurde Bartoszewski 1986 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Die Laudatio hielt der mit Bartoszewski freundschaftlich verbundene Professor Hans Meier. Er erinnerte an eine Frage, die er einmal Bartoszewski gestellt hatte: „Wie kam es, dass Sie nicht Rache suchten, dass Sie nicht als Verfolgter zum Verfolger wurden?“ Bartoszewski habe geantwortet, er sei durch glückliche Umstände am Leben geblieben, und das verpflichte ihn, „anderen zu helfen“.

Ein Leben bestimmendes Erlebnis

Bartoszewski ist als Sohn einer gut situierten Familie in Warschau aufgewachsen, wo er 1939, kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen, sein Abitur machte. Er kannte die damalige, von Teilen der Kirche unterstützte antisemitische Atmosphäre. Er wusste um die Ausgrenzung der Juden, die als Studenten im Hörsaal in eigens für sie bestimmten Gettobänken Platz nehmen mussten, und er kannte den Aufruf „Kauft nicht bei Juden“, den die Nazis am 1. April 1939 für sich übernahmen. Im von Deutschen besetzten Warschau mangelte es daher an der nötigen Solidarität mit den Juden, die ersten Opfer deutscher Willkür.

Auf diesem Hintergrund ist ein Vorgang von Ende September 1939 bezeichnend. Die deutschen Ordnungskräfte griffen wahllos Passanten auf, die sie für Juden hielten, um sie zur Beseitigung vom Aufstand übrig gebliebener Barrikaden zu zwingen. Bartoszewski sah, wie Männer eine Medaille der Gottesmutter unter dem Hemd hervorholten und, von Panik erfasst, erklärten, keine Juden, sondern Christen zu sein. Man ließ sie daraufhin laufen. Bartoszewski dachte „Bei Gott, was für eine Schweinerei. Diese Leute distanzieren sich bereits von den Juden. Sie halten sich für etwas Besseres, weil sie die – übrigens jüdische – Gottesmutter verehren, die Mutter Jesu, Mirian aus Nazareth“. Er, 17jährig, den man seiner großen Nase wegen für einen Juden halten konnte. ließ sich festnehmen und beseitigte gemeinsam mit den gedemütigten Juden unter deutscher Aufsicht die Barrikaden der Stadt. Mitunter erwächst Heldenmut aus Scham.

Aus Todesnot gerettet

Mitte Dezember 1940 befand sich Bartoszewski als Häftling Nr. 4427 in der Hölle von Auschwitz. Und es schien, dass, gerade einmal 18jährig, sein junges Leben dort zu Ende gehen würde. Beim Morgenappell brach er ohnmächtig zusammen. Im Lagerkrankenhaus stellte man eine schwere Lungenentzündung fest. Zwei polnische Häftlingsärzte überlegten, ob man ihn bei der geringen Chance, ihn retten zu können, aufnehmen solle. „Schade um den Platz bei all den vielen Kranken. Er wird nicht überleben.“ Man nahm ihn doch auf, und Bartoszewski wurde gesund. Und er hatte das seltene Glück, nach gut zwei Monaten entlassen zu werden.

Berufen zum Zeugen der Wahrheit und Helfer der Leidenden

Die Auschwitzerfahrung stürzte Bartoszewski in eine Glaubenskrise. Was er dort erlebt hatte, widersprach allem, was seinem Leben bisher durch die familiäre Erziehung, durch Schule und Kirche die Prägung gab. In seiner inneren Not wandte er sich, zwanzigjährig, an den in intellektuellen Kreisen hoch geschätzten Priester Jan Zieja. Und der erklärte ihm, sich mit der Frage herumzuquälen, warum ausgerechnet er gerettet wurde, andere aber umkamen, mache keinen Sinn. „Gott wollte, dass du lebst. Wozu? Was meinst du? Nicht dazu, dass du dich selbst bemitleidest, sondern dazu, dass du Zeuge der Wahrheit bist. Dass du weißt, dass es dieses schreckliche Böse gibt und zugleich gewiss bist, dass es das Gute geben muss. Wir sind von Unglücklichen und Leidenden umgeben. Denen musst du helfen.“ Aber wem, fragt Bartoszewski. Und Zieja antwortet: „Weißt du um das, was im Getto geschieht?“

Bartoszewski wurde zu einem Zeugen der Wahrheit. Man kannte ihn als einen, der Klartext redete, der, auch später als Diplomat, keine faulen Kompromisse einging. Und obwohl ihm der Ausbruch des Krieges und die Okkupation nicht erlaubten, ein Studium aufzunehmen, wurde Bartoszewski zu einem der bedeutendsten Historiker jener Schreckenszeit. Das bekannteste seiner rund 500 Bücher ist wohl die Chronik der besetzten polnischen Hauptstadt „1859 Tage Warschau“.

Während der Okkupation wurde Bartoszewski Mitbegründer von „Zegota“, einer geheimen Hilfsorganisation zur Rettung von Juden. Der Staat Israel ehrte ihn für sein Engagement

als „Gerechten unter den Völkern.“

Am Ende seines Lebens wertete Bartoszewski das Beichtgespräch mit Jan Zieja als eine Stunde innerer Befreiung: „Es war eine große Gnade, die mir zuteilwurde. Dafür bin ich Gott dankbar. Nicht nur für meine Errettung, sondern für Ausrichtung meines Lebens, die ich nicht durch Erleuchtung oder Offenbarung erfuhr, denn die wurden mir nicht zuteil, sondern durch Gott nahe Menschen.“

Aktiv im Widerstand

Mit den Jahren nahm der deutsche Terror in Warschau zu und erreichte im Herbst 1943 einen Höhepunkt. Wer sein Haus verließ, wusste nicht, ob er wieder heimkam. Er konnte willkürlich verhaftet und erschossen werden, wie es einem engen Freund von Bartoszewski erging. Mit dem Terror wuchs auch der Hass auf die Deutschen. Sich ihm zu entziehen, ist nicht leicht, wenn einem täglich Folter und Tod drohen.

Bartoszewski gehörte zu dieser Zeit zur geheimen „Front der Wiedergeburt Polens“, ein Kreis um den Priester Jan Zieja. Er traf sich in Privatwohnungen und diskutierte, ob ein Christ die Deutschen hassen darf. Wo verläuft die Grenze zwischen notwendigem Kampf und blinder Rache? Schließlich gab es Deutsche wie den Münsteraner Bischof Graf von Galen, der sich unmissverständlich den Nazis entgegenstellte, oder die Geschwister Scholl, die ihren Kampf gegen das Naziregime mit dem Leben bezahlen mussten.

Die „Front der Wiedergeburt Polens“ gab auch die Untergrundzeitschrift „Prawda“ (Wahrheit) heraus. Bartoszewski gehörte zur Redaktion. Sie veröffentlichte das Gedicht einer zum katholischen Glauben konvertierten Jüdin. Es ist ein einziges Flehen, Gott möge sich der schrecklichen Leiden der Polen erbarmen; doch es endet mit der Zeile „Komm zu Hilfe, Herr, den Frauen und Kindern in der Feuersbrunst Hamburgs.“

Wie jeder Angehörige der im Untergrund kämpfenden AK (Heimatarmee) hatte auch Bartoszewski seinen Eid geleistet: „Im Angesicht des Allmächtigen Gottes und der Allerheiligsten Jungfrau Maria lege ich meine Hände auf dieses Heilige Kreuz, das Zeichen des Leidens und der Erlösung, und schwöre dem Vaterland, der Polnischen Republik, treu zu sein, unbeugsam ihre Ehre zu achten, und mit aller Kraft, bis zum Opfer meines Lebens um ihre Befreiung aus der Unfreiheit zu kämpfen. Dem Präsidenten der Polnischen Republik und den Befehlshabern der Heimatarmee werde ich bedingungslos gehorchen und Geheimnisse ungebrochen wahren, was immer mich auch treffen mag. So mir Gott helfe.“

Während des Warschauer Aufstands war Bartoszewski für die Kommunikation zwischen den einzelnen Verbänden zuständig. Falls er in den Kämpfen sterben würde, sollten auf seinem Grabstein lediglich der Name und die Aufschrift „AK-Soldat“ zu lesen sein.

In kommunistischer Haft

Am 14. Dezember 1949 ist Bartoszewski auf dem Weg zu einer Theateraufführung. Ein Mann spricht ihn an: „Herr Bartoszewski? – Ja. – Dann kommen Sie bitte mit. – Wohin? – Zu uns, ins Ministerium, für einen Augenblick.“

Aus dem Augenblick wurden gut sechs Jahre. Zwei Jahre Untersuchungshaft mit ständigen Verhören. Dann der Prozess mit absurden Beschuldigungen. Schließlich das Urteil. Acht Jahre Freiheitsentzug wegen Spionage für eine ausländische Macht.

Im Gefängnis traf Bartoszewski mit der Elite des polnischen Untergrundstaates zusammen. Das bot die Gelegenheit zu Vorträgen und Diskussionen. Und es gab auch deutsche Häftlinge, Gestapoleute, die eine langjährige Haftstrafe abzusitzen hatten. Für Bartoszewski die Chance, in Gesprächen mit ihnen nicht nur seine deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern, sondern auch aus der Sicht des Feindes Informationen zum Kriegsgeschehen und zur Okkupation zu erhalten, Material, das ihm für seine späteren historischen Forschungen von Nutzen war.

Am Tag seiner Verhaftung war Bartoszewski 27 Jahre alt. Mit 33 Jahren verließ er, lungenkrank, die Haftanstalt. Gesundheitlich ist er stark angeschlagen, doch geistig und moralisch ungebrochen. Er ist nicht einmal wegen der verlorenen Jahre verbittert. Denn für Bartoszewski war es keine verlorene Zeit. „Im Grunde haben mir die Kommunisten einen Dienst erwiesen, indem sie mich einsperrten. Ich war ein junger Mensch, und wäre ich in Freiheit verblieben, dann hätte ich auch irgendwie leben müssen. Und ich wäre des Öfteren gezwungen gewesen, kleine oder auch größere Kompromisse einzugehen. Doch nach meiner Inhaftierung hatte ich lediglich ein Dilemma: Über die Kollegen in der Zelle zu berichten oder nicht. Nachdem ich erklärt hatte, dass ich nicht berichten werde – gestaltete sich mein Alltagsleben ganz einfach.“

Übrigens hat Bartoszewski auch später, nach dem Ende des Kommunismus, keinen Namen der auf ihn angesetzten 56 Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit preisgegeben, und dies aus Rücksicht auf deren Kinder und Kindeskinder.

Die Zeit des Kriegsrechts

Ende der 1970er Jahre spitzte sich die soziale und politische Lage in Polen zu. Die Regale in den Geschäften gähnten vor Leere. Es kam zu einer Versorgungskrise. Streiks brachen aus. Lech Wałęsa, ein einfacher Arbeiter, forderte die Kommunisten heraus. Er gründete die unabhängige Gewerkschaft „Solidarność“, die mit ihren 10 Millionen Mitgliedern einen beträchtlichen Machtfaktor darstellte und mit ihren demokratischen Forderungen auf einen Systemwandel hinarbeitete. Um die Macht der kommunistischen Partei und Regierung zu sichern, verhängte General Jaruzelski am 13. Dezember 1981 das Kriegsecht. Noch in der gleichen Nacht kommt es zu umfangreichen Verhaftungen führender Vertreter der „Solidarność“ und ihrer Berater, darunter auch Władysław Bartoszewski.

Proteste aus dem Ausland erreichten schließlich seine Freilassung. Aus Westberlin erhielt er eine Einladung zu einem durch ein Stipendium finanziell abgesicherten Aufenthalt. Er nimmt das Angebot an, und die kommunistischen Behörden erlauben die Ausreise.

Bartoszewski nutzt die Jahre des Kriegsrechts, in denen in seiner Heimat das gesellschaftspolitische Leben erstickt wurde, um im Westen als Anwalt für ein unabhängiges, freies Polen zu werben und zu wirken. Er hält zahllose Vorträge, lehrt an drei Universitäten, knüpft Kontakte bis in die höchsten politischen und kulturellen Kreise. In einem dem DDR-System gewidmeten Seminar beklagt er das geringe Interesse der Studenten für ihre Altersgenossen jenseits der Elbe. Und er zeigt sich überzeugt, dass sie noch die Wiedervereinigung erleben werden. Wegen dieser Prognose gilt Bartoszewski unter den Studenten bei all seiner Beliebtheit als ein naiver Träumer.

Im diplomatischen Dienst

Im europäischen Umbruchjahr 1989 ist Bartoszewski 67 Jahre alt, also in einem Alter, in dem andere ihren wohl verdienten Ruhestand antreten. Er aber beginnt seine diplomatische Karriere. Nach den von den Vertretern der „Solidarność“ gewonnenen halbfreien Wahlen übernahm der einstige Oppositionelle Tadeusz Mazowiecki die Regierungsgeschäfte. 1990 erhielt Bartoszewski von ihm die Einladung zu einem halbstündigen Gespräch: „Wir trinken Tee, unterhalten uns über persönliche Dinge. So vergingen zwölf Minuten. Ich nahm meine Uhr zur Hand, legte sie vor mich hin und sage: - Hör, Tadeusz, Du hast wenig Zeit, erlaub mir also, Dir einen Vorschlag zu machen. Ich komme gerade aus Deutschland zurück. Die Ludwig Maximilian Universität verlängert den Vertrag mit mir. Ich könnte Dir irgendwie helfen, z. B. durch informelle Kontakte zu den Christdemokraten… Daraufhin blickt mich Mazowiecki verwundert an: - Du sollst eigentlich nach Wien gehen. Wozu? – Weil man über den dortigen Botschafter empört ist, denn er ging in Danzig gegen die Solidarność vor.- Wir müssen ihn abberufen. Und Du musst die Botschaft übernehmen. Ich sage: Aber ob ich mich überhaupt darin auskenne? Und er schaut mich, wie es seine Art ist, traurig an. – Kenne ich mich etwa aus?“ So begann Bartoszewskis Karriere als Diplomat, zunächst als Botschafter in Wien, dann als Außenminister, schließlich als Sonderbeauftragter für internationale Beziehungen.

Halb im Spaß, halb im Ernst hatte Bartoszewski Gott gebeten, als ein aktiver Mensch zu sterben. Und er starb an einem Freitag, nachdem er Anweisungen für die kommende Woche herausgegeben, die Papiere geordnet, die Kanzlei des Premiers verlassen hatte und nach Hause heimgekehrt war.

Quelle: Marek Zajaz, Dziesiec punktów zwrotnych (Zehn Wendepunkte), Tygodnik Powszechny v. 20. 02. 2022, S. 59-63.





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