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Zwei programmatisch höchst unterschiedliche Seligsprechungen


In Polen wurde in einem gemeinsamen Akt die Seligsprechung zweier Persönlichkeiten gefeiert, deren Bedeutung für Polens katholische Kirche kaum unterschiedlicher hätte sein können. Da ist zum einen der 1981 verstorbene Kardinal und Primas Stefan Wyszyński, eine Persönlichkeit von historischem Rang, zum anderen eine Frau, die mit 21 Jahren erblindete und als Ordensschwester Elźbieta Róza Czaczka in Laski, unweit von Warschau, ein Blindenzentrum gründete und dort 1961 im Alter von 85 Jahren verstarb.

Das historische Verdienst von Primas Wyszyński ist es, Polens Kirche ohne schmerzhafte Einbußen durch die Zeit kommunistischer Herrschaft geführt und zu ihrem Ende entscheidend beigetragen zu haben. Wenn der polnische Primas im Nationalheiligtum der Schwarzen Madonna vor einer unübersehbaren Schar von Gläubigen sprach, dann wurde seine Predigt im Zentralkomitee der kommunistischen Partei aufmerksam verfolgt und analysiert. Wyszyński war nicht nur der oberste Hirt seiner Kirche, er verstand sich auch als Führer der Nation im Kampf um ihre, vom Kommunismus bedrohte Identität. Deutlich wurde dies in der Art und Weise, mit der er die Millenniumsfeierlichkeiten staatlicher Existenz vorbereitete. Bezugspunkt war die als „Taufe Polens“ verstandene Staatsgründung durch den Piastenfürsten Miezko I. im Jahr 966. Sie besiegelte die Zugehörigkeit des jungen Staates zum westlichen, vom römischen und nicht vom orthodoxen Christentum geprägten Kulturkreis. Von ihrem Ursprung her war damit für Wyszyński der katholische Glaube unlöslich mit der nationalen Identität verbunden, eine Symbiose, die es durch alle Tiefen der Geschichte zu bewahren galt.

Entsprechend bereitete Wyszyński die Tausendjahrfeier durch eine große, neun Jahre währende Novene vor, bei der Themen einer moralischen Erneuerung der Nation im Mittelpunkt standen. Eine Kopie des Gnadenbildes der Schwarzen Madonna, der Königin Polens, zog in Prozession von Gemeinde zu Gemeinde, wurde mit Triumphbögen empfangen, und die Gläubigen gelobten vor ihrem Bild ihren Einsatz „für die Freiheit der Kirche und des Vaterlandes“. Auf eine einfache Formel gebracht lässt sich sagen, dass der Primas im Kampf gegen das kommunistische System auf volkskirchliche Elemente zurückgriff und damit durchaus Erfolg hatte.

Parallel zur Großen Novene berieten in Rom die Konzilsväter im Rahmen des Zweiten Vatikanums Probleme einer Erneuerung der Kirche. Doch diese besaßen für den polnischen Primas keinen Vorrang. Jedenfalls zeigte er sich nicht an einer Anteilnahme seiner Gläubigen an den Reformbemühungen interessieret. Ganz im Gegenteil. Als die für einen offenen Katholizismus eintretenden Kirchenzeitschriften „Tygodnik Powszechny“, „Więż“ und „Znak“ vom Konzilsgeschehen ausführlich berichteten und sich für eine intellektuelle Vertiefung des Glaubens aussprachen, sah der Primas darin ein gegen seine Strategie gerichtetes Störmanöver und reagierte in aller Schärfe. Ihm genügte es, wenn die Gläubigen für das Gelingen des Konzils beteten, wozu er sie denn auch ausdrücklich aufrief. Er selbst war auf dem Konzil lediglich durch seine Forderung aufgefallen, Maria den Titel einer „Königin der Kirche“ zu verleihen, ein Anliegen, das allerdings bei den Konzilsbischöfen keine Mehrheit fand. Dass Polens Kirche den Geist und die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums nur sehr zögerlich und unzureichend aufgenommen hat, ist vor allem die Folge des von Wyszyński verfolgten, auf der Volksfrömmigkeit basierenden national-religiösen Kurses, wodurch die Konzilsberatungen und Konzilsbeschlüsse gegenüber der Großen Novene in den Hintergrund gerieten und kaum wahrgenommen wurden.

Bezeichnend ist, dass sich bei der historischen Bedeutung, die dem Primas fraglos zukommt, nach seinem Tod kein religiöser Kult der Verehrung seiner Person herausgebildet hat. Das mag an seiner Unnahbarkeit liegen, die schon optisch deutlich wurde, wenn er von der meterhohen Brüstung der Klosterfeste herab zum gläubigen Volk sprach. Ich habe einmal diese Unnahbarkeit persönlich zu spüren bekommen, als ich in Begleitung eines Vertreters der Aktion Sühnezeichen eine Audienz im Palast des Kardinals gewährt bekam. Der Primas hatte am erhöhten Ort in seinem Thronsessel Platz genommen, und wir berichteten im gehörigen Abstand zu ihm von den Einsätzen junger Menschen aus der DDR in den Gedenkstätten ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslagern. Er hörte sich alles an, doch zu einem Gespräch kam es nicht. Wir wurden mit der Kopie des Gnadenbildes der Schwarzen Madonna beschenkt, versehen mit seiner Unterschrift, und mit seinem Segen entlassen. Primas Wyszyński ist mir aufgrund dieser Szene als Kirchenfürst alten Stils in Erinnerung geblieben.

Die Seligsprechung von Stefan Wyszyński ist in gewisser Weise prorammatisich, weil sich rechtskatholische Kreise trotz der veränderten gesellschaftspolitischen Situation auch heute in ihrem Wirken auf ihn berufen. Es sind nicht wenige polnische Bischöfe, die „überzeugt sind, dass Wyszyńskis einstige Strategie, die sich als sehr effektiv im Kampf mit der kommunistischen Macht und dem von ihr propagierten Atheismus erwiesen hat, mit geringfügigen Modifikationen in der polnische Kirche auch in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts angewandt werden kann.“[1] Die Seligsprechung des polnischen Primas dürfte daher manche Bischöfe noch darin bestärken, auch unter den heutigen, gänzlich anderen Umständen den Weg zu wählen, den Wyszyński zur Rettung von Nation und Kirche so erfolgreich beschritten hat.

Doch wer meint, das Erbe des Primas auf diese Weise aktualisieren zu können, der verkennt die Situation, in der sich die Kirche wie die Nation heute befinden. Die volkskirchlichen Elemente, die Wyszyński in seinen Dienst nehmen konnte, stehen den Bischöfen nicht mehr in gleicher Weise zur Verfügung. Im Übrigen ist es wenig überzeugend, den einst in Polen herrschenden Kommunismus durch die angebliche jetzige Gefährdung durch den westlichen Liberalismus, durch die so genannte „Gender-Ideologie“ sowie durch die Rechtsansprüche einer homosexuellen Minderheit zu ersetzen, wobei ihre Zusammenfassung durch den Begriff „Neomarxismus“ die Kontinuität mit Wyszyńskis Strategie unterstreichen soll. Des Weiteren ist Polens Kirche durch einen tiefgreifenden Glaubwürdigkeits- und Autoritätsverlust geschwächt, so dass sie kaum in der Lage sein dürfte, sich als Repräsentantin der Nation sowie als ihr rettender Schutz zu positionieren. Auch ist der Entchristlichungsprozess schon relativ weit fortgeschritten und wird in der sich abzeichnenden Tendenz weiter fortschreiten, so dass der von der Kirche vertretene Katholizismus seine Bedeutung für die nationale Identität auf Dauer kaum behaupten kann. Damit wird wohl der Versuch mancher Bischöfe und rechtskatholischer Gruppierungen, die Seligsprechung von Stefan Wyszyński programmatisch zu nutzen, letztendlich scheitern.


Die programmatiische Bedeutung der Seligsprechug von Róza Czaczka


Die 1876 im damaligen russischen Teilungsgebiet geborene und 1961 in Laski im Ruf der Heiligkeit verstorbene Róza Czaczka wuchs in einer kinderreichen, begüterten Familie auf. Unter der Obhut ihrer Mutter, einer geborenen Ledochówska, genoss sie eine vorzügliche Erziehung und Bildung, bei der insbesondere ihr musikalisches und sprachliches Talent gefördert wurde. Bereits in jungen Jahren beherrschte sie neben dem Ukrainischen und Latein die Weltsprachen Französisch, Englisch und Deutsch. Eine glückliche Zukunft schien vor ihr zu liegen.

Doch mit 18 Jahre erlitt Róza Czaczka einen Reitunfall als dessen Folge sich die Netzhaut ihrer Augen löste. Ihre Sehkraft verminderte sich unaufhaltsam. Selbst die bekanntesten Augenärzte Polens und des westlichen Auslandes konnten ihr nicht helfen, so dass sie mit 22 Jahren gänzlich erblindete.

In dieser Situation erfuhr sie ihre erste Berufung. Ein Augenarzt hatte ihr klipp und klar erklärt, die Koryphäen im Ausland weiterhin zu konsultieren und auf Heilung zu hoffen, mache keinen Sinn. Sie habe ihr Augenlicht unwiderruflich verloren. Nun solle sie sich der Blinden annehmen, für die sich in Polen sonst kaum jemand interessiere. Diese Aussage des Arztes bestimmte Rózas weiteren Lebensweg. Sie lernte mit den Gegebenheiten ihrer Blindheit zurechtzukommen, studierte die neuesten Erkenntnisse der Augenheilkunde und Blindenfürsorge und unternahm mehrere Auslandsreisen, um die modernsten Blindenzentren ihrer Zeit kennenzulernen.

Ihre zweite Berufung erlebte Róza Czaczka im Ersten Weltkrieg. Ihr war klar, dass sie Mitstreiter brauchte, um in Polen ein Blindenzentrum zu errichten, das nicht nur der bloßen Verwahrung der vom Schicksal hart getroffenen Menschen dienen sollte, sondern dessen Ziel es war, ihnen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. In ihr reifte der Gedanke, sich vor Gott ganz ihrem Werk zu weihen und eine vom franziskanischen Geist beseelte Ordensgemeinschaft zu gründen. Am 15. August 1917 legte sie die ewigen Gelübde ab und gründete am 1. Dezember 1918 die franziskanische Schwesterngemeinschaft der Dienerinnen des Kreuzes, deren Aufgabe es sein sollte, sich gänzlich blinden Menschen und – im Sinne des Apostolats – der Blindheit der Welt zu widmen.

Im Mai 1921 war es so weit, dass Róza Czaczka, die den Ordensnamen Elżbieta angenommen hatte, mit dem Aufbau eines Blindenzentrums beginnen konnte. Durch Schenkung erhielt sie in Laski, nahe Warschau, ein fünf Morgen umfassendes Waldgebiet. Unter weitgehender Wahrung der Natur entstanden zwischen den Bäumen die Wohngebäude für die Schwestern und die Blinden, verschiedene Werkstätten, eine Kapelle sowie eine umfangreiche Bibliothek. Laski wurde so zu einem Ort, der bald Menschen weit über Polen hinaus magnethaft anzog.

Einer von ihnen ist der aus der Schweiz stammende Priester und spätere Kardinal Charles Journet. In den 1930er Jahren besuchte er Laski und brachte seine Erinnerungen zu Papier: „Wir stießen in einem abgelegenen Ort Polens […] auf eine wahrhaft franziskanische Kirche. Sie nimmt sich warmherzig allen Nöten des Leibes und der Seele an. […] Es ist ein Ort wunderbarer Wertschätzung der Liturgie, völlig frei von jeglichem Formalismus, frei wie die Wolke am Himmel. Dort gibt es keine Härte, keine Verachtung der Juden, keine Verlogenheit, sondern eine Offenherzigkeit bis zum Übermaß. Man gedenkt der Kommunisten, nicht um sie zu verfluchen, sondern um sie im Gefängnis zu besuchen.“[2] Journet beschreibt damit eine geistige Atmosphäre, die in der Zwischenkriegszeit und weithin auch heute noch für Polens Kirche als einmalig gelten kann.

Um sich eine Vorstellung von der vom Evangelium inspirierten geistigen Kraft zu machen, die an diesem von der Gründerin Elżbieta Róza Czaczka geprägten Ort spürbar ist, genügt ein Gang über den Friedhof der Ordensgemeinschaft mit den Namen bekannter Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker, deren Wunsch es war, in Laski ihre letzte Ruhe zu finden. Ein besonderes Zeichen des nicht nur zu jener Zeit gänzlich unüblichen Respekts gegenüber Homosexuellen ist das Grab des Schriftstellers, Publizisten und führenden katholischen Laien Jerzy Zawieyski (1902-1969), in das er gemeinsam mit seinem Lebenspartner bestattet wurde.

Zawieyski hatte in Laski sein eigenes Zimmer, das 1976 für fünf Monate von dem bekannten Oppositionellen und heutigen Chefredakteur der linksliberalen Zeitung „Gazeta Wyborcza“ bewohnt wurde und wo er sein Buch „Kościoł, lewica, dialog“[3]schrieb und im Untergrund veröffentlichte. Michnik findet darin bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten, zumal bezüglich der Menschenrechte. Das Buch befruchtete, wenngleich nur kurzfristig, einen beiderseitigen Dialog und Formen der Zusammenarbeit.

Aus dem Gesagten ergibt sich der programmatische Aspekt der Seligsprechung von Elżbieta Róza Czaczka und ihres Werks: Laski steht für eine Kirche der offenen Tür, in der sich jeder wohl fühlen kann, in der er nicht auf seine Rechtgläubigkeit, nicht auf seine Herkunft und auch nicht auf seine politische Einstellung überprüft wird, um akzeptiert zu werden. Laski steht für einen offenen, an der Botschaft des Evangeliums orientierten Katholizismus, in dem der Dienst an den Schwachen, Kranken und Ausgegrenzten, an den Opfern jeglicher Art Vorrang hat; in dem ein tief verwurzelter Glaube nicht das rationale Denken unterdrückt, sondern beflügelt; in dem das karitative Handeln eng mit dem Apostolat verbunden ist, das allein auf einem glaubwürdigen Zeugnis und dem Respekt vor Andersdenkenden basiert; in dem die Bischöfe nicht rückwärtsgewandt denken, es nicht dabei belassen, das geistliche Erbe zu konservieren, sondern indem sie bereit sind, von lieb gewordenen Vorstellungen Abschied zu nehmen und sich den Herausforderungen einer neuen Zeit zu stellen. Vielleicht wäre es der Weg aus der Krise, mit der Polens Kirche derzeit zu kämpfen hat, sich die Programmatik von Laski zu eigen zu machen.





[1] Sebastian Duda, Święty minionej epoki (Ein Heiliger der vergangenen Epoche), Tygodnik Powszechny v. 12. 09. 2021, S. 45. [2] Ignacy Dudkiewicz, Siła Lasek (Laskis Kraft) Tygodnik Powszechny v. 12. 09. 2021, S. 49. [3] In deutscher Übersetzung: „Die Kirche und die polnische Linke. Von der Konfrontation zum Dialog“, München 1980.

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