Ein Museum für Gerechte unter den Völkern
Über sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es immer weniger Zeitzeugen, die über die Verbrechen jener Jahre, aber auch über den Heroismus einzelner berichten können, die dem Bösen Widerstand leisteten, und dies oft um den Preis des eigenen Lebens. Umso notwendiger sind Gedenkorte, welche die Erinnerung an die Opfer und ihre Täter sowie an die wenigen Gerechten unter den Völkern wach halten. Ein solcher Ort ist die im polnischen Karpatenvorland gelegene Gemeinde Markowa. Dort wurde am 17. März 2016 durch Staatspräsident Andrzej Duda ein Museum eröffnet, das den Namen der Familie Ulmów trägt und den Polen gewidmet ist, die während der deutschen Besatzung trotz der ihnen drohenden Todesstrafe Juden gerettet haben.
Die Bluttat des 24. März 1944
Im Morgengrauen des 24. März 1944 drang unter Führung des Oberleutnants Eilert Dieken eine von polnischen Gendarmen begleitete Gruppe deutscher Feldjäger in das ein wenig abseits vom Dorf gelegene Gehöft der Familie Ulmów ein und erschoss den sich auf dem Dachboden versteckt haltenden Saul Goldman, seine vier erwachsenen Söhne sowie drei weitere, in Markowa ansässige Juden seiner näheren Verwandtschaft, insgesamt acht Personen. Anschließend wurden Józef Ulma und seine hochschwangere Frau Wiktoria aus dem Haus geführt und gleichfalls exekutiert. In ihrer Todesangst setzten bei Wiktoria die Wehen ein, so dass zwischen den Beinen ihres Leichnams Köpfchen und Brüste des Säuglings herausragten, wie später ein zur Bestattung der Toten beauftragter Pole vor Gericht aussagte. Nach einigem Zögern erteilte Oberleutnant Dieken den Befehl, auch die sechs Kinder der Familie Ulmów zu erschießen, um „reinen Tisch zu machen.“ Ein Augenzeuge dieser Morde behielt das Gebrüll eines der Schergen in Erinnerung: „Schaut her, wie polnische Schweine umkommen, die Juden verstecken.“
Nach ihrem Verbrechen durchstöberten die Männer Hab und Gut der ermordeten Juden, wurden fündig, bereicherten sich an deren Gold und Wertsachen und verließen Markowa nach einem Besäufnis mit drei Liter Wodka.
Das Schicksal der Täter
Am Anfang dieser Mordtat stand, wie in vielen anderen Fällen, ein Verrat. Der Verdacht fiel auf Włodimierz Leś, einen polnischen Gendarm, der zu den Goldmans in Kontakt stand und ihnen gegen entsprechendes Entgelt seine Hilfe zugesagt hatte. Als dieses ausblieb, vergewisserte er sich durch einen Besuch bei Józef Ulma über deren Aufenthalt und verriet ihr Versteck. Doch Leś entging nicht seiner gerechten Strafe. Der polnische Untergrund verurteilte ihn zum Tode und vollstreckte am 10. September 1944 das Urteil. Auch einer der polnischen Gendarmen konnte später ermittelt und gefasst werden. Er wurde 1958 vor Gericht gestellt und verstarb, zu lebenslanger Haft verurteilt, im Gefängnis. Oberleutnant Dieken dagegen lebte ungestört als angesehener Bürger und unbescholtener Polizeibeamter bis zu seinem Tod in Westdeutschland.
Mateusz Szpytma, dem Initiator und Direktor des Museums, gelang es, Informationen über den längst verstorbenen Dieken einzuholen. Nachdem er die Nordseestadt Esens als dessen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte, wandte er sich an die dortige Polizeidienststelle und erhielt zwei Gruppenfotos, die Dieken in Polizeiuniform zeigen. Offenbar hatte man vor Ort Diekens Tochter über diese Nachfrage informiert, denn wenig später erhielt Szpytma von ihr einen Brief, in dem sie schrieb: „ Ich freue sich sehr, dass das Museum über meinen Vater berichten wolle, weiß ich doch, dass er ein guter Mensch war und den Menschen dort sehr geholfen hat“.(1)
Über diese Aussage höchst verwundert, entschloss sich Szpytma, Diekens Tochter persönlich aufzusuchen. Doch als er ihr, einer 85jährigen Greisin, gegenüberstand, unterließ er es aus Rücksichtnahme, ihr positives Vaterbild durch Aufdecken der Verbrechen zu zerstören. Er legte das Kuvert mit dem Belastungsmaterial unter Hinweis auf den Tisch, sie könne es öffnen oder ungeöffnet in den Papierkorb werfen. Danach verabschiedete er sich, ohne je wieder von ihr gehört zu haben.
Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des Museums
Die Entstehungsgeschichte des Museums in Markowa geht bis in das Jahr 2004 zurück. Damals errichtete man zur Erinnerung an das sechzig Jahre zurückliegende Verbrechen einen Gedenkstein, der auch in Israel Interesse fand, so dass sich von dort immer wieder Besucher nach Markowa auf den Weg machten. Dies ermutigte Mateusz Szpytma zur Planung eines Museums, das die Geschichte der Familie Ulmów detailliert und dreisprachig, polnisch, englisch und hebräisch, präsentieren sollte. Zudem war daran gedacht, es den Gerechten des näheren Umkreises zu widmen, die es neben einem verbreiteten Antisemitismus und durch Polen an Juden verübten Mordtaten auch gegeben hat. Man hoffte, dadurch vor allem jene jungen Juden, die auf ihrer Polenreise für gewöhnlich lediglich das Vernichtungslager Auschwitz aufsuchen, bewegen zu können, auch nach Markowa zu kommen.
In dem Ort lebten vor dem Krieg 120 Juden, von denen 21 bei verschiedenen Familien Unterschlupf fanden und gerettet wurden. Dass das Museum den Namen der Familie Ulmów trägt, ist neben der Bluttat auch der Tatsache geschuldet, dass sich von ihr vieles erhalten hat, das sich als Ausstellungsstücke eignet – Gerätschaften, Prozessakten, Dokumente des Untergrundes, eine große Anzahl von Büchern, darunter eine Bibel, in der sich das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, von Józef Ulma eigens unterstrichen, besonders hervorhebt – als Verpflichtung, jedem beizustehen, der unter die Räuber gefallen ist. Auch haben sich hunderte von Fotos erhalten, denn Józef Ulma war ein leidenschaftlicher Fotograf. Seine Fotosammlung umfasst nicht nur Bilder von der eigenen Familie, sondern auch solche der sich in ihrem Haus versteckt haltenden Juden, und sie dokumentiert das Dorfleben in all seinen Riten und Gebräuchen.
1995 wurde der Familie Ulma vom Institut Yad Vaschem der Titel „Gerechte unter den Völkern“ zuerkannt. 2003 leitete die Diözese Przemyśl ihren Seligsprechungsprozess ein. 2010 zeichnete Staatspräsident Lech Kaczyński Józef und Wiktoria Ulma mit dem Kommandeursorden der Republik Polen aus. 2008 wurde mit der Errichtung des Museums begonnen, das am 17. März 2016 eröffnet wurde. Auf einer dem Museum vorgelagerten Wand finden sich die Namen zahlreicher Polen aus dem näheren Umkreis, die Juden gerettet haben.
Für Ofer Aderet, einen israelischen Journalisten, welcher der Eröffnung des Museums beiwohnte, war es „die erste Möglichkeit eines Zusammentreffens mit polnischen Familien, die Juden geholfen haben.“ Er sagt von sich, dass sich unter dem Eindruck dieser Erfahrung „sein Blick auf die polnisch-jüdischen Beziehungen jener Zeit mit Sicherheit verändert“ habe. Kritisch fügt er allerdings hinzu, dass er „zwar durchaus die Absicht der Initiatoren des Museums verstehe, die Geschichte jener Menschen ans Licht zu bringen, deren Stimme bislang kein Gehör fand und deren Namen unbekannt, deren Gesichter unsichtbar geblieben sind.“ Doch dem hätten „ein paar Sätze mehr nicht geschadet, die verdeutlichen, dass sich Polen nicht nur aus Angst vor den Deutschen gefürchtet haben, Juden zu retten, sondern ebenso vor ihren polnischen Nachbarn und den polnischen Gendarmen.“(2)
Schon jetzt ist das Museum in Markowa einer der wichtigsten polnischen Gedenkorte. Vertreter des israelischen Bildungsministeriums haben es bereits ausgesucht. Im April waren israelische Lehrer und Reiseführer Gäste des Museums. Vieles spricht dafür, dass es seine Zielsetzung erfüllt „zu zeigen, dass es selbst in allerschwierigsten Zeiten möglich ist, eine Gruppe von Menschen zu finden, die trotz des Risikos und der Gefahr für das eigene Leben Schwächeren helfen können. Und dass wir dies zu schätzen wissen, uns um ihr Andenken mühen und uns diese Menschen als Vorbilder zur Nachfolge vor Augen stellen. Denn auf der Suche nach Vorbildern finden wir diese nicht bei Lumpen und Mördern, sondern bei denen, die Helden die Hand reichen. Was nicht heißt, dass wir uns über die Präsenz der ersteren nicht im Klaren sind.“(3)
(1) Marteusz Szpytma, Zmiana krajobrazu pamięci (Wandel der Gedächtnislandschaft), Tygodnik Powszechny vom 14. 04. 2016, S. 20. (2) Ofer Aderet, Lekcja z Markowej (Eine Lektion aus Markowa) ebd., S. 82. (3) Mateusz Szpytma, aaO., S. 73.