Jarosław Kaczyński – der geborene Diktator
Quelle: Agneszka Kublik, Jarosław Kaczyński. Narodziny diktatora (J. Kaczyński. Der geborene Diktator), Gazeta Wyborcza, Magazyn świąteczny, vom 06. 01. 2017. (Gespräch mit Professor Krystyna Skarżińska)
K. Skarżińska ist Pprofessorin für Sozialpsychologie. In ihrem Gespräch mit der Journalistin Agnieszka Kublik geht es ihr darum, die Entwicklung in Polen vor allem sozialpsychologisch als Trend von der Demokratie zur Diktatur zu verdeutlichen und Jarosław Kaczyński, den Chef der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS,) als „geborenen Diktator“ zu charakterisieren.
Einen ersten Ansatzpunkt für diese These bietet ihr die politische Bilanz des Jahres 2016. Mit der absoluten Mehrheit der Kaczyński-Partei habe sich Polen in dieser Zeit politisch tiefgreifend verändert. Was im Wahlkampf von PiS als „guter Wandel“ (dobra zmiana) angekündigt worden sei, habe sich als eine permanente Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien erwiesen: Das Verfassungsgericht sei lahm gelegt und damit die für eine Demokratie unabdingbare Kontrolle der Regierung und ihrer Gesetzgebung außer Kraft gesetzt; Die öffentlichen Medien seien ihrer freien Berichterstattung und Informationspflicht beraubt worden, um sie nunmehr zu Propagandazwecken zu missbrauchen; Autoritäten, die sich in ihren Ansichten und Zielen von PiS unterscheiden, würden zu nationalen Feinden erklärt und entsprechend bekämpft; die Schullektüre habe das einseitige Geschichtsbild eines nationalen Heroismus und Martyriums zu vermitteln; auf filmische Inhalte und das Repertoire der Theater werde Einfluss genommen. Und dies alles unter dem Motto: Wir verfügen über die legale Macht, dies zu tu. Diese Bilanz belegt zwar kleine Entwicklung hin zu einer Diktatur, wohl aber eine Untergrabung demokratischer Prinzipien und Institutionen und damit die Umwandlung der politischen Verhältnisse in ein autoritäres System. Und dies alles unter der persönlichen Regie von J. Kaczyński, der zwar Parteivorsitzender ist, aber als bloßer Parlamentsabgeordneter kein Regierungsamt bekleidet.
Allein schon die Tatsache, dass Kaczyński im Hintergrund die Fäden in der Hand hält und er es letztlich alleine ist, der das Geschick seines Landes bestimmt, lässt ihn als einen „geborenen Diktator“ erscheinen. Um dies näher zu begründen, nimmt Professor Skarżińska dessen aggressive Sprache ins Visier. So habe er den Protest der Opposition, die wegen der handstreichartigen Verabschiedung des Haushaltes 2017 wochenlang den Plenarsaal besetzt hielt, als „Putsch“ und ihre Akteure als „Putschisten“, ja sogar als „Verbrecher“ tituliert, denen er scharfe Strafmaßnahmen androhte. Ganz allgemein sehe Kaczyński in seinen Kritikern „Polen der schlimmsten Sorte“ bzw. „Kommunisten und Diebe“. Ihm gehe es offenbar darum, den Konflikt mit allen oppositionellen Kräften auf die Spitze zu treiben, indem er sie ohne sachliche Begründung in ein „schlechtes Licht“ rücke und ihnen „böse, egoistische, ja verbrecherische Intentionen“ unterstelle.
In seiner Argumentation greife Kaczyński auf Verschwörungstheorien zurück, ganz so wie Diktatoren totalitärer System. Was für die Kommunisten das „internationale Finanzkapital“ gewesen sei, was für die Nazis die „Juden“ waren, das sei für Kaczyński mit seiner Rede vom „Putsch“ und von den „Putschisten“ die Opposition als innerer Feind, der auf verbrecherische Weise seiner Partei die Macht entreißen wolle, mit der sie legal regiere. Ergänzend lässt sich sagen, dass Kaczyński in seiner Verschwörungsrhetorik immer wieder auf die äußere Bedrohung Polens durch die Europäische Union und die Vormachtstellung Deutschlands unter Angelika Merkel herbeiredet, die angeblich darauf aus seien, Polen zu unterdrücken.
Professor Skarżińska geht zudem die Frage ein, wie es zu erklären sei, dass bei dieser sich abzeichnenden Annäherung Polens an eine Diktatur der Zuspruch in der Bevölkerung für Kaczyński und seine Partei weiterhin hoch über dem für die oppositionellen Parteien liege. Offenbar verfehle die Verschwörungsrhetorik nicht ihre Wirkung. Man müsse nur lange genug die falschen Anschuldigungen wiederholen, damit sie zu „subjektiven Wahrheiten“ würden. Zudem sei es den Verschwörungstheorien eigen, komplizierte Sachverhalte zu simplifizieren und die eigene Weltsicht auf Kosten äußerer Feinde zu ordnen. Je mehr man diese „mit der ganzen Schlechtigkeit der Welt belaste, umso strahlender erscheine die eigene Gruppe.“
Dem entspreche eine breite Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und Diktatur überall dort, wo ein „autoritärer Lebensstil“ in den Familien, in der Kindererziehung, aufgrund kirchlicher und sozialer Strukturen vorherrsche und sich ein „autoritärer Typ“ herausbilde. Ihn charakterisiere ein Misstrauen anderen gegenüber, denen man schlechte Absichten unterstelle; man empfinde ein starkes Bedrohungsgefühl, mit dem man überall Feinde wittere; dem "autoritärenTyp" sei die Mentalität einer „belagerten Festung“ eigen. Diese Charakteristika seien in einer Diktatur leicht abrufbar und ermöglichten es,breite Schichten der Gesellschaft zu manipulieren.
Die Analyse von Professor Skażińska verweist letztlich auf ein gesellschaftliches Demokratiedefizit als eine (noch) nicht bewältigte Hypothek langjähriger kommunistischer Herrschaft.