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Polen manövriert sich ins europäische Abseits

Am 9. März 2017 stand auf dem Brüsseler EU-Gipfel die Wahl des Ratspräidenten an. Seit einem Jahr munkelte man, Amtsinhaber Donald Tusk, der sich einer breiten Zustimmung unter den EU-Mitgliedstaaten erfreuen konnte, würde eine zweite Wahlperiode anstreben. Und gleichfalls seit langem war klar, dass die polnische Regierung unter Führung der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) seine Wiederwahl verhindern wollte. So hatte man noch im Februar versucht, Angela Merkel bei ihrem Warschaubesuch entsprechend zu beeinflussen. Wie sich zeigen sollte, ohne Erfolg. Versäumt hatte man auf polnischer Seite zudem offenbar, die diplomatischen Kanäle zu nutzen, um für den eigenen Standpunkt zu werben und die für eine Verhinderung der Wahl von Tusk erforderlichen Stimmen einzelner Mitgliedstaaten zu gewinnen. Und dass man kurz vor der Wahl noch einen eigenen Kandidaten gleichsam aus dem Hut zauberte, der nicht einmal nach Brüssel eingeladen wurde, spricht auch nicht gerade für diplomatisches Geschick.

Den äußeren Beobachter verwundert es im Übrigen, dass ausgerechnet die Regierung seines Heimatlandes sich so kompromisslos gegen die Wiederwahl von Donald Tusk stellte. Als er am 1. Dezember 2014 erstmals zum Ratspräsidenten gewählt wurde, war dies anders. Damals sah man in Polens breiter Öffentlichkeit in seiner Wahl eine nationale Auszeichnung und besondere Ehre. Doch da war die von Tusk und seinem liberal-konservativen „Bürgerplattform“ geführte Regierung an der Macht und PiS in der Opposition. Das alleine würde aber kaum ihre jetzige so entschiedene Ablehnung von Tusk erklären. Doch heute sind die Machtverhältnisse umgekehrt. Zudem spielen seit vielen Jahren angestaute Ressentiments von Jarosław Kaczyński eine Rolle, der in Tusk nicht nur einen politischen Gegner, sondern einen politischen Feind sieht, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.

In diesem Sinn äußerte sich Außenminister Waszczykowski zwei Tage nach dem Brüsseler Gipfel. In einem „Super Express“ erteiltem Interview sah er in dem Votum für Tusk eine „gegen Polen gerichtete Koalition“ der EU-Mitgliedstaaten. Dabei sei es nicht nur für Polen, sondern auch für die Europäische Union insgesamt unannehmbar, einen Mann zum Ratspräsidenten zu wählen, der – wie er behauptet - für die smolensker Katastrophe sowie für etliche Fälle von Korruption verantwortlich sei. Dafür, dass Polen auf dem Gipfel „hintergangen worden“ sei, kündigte er als Reaktion gegenüber der EU eine „negative Politik“ der Blockade bei einstimmig zu treffenden Beschlüsse an.

Dass die polnische Regierung mit solcher Verbissenheit bis zur letzten Minute bemüht war, unter Androhung schwerwiegender Konsequenzen für die EU die Wiederwahl von Tusk zu sabotieren, stieß bei den übrigen Mitgliedstaaten auf Unverständnis und ist letztlich rational kaum zu erklären. Wojciech Czuchnowski, der sich mit der Reaktion des unter der Kontrolle von PiS stehenden staatlichen Fernsehens auf die Wiederwahl von Tusk befasste, verweist als Erklärungsgrund auf einen psychologischen Mechanismus: Das polnische Verhalten sei eine Flucht vor der Wirklichkeit in eine Welt nach eigenem Geschmack, in der allein die eigenen wirklichkeitsfremden Beweggründe, Ansichten und Wertvorstellungen herrschen würden. Und dies umso mehr, je mehr diese vor der Realität keinen Bestand haben.

So hätten denn auch die Kommentatoren des staatlichen Fernsehens die Tatsache verschwiegen, dass, mit Ausnahme von Polen, alle 27 EU-Mitgliedstaaten für Tusk gestimmt haben. Den Wahlvorgang als solchen habe man im höchsten Maße als undemokratisch dargestellt. Gegen den Willen Polens sei Tusk „mit aller Macht durchgeboxt“ worden. Aber das sei „der Anfang vom Ende des europäischen Projekts“. Die offensichtliche Niederlage, die Polen in der Person von Ministerpräsidentin Beata Szydło auf dem Brüsseler Gipfel erlitten hat, werde in „einen Erfolg umgemünzt“, habe man doch „das Ziel erreicht, indem die EU das wahre Gesicht ihrer demokratischen Standards gezeigt habe.“ So wurde aus der Verliererin Szydło eine nationale Heldin, die – wie sich Kaczyński am Abend des 9. März äußerte – die Souveränität Polens gegen den Machtanspruch der EU verteidigt habe.

Die Wahl von Tusk – Journalisten des staatlichen Fernsehens - sei „noch weniger transparent als die Wahl eines Papstes“. Den EU-Mitgliedstaaten sei der Wille einer „kleinen Gruppe unter deutscher Führung aufgezwungen“ worden. „Das hat nichts gemein mit dem, was die Gründer der Union wollten“ – zitieren die Journalisten Kaczyński. Und was die Peron des wiedergewählten Ratspräsidenten betrifft, unterstelle man ihm puren Hass auf Polen. Statt ausländische Investitionen in Polen zu befürworten, setze er alles daran, diese zu verhindern.

Schließlich habe sich Polen aufgrund des tapferen, wenn auch erfolglosen Versuchs, Tusk die Wiederwahl streitig zu machen, „als einziger Wächter über europäische Werte“ erwiesen. Als Beleg für diese Behauptung führten die Journalisten ausgerechnet Polens ablehnende Haltung gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen aus den muslimischen Ländern des Nahen Ostens an. Damit bewahre man Europa vor der Scharia, während die EU den Muslimen in ihren Mitgliedstaaten ihre Einführung erlauben wolle. Als „Beweis“ musste – zu Unrecht – Schweden herhalten, wo es bereits tolerierte Schariazonen gäbe.

Ob die polnische Regierung wegen der Wiederwal von Tusk ihre Drohung wahr machen und künftig Beschlüsse des Rates blockieren wird, bleibt abzuwarten. Auf dem Brüsseler Gipfel, auf dem neben der Wahl des Ratspräsidenten wichtige Fragen zur Behandlung anstanden, machte Szydło jedenfalls ihre Ankündigung wahr. Er ging ohne eine gemeinsame Erklärung zu Ende. Mit dem Brüsseler Gipfel ist allerdings bereits jetzt schon deutlich geworden, dass sich Polen ins europäische Abseits manövriert hat.

Quelle: Wojciech Czuchnowski, Co pokazały “Wiadomości” TVP? Tusk przechnięty kolanem przez całą Europę (Was zeigten die „Nachrichten“ des polnischen Fernsehens? Man hat Tusk durch das ganze Europa gewaltsam durchgedrückt), in Gazeta Wyborca vom 09. 03. 2017.

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