Polens Kirche und die politische Macht
Unter dem Titel „Gott will keine Herrschaft über die Welt, die Bischöfe wollen sie aber schon“ nimmt Rafał Zakrzewski Bezug auf Aussagen des neuen Krakauer Metropoliten Marek Jędraszewski zum Verhältnis von Kirche und Macht in der Osterausgabe der rechtskonservativen Wochenzeitschrift „Do Rzeczy“. Er zitiert den Erzbischof, der sich zunächst äußerst kritisch zu der von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) geführten, im Herbst 2015 abgelösten Regierung äußert: „Die letzten Monate und Wochen des vorhergehenden Parlaments und der Regierung waren mit vielen offenkundigen und deutlichen antichristlichen Initiativen verbunden. Das war eine bewusste Politik, die auf einen Liberalismus abzielte.“ Im Einzelnen beruft sich der Erzbischof auf die angeblich von der Vorgängerregierung vertretene gender-Ideologie, auf die von ihr angestrebte gesetzliche Regelung künstlicher Befruchtung sowie auf die gegen häusliche Gewalt gerichtete, nach Auffassung des Erzbischofs die Familie gefährdenden und von Präsident Bonisław Komorowski unterzeichneten Istanbuler Konvention, der „dazu noch den Mut besaß, sich als Katholik zu bezeichnen.“
Damit erinnert der Krakauer Metropolit an die geradezu kulturkämpferische Auseinandersetzung der Kirche mit der Vorgängerregierung, zumal in ihrer Endphase. Die Bischöfe machten damals die westeuropäisch orientierte Regierung für den auch in der polnischen Gesellschaft fortschreitenden Säkularisierungsprozess verantwortlich, den sie als eine ernste Gefährdung nationaler Identität sowie als eine Schwächung des kirchlichen Einflusses ansahen.
Zum Glück habe, so Erzbischof Marek Jędraszewski, „jene politische Formation – auch mit Hilfe der Kanzel – den Kampf verloren, so dass es heute eine derartige Situation nicht mehr gibt. Die Kirche braucht nicht mehr in eine geistige Auseinandersetzung einzutreten, wie zu Zeiten der PO-Regierung.“
So eindeutig, wie der Metropolit die jetzige Situation schildert, ist diese allerdings nicht. Zwar regiert die Kaczyński-Partei mit ihrem der Bibel entliehenen Namen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit absoluter Mehrheit und setzt ihr umstrittenes, rechtsstaatliche Prinzipien verletzendes Programm eines angeblich „guten Wandels“ konsequent um, doch damit wächst zugleich eine tiefgreifende Spaltung, die nicht nur die Gesellschaft betrifft, sondern ebenso die Kirche., in der sich die seit langem bestehende Kluft zwischen einer nationalkatholischen Ausrichtung und einem offenen Katholizismus weiter vertieft. So nimmt denn auch der Erzbischof diese durch den Widerstand gegen eben diesen „guten Wandel“ bedingte Spaltung in den Blick, für den er natürlich die politische Opposition und die Vertreter eines offenen Katholizismus verantwortlich macht und mit der Aussage bedenkt: „Wo es Spaltung gibt, da ist das Böse.“
Ganz im Sinne der PiS-Regierung sind auch seine Aussagen zur Europäischen Union: „Ich bitte darum, das Augenmerk darauf zu richten, was in der Europäischen Union vor sich geht. Sie begann, mit dem Herrgott zu kämpfen. Und nun fällt alles auseinander. […] Man gewinnt den Eindruck, die Europäische Union wird jetzt beerdigt.“ Und auch hier beruft sich der Krakauer Metropolit auf den „gottlosen Charakter“ bestimmter Phänomene, insbesondere auf die gender-Ideologie: „Sie ist schlimmer als die marxistische Ideologie. Auf amerikanischen und europäischen Hochschulen, auch auf polnischen, gilt sie fast als eine verpflichtende neue Ideologie, welche die Fundamente des Christentums untergräbt. Selbst der Kommunismus und Hitlers Nationalsozialismus stellten nicht in Frage, dass es Mann und Frau gibt und dass diese eine bestimmte Funktion zu erfüllen haben, doch heute gilt das nicht mehr.“
Die so genannte gender-Ideologie wird hier geradezu zu einem Totschlagargument. Wer sich seiner bedient, der entzieht sich der Verpflichtung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der kulturellen Relevanz von Geschlechtlichkeit. Und nicht nur das. Glaubt man, in der gender-Ideologie den die Fundamente des Christentums zerstörenden Grund gefunden zu haben, dann braucht man schließlich keine weiteren Überlegungen, um die Glaubenskrise und den Rückgang an Kirchlichkeit zu erklären. Eine derart verengte Sicht teilt Erzbischof Marek Jędraszewski mit den mehrheitlich nationalkonservativ eingestellten Bischöfen, die mit dem Ende des Kommunismus schon immer ihre Schwierigkeit hatten, Zivilgesellschaft und Demokratie zu begreifen und zu akzeptieren, die den Dialog scheuen, Analysen nicht für erforderlich halten und sich in pauschalen Verurteilungen gefallen.
Das Problem ist somit nicht neu. Bereits vor über 20 Jahren setzte sich der im Jahr 2000 verstorbene Priester und Philosoph Józef Tischner mit ihm auseinander. 1993 veröffentlichte er im „Tygodnik Powszechny“ unter der provokanten Frage „Hat die Kirche uns belogen?“ einen Beitrag, in dem er eine Klärung des Verhältnisses von Kirche und Demokratie einforderte. Zwar habe sich die Kirche ausdrücklich zur Demokratie bekannt, doch sie sei in den Verdacht geraten, die demokratische Ordnung nicht respektieren zu wollen. Er fragt: „Will die Kirche Macht oder will sie diese nicht? Will sie einen klerikalen Staat, einen Bekenntnisstaat?“ Eine Antwort gibt er nicht. Ihm es geht es um die Fragestellung als solche, die nicht, wie damals geschehen, durch aggressive Reaktionen abgewehrt werden sollte, sondern Anlass zu selbstkritischer Besinnung biete.
Unter der Überschrift „Windstöße einer politischen Religion“, gleichfalls 1993 im „Tygodnik Powszechny“ erschienen, analysiert er den Zusammenhang zwischen „politischer Religion“ und Totalitarismus. Ironisch charakterisiert er die Versuchung, in welche die Kirche nach dem Ende des Kommunismus in der nun pluralistischen und demokratischen Gesellschaft geraten sei, wie folgt: „Wenn früher die Götzen die Stelle Gottes einnahmen, dann lasst uns doch heute versuchen, umzuwandeln, was umgewandelt wurde. Schmeißen wir die Götzen hinaus, um Platz für Gott zu schaffen. Nach einem solchen Wandel wird alles anders werden. Die heidnische Politik wird zu einer christlichen, und auf den Trümmern des heidnischen Staates entsteht ein christlicher. Gebietet nicht die heutige Pflicht den Gläubigen, einen solchen Wandel herbeizuführen?“ Einen besseren Kurzkommentar zu dem von der Kirche begrüßten „guten Wandel“ durch die PiS-Regierung ist kaum denkbar.
An Józef Tischner erinnert denn auch der „Tygodnik Powszechny“ in seiner Osterausgabe mit einer Beilage eines mit ihm im Jahr 1999 geführten Gesprächs zu dem Mystiker Meister Eckehart. Daraus zitiert Rafał Zakrzewski folgenden Passus: „Wer immer die Religion dazu nutzt, die Herrschaft über die Welt auszuweiten, begeht einen Fehler. Gott will nicht die Weltherrschaft. Wollte er sie, dann würde er ein Heer von Engeln schicken. […] Der Wunsch nach Gottes Herrschaft über die Welt ist eine ernste Erkrankung heutiger Religiosität.“
Was ist angesichts solcher Sätze von der „Osterbotschaft“ des Krakauer Metropoliten zu halten? Entspricht sie dem Geist des Evangeliums? Vertritt sie wirklich christliche Werte? Lässt sich die offensichtliche Nähe zur jetzigen Regierung christlich rechtfertigen? Einer Regierung, die mit ihrem Programm eines angeblich „guten Wandels“ die gesellschaftliche und innerkirchliche Spaltung vorantreibt, die die antideutsche Karte spielt und damit die mühsam gewonnene deutsch-polnische Versöhnung gefährdet, die sich vehement weigert, auch nur einen einzigen Kriegsflüchtling aus Syrien aufzunehmen? Wäre es nicht vielmehr geboten, die Bischöfe würden der Kaczyński-Regierung ins Gewissen reden, statt ihr gegenüber Sympathie zu bekunden und sich dem Verdacht auszusetzen, an ihrer Macht teilhaben zu wollen?
Quelle: Rafał Zakrzewski, Pan Bóg nie chce mieć władzy nad światem, a biskupi chcą, Gazeta Wyborca vom 15. 04. 2017.