Regierungsvertreter auf dem Juristenkongress ausgebuht
Regierungsvertreter auf dem Juristenkongress ausgebuht
Wie die Stimmung unter den polnischen Richtern und Rechtsanwälten gegenwärtig ist, das zeigte sich in Kattowitz am 20. Mai auf dem diesjährigen Juristenkongress. Als Małgorzata Gersdorf, die frühere Vorsitzende des Obersten Gerichts, und Stanisław Biernat, Vizepräses des Verfassungsgerichts, den Saal betraten, wurden sie, die in den letzten Monaten in besonderer Weise den Attacken der Regierung und den mit ihr verbundenen Medien ausgesetzt waren, von den rund eineinhalbtausend Kongressteilnehmern mit stehenden Ovationen begrüßt.
Ganz anders der Empfang der Regierungsvertreter. Andrzej Dera, Minister im Amt des Präsidenten, war gekommen, um vor den versammelten Juristen ein Schreiben des Präsidenten zu verlesen. Was bei solchen Anlässen für gewöhnlich eine Grußbotschaft ist, entpuppte sich als herbe Kritik. Den Kongressteilnehmer wurde vorgeworfen, sich öffentlich den Plänen der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu widersetzen. Zur Maßregelung speziell der Richter berief sich Präsident Duda ausgerechnet auf die Verfassung, für deren praktische Lahmlegung er durch die Unterzeichnung entsprechender Gesetze die Verantwortung trägt: „Die Konstitution untersagt den Richter die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sowie eine öffentliche Tätigkeit, die mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Gerichte unvereinbar ist.“ Daraus leitete er ab, dass es den Richtern nicht erlaubt sei, „Aktivitäten anderer Regierungsorgane zu kommentieren“ sowie „bei einer ethischen, weltanschaulichen oder politischen Debatte Position zu beziehen.“
Im Saal wurde es unruhig. Einige Kongressteilnehmer skandierte „Konstitution“ und hielten ein Exemplar der Verfassung in die Höhe. Am Ende wurde Minister Dera unter Buhrufen verabschiedet.
Noch schlimmer erging es dem stellvertretenden Justizminister Marcin Warchał: „Niemand kann Richter sein in eigener Sache“, ermahnte er die Anwesenden. Erste Buhrufe wurden laut. Die Unruhe im Saal verstärkte sich, als Warchał davon sprach, die Gerichte besäßen in der Bevölkerung wenig Vertrauen. Den Richtern warf er vor, sich nicht aus den Zeiten der kommunistischen Volksrepublik verabschiedet zu haben. Darauf leerte sich unter Buhrufen allmählich der Saal.
Außer den geladenen Gästen hörten nur noch wenige Kongressteilnehmer die Drohung, aus der Richterschaft seien „die schwarzen Schafe zu eliminieren“ sowie die Versicherung, die beabsichtigten Reformen würden verwirklicht. Die polnischen Juristen stünden „vor der historischen Wahl, fähig zu sein, sich im Namen der Justizreform über die eigenen Interessen hinwegzusetzen.“ Damit wird im Grunde von den Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern verlangt, ihre Unabhängigkeit aufzugeben und sich ohne Wenn und Aber staatlicher Kontrolle zu unterwerfen, die die Kaczyński-Partei für alle Bereiche der Gesellschaft, auch für den juristischen, anstrebt. Im Einzelnen ist beabsichtigt, die Kadenz der 93 Mitglieder des Obersten Gerichts zu beenden und dieses bedeutende Gremium durch vom Sejm zu wählende Richter neu zu besetzen. Auch der eigentlich für die Wahl der Richter zuständige Landesjustizrat soll auf ähnliche Weise neu geregelt werden. Angesichts der Tatsache, dass die Kaczyński-Partei im Sejm die absolute Mehrheit besitzt, würde der Justizapparat damit praktisch der Kontrolle durch PiS unterstellt.
Nach diesem Auftritt der Regierungsvertreter begann der Kongress mit seinen Beratungen. Es versteht sich, dass sich nach dem vorausgegangenen Skandal die Teilnehmer entschieden gegen die von der Regierung geplanten Reformen aussprachen. Die unter ihnen herrschende Überzeugung brachte Krzystan Markiewicz, einer der Organisatoren des Kongresses, auf den Punkt: „Sollen wir Juristen schweigen? Wir haben das Recht und die Pflicht, die Stimme zu erheben, um die höchsten Werte der Verfassung zu verteidigen; niemand kann uns von dieser Pflicht entbinden.“
Quelle: Wojciech Czuchnowski, Minister przemawia, prawnicy wychodzą (Der Minister spricht, die Juristen gehen hinaus), Gazeta Wyborza vom 20. 05. 2017.