Eine Konterrevolution in Polen?
- Theo Mechtenberg
- 17. Juni 2017
- 4 Min. Lesezeit
Die regierende Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sieht sich einer wachsenden Opposition gegenüber. Bereits kurz nach ihrer Regierungsübernahme kam es am 12. Dezember 2016 zu ersten Demonstrationen gegen den Bruch der Verfassung. Ein Jahr später, am 3. Dezember 2017, riefen in Warschau politische Führungskräfte, der ehemalige Staatspräsident und Nobelpreisträger Lech Wałęsa sowie weitere Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft unter dem Motto „Stoppt die Verwüstung Polens“ zu einem förmlichen Regierungsboykott auf: „Heute wissen wir, dass das Regierungsjahr von „Recht und Gerechtigkeit“ eine Zeit methodischer Vernichtung Polens, seiner Beziehungen zu seinen Nachbarn und seines Ansehens in der Welt war. Es war eine Zeit, in der fast sämtliche öffentlichen Institutionen ihren Parteiinteressen unterworfen wurden. […] Die Regierung bemächtigte sich der öffentlichen Medien und formte sie um zu einem hörigen Sprachrohr, das vor Lüge und Manipulation nicht zurückschreckt. PiS will uns unser Versammeln und Protestieren erschweren. Heute ist die Gesellschaft wie nie zuvor gespalten.
Die ohne Konsultationen und eilig verabschiedeten zerstörerischen Gesetze haben nur ein Ziel, die Macht von PiS auf Kosten der Freiheit der Bürger zu mehren.“
Am Ende ihres „Appells an alle Polen“ rufen die Unterzeichner alle gesellschaftlichen Kräfte dazu auf, „dieser Regierung den Gehorsam zu verweigern.“
Der Appell zeigt, mit welcher Vehemenz kritisch eingestellte gesellschaftliche Gruppierungen auf die von PiS verübten Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien reagieren. Sie sehen die 1989/90 gewonnene Freiheit und Demokratie ernstlich gefährdet. Doch wie reagieren die Kaczyński-Partei und die mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Kräfte auf diesen Appell und die Proteste im Land? Darauf gibt Stanisław Janecki, Mitarbeiter der rechtskonservativen Wochenzeitschrift wSieci, eine Antwort. Bereits der Titel seines Beitrags suggeriert, dass die entschiedenen Gegner der von PiS mit ihrem „guten Wandel“ angestrebten IV. Republik dabei seien, die III. Republik im Untergrund fortzusetzen. Und im Untertitel beschwört Janecki die „extreme Gefahr“, die allein schon durch „das Projekt eines alternativen Staates in den Köpfen“ entstehe, was zu „Verzweiflungstaten“ führen könne. Er sieht in dem Appell geradezu einen „Putsch“ sowie in der Vielzahl oppositioneller gesellschaftlicher Initiativen und öffentlicher Proteste „ein überlegtes Projekt auf einem höheren Niveau als eine totale Opposition, in dem nicht allein Politiker engagiert sind, sondern gleichfalls Geschäftsleute, Geheimdienste, Interessengruppen und Lobbyisten.“ Durch eine in den Text eingefügte Collage, die Donald Tusk bei der Lektüre von Machiavellis „Der Fürst“ zeigt, identifiziert der Autor ihn als Drahtzieher dieses „Projekts“.
Drohender Boykott im Kulturbereich?
Ein erstes Anzeichen für die Verwirklichung des „Projekts eines alternativen Staates“ sieht Janecki im Kulturbereich, und er bemüht dazu einen fragwürdigen Vergleich mit der kommunistischen Volksrepublik. Damals war es durch die Weigerung von Kulturschaffenden, mit staatlichen Institutionen zu kooperieren, zu einem weitgehenden Boykott sowie zur Entstehung einer alternativen Kulturszene im sogenannten „zweiten Umlauf“ gekommen. Eine ähnliche, durch den Boykott des populären Oppelner Festivals ausgelöste Entwicklung zeige sich heute. Weil sie an Demonstrationen gegen die Regierungspolitik teilgenommen hatte, sollte eine namhafte Sängerin vom Festival ausgeschlossen werden. Daraufhin kam es zu einer Welle von Solidarisierungen, so dass am Ende die Veranstaltung abgesagt wurde und damit auch die landesweite Fernsehübertragung. Janecki wertet die Weigerung der Künstler, in Oppeln aufzutreten, „als sehr nützliches Element einer totalen Opposition“. Bei diesem Boykott gehe es im Grunde darum, den Beweis zu führen, dass es „in Polen keine Freiheit gibt.“ Der nächste Schritt sei ein vom Staat unabhängiges Kulturleben im zweiten Umlauf, „wie dies in der Volksrepublik funktioniert hat.“ Doch dies sei nur der Anfang. Das wohl überlegte Projekt ziele letztlich darauf, diese Entwicklung im Sinne des „Konzepts eines alternativen Staates“ auf alle gesellschaftlichen Bereiche auszuweiten. Man versuche, „den Polen die Notwendigkeit eines solchen Staates aufzudrücken, denn der „existierende“ sei „nicht demokratisch und rechtlich legitimiert.“
Ein alternativer Rechtsbereich?
Durch den Kongress der polnischen Juristen habe – so Janecki – die Entwicklung hin zu einem „alternativen Staat“ eine weitere Bestätigung gefunden. Auf dem Kongress hatten die gut 2000 Anwälte und Richter den Vertretern des Staates den Text der von ihnen verletzten Verfassung entgegen gehalten und sie ausgebuht. Bei ihren Reden verließen viele von ihnen den Saal. Janecki versucht, diesen Vorfall als Teil des wohl überlegten „Projekts“ zu interpretieren. Als Beweis zitiert er Professor Małgorzate Gersdorf, die Erste Vorsitzende des Obersten Gerichts: „Ich sehe das Programm eines Aufbaus des Staates. Eines Rechtsstaates. Es soll auf ein paar Punkten basieren. Priorität – auf die Autorität des Verfassungsgerichts und die Notwendigkeit seiner Wiederherstellung.“ Was Prof. Gersdorf fordert, ist nichts anderes als die Rücknahme der von PiS verübten Verletzungen des Rechts und nicht, wie Janecki behauptet, „die Schaffung einer alternativen Wirklichkeit“ unter den Bedingungen „eines real existierenden demokratischen Staates.“
Janecki zitiert einen weiteren Teilnehmer des Kongresses, Professor Wojciech Popiołek von der Krakauer Jagiellonen-Universität: „In einem demokratischen Staat sind nicht die Wähler der rechtliche Souverän. Souverän sind die im Recht enthaltenen Werte, und die Hüter dieser Werte sind unabhängige Gerichte und unabhängige Richter.“ Janecki sieht in dieser Aussage eine „kopernikanische Wende“, indem die Nation als Souverän durch Werte ersetzt werde, was einer „Veränderung des Staatswesens“ gleichkomme. Dabei geht es Professor Popiołek um den Schutz der verfassungsmäßig garantierten Grundwerte, die durch keine Mehrheit, auch nicht durch eine demokratisch gewählte, angetastet werden darf. Eben dazu bedarf es der Unabhängigkeit der Gerichte, in Sonderheit des von PiS faktisch außer Kraft gesetzten Verfassungsgerichts, um prüfen zu können, ob im Zweifelsfall ein Gesetz verfassungskonform ist oder Grundwerte verletzt und daher nicht rechtskräftig verabschiedet werden kann.
Was ist von diesem Beitrag zu halten?
Folgt man der Logik des Autors, dann verfolgt die Opposition in Polen das Ziel einer Konterrevolution und stellt damit für das politische System von PiS eine ernste Bedrohung dar. Janecki sagt nicht, wie die Regierung darauf reagieren soll. Doch allein schon die Behauptung einer solchen Gefahr, die nach seiner Meinung selbst die „innere Sicherheit“ und die „nationale Verteidigung“ betrifft, kann als implizite Rechtfertigung verstärkter Repression gegen die Opposition verstanden werden. Ob es dazu kommt, wird die nahe Zukunft zeigen.
In der Sache ist allerdings der Beitrag von Janecki eine Verdrehung der Tatsachen. Schließlich geht es der Opposition erklärtermaßen nicht um die Errichtung eines „alternativen Staates“, nicht um eine „Konterrevolution“, wie Janecki behauptet, sondern um die Wiederherstellung der von PiS systematisch verletzten Rechtsordnung. Nicht die Opposition ist dabei, einen „alternativen Staat“ zu schaffen, sondern dies betreibt in Wahrheit die Kaczyński-Partei mit ihrem Bestreben, eine andere, eine IV. Republik zu installieren.
Und noch ein Aspekt erscheint in diesem Beitrag interessant: Indem Janecki als Vergleich zu den Aktivitäten der Opposition auf die kommunistische Volksrepublik zurückgreift, nimmt er in seiner Argumentation ihre Position ein. Damit liefert er eine Bestätigung für die in der politischen Diskussion anzutreffende Analyse, nach der die von der PiS-Regierung autoritär angestrebte IV. Republik deutliche Parallelen zur kommunistischen Volksrepublik aufweist.
Stanisław Janecki, Podziemna III RP (III. Republik als Untergrund), wSieci v. 29. 05./04 06. 2017, S. 28f.
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