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Die polnische nationalkonservative Regierung und ihre kulturpolitischen Konflikte

Für die Identität einer jeden Nation spielt die Kultur eine maßgebliche Rolle. Bei ihrer Bedeutung wundert es daher nicht, dass Polens nationalkonservative Regierung alles daran setzt, den Kulturbereich unter ihre Kontrolle zu bringen. Was man von den Kulturschaffenden erwartet, sind Werke nationalen Stolzes. Vor allem sollen sie unter keinen Umständen die gegenwärtige Politik mit kritischen Akzenten versehen, sondern sie möglichst positiv widerspiegeln.

Für diese positive Widerspiegelung folgendes Beispiel: In einem katholischen Gymnasium, in dem in jedem Jahr mindestens ein Theaterstück zur Aufführung kommt, stand kürzlich eine Adaption des patriotischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz (1845 – 1916) auf dem Programm. Die Vorstellung endete mit folgenden Worten: „Wohin gehst du, Europa? Wir haben uns von Dir abgewandt, Herr, und sind der Macht eines starken Feindes unterlegen. Die Kirchen verwandeln sich in Moscheen, und wo bislang das Evangelium erklang, singt man nun den Koran. Wohin gehst du, quo vadis, Europa?“

Zugegeben, dies ist ein sehr extremes Beispiel einer kulturpolitischen Instrumentalisierung eines bedeutenden Schriftstellers. Es allerdings als typisch für die gegenwärtige polnische Kulturszene anzusehen, wäre unredlich. Was sich allerdings abzeichnet, ist das Bemühen der PiS-Regierung, den Kulturbereich von kritischen Geistern zu säubern und wichtige Positionen mit Akteuren ohne besondere Qualifikation zu besetzen. Damit beschwört die Kaczyński-Partei und ihre Regierung eine äußerst konfliktreiche Situation herauf.

Der Streit um Polens beliebtestes Festival

Seit über einem halben Jahrhundert findet in Opole/Oppeln Jahr für Jahr das wohl wichtigste Festival des Polnischen Liedes statt. Nur einmal wurde diese Tradition unterbrochen, 1982 zur Zeit des Kriegsrechts. Vom Fernsehen übertragen, erreicht dieser Sängerwettstreit Millionen Zuschauer.

Doch die für den 9. Juni geplante Veranstaltung fand nicht statt. Auslöser war, was nur inoffiziell bekannt wurde, dass Jacek Kurski, Chef des staatlichen Fernsehens TVP, den Auftritt von Kayah, einer sehr bekannten Vokalistin, untersagt hatte. Der Grund: ihre Teilnahme an Demonstrationen des „Komitees zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD). Maryla Rodowicz, eine hoch angesehene Sängerin, der auf diesem Festival die besondere Ehre ihres goldenen Dienstjubiläums zuteilwerden sollte, vermittelte zwar bei Kurski, doch Kayah sagte nun ihrerseits ihre Teilnahme ab. Daraufhin erklärte Rodowicz, auch sie werde in Oppeln nicht auftreten.

Dieser Vorgang löste eine Protestlawine aus. Mit Kayah und Rodowicz solidarisierten sich nach und nach über 20 Sängerinnen und Sänger. Am Ende kündigte der Oppelner Stadtpräsident Arkadiusz Wiśniewski den Vertrag mit TVP und sagte für 2017 das Festival ab. Auch der Regisseur sprach sich für eine Absage aus. Er wolle nicht, wie er erklärte, dass unter

diesen Umständen das Festival stattfinde, das für viele Jahre die Gesellschaft nicht wie gewohnt einen, sondern spalten würde.

Die nationalkonservativen Medien reagierten auf diesen Vorgang mit heller Empörung. Sie werteten die Weigerung der Künstler, in Oppeln aufzutreten, „als sehr nützliches Element einer totalen Opposition“. Bei diesem Boykott gehe es im Grunde darum, den Beweis zu führen, dass es „in Polen keine Freiheit gibt.“ Der nächste Schritt sei ein vom Staat unabhängiges Kulturleben im zweiten Umlauf, „wie dies in der Volksrepublik funktioniert hat.“ Doch dies sei nur der Anfang. Das angeblich von der Opposition wohl überlegte Projekt ziele letztlich auf eine „Konterrevolution“, auf das „Konzept eines alternativen Staates“, der, wie im sogenannte „zweiten Umlauf“ in der kommunistischen Volksrepublik, alle gesellschaftlichen Bereiche umfassen soll. Man versuche, „den Polen die Notwendigkeit eines solchen Staates aufzudrücken, denn der „existierende“ sei „nicht demokratisch und nicht rechtlich legitimiert.“

Es ist schon verwunderlich, mit welcher Dreistigkeit hier die Tatsachen verdreht werden. Schließlich geht es bei dem Boykott des Festivals nicht um die Errichtung eines „alternativen Staates“, nicht um eine „Konterrevolution“, sondern um eine Auflehnung gegen die kulturpolitische Willkür von PiS. Und nicht die Opposition ist dabei, einen „alternativen Staat“ zu schaffen, sondern dies betreibt in Wahrheit die Kaczyński-Partei mit ihrem Bestreben, eine andere, eine IV. Republik zu installieren. Zudem ist der Vergleich mit den Aktivitäten der Opposition in der kommunistischen Volksrepublik sehr aufschlussreich, liefert er doch ungewollt eine Bestätigung für die in der politischen Diskussion anzutreffende Analyse, nach der die von der PiS-Regierung autoritär angestrebte IV. Republik deutliche Parallelen zur kommunistischen Volksrepublik aufweist.

Am Ende soll das Festival in Oppeln nun doch, und zwar im Herbst, stattfinden. Fraglich ist nur, wer an ihm teilnimmt.

Der Konflikt um den kroatischen Regisseur Oliver Frljić

Die Auseinandersetzung um das Oppelner Festival ist nicht die einzige dieser Art. Vom 16. – 25. Juni war Posen der Austragungsort für das Festival Malta, das mit einer großen Musikparade festlich eröffnet wurde. Doch einer der Kuratoren, der kroatische Regisseur Oliver Frljić, fehlte aus Protest und mit ihm auch seine künstlerischen Beiträge: „Wenngleich ich häufig verschiedenen Formen politischen Drucks und Zensur unterworfen war, so war doch ein derartiges Handeln niemals so offensichtlich und ging nicht von einem Mitglied der Regierung aus.“

Mit dieser Aussage spielt Frljić auf die Vorgänge um das Stück „Klątwa“ (Der Fluch) an, das im Posener Allgemeinen Theater unter seiner Regie aufgeführt worden war. Es kam zu gewalttätigen Protesten, bei denen eine Frau ernste Verletzungen davon trug. Kulturminister Piotr Gliński bezog persönlich in dieser Auseinandersetzung Position: die dem „Ein Theaterstück kann und soll schwierige Fragen aufwerfen, soll zu Reflexion und Dialog provozieren, doch in keinem Fall darf es als Initialzündung eines gesellschaftlichen Konflikts dienen, wie das ´Werk` von Frljić.“ Zudem veranlasste er, dass die dem Festival fest zugesagte Subventionssumme in Höhe von ungefähr 300 000 Zł. nicht ausgezahlt wurde, und die Verweigerung begründete er mit dem Konflikt um „Klątwa“.

Der kroatische Regisseur blieb die Antwort nicht schuldig: „Ich möchte anmerken, dass Herr Gliński, der in mir eine Gefahr für grundlegende Prinzipien des sozialen Miteinanders sieht, mit keinem Wort die Gewaltakte gegen Schauspieler und die Leitung des Allgemeinen Theaters verurteilt. Wir hörten kein Wort der Verurteilung denen gegenüber, die Grundwerte attackierten: Meinungsfreiheit, künstlerische Freiheit sowie persönliche Freiheit zum unbehinderten Betreten des Theaters. […] Herrn Gliński dient diese ganze Gewalt, mit der eine Mehrheit ohne jegliche Sanktionen ihr Mütchen an verschiedenen Minderheiten kühlen kann, vielleicht dem sozialen Zusammenhalt.“

Frljić will, wie er sagte, die ursprünglich für das Festival reservierte Zeit dazu nutzen, „die internationale Presse, Menschenrechtsorganisationen, Theater, soziale Netzwerke sowie weitere Subjekte des Kulturbereichs über diese Freiheitsbeschränkungen zu informieren.“

Umstrittener Wechsel in der Leitung des Krakauer Alten Theaters

Gegen alle Erwartungen wurde der im August 2017 auslaufende Vertrag von Jan Klata, Direktor des Krakauer Alten Theaters, nicht verlängert. Das Kulturministerium schrieb die Stelle neu aus. Auch Klata befand sich unter den Bewerbern. Doch die Entscheidung der ministerialen Kommission fiel nicht zu seinen Gunsten aus. Berufen wurde der Theaterkritiker Marek Mikos, der bislang noch keinem größeren Haus vorstand. Er kündigte für die Zukunft ein „polyphones“ Theater an, ein Theater „für jedermanns Geschmack“, wie Klata befürchtet.

Als für die Regie verantwortlicher künstlerischer Direktor wird ihm der in Polen kaum bekannte Michał Gieleta zur Seite stehen. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Ausland, u. a. am Londoner National Theatre, fehle ihm die Verbundenheit mit dem Krakauer Theatermodell.

In einem dem „Tygodnik Powszechny“(2)erteilten Interview sieht Klata seine Ablösung als Zeichen einer dem polnischen Theater allgemein drohenden Gefahr: Veränderungen im Bereich der Kultur dürften nicht in einer „kompletten Negierung lebendiger Tradition des polnischen Theatermodells“ bestehen, wie es sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet habe. So verfüge das Krakauer Alte Theaters unter seiner langjährigen Regie über ein festes Ensemble an Schauspielern, die mit dem Theater eng verbunden sind. Damit unterscheide es sich vom Londoner National Theatre, an dem „mehr Kellner als Schauspieler angestellt sind“, es dort also kein ständiges Ensemble gäbe. Klata befürchtet, dass Gieleta sich am Londoner Modell orientieren und nunmehr mit je nach Bedarf verpflichteten Schauspielern arbeiten werde. Darüber hinaus greife man entsprechend der Krakauer Tradition Polen betreffende Fragen auf, „häufig für die Regierung unangenehme Fragen“, mit denen Gieleta kaum genügend vertraut sein dürfte. Zu dieser Tradition zähle schließlich auch die Kenntnis des Theaterpublikums, ihrer Fragen und die Kommunikation mit ihm. Damit dürfte nun wohl Schluss sein, nachdem sich die „Konservativen aus dem Ministerium für Kultur und nationales Erbe“ erdreistet hätten, „unter dem Vorwand eines ´kuriosen´ Konkurses dieses Band zu zerreißen. Mit weißen Handschuhen wollten sie mich loswerden, und das gelang ihnen wie üblich.“

Die Methode der „weißen Handschuhe“ beschreibt Klata im Detail: Die Entscheidung, seinen Vertrag nicht zu verlängern, sei längst vor der Ausschreibung im Ministerium gefallen. So habe man Aufzeichnungen der unter seiner Regie aufgeführten Stücke angefordert und aufgrund ihrer Auswertung bei ihm offenbar eine wenig PiS-freundliche Einstellung festgestellt. Auch habe sich Kulturminister Gliński gegenüber Vertretern des Theaters geäußert, „Klata ist für mein politisches Lager nicht akzeptabel. Also muss er gehen.“ Offiziell hieß es später, um ihn habe es „Kontroversen“ gegeben. Klata kommentiert diesen Vorwurf mit dem Hinweis darauf, jede wahre Kunst gäbe Anlass zu Kontroversen. Dies gelte auch für die von PiS hoch gelobten Nationaldichter: „Es bedarf keiner langen historischen Untersuchung, um zu wissen, wie Wyspiański zu Lebzeiten mit dem ´gesunden Kern´ der Gesellschaft zu kämpfen hatte. Selbst aus der Perspektive der Zeit sieht man, dass Kontroversen die Kondensstreifen himmelhoher Künstler sind.“

An Kontroversen des sogenannten „gesunden Kerns der Gesellschaft“ besteht in Polen kein Mangel. Immer wieder kommt es seit Jahren aus Unverständnis gegenüber künstlerischen Werken zu öffentlichen, mitunter gewalttätigen Protesten, weil man sich in seinen nationalen, religiösen oder religiös-nationalen Gefühlen verletzt fühlt. In Erinnerung sind mir vor allem die wochenlangen Proteste gegen eine Plastik, die den „polnischen“ Papst unter der Last eines schweren Steins zeigt. Derlei Proteste seien, worauf Klata verweist, zumeist organisiert, ohne dass sich die Protestler dem Gegenstand ihrer Proteste angenähert, geschweige denn sich mit ihm auseinandergesetzt hätten. Ironisch kommentiert er derlei Vorgänge: „Kam es zu etwas so Fatalem auf der nationalen Bühne, dann hielt das die sich ablehnend verhaltende Öffentlichkeit nicht aus und protestierte im Namen wahrer Kunst.“ Klata hat derlei Proteste zur Genüge erfahren, so dass er mit Beginn des von PiS eingeleiteten „guten Wandels“ in den rechtskonservativen Medien Ziel einer Hetzkampagne wurde und damit klar war, dass seine Tage als Direktor des Alten Theaters gezählt waren.

Zur Methode der „weißen Handschuhe“ gehört auch, dass sich Kulturminister Piotr Gliński persönlich nach Krakau begab, um Klata wissen zu lassen, dass er seine Arbeit sehr schätze. Wenig später reiste in gleicher Mission Wanda Zwinogrodzka, die Theaterkritikerin des Ministeriums, nach Krakau. Sie besuchte „Die Schlacht um Warschau 1920“, ein Stück, das in der rechten Presse als nationaler Verrat verurteilt worden war .Dennoch war Zwinogrodzka eine der ersten, die sich am Ende zum Applaus von ihrem Sitz erhob. Mit dieser heuchlerischen Strategie wurden Klata und sein Ensemble über die wahren Absichten des Ministeriums getäuscht.

Als der Wechsel in der Leitung des Alten Theaters öffentlich wurde, kam es zu einer vom Theaterpublikum organisierten Protestaktion. Ihr schlossen sich Schauspieler des Ensembles an. In Anspielung auf die heuchlerische Strategie des Ministerium heißt es in ihrer Erklärung: Sie ist „kein Protest gegen abweichende Ansichten; der geistige Streit formt den Intellekt, und es gibt für einen denkenden Menschen nichts Schöpferisches als die Begegnung mit einem anders denkenden Menschen. Doch unter einer Bedingung – dass es eine wahre Begegnung ist und keine dem bloßen Schein nach.“

(1)Das Stück „Klątwa“ geht auf Motive eines Dramas von Wyspiański zurück. Frljić nutzte die Vorlage, um ein kritisches Bild heutiger Religiosität, Sexualität und Gewalt zu entwerfen. Wegen dieser Thematik wurde in der Ankündigung des Stücks darauf verwiesen, dass es nur für Erwachsene geeignet sei und zu Kontroversen Anlass geben könne.

(2)Jan Klata, Jedno Wesele i Pogrzeb (Eine einzige Hochzeit und Beerdigung), Tygodnik Powszechny v. 04. 06. 2017, S. 64-67. Zur Erklärung des Titels: Die Nachricht von seiner Ablösung erhielt Klata unmittelbar vor der Generalprobe zu „Die Hochzeit“, ein nationales Drama von Stanisław Wyspiański (1869-1907).

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