Was PiS unter Freiheit versteht
Am 6. Mai fand in Warschau wieder einmal ein von der Opposition organisierter „Marsch der Freiheit“ statt. Wie gewöhnlich protestierte man gegen die autoritäre, rechtsstaatliche Prinzipien verletzende, die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung gefährdende Politik der regierenden Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Zeitgleich sprach ihr Chef Jarosław Kaczyński in Stettin auf einer Pressekonferenz. Während die Gegner seiner Politik den Verlust gesellschaftlicher und politischer Freiheiten beklagten, bezeichnete Kaczyński das Polen unter der jetzigen Regierung geradezu als „eine Oase der Freiheit“. Wörtlich sagte er: „Freiheit ist das Bewusstsein, in einem Land zu leben, das sich entwickelt.“ Ungesagt blieb, worin diese angeblich lebenswerte Entwicklung besteht und was ihr Ziel ist. Gemeint ist sicherlich der von PiS vor der Wahl angekündigte und nun konsequent betriebene „gute Wandel“, der Polen Stück um Stück einem autoritären Regime näher bringt. Hier deutet sich ein grundsätzlicher Unterschied im Verständnis von Freiheit zwischen der regierenden PiS und der Opposition an.
Ein paar Tage später knüpfte Ministerpräsidentin Beata Szydło an die Aussagen des Parteichefs an. Auf einer Konferenz, auf der sie die Daten eines erfreulichen Wirtschaftswachstums und sinkender Arbeitslosenzahlen vorlegte, brachte sie diesen positiven Befund in einen direkten Zusammenhang mit der Freiheit. Diese bestehe in guten Löhnen, wodurch die Menschen in die Lage versetzt würden, über ihre und ihrer Kinder Zukunft zu entscheiden.
Zugegeben, es bedarf einer ausreichenden materiellen Absicherung, um sich als Mensch frei fühlen zu können. Doch die Aussagen von Kaczyński und Szydło legen ein sich auf ein gutes Einkommen reduziertes Freiheitsverständnis nahe. Völlig ausgeblendet bleibt die Frage nach der Begrenzung staatlicher Gewalt als Erfordernis einer offenen, pluralistischen, demokratischen Gesellschaft. Die Geschichte ist schließlich reich an Beispielen politischer Systeme, die dem einzelnen zwar einen gewissen Wohlstand garantieren, seine persönlichen Freiheitsrechte aber weitgehend einschränken. In Polen war dies zur kommunistischen Zeit in den Anfangsjahren unter Edward Gierek der Fall, und heute kann man dieses Phänomen an China und der gegenwärtigen Entwicklung in der Türkei beobachten. Die materielle Befriedigung bei Vorenthaltung sozialer und politischer Freiheitsrechte ist geradezu ein Kennzeichen autoritärer und diktatorischer Systeme,
Man mag sich fragen, was hinter dem offensichtlichen Versuch von PiS steckt, den Begriff der Freiheit umzudeuten und Freiheit eng an die staatliche Sozial- und Wirtschaftspolitik zu binden. Der Grund dürfte darin liegen, dass „Recht und Gerechtigkeit“ als Alternative zur liberalkonservativen „Bürgerplattform“ (PO) sich gegenüber ihrem Freiheitsverständnis notwendigerweise abheben muss. Nach der liberalen, von der Opposition vertretenen Konzeption der Freiheit geht es um Beschränkung politischer Macht, darum, den Bürger vor staatlichen Eingriffen in seine Freiheitsrechte, vor Gängelung und Entmündigung, zu bewahren. Ihr Freiheitsverständnis zielt auf die Ausbildung einer offenen Zivilgesellschaft, in der sich der einzelne entfalten und am Meinungsstreit um soziale und politische Gestaltung teilnehmen kann, durch keine Zensur behindert, durch kein Propagandamonopol manipuliert.
Dagegen verspricht PiS den Menschen im Gegenzug für deren politische Unterstützung eine Freiheit, die darin besteht, dass sie in Ruhe leben und vom Wachstum des Bruttosozialprodukts profitieren können. Im alten Rom festigten die Herrschenden ihre Macht durch Brot und Spiele. PiS verfolgt eine vergleichbare Politik sozialer Wohltaten und nationaler Manifestationen. Hier gilt die Maxime: Gebt uns eure Stimme, damit wir ungestört den „guten Wandel“ verwirklichen können, und wir sorgen für euch. Die Umfragen zeigen, dass dieses Konzepts vorerst aufzugehen scheint.
Quelle: Michał Szułdrzyński, Jarosław Kaczyński proponuje PKB zamiast wolności, rpl vom 17. 05. 2017.