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Polens Traum von einer Föderation von Meer zu Meer

Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet trafen sich im August 2016 im kroatischen Dubrownik die Repräsentanten der zwölf Staaten umfassenden „Drei-Meere-Initiative“. Mehr Aufmerksamkeit fand das zweite Gipfeltreffen dieser Art, das am 6./7. Juli 2017 in Warschau stattfand. Es war vom polnischen Außenministerium akribisch vorbereitet worden und dies in der letztlich gelungenen Absicht, dieser Zusammenkunft durch den Besuch von Präsident Donald Trump eine besondere Bedeutung zu verleihen.

Wenngleich es sich bei dieser Initiative nur um eine „informelle Plattform“ handelt, die dazu dienen soll, die wechselseitige Zusammenarbeit zu fördern, um – wie die Teilnehmer ausdrücklich betonen – dadurch die Europäische Union insgesamt zu stärken,so stellt sich doch die Frage, welches spezielle Interesse die polnische Politik an dieser Initiative hat. Sie drängt sich insbesondere deswegen auf, weil es einen in der polnischen Tradition tief verwurzelten Traum einer Föderation der Völker zwischen Ostsee, und Schwarzem Meer unter polnischer Führung gibt.

Die Kompensation einer Verlusterfahrung

Die Jagiellonen Republik war als Union Polens mit dem Litauischen Großfürstentum in der Zeit zwischen 1569 und 1795 eine europäische Großmacht. Ihr Territorium umfasste neben Polen und Litauen auch Lettland und Weißrussland sowie Teile von Estland, Moldawien, Rumänien; Russland und Ukraine. Doch aufgrund der drei Teilungen (1772, 1792, 1795) durch Österreich, Preußen und Russland erlebte die Jagiellonen Republik und spätere Adelsrepublik ihren Untergang. Es sollte bis nach dem Ersten Weltkrieg dauern, ehe Polen seine Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit zurück erhielt – ein bis heute nachwirkendes Trauma, verbunden mit dem Traum einer Wiederkehr jener verlorenen Zeit, eines sich von Meer zu Meer erstreckenden Herrschaftsbereichs.

Für das Überleben Polens in der langen Phase der Teilungen war die Hoffnung auf nationale und staatliche Wiedergeburt entscheidend. Wach gehalten wurde er in der Emigration als ein ins Nationale gewendeter christlicher Auferstehungsglaube, wie er von Adam Mickiewicz (1798-1855) popagiert wurde.

Von politischer Bedeutung war insbesondere Fürst Adam Jerzy Czartoryski (1770-1861). Nach dem missglückten Novemberaufstand (1830/31) ging er ins Exil und machte das Pariser Hotel Lambert zum politischen Zentrum der Emigration. In den revolutionären, die Länder der Restauration erschütternden Bestrebungen nach Freiheit und nationaler Unabhängigkeit während des Völkerfrühlings sowie in dem militärischen Konflikt der Westalliierten Frankreich und Großbritannien mit dem zaristischen Russland in Zusammenhang mit dem Krimkrieg (1853-1856) sah er günstige Voraussetzung für eine Wiedergeburt Polens. Obwohl es den polnischen Emigranten gelang, die „polnische Frage“ in diesem Kontext zu forcieren, blieben ihre Bemühungen um eine Neuordnung Europas, in der Polen in seiner früheren Gestalt seinen angestammten Platz finden würde, erfolglos. Die Teilungen Polens sollten noch weitere 70 Jahre andauern. Und der Traum nach einer polnischen Föderation von Meer zu Meer ließ weiter auf seine Verwirklichung warten.

Gescheiterter Versuch in der Zwischenkriegszeit

In einem Punkt hatte Fürst Czartoryski recht: Die Wiedererstehung Polens setzte einen Krieg voraus, durch den die Westalliierten den Zusammenbruch oder eine entscheidende Schwächung der Teilungsmächte herbeiführen würden. Sie war denn auch das Ergebnis des Ersten Weltkriegs. Am 11. November 1918 kam es zur Gründung der II. Polnischen Republik. Doch die Frage nach den Staatsgrenzen war nicht endgültig geklärt. Die von Großbritannien vorgesehene Curzon-Linie wurde von Józef Piłsudski (1867-1935), Polens starkem Mann, nicht akzeptiert. Durch den polnisch-sowjetischen Krieg (1919-1921) glaubte er, die Voraussetzung für eine an der Jagiellonen Republik orientierte Föderation schaffen zu können. Doch mit dem auf Kosten der Ukraine abgeschlossenen Rigaer Frieden (1921) und der Annexion von Teilen Litauens (1922) scheiterte dieser Plan. Dennoch ließ die polnische Regierung in den 20er und 30erJahren nichts unversucht, im Ostseeraum wie auf dem Balkan entsprechende Bündnisse zu schmieden. Aber die Interessengegensätze der Staaten „zwischen den Meeren“ waren zu groß, und die jeweilige außenpolitische Orientierung war zu unterschiedlich. Zudem traf die von Polen beanspruchte Führungsrolle bei den potentiellen Mitgliedern einer solchen Föderation auf wenig Zustimmung. Und das Polen der Zwischenkriegszeit besaß auch nicht das nötige politische, ökonomische und militärische Potenzial, um einem solchen Anspruch gerecht zu werden. Schließlich schien nach dem Zweiten Weltkrieg und aufgrund der Beschlüsse von Jalta, durch die Polen seine Ostgebiete verlor und gleichsam nach Westen verschoben wurde, der Traum von einer Föderation von Meer zu Meer endgültig ausgeträumt.

Eine Neubelebung des föderativen Traums?

Der Traum war ausgeträumt, doch das Trauma blieb, die Angst, die Eigenstaatlichkeit erneut zu verlieren. Die kommunistische Volksrepublik schlug aus dieser Angst ihr Kapital, indem sie unermüdlich die Angst vor einem deutschen Revanchismus beschwor und die Existenz Polens einzig und allein im engen Bündnis mit der Sowjetunion gewährleistet sah. Es war eine nationale Sicherheit um den Preis nationaler Unterdrückung. Als sich die Polen 1989/90 aus den Fesseln der UdSSR befreien konnten, dachten sie nicht an eine Föderation von Meer zu Meer, sondern strebten nach einer möglichst schnellen Westbindung. Mit der Aufnahme ihres Landes in die NATO (1999) und in die Europäische Union (2004) schien das Trauma endgültig überwunden, und es bestand kein Interesse an einer an der Jagiellonen Republik orientierten Föderation.

Doch mit dem Wahlsieg der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist beides wieder da, das Trauma wie der Traum. Mit einem Male ist die aus dem Freiheitskampf der Solidarność hervorgegangene III. Republik keine freie und unabhängige Demokratie mehr, sondern ein postkommunistisches Regime, das durch die Gründung einer IV. Republik abgelöst werden muss. Und die Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union wird zu einer neuerlichen, die nationale Souveränität bedrohenden Gefahr, womit das Trauma und mit dem Trauma die Angst neu geweckt werden. Man habe, so die gebetsmühlenhafte Propaganda von PiS, in all den Jahren nach 1989 Polen ruiniert und zu Boden gezwungen, so dass es nun an der Zeit sei, „sich von den Knien zu erheben“. Und es darf wieder geträumt werden von einer Föderation von Meer zu Meer unter polnischer Führung. Entsprechend versprach denn auch Außenminister Witold Waszczykowski zu Beginn seiner Amtszeit, in den Ländern Mitteleuropas aktiv zu werden und ihnen deutlich die Gefahren vor Augen zu führen, „die uns erwarten, wenn wir uns nicht vereinen und solidarisch sind.“ Damit beschwört er im Grunde das Gespenst des Traumas und nutzt die Angst zur Antriebskraft einer eventuellen von Meer zu Meer reichenden mitteleuropäischen Föderation. Eine zusätzliche Motivation dürfte ihm die Rede von Donald Trump auf der jüngsten Drei-Meere-Initiative verschafft haben, denn die war ganz darauf ausgerichtet, die Polen in ihrem nationalen Stolz zu bestärken und ihre Bedeutung in und für Mitteleuropa hervorzuheben.

Der Traum – in Wahrheit ein erneutes Trauma?

Doch es fehlt nicht in Polen an Stimmen der Kritik. Wie bereits in der Vergangenheit, so verfüge auch heute das Land nicht über das nötige Potenzial, eine derartige Föderation voranzutreiben. Zudem würden einem politischen Bündnis die Interessengegensätze ihrer Mitgliedstaaten entgegenstehen. Nicht einmal die vier Vizegradstaaten seien in ihren politischen Absichten einer Meinung: Ungarn, das Polen zwar in seinen Konflikten mit der EU-Kommission unterstützt, verfolge einen Kurs der Annäherung an Russland, durch das sich Polen bedroht fühle. Eine Föderation von Meer zu Meer solle ja gerade eine Sicherheitszone gegen aggressive Absichten Putins bilden. Die Tschechische Republik und die Slowakei betrachteten ihrerseits eher mit Sorge die polnischen Profilierungsversuche innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und befürchteten, eine von Polen angeführte mitteleuropäische Föderation könne sich am Ende als eine fatale Alternative zur EU erweisen.

Sollten derlei Befürchtungen Wirklichkeit werden, würde sich der Traum einer Föderation von Meer zu Meer letztlich als Trauma herausstellen, dann nämlich, wenn eine von der Kaczyński-Partei geführte Regierung mit der Drei-Meere-Initiative tatsächlich das Ziel der von ihr ersehnten Föderation verfolgen und sich dadurch eine weitere Stärkung gegenüber der EU erhoffen würde. Eine solche Strategie wäre aller Voraussicht nach mit zahlreichen Konflikten verbunden. Letztendlich könnte sie zu einer Isolierung Polens führen, so dass mit dem Verlust des Traums am Ende allein das Trauma nationaler Existenzbedrohung übrig blieb.

Qelle: Radosław Korzycki, Resort izolacji (Das Ressort der Isolation), Tygodnik Powszechny v. 26. 03. 2017; Jakub Majmurek, Sny o potędze (Machtträume), ebd. v. 21. 05. 2017; Ziemowit Szczerek, Moja wymarzona ojczyzna (Mein erträumtes Vaterland), ebd.

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