Polens Reparationsforderungen und die deutsch-polnische Versöhnung
Polens Reparationsforderungen und die deutsch-polnische Versöhnung
Professor Stanisław Żerko vom Posener Westinstitut zu den Reparationsforderungen
Interview, Gazeta Wyborzca vom 13. 09. 2017
Prof. Żerko räumt den deutsch-polnischen Beziehungen, schon wegen ihrer Asymmetrie, keine Priorität ein. Es reiche, wenn sie „normal“ wären, etwas Besonderes müssten sie nicht sein. Auf die gegenwärtige antideutsche Kampagne angesprochen, sieht er diese vor allem innenpolitisch gegen die „Bürgerplattform“ (PO) gerichtet, die deutsch orientiert sei und die „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) Revisionismus vorwerfe. Er vertritt die Auffassung, dass der von der kommunistischen Volksrepublik (PRL) 1953 ausgesprochene Reparationsverzicht unwirksam ist. Polen sei damals kein souveräner Staat gewesen und habe den Verzicht unter sowjetischem Druck erklärt. Diese Entscheidung habe gegen die Interessen Polens verstoßen, so dass die jetzt erhobenen Reparationsforderungen rechtens seien. Das Argument, dass auch die anderen von der kommunistischen Regierung abgeschlossenen Verträge und Abkommen gleichfalls rechtlich unwirksam seien, wenn man den Verzicht auf Reparationen als rechtlich nicht bindend erkläre, lässt er nicht gelten. Unterschiedliche Verträge seien unterschiedlich zu behandeln. Entscheidend sei deren Bewertung unter dem Aspekt des nationalen Interesses. Żerko sieht zudem in dem Bemühen um Reparationen kein bloßes politisches Manöver, um von der EU mehr Geld zu bekommen, wie dies von manchen polnischen Kommentatoren vermutet wird. Der Regierung sei es mit ihrer Forderung ernst. Żerko versteht die Reparationsforderungen zugleich als Reaktion auf die seitens der EU angekündigten Sanktionen wegen der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen und die für die europäische Wertegemeinschaft unverzichtbaren rechtstaatlichen Prinzipien zu wahren. Zudem wolle man durch die Diskussion um Reparationsforderungen die Position der Bundesrepublik auf internationaler Ebene schwächen.
Żerko geht auch auf den Zusammenhang von Reparationsforderungen und Versöhnung ein. Es gelte, die „Versöhnungsideologie“ zu entlarven. Die „ethische Rhetorik“ von Versöhnung unter Berufung auf Werte wie Solidarität, die das deutsch-polnische Verhältnis weitgehend bestimmt habe, sei reine Heuchelei. Dies zeige auch die nüchterne Zurückweisung der polnischen Forderung, die in diesem Fall jede ethische Erwägung vermissen lasse. Aus deutscher Sicht impliziere „Versöhnung“ den Verzicht auf Reparationen; ohne Verzicht auf Reparationen keine Versöhnung! Man solle daher aufhören, von Versöhnung zu reden. Es gehe im deutsch-polnischen Verhältnis nicht um Versöhnung, sondern um Normalität, und ein normales deutsch-polnisches Verhältnis verlange nach einer Regelung der Reparationsfrage.
Die gegenwärtige Diskussion um die Reparationsforderungen sei für die Deutschen schlecht, weil sie ihre „Versöhnungsideologie“ entlarve. Wer im Zusammenhang der Reparationsforderungen von Versöhnung rede, der zeige nur, dass er von Falschheit beseelt ist. Es gehe nicht an, von Versöhnung zu sprechen, sich auf Werte zu berufen, wenn man in der Diskussion um Reparationsforderungen nicht auch Solidarität beweise, sondern diesen Forderungen ein rein formales Nein entgegensetze.
Der von Prof. Żerko angesprochene Zusammenhang von Versöhnung und Reparationsforderungen bedarf einer Klärung, zumal die polnischen Bischöfe der deutsch-polnischen Kontaktgruppe angesichts der gegenwärtigen Situation die im deutsch-polnischen Verhältnis unter Mühen erreichte Versöhnung gefährdet sehen und die Bewahrung ihres unschätzbaren Wertes anmahnen. Daher ist daran zu erinnern, dass der Prozess deutsch-polnischer Versöhnung 1965 durch den polnischen Episkopat mit seiner Botschaft an ihre deutschen Amtsbrüder initiiert wurde. Zu jener Zeit gab es auf polnischer Seite weder eine Forderung nach Reparationen, noch stand sie überhaupt zur Debatte. Selbst wenn man angesichts der in Polen und an Polen verübten Verbrechen und der enormen materiellen Schäden Reparationen für gerechtfertigt hält, so gab es doch aufgrund der damaligen politischen Verhältnisse keine reale Möglichkeit, die deutsch-polnischen Beziehungen auf der Grundlage von Reparationen zu ordnen und zu normalisieren. Die Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe war übrigens in der Bevölkerung höchst umstritten, und sie hatten wegen ihrer Initiative einen harten Kirchenkampf zu bestehen, doch nicht weil sie es versäumt hätten, ihr Versöhnungsangebot an Reparationsforderungen zu knüpfen (was theologisch ein Unding gewesen wäre), sondern weil ihnen die kommunistische Führung vorwarf, gegen die durch das enge Bündnis mit der UdSSR bestimmte Staatsräson verstoßen und Staatsverrat begangen zu haben.
Am Anfang „normaler“ deutsch-polnischer Nachkriegsbeziehungen steht somit nicht die Reparationsfrage, sondern die Versöhnung. Es ist unbestreitbar, dass die Versöhnungsinitiative der polnischen Bischöfe entscheidend zur Neuordnung Europas beigetragen hat, sowie dazu, dass Polen Jahrzehnte später seine Souveränität zurückgewann und Aufnahme in die europäische Gemeinschaft fand. Die von Żerko, aber auch von Jarosław Kaczyński negativ titulierte „Versöhnungspolitik“ verstieß somit nicht gegen die Interessen Polens, sie entsprach ihnen, wie dies auch – mit Ausnahme von PiS – von den polnischen Regierungen nach 1989 gesehen und stets bekräftigt wurde. Man mag sich fragen, welchen Geschichtsverlauf die deutsch-polnischen und die europäischen Beziehungen genommen hätten, wären sie nicht durch Versöhnung, sondern durch die Reparationsfrage bestimmt gewesen. Welchen Sinn macht es, heute, sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Reparationsfrage aufzuwerfen, welche Konsequenzen hätte dies für das deutsch-polnische Verhältnis und die weitere Entwicklung Europas? Dass die deutsche Regierung die polnischen Reparationsforderungen kategorisch zurückweist, statt sich mit Polen auf einen schwer abschätzbaren Weg juristischer Auseinandersetzung zu begeben, dürfte entgegen der Meinung von Professor Żerko nicht nur im deutschen, sondern auch im polnischen sowie im europäischen Interesse liegen.