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Das Verhältnis der polnischen Kirche zur regierenden Kaczyński-Partei

Das Verhältnis der polnischen Kirche zur regierenden Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“

Geradezu hymnisch begrüßte Czesław Stanisław Bartnik, emeritierte Theologieprofessor und Begründer einer spezifisch polnischen „Theologie der Nation“, die von der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit absoluter Mehrheit im Herbst 2015 gewonnene Wahl: „Und mit einem Male erscheint hier ein Polen wie der Erzengel Michael mit Gott im Herzen, ein Verteidiger der Kirche, das Schwert gegen Satan gerichtet. […] Es erwacht eine von Gott und dem Christentum inspirierte Kultur, der geniale polnische Geist gewinnt an Leben, ein Bewusstsein von Würde und Ehre erfüllt die Nation, die Freude der Gotteskindschaft verleiht den Menschen Flügel der Hoffnung zu einem zeitlichen und ewigen Leben. […] Der Präsident und der Präses der siegreichen Partei gehen zur heiligen Kommunion. […] Frau Ministerpräsidentin ist wie die wahre Polnische Mutter aus polnischen Epen.“ Und unter Hinweis auf all jene, welche den Regierungswechsel eher als Schock empfanden, fügte er hinzu: „Kaum zu glauben, dass dieses allerhöchste Gut von Menschen bösen Willens am allermeisten gehasst werden kann.“

In gleicher Weise, wenngleich im Ton nüchterner, äußerte sich der neue Krakauer Metropolit Marek Jędraszewski in der Osterausgabe der rechtskonservativen Wochenzeitschrift „Do Rzeczy“: „Die letzten Monate und Wochen des vorhergehenden Parlaments und der Regierung waren mit vielen offenkundigen und deutlichen antichristlichen Initiativen verbunden.“ Damit erinnerte der Krakauer Metropolit an die geradezu kulturkämpferische Auseinandersetzung der Kirche mit der von der liberalkonservativen „Bürgerplattform“ (PO) geführten Vorgängerregierung. Die Bischöfe machten damals die westeuropäisch orientierte Regierung für den auch in der polnischen Gesellschaft fortschreitenden Säkularisierungsprozess verantwortlich, den sie als eine ernste Gefährdung nationaler Identität sowie als eine Schwächung des kirchlichen Einflusses ansahen.

Zum Glück habe, so Erzbischof Marek Jędraszewski, „jene politische Formation – auch mit Hilfe der Kanzel – den Kampf verloren, so dass es heute eine derartige Situation nicht mehr gibt. Die Kirche braucht nicht mehr in eine geistige Auseinandersetzung einzutreten, wie zu Zeiten der PO-Regierung.“

Die Berufung auf die Nation als Grund für die Affinität zwischen Kirche und PiS

Der tiefere Grund für die offensichtliche Nähe der Kirche zur Kaczyński-Partei und der von ihr gebildeten Regierung liegt in der beiden Seiten gemeinsamen starken Betonung der Nation. Hier ist eine bis in die Zeit der polnischen Teilungen zurückgehende Tradition wirksam. Dass Polen über ein Jahrhundert ohne eigenen Staat überlebte, ist vor allem ein Verdienst der Kirche, die als Anwalt und Schutz der Nation sowie aufgrund ihrer Strukturen eine staatliche Ersatzfunktion ausübte. Auf ähnliche Weise führte sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Kampf gegen das kommunistische System zur Wahrung der tief mit ihr verwurzelten nationalen Identität. Dieser Tradition wusste sich auch die Solidarność verpflichtet, die sich in ihrem Bestreben nach Freiheit und staatlicher Unabhängigkeit einer religiös-nationalen Symbolik bediente.

Nach dem Ende des Kommunismus waren zur Gestaltung einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft auch seitens der Kirche im Grunde andere Konzepte gefragt. Doch Polens Bischöfe, die sich in einem gewissen Triumphalismus als Sieger der Geschichte sahen, nahmen für sich in Anspruch, auf die Gestaltung von Staat und Gesellschaft entscheidenden Einfluss zu nehmen. Vor den Wahlen ließen sie verlauten, Katholiken dürften nur Katholiken ihre Stimme geben. Als Anwalt der Nation versuchten sie, christlichen Werten und ihren moralischen Auffassungen Gesetzeskraft zu verleihen. So forderten sie ein radikales Abtreibungsverbot und mussten erleben, dass ihnen die in ihren Augen katholische Nation nicht folgte. Es kam zu massenhaften Protesten, so dass sich der Episkopat genötigt sah, in langwierigen Verhandlungen einem Kompromiss zuzustimmen, der einen Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung, ernster Schädigung der Leibesfrucht und einer lebensbedrohlichen Gesundheitsgefährdung der schwangeren Frau gesetzlich erlaubt. Mit ihrem undemokratischen Verhalten setzten sich Polens Bischöfe nicht nur bei Gegnern der Kirche, sondern auch in einer innerkirchlich geführten Auseinandersetzung dem Vorwurf aus, einen Bekenntnisstaat anzustreben, in dem die einstige kommunistische Ideologie durch den von ihnen vertretenen Katholizismus ersetzt werde, aus dem gesetzliche Verpflichtungen abzuleiten seien. Selbst als sie mit ihren Bemühungen scheiterten, taten sie sich schwer, unter der Voraussetzung der Trennung von Staat und Kirche sowie ihrer wechselseitigen Autonomie ein grundsätzlich freundschaftliches Verhältnis zu den jeweiligen, westlich orientierten Regerungen zu gewinnen. Immer wieder kam es zu Spannungen, Konflikten und mühsam errungenen Kompromissen.

Vor den Herbstwahlen 2015 brachte der Posener Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, die in den über 20 Jahren der III. Republik gewonnenen kirchlichen Erfahrungen sehr nüchtern zum Ausdruck: „Es lässt sich schwerlich eine politische Option finden, die mit den Anforderungen des christlichen Glaubens vollständig in Einklang stehen würde. Die Behauptung, irgendeine Partei oder politische Gruppierung würden den Ansprüchen des Glaubens und des christlichen Lebens entsprechen, führt in die Irre.“ Doch nach dem Wahlsieg der Kaczyński-Partei äußerte sich der gleiche Gądecki auf gänzlich andere Weise: „In all den Jahrzehnten nach dem Krieg gab es keinen solchen Moment eines übereinstimmenden Denkens zwischen Staat und Kirche. Das ist ein Augenblick des Umbruchs.“

Ein „Augenblick des Umbruchs“ ist die von der Kaczyński-Partei gewonnene Wahl durch eine sich abzeichnende Übereinstimmung zwischen Staat und Kirche in der Tat. Von ihr profitiert, wie die folgenden Überlegungen zeigen, vor allem die Kaczyński-Partei und ihre Regierung, während Polens Kirche ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt.

Ein radikales Abtreibungsverbot ist erneut gescheitert

Am 3. April 2016 kam in den Kirchen eine Erklärung des Präsidiums der Bischofskonferenz zur Verlesung, die bei zahlreichen Gottesdienstbesuchern auf Unverständnis, ja auf Empörung stieß, und die selbst Bischöfe und Priester irritierte. In dem nur wenige Zeilen umfassenden Text stellten die drei Unterzeichner, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, sein Stellvertreter sowie der Sekretär der Bischofskonferenz, das geltende Abtreibungsrecht in Frage, indem sie betonten, es dürfe „nicht beim gegenwärtigen Kompromiss bleiben, wie er im Gesetz vom 7. Januar 1993 zum Ausdruck kommt, das in drei Fällen eine Abtreibung erlaubt.“ Sie forderten „Gläubige wie Nichtglaubende“ dazu auf, „sich für einen vollen rechtlichen Lebensschutz der Ungeborenen einzusetzen“ und wandten sich direkt an „die Parlamentarier und Regierenden, entsprechende Gesetzesinitiativen zu ergreifen.“

Damit unterstützte das Präsidium eine unmittelbar vorausgegangene Bürgerinitiative von „Pro Life“. Diese forderte ein totales Verbot von Schwangerschaftsunterbrechungen, wobei Frauen wie Ärzte, die gegen ein solches Verbot verstoßen würden, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden sollten.

Die Gesetzesvorlage wurde in den Sejm eingebracht und von der über die absolute Mehrheit verfügenden Regierungspartei befürwortet. Doch wie Anfang der 1990er Jahre kam es auch diesmal zu Massenprotesten. Im ganzen Land formierten sich vor allem Frauen zu „schwarzen Märschen“, so dass sich PiS genötigt sah, die Gesetzesvorlage zurückzuziehen. Den Ärger über dieses Misslingen brachte am deutlichsten Professor Bartnik, der „Prophet der Nation“, zum Ausdruck: „So etwas war nicht zu erwarten, dass es gewisse gesellschaftliche Gruppierungen gibt, so „schwarz“, so unverantwortlich, marktschreierisch, brutal, in der Gestalt eines ‚schwarzen‘ Protestes, der darauf abzielt, unser polnisches Haus nicht nur materiell, sondern auch geistig, moralisch und religiös zu zerstören.“

Zurückhaltung gegenüber den Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien

Die Kaczyński-Partei, die sich als alleinige politische Repräsentanz der Nation versteht, hatte für den Fall ihres Wahlsieges einen „guten Wandel“ angekündigt. Der erwies sich nach der Regierungsübernahme als systematische Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien: Das Verfassungsgericht wurde lahmgelegt, um die eigenen Gesetzesvorhaben ungehindert durchbringen zu können. Die Gewaltenteilung wurde, wenn nicht gänzlich aufgehoben, so doch erheblich eingeschränkt. So erfüllt der Justizminister zugleich die Funktion des Generalstaatsanwaltes. Eine Reform des gesamten Gerichtswesens wurde eingeleitet, um es seiner direkten Kontrolle zu unterstellen. Ein Veto des Präsidenten gegen die Gesetze zur Entmachtung des Obersten Gerichts und des Länderjustizrates verhinderte vorerst die völlige Aufhebung der für eine demokratische Ordnung fundamentalen Gewaltenteilung. Ein Schreiben des Posener Erzbischofs und Vorsitzenden der Bischofskonferenz an den Präsidenten, mit dem dieser Duda seinen Dank für diese Entscheidung ausspricht, kann als eine erste vorsichtige Distanz von dem von PiS verfolgten Ziel eines autoritären Umbaus des Staates verstanden werden.

Auch die staatlichen Medien sind betroffen. Das Fernsehen, fungiert heute faktisch als Propagandainstrument der Regierung. Präsident Andrzej Duda kündigte zudem ein Referendum zu einer neuen Verfassung an, von der zu befürchten ist, dass sie diese Rechtsbrüche im Nachhinein legitimiert. Bis zu dem Dankesbrief des Vorsitzenden der Bischofskonferenz haben Polens Bischöfe all dies nicht nur schweigend zur Kenntnis genommen, sondern einzelne Hierarchen verteidigten sogar die getroffenen antidemokratischen, auf ein autoritäres System tendierenden Maßnahmen. Als sich in der Gesellschaft gegen die Entmachtung des Verfassungsgerichts Widerstand regte, sich das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) bildete und dieses Zigtausende zu öffentlichen Protesten bewegen konnte, kritisierte beispielsweise Erzbischof Gądecki nicht die PiS-Regierung für ihre Rechtsbrüche, sondern diese Protestbewegung: „Diese Schreihälse für Demokratie sind am wenigsten demokratisch.“

Nicht alle Bischöfe denken so, doch kaum einer traut sich, an der jetzigen Regierung Kritik zu üben. Eine Ausnahme bildet der frühere Generalsekretär der Bischofskonferenz, der emeritierte Bischof Tadeusz Pieronek. Er ist dafür bekannt, dass er sich gelegentlich zu innerkirchlichen Vorgängen und politischen Maßnahmen kritisch äußert und gilt daher unter den nationalkonservativ eingestellten Bischöfen als „Enfant terrible“. Er scheut sich nicht, mit Blick auf die PiS-Regierung Klartext zu reden: „Die Regierenden möchten solche Bestimmungen in die Verfassung einfügen, die jeglichen Missbrauch sanktionieren würden, der mit der jetzigen Verfassung bereits betrieben wurde.“ Und in Abwandlung ihres Namens tituliert er PiS als „‚Unrecht und Ungerechtigkeit‘“.

Mögliche Gründe für eine kirchliche Kritik an der PiS-Regierung

Die Flüchtlingspolitik.

Angesichts der politischen Situation im Lande gibt es für Polens Kirche durchaus Gründe für eine Kritik an der gegenwärtigen Regierungspolitik. So zeigt sich ein, wenngleich von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommener Dissens zwischen Kirche und Staat in der Flüchtlingsfrage So hatte der Episkopat durch seinen Vorsitzenden die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen bekundet. Ein humanitärer Korridor sollte gebildet werden, um syrischen Kriegsflüchtlingen eine sichere Ankunft in Polen zu garantieren. Die Caritas wurde beauftragt, entsprechende Maßnahmen zur ihrer Unterbringung in Pfarreien und Klöstern vorzubereiten. Zudem konnte durch ein Programm „Familie für Familie“ über 2000 Syrern in ihrer Heimat geholfen werden. Eine gewiss lobenswerte Initiative. Aber sie ist kein Ersatz für die Weigerung der Regierung, die sonst keine Gelegenheit auslässt, die christlichen Werte der Nation zu beschwören, auch nur einen einzigen syrischen Kriegsflüchtling aufzunehmen.

Es fehlt im Übrigen nicht an quasi christlicher Begründung für die ablehnende Haltung gegenüber einer Aufnahme von Flüchtlingen. Als gäbe es das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht, vertreten nationalkonservativ eingestellte Moraltheologen die Auffassung, man müsse gemäß des ordo caritatis zunächst den Notleidenden im eigenen Land helfen, ehe man daran denken könne, dem fernen Nächsten beizustehen.

Auch gegen das von der Regierung verbreitete negative Bild der aus muslimischen Ländern stammenden Flüchtlinge sowie gegen die von ihr geschürte Angst vor ihnen hat Polens Kirche nicht entschieden Stellung genommen. Diese setzt alles daran, ein negatives Bild von den Flüchtlingen aus muslimischen Ländern zu verbreiten. Bereits im Wahlkampf hatte Kaczyński vor der Aufnahme von Flüchtlingen gewarnt, indem er sie beschuldigte, gefährliche Krankheiten ins Land zu schleppen, ihre Notdurft in den Kirchen zu verrichten sowie Mädchen und Frauen zu vergewaltigen. Auf diese Weise erfuhr das Wort „Flüchtling“ einen Bedeutungswandel: Ein Flüchtling ist nicht mehr jemand, der Schutz und Hilfe braucht, sondern der eine ernste Bedrohung darstellt.

Zudem ist bis weit in kirchliche Kreise hinein die Vorstellung verbreitet, das reiche christliche Erbe, das 2016 in Erinnerung an die „Taufe Polens“ vor 1050 Jahren im Zentrum kirchlichen Gedenkens stand und das in Polen durch die feierliche Inthronisation Jesu Christi am Ende des Heiligen Jahres seine Bestätigung fand, müsse gegen eine mit der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge verbundene Gefahr einer Islamisierung verteidigt werden.

Angesichts dieses Sachverhaltes verwundert es doch sehr, dass der politisch einflussreiche Episkopat in der Flüchtlingsfrage keinen spürbaren Druck auf die Regierung ausübt, wo er doch um gender und in vitro mit der liberalen Vorgängerregierung einen erbitterten Kulturkampf ausgefochten hat. So entsteht der Eindruck, dass er sein gutes Verhältnis zur Regierung nicht durch Kritik aufs Spiel setzen möchte.

Die Tragödie von Smolensk:

Am 10. April 2010 ereignete sich über dem Flughafen von Smolensk ein tragischer Unfall. Bei dichtem Nebel kamen beim Absturz der Präsidentenmaschine alle 96 Insassen, zumeist hochrangige Vertreter aus Politik und Gesellschaft, ums Leben. Obgleich seitdem bereits sieben Jahre vergangen sind, kommt es an jedem 10. eines Monats vor dem Warschauer Präsidentenpalast und an anderen Orten zu von PiS inszenierten Manifestationen. Was von ihnen zu halten ist, das brachte Bischof Pieronek als einsamer Rufer in der Wüste zum Ausdruck: „Diese monatlichen Veranstaltungen sind reine Politik. Es geht nicht um die Toten. Es geht um Politik. Was man dort während der Auftritte zu hören bekommt, das lässt einen die Haare zu Berge stehen.“

Doch um welche Politik geht es hier? Um nichts weniger als um die Installierung eines Gründungsmythos der von der Kaczyński-Partei mit aller Macht betriebenen IV. Republik. Ihr geht es um eine Geschichtspolitik, nach der die Entstehung der III. Republik im annus mirabilis 1989 nicht als historischer Einschnitt, sondern als Kontinuität des kommunistischen Systems gedeutet wird. Sie sei aufgrund der am Runden Tisch vereinbarten Kompromisse, an denen im Übrigen die Kirche ihren Anteil hatte, kein wahrhaft demokratisches, sondern ein postkommunistisches Staatswesen. Jene Vereinbarungen hätten dazu gedient, den Kommunisten auch für die Zukunft ihren Einfluss zu sichern, so dass diese die eigentlichen Nutznießer der III. Republik seien. Kaczyński sieht daher seine nationale Sendung darin, durch eine Politik des „guten Wandels“ das Ende der III. Republik herbeizuführen und an ihre Stelle die mit seinem Namen und dem seines Zwillingsbruders Lech bleibend verbundene IV. Republik zu errichten. Dem soll die Katastrophe von Smolensk dienen. Sie soll sich in die Tradition nationalen Martyriums einreihen und so den Gründungsmythos der IV. Republik bilden. Daher die schon absurd anmutenden Beharrlichkeit, mit der die PiS-Regierung zu beweisen versucht, dass der Absturz der Präsidentenmaschine kein tragischer Unfall war, sondern das Ergebnis eines Attentats, in das der Kreml im Verein mit der Vorgängerregierung verwickelt sei.

Um ein Attentat zu „beweisen“, ist der PiS-Regierung offenbar jedes Mittel recht. So wurde zu diesem Zweck staatlicherseits die Exhumierung der Opfer der Flugzeugkatastrophe angeordnet, ohne dass dies zu dem gewünschten Ergebnis führte. Damals hatten Angehörige der Opfer an die Kirche appelliert, ihren Einfluss geltend zu machen, um diese die Grabesruhe verletzende Maßnahme zu verhindern. Die Bischöfe schwiegen lange. Dann ließen sie durch ihren Pressesprecher verlauten, ihnen seien in dieser Frage die Hände gebunden. Am Ende bezog der Posener Erzbischof Gądecki Position, indem er erklärte: „Man muss mit den Gefühlen der Angehörigen rechnen, doch das allgemeine nationale Interesse steht über dem privaten.“

Ein Dokument als Grundlage für Reflexion und Kritik

Am 28. 04. 2017 veröffentlichte die Polnische Bischofskonferenz mit ihrem Dokument „Christliche Gestalt des Patriotismus“ einen Text, der als Grundlage einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Kaczyński-Partei und ihrer Regierungspolitik dienen könnte – vorausgesetzt, er wird dazu genutzt. Das Dokument ist eine deutliche Absage an jede Art von Nationalismus. Quelle eines christlich verstandenen Patriotismus sei das Gebot der Nächstenliebe. Als Modell des Patriotismus verweisen die Bischöfe auf die Zeit der Jagiellonen Republik mit einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Religionen, einschließlich der muslemischen. Auf diesem Hintergrund sprechen sie sich für einen „gastfreundlichen Patriotismus“ aus. Besorgt zeigen sie sich über den „tiefgreifenden politischen Streit, der heute unser Vaterland spaltet.“ Sie fordern in diesem Zusammenhang, „die übermäßigen politischen Emotionen zu lindern und das öffentliche Leben vor einer übermächtigen Politisierung zu bewahren.“ Schließlich verweisen die Bischöfe auf die Bedeutung einer „verantwortlichen Geschichtspolitik“. Bei ihren geschichtspolitischen Aktivitäten sollen die „staatlichen Institutionen anderen gegenüber Achtung und Respekt erweisen.“ Sie warnen zudem „vor der Gefahr einer missbräuchlichen Instrumentalisierung des historischen Gedächtnisses.“

Damit der theoretische Text des Dokuments kritisch zur Wirkung gelangen kann, bedarf es jedoch der Konkretisierung. Und dies auf doppelte Weise: Einmal als Selbstkritik, um den in Teilen der Kirche virulenten Nationalismus aufzudecken und zu überwinden. Zum anderen, um den nationalistischen Charakter gegenwärtiger Regierungspolitik als Widerspruch zur Botschaft des Evangeliums zu thematisieren. Doch von dieser notwendigen Konkretisierung ist – leider – bis zur Stunde kaum etwas erkennbar.

Die deutsch-polnische Versöhnung in Gefahr?

„Versöhnung ist ein Wort, das über einem Vierteljahrhundert die polnisch-deutschen Beziehungen bestimmt.“ Mit diesem Satz beginnt ein Appell, mit dem sich sechs polnische Bischöfe am 08. September 2017 an die Öffentlichkeit wandten. Bei ihnen handelt es sich um frühere oder jetzige Mitglieder der für den zwischenkirchlichen Dialog zuständigen deutsch-polnischen Kontaktgruppe. Sie sehen den „großen Wert“ der erreichten Versöhnung durch „unüberlegte Entscheidungen“ und „leichtfertiges Reden“ in Gefahr. Die Bischöfe erinnern daran, dass „der Prozess der Versöhnung vor über 50 Jahren durch den Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe initiiert wurde. Sie zitieren jene „denkwürdigen Worte ‚wir vergeben und bitten um Vergebung‘.“ Diese hätten „ihre Bedeutung und ihre Aktualität nicht eingebüßt.“ Vergebung sei „keine von Bedingungen abhängige konjunkturelle Entscheidung, sondern ein unumkehrbarer Akt der Barmherzigkeit, die nicht im Gegensatz zur Gerechtigkeit steht, sondern sie erfüllt.“

Nach diesen grundlegenden Aussagen rufen die Bischöfe die in der Vergangenheit von deutscher Seite „mannigfach“ zum Ausdruck gebrachten „Worte und Gesten“ in Erinnerung, insbesondere die von der deutschen Gesellschaft geleistete „konkrete, moralische und materielle Hilfe“ während der Zeit des Kriegsrechts, „als sich unser Land am Rande einer humanitären Katastrophe befand.“ Dies in all den Jahren „angehäufte Kapital der Versöhnung und Verbundenheit“ dürfe „ nicht vergeudet werden.“

Der Appell der Bischöfe nimmt keinen direkten Bezug auf die politische Situation in ihrem Land. Und doch ist er zweifellos als Antwort auf eine wachsende, von PiS und ihrer Regierung gegenwärtig in Zusammenhang mit der Forderung nach Reparationen betriebene Deutschfeindlichkeit zu verstehen. Damit wird eine Situation erneut heraufbeschworen, die bereits im Herbst 2004 zu einer Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen geführt hat. Damals ging allerdings der Konflikt von deutscher Seite aus, und zwar durch die Initiative der Landsmannschaft Ostpreußen. Mit Gründung der „Preußischen Treuhand“ hatte sie Vermögensansprüche aus den ehemals deutschen Ostgebieten erhoben. Als sie ihre Absicht bekundete, diese vor dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte geltend zu machen, verabschiedete der polnische Sejm am 10. September 2004 nach einer äußerst emotional geführten Debatte eine Resolution, mit der die damals von den Postkommunisten geführte Regierung aufgefordert wurde, mit der deutsche Bundesregierung über eine Entschädigung für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden zu verhandeln. Die vom national-konservativen Lager ins Leben gerufene „Polnische Treuhand“ unterstützte propagandistisch die Reparationsforderungen und sprach sich sogar für eine Neuverhandlung des 1991 abgeschlossenen Nachbarschaftsvertrages aus.

Die Situation beruhigte sich wieder, als ein von der polnischen Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss kam, dass es für derlei Forderungen keine Rechtsgrundlage gebe und der Europäische Gerichtshof die Klage der „Preußischen Treuhand“ als unbegründet abgewiesen hatte.

Auch als PiS im Herbst 2005 die Parlamentswahlen gewann und unter ihrer Führung eine Koalitionsregierung bildete, griff Jarosław Kaczyński entgegen seiner im Wahlkampf geäußerten Absicht die Reparationsfrage nicht wieder auf. Doch aufgegeben hat er seine Absicht nicht. Nachdem seine Partei im Herbst 2015 die absolute Mehrheit errang, versucht nunmehr seine Partei und Regierung mit großem propagandistischen Einsatz die Reparationsfrage wiederum auf die politische Tagesordnung zu bringen. Ein vom wissenschaftlichen Dienst des Sejm in Auftrag gegebenes Gutachten kommt – anders als 2004 – zu dem Ergebnis, dass Polen selbst über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Ansprüche auf deutsche Reparationszahlungen besitzt.

Es soll an dieser Stelle nicht detailliert auf die Frage eingegangen werden, ob die Reparationsforderungen der polnischen Regierung rechtens sind oder nicht. Nur so viel sei gesagt, dass nicht nur ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages dies verneint, sondern auch renommierte polnische Juristen den polnischen Forderungen keinerlei juristische Chancen einräumen.

Doch mit dieser Feststellung hat sich das Problem nicht erledigt, denn durch die gegenwärtige Debatte steht der deutsch-polnische Versöhnungsprozess in Gefahr. Und dies nicht nur durch die die Debatte begleitende deutschfeindliche Begleitmusik. Vielmehr wird der Versöhnungsprozess als solcher in Frage gestellt. Die deutsch-polnischen Beziehungen auf Versöhnung zu gründen, sei – so PiS – ein fundamentaler Fehler, habe dies doch faktisch den Verzicht auf Reparationen zur Folge und schade damit schwer dem nationalen Interesse. In diesem Sinn äußerte sich Prof. Stanisław Żerko vom Posener Westinstitut in einem der Gazeta Wyborzca erteilten Interview vom 13. September 2017: Die „ethische Rhetorik“, die das deutsch-polnische Verhältnis weitgehend bestimmt habe, sei „reine Heuchelei“. Aus deutscher Sicht impliziere nämlich „Versöhnung“ den Verzicht auf Reparationen; er sei für Deutschland Grundvoraussetzung der Versöhnung. Ohne Verzicht auf Reparationen keine Versöhnung! Man solle daher aufhören, von Versöhnung zu reden. Es gehe im deutsch-polnischen Verhältnis nicht um Versöhnung, sondern um Normalität, und ein normales deutsch-polnisches Verhältnis verlange nach einer Regelung der Reparationsfrage. Es gehe nicht an, von Versöhnung zu sprechen, sich auf Werte zu berufen, wenn man in der Diskussion um Reparationsforderungen nicht auch Solidarität beweise, sondern diesen Forderungen ein kaltes, rein formales Nein entgegensetze.

Diese Art von Argumentation beinhaltet – wenngleich unausgesprochen – eine Kritik an der Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe von 1965, deren Bedeutung und Aktualität die sechs Bischöfe in ihrem Appell betonen. Es ist schließlich unbestreitbar, dass ihre Versöhnungsinitiative entscheidend zur Neuordnung Europas beigetragen hat und dass nicht zuletzt durch sie Polen Jahrzehnte später seine Souveränität zurück erlangt hat und Aufnahme in die europäische Gemeinschaft fand. Die von Żerko und Kaczyński negativ verstandene „Versöhnungspolitik“ verstieß somit nicht gegen die Interessen Polens, sie entsprach ihnen vielmehr, wie dies auch - mit Ausnahme von PiS – von den polnischen Regierungen nach 1989 gesehen und stets bekräftigt wurde. Man mag sich fragen, welchen Geschichtsverlauf die deutsch-polnischen und europäischen Beziehungen genommen hätten, wären sie nicht ursprünglich durch Versöhnung, sondern durch die Reparationsfrage bestimmt gewesen, die übrigens in all den Jahren von polnischer Seite nie angesprochen wurde und somit zu keiner Zeit zur Debatte stand. Dass die deutsche Regierung die polnischen Reparationsforderungen zurückweist, dürfte nicht nur im deutschen, sondern auch im polnischen sowie im europäischen Interesse liegen.

Auf diesem Hintergrund gewinnt der Appell der sechs polnischen Bischöfe sein Gewicht. Aber reicht ihre Stimme zur Wahrung des unschätzbaren Wertes der Versöhnung angesichts der gegenwärtigen Auseinandersetzung? Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die polnische Bischofskonferenz als Ganzes klar und eindeutig durch ein von den Kanzeln zu verlesener Hirtenbrief als Anwalt der Versöhnung und in Verteidigung des für die deutsch-polnischen Beziehungen und die Einheit Europas unverzichtbaren Versöhnungsprozesses zu Wort meldet?

Mariusz Sepiolo/Artur Sporniak, Prorok Narodu (Prophet der Nation), Tygodnik Powszechny v. 13. 11. 2016, S. 9.

Rafał Zakrzewski, Pan Bóg nie chce mieć władzy nad światem, a biskupi chcą (Gott will keine Herrschaft über die Welt, die Bischöfe wollen sie schon) Gazeta Wyborca v. 15. 04. 2017.

Michał Wilgocki, Trzy kolizje rządu kościoła. Jak śilny jest sojusz biskupów i PiS? (Drei Berührungspunkte der Kirchenleitung. Wie stark ist das Bündnis der Bischöfe mit PiS?), Gazeta Wyborca vom 26. 04. 2017.

Mariusz Sepiolo/Artur Sporniak, a.a.O., S. 9.

Ebd.

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