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Wechsel an der polnischen Regierungsspitze

Spekuliert wurde schon seit längerem, dass an der Spitze der polnischen Regierung ein Wechsel bevorstehe. Am 7. Dezember war es dann soweit. Beata Szydło erklärte gegenüber Präsident Duda ihren Rücktritt, und der nahm ihr Rücktrittsgesuch an. So ganz freiwillig traf Szydło ihre Entscheidung nicht. Wie alles, was in der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PS) von Wichtigkeit ist, so wurde auch dieser Beschluss von ihrem Vorsitzenden getroffen. Dies geschah auf einem Treffen des politischen Komitees von PiS, auf dem sich – wie Kenner der Szene berichten – Szydło lange gesträubt habe, ihren Posten als Regierungschefin zu räumen.

Gründe für den Wechsel

Für den äußeren Beobachter gab es eigentlich keinen Grund, Szydło aus der Verantwortung für die Regierungsgeschäfte zu entlassen. Sie hat sich wie kaum ein anderes Mitglied von PiS um die Partei verdient gemacht. Sie war es schließlich, die mit ihrem unermüdlichen Einsatz die Wahl des weitgehend unbekannten Andrzej Duda gegen den allgemein angesehenen Amtsinhaber Bronisław Komorowski möglich machte. Als Regierungschefin war sie als „Mutter Polens“ bei der Wählerschaft von PiS sehr beliebt. Und dass einer ihrer Söhne Priester ist, verschaffte ihr in Kirchenkreisen eine zusätzliche Gunst. Für viele Polen war Szydło eine Identifikationsfigur, in der sie ihre nationalkatholischen und nationalkonservativen Vorstellungen und Interessen vertreten sahen. Und dass PiS nach jüngsten Umfragen in der Bevölkerung mit 40% Unterstützung rechnen kann, ist nicht zuletzt ihr Verdienst.

Warum also war Szydło in den Augen von Kaczyński nicht geeignet, die Regierung bis zu den Neuwahlen in zwei Jahren zu führen, wo doch unter ihrer Regentschaft alles dafür spricht, dass PiS sie wieder mit absoluter Mehrheit gewinnen wird?

Kaczyński hat diese Frage selbst beantwortet, indem er darauf verwies, dass das Sozialprogramm der Regierung (500 Zł+ ab dem zweiten Kind, Absenkung des Renteneintrittsalters, teilweise kostenlose Medikamente für Rentner, ein in Aussicht gestelltes Programm des sozialen Wohnungsbaus) abgeschlossen sei und nun die Wirtschafts- und Außenpolitik vorangetrieben werden müsse. Um dies zu bewerkstelligen, sei niemand besser geeignet als der bisherige Finanzminister und Vizepremier Mateusz Morawiecki, der denn auch von der politischen Kommission nominiert wurde und dessen Wahl vom Sejm und seine Bestätigung durch den Präsidenten reine Formsache sind.

Ein wohl überlegter Termin

Der Zeitpunkt für den Wechsel an der Spitze der Regierung war – aus der Sicht von PiS – gut gewählt, fand er doch zeitgleich mit der Verabschiedung der Gesetze zur Neuordnung des Obersten Gerichts und des Landesjustizrates statt. Beide Gesetze waren bereits vor Monaten vom Sejm verabschiedet worden, konnten aber durch ein Veto des Präsidenten nicht in Kraft treten. Duda hatte mit seinem Veto eigene Vorschläge angekündigt, die allerdings, wie sich nun zeigte, keine Veränderung in der Substanz erbrachten, so dass sein damaliges Veto von der Opposition lediglich als Versuch gewertet wird, die Massen, die aus Protest gegen die Aufhebung der Gewaltenteilung auf die Straße gegangen waren, zu beruhigen. Nun sollte offenbar der in der Öffentlichkeit mit Interesse verfolgte Wechsel an der Regierungsspitze von der neuerlichen Verabschiedung dieser Gesetze ablenken und etwaige Proteste in Grenzen halten, eine Rechnung, die in der Tat aufging.

Mateusz Morawski – der neue polnische Premier

Wer ist der neue Mann, der die Nachfolge von Beata Szydło antritt? Tadeusz Morawiecki, 1968 geboren, entstammt einer nationalkonservativen Familie, die sich bereits unter kommunistischer Herrschaft durch ihr oppositionelles Handeln einen Namen gemacht hat und die Repressionen des Systems zu spüren bekam. In den 1980er Jahren gehörten sein Vater und er zum rechten Flügel der Solidarność. Tadeusz Morawiecki studierte zunächst Geschichte, später an westlichen Universitäten Wirtschaftswissenschaft sowie europäisches Recht und arbeitete dann in führenden Positionen als Banker. Während der Regierungszeit der „Bürgerplattform“ (PO) zählte er zeitweise als Finanz- und Wirtschaftsexperte zum Beratungsteam von Donald Tusk. Morawiecki gilt als mehrfacher Millionär, spricht etliche Sprachen, legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres, ist weltgewandt.

Diese Vorzüge sind es, die Kaczyński bewogen haben, ihm die Führung der Regierung anzuvertrauen. Innenpolitisch soll Morawiecki das von ihm erstellte Programm einer „nationalen Wirtschaft“ möglichst zügig verwirklichen. Was die Außenpolitik betrifft, so verspricht er sich von ihm vor allem, dass er gegenüber der Europäischen Kommission die Interessen Polens vertritt. Morawiecki soll innerhalb der EU den Staatsumbau, der wegen der Verletzung demokratischer, für die Zugehörigkeit zur EU verbindlicher Grundprinzipien eine Klage der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof nach sich gezogen hat, auf eine Weise absichern, dass die EU-Fördermittel in gewohnter Höhe weiter fließen. Ob ihm das allerdings durch sein weltmännisches Auftreten und seine fachliche Kompetenz gelingt, bleibt abzuwarten.

Suche nach einem Rückhalt im nationalkatholischen Lager

Der intellektuelle und weltgewandte Morawiecki ist das genaue Gegenteil zu der aus einer schlesischen Bergbaustadt stammenden Beata Szydło. War sie für das Grobe zuständig und für ihre Grobheiten bekannt, so dürfte sich mit Morawiecki der Ton in der politischen Auseinandersetzung änern, nicht aber ihre Sache, die er auf eine feine Art vertreten wird.

Morawecki verfügt zudem, wenigstens vorerst, über keine Hausmacht. Er wurde als Parteiloser von Kaczyński nach der gewonnenen Wahl in die Regierung berufen und ist erst seit kurzem Mitglied der Partei. Er weiß, dass er in Szydło, die auch nach dem Verlust ihrer Regierungsverantwortung innerparteilich einflussreich bleiben wird, eine Gegnerin hat. Und Justizminister Ziobro, der sich selbst Chancen auf den Posten des Regierungschefs ausgerechnet hatte, zählt sicher nicht zu seinen Freunden. Auch dürfte es zu Konflikten mit Außenminister Waszczykowski kommen, dessen Verantwortungsbereich durch Morawieckis europapolitische Zuständigkeit notwendigerweise beschnitten wird. Angesichts dieser Lage scheint es dem neuen Premier geboten, sich die Unterstützung des nationalkatholischen Lagers zu sichern. So hat er denn am 8. Dezember, einen Tag nach seiner Nominierung, die Nähe zu dem überaus einflussreichen Pater Tadeusz Rydzik gesucht. Insgesamt drei Stunden stand er im Fernsehsender Trwam sowie in Radio Maryja Rede und Antwort. Er überschüttete P. Rydzik und dessen Medienimperium mit Lob und betonte, „die hier repräsentierten Werte sind mir nahe.“ Er sprach sich – ganz im Sinne von P. Rydzik – „für den Ausbau eines auf christliche Werte basierenden Staates aus“, und dies im Gegensatz zum westlichen Europa, das von „Entchristlichung und Konsumptionismus“ bestimmt sei. In diesem Zusammenhang fehlte nicht sein Hinweis auf die leeren Kirchen und ihre säkulare Zweckentfremdung. Doch dabei beließ es Morawiecki nicht. Er verstieg sich zu der Aussage, diesen Prozess mit Hilfe des katholischen Polens umzukehren und „Europa zu rechristianisieren“. Die Frage ist, wie er das wohl bewerkstelligen will.

Morawiecki nahm auch zu dem von PiS vollzogenen Staatsumbau Stellung. Er sieht darin keinerlei Bedrohung des Rechtsstaates, sondern eine „notwendige Reform“. Die gerade im Sejm verabschiedeten Gesetze zum Obersten Gericht sowie zum Landesjustizrat sind für ihn keine Aufhebung der für eine demokratische Ordnung fundamentalen Gewaltenteilung, sondern „ein Ausmisten des Schweinestalls“. Das Oberste Gericht – so seine Behauptung – sei von Richtern besetzt gewesen, „die seine im Untergrund der Solidarność aktiven Kollegen verurteilt haben“ und die deswegen ersetzt werden mussten. Das ist nachweislich falsch, denn mit dem Gesetz vom 20. Dezember 1989 wurde bereits vier Monate nach Ende kommunistischer Herrschaft das Oberste Gericht mit unbelasteten Richtern neu besetzt.

Geradezu entlarvend ist sein Vergleich mit Hitlerdeutschland, um die von ihm und von Kaczyński vertretene These zu begründen, dass das Recht alleine nicht genügt, um Gerechtigkeit zu schaffen, denn Deutschland habe „im Namen des Rechts uns und andere Nationen, zumal die Juden, ermordet, und die dafür verantwortlichen Richter seien später dafür nicht zur Verantwortung gezogen worden.“ Der von Morawiecki bemühte Vergleich enthält eine Analogie zu dem, was PiS mit ihrer Justizreform bezweckt, indem durch die neuen Gesetze die Unabhängigkeit der Richter aufgehoben wird und diese praktisch der Exekutive unterstellt werden. Auch wenn mit dieser Analogie PiS selbstverständlich keine Mordabsichten unterstellt werden sollen und ihr Autoritarismus nicht mit der Hitlerdiktatur gleichgesetzt werden kann, so schafft doch Kaczyński mit seiner Politik eine Situation, in der letztlich der durch seine Partei repräsentierte Wille der Nation über dem Recht steht und zu ihrem Instrument wird. Im Übrigen geht Morawiecki, wie er in dem dreistündigen Gespräch äußerte, davon aus, dass PiS mindestens zwölf Jahre das Land regieren werde – und dies wohl mit ihm als Premier.

Nach diesen Aussagen ist vom neuen Ministerpräsidenten keine Änderung der bisherigen Politik zu erwarten. Man sollte sich daher im Westen nicht durch seine smarte Erscheinung und Weltgewandtheit täuschen lassen.

Quelle: Maciej Orłowski, „Mam marzenie: zrechrystianizować Europę. Europie brak zasad i wartości“ („Ich habe einen Traum: die Rechristianisierung Europas. Europa mangelt es an Prinzipien und Werten.“), Gazeta Wyborcza v. 12. 12. 2017.

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