Der Fall „Bolek“ muss neu aufgerollt werden
Die erklärte Absicht der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist es, eine neue, die IV. Republik zu gründen. PiS rechtfertigt ihr Vorhaben mit der These, die nach der europäischen Wende ins Leben gerufene III. Republik sei in Wahrheit ein postkommunistisches System, in dem die einstigen Kommunisten weiterhin über einen erheblichen Einfluss verfügen. Und für das Zustandekommen der III. Republik macht PiS vor allem Lech Wałęsa verantwortlich, den legendären Führer der Solidarność, den Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger. Er sei nachweislich als IM „Bolek“ ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes gewesen. Seit Jahren führt PiS daher eine Kampagne gegen ihn, durch die Wałęsa verdächtigt wird, den Systemwechsel 1989/90 in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst herbeigeführt zu haben.
In der Tat findet sich für diese Beschuldigung reichlich Material: 53 Dokumente belegen Wałęsas angebliche Zusammenarbeit mit dem Amt für Sicherheit (UB). Zudem gibt es Quittungen, die mit seiner Unterschrift versehen den Erhalt von Geldern bestätigen. Das für die Untersuchung zuständige Institut für Nationales Gedenken (IPN) hatte diese Dokumente als authentisch anerkannt und damit Wałęsa als Geheimem Mitarbeiter des UB unter dem Code „Bolek“ eingestuft. Wałęsa selbst hat allerdings die Echtheit dieser ihn belastenden Dokumente stets bestritten.
Nun ist in diesem Fall eine überraschende Wende eingetreten. Ein ehemaliger Funktionär des UB hat ausgesagt, dass es innerhalb des Amtes für Sicherheit eine Abteilung gegeben hat, deren Aufgabe es war, Dokumente zu fälschen. In den Jahren 1982-1984 seien auch Wałęsa betreffende Dokumente entsprechend präpariert worden.
Der frühere Funktionär Tadeusz Stanisław Marasziewicz gab zu Protokoll, dass er selbst in dieser Fälschungswerkstatt tätig war. Die entsprechenden Texte seien von Vorgesetzen diktiert worden und mussten auf ein speziell ausgewähltes Papier in der nachgeahmten Handschrift des Betroffenen geschrieben werden.
Aufgrund dieser neuerlichen Entwicklung haben die Bevollmächtigten von Wałęsa beim Danziger Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Das Gericht entsprach dem Antrag und forderte die zuständige Abteilung von IPN in Białostock auf, den Fall „Bolek“ neu zu verhandeln.
Inzwischen hat Wałęsa auf Facebook die Dokumente veröffentlicht, die die Fälschung seiner Akte bestätigen sollen. Unter ihnen befindet sich auch die Aussage eines früheren Funktionärs des UB, der angibt, Wałęsa betreffende Dokumente persönlich gefälscht zu haben.
Man wird gespannt sein dürfen, wie PiS auf diese neue Sachlage reagiert. Immerhin handelt es sich um Erkenntnisse, welche die Grundlage für die Errichtung einer IV. Republik erschüttern.
Quelle: Jarosław Sidorowicz, Paweł Wojciechowski, Sąd: Śledztwo IPN ws. falszowania akt TW „Bolek“ ma trać nadal. (Gericht: Die Untersuchung durch IPN bezüglich der Fälschung der Akten des IM „Bolek“ muss wieder aufgenommen werden), Gazeta Wyorcza v. 09. 01. 2018.