Streit um den Terminus „polnische Konzentrationslager“
In Polen ist ein Streit um den Terminus „polnische Konzentrationslager“ entbrannt. Dabei geht es nicht um Auschwitz-Birkenau und andere von Deutschen im Zweiten Weltkrieg errichtete Arbeits- und Vernichtungslager, die im Westen zuweilen als „polnische Konzentrationslager“ bezeichnet werden, was in Polen für berechtigte Empörung und juristische sowie diplomatische Schritte sorgt. In diesem Fall geht es um Lager, die unmittelbar nach dem Krieg durch polnische Behörden eingerichtet wurden und unter polnischer Verwaltung standen. In ihnen wurden vor allem in Oberschlesien deutsche Zivilisten, vornehmlich Alte, Frauen und Kinder, ohne Gerichtsurteil eingesperrt und waren der Willkür ihrer Wächter ausgesetzt.
Dass es derlei Lager gegeben hat, ist keine neue Entdeckung; weder für Polen, wo die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in den 1990er Jahren in Angriff genommen wurde, noch für die Bundesrepublik, wo bereits wenige Jahre nach Kriegsende erste Berichte über das Lager Lamsdorf erschienen. Dort hatte man die deutsche Bevölkerung aus 30 umliegenden Dörfern aus ihren Häusern vertrieben und in dem früheren Gefangenenlager hinter Stacheldraht gebracht, um auf diese Weise Raum für die sogenannten „Repatriierten“ aus dem von der Sowjetunion annektierten Ostpolen zu schaffen. In Schlesien gab es ein Dutzend solcher Lager.
Neu ist, dass für diese Lager in einem jüngst im Krakauer katholischen Verlag „Znak“ erschienenen Buch der Begriff „polnische Konzentrationslager“ verwendet wurde. Es handelt sich um das Werk des in Polen sehr bekannten Journalisten Marek Łuszczyna. Bereits der Titel „Mała zbrodnia“ ( Das kleine Verbrechen) wirft Fragen auf: Wer immer von Polen an Deutschen nach dem Krieg verübte Untaten beim Namen nennt, der setzt sich dem Verdacht aus, damit die von Deutschen verübten und weit schlimmeren Verbrechen zu relativieren. Im Vergleich zu ihnen erscheinen sie als „klein“. Aber es gilt auch der Umkehrschluss: Lässt sich das „kleine“ Verbrechen durch Hinweis auf das von Deutschen verübte „große“ Verbrechen relativieren? Verbrechen ist schließlich Verbrechen.
Noch interessanter ist der Untertitel. Er lässt sich einmal lesen als „polnische Nachkriegsarbeits- und -straflager“ – die bislang übliche Bezeichnung, die auf dem Buchdeckel farblich herausgehoben und gleichzeitig durchgestrichen ist, zum anderen als „polnische Nachkriegskonzentrationslager“. Damit ist bereits im Untertitel der Streit um den Terminus „polnische Konzentrationslager“ thematisiert.
Der Protest gegen diese Bezeichnung ließ nicht lange auf sich warten. Der zwischen 2000 und 2006 als Direktor der Hauptkommission zur Verfolgung der von Deutschen verübten Kriegsverbrechen tätige Professor Witold Kulesa meinte: „Niemand bringt mich dazu, die Lager im Nachkriegspolen Konzentrationslager zu nennen. […] Das waren keine polnischen Lager. Sie wurden von den kommunistischen Machthabern geschaffen, die den Souverän der polnischen Nation nicht repräsentierten.“ Und sein Kollege Łukasz Kamiński, ehemaliger Direktor des Instituts für Nationales Gedenkens erklärte: „Ich würde vom Gebrauch dieser Formulierung abraten, denn die Polen hatten auf die Errichtung dieser Lager keinen Einfluss.“ Dies ist die gleiche Argumentation, wie sie auch im Zusammenhang der jüngsten Reparationsforderungen verwendet wird. Würde man sie ernst nehmen, dann wären sämtliche in den Jahrzehnten der kommunistischen Volksrepublik gefassten Beschlüsse null und nichtig – und das mit unabsehbaren juristischen, nationalen und internationalen Konsequenzen.
Gänzlich anderer Ansicht ist der gleichfalls bis vor kurzem mit dem Institut für Nationales Gedenken verbundene Professor Bogusław Kopka: „Blicken wir auf die Fakten: Wie wurden diese Orte der Absonderung organisiert? Auf einem bestimmten Terrain wurde für eine ungewisse Zeit, ohne Gerichtsurteil, die Zivilbevölkerung isoliert, darunter Alte, Kinder, Frauen, also zur Arbeit unfähige Personen. Diese Fakten erlauben die Definition „Konzentrationslager“.
Es blieb nicht bei einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Reduta Dobrego Iminenia (Reduta des guten Namens), eine Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, nach ihrer Ansicht falsche, die Würde der polnischen Nation verletzende Informationen aufzuspüren und ihre Richtigstellung vor Gericht zu erstreiten, trat auf den Plan. Mit ihren Aktivitäten stellt sie sich ganz in den Dienst der PiS-Regierung und ihrer Geschichtspolitik, die jeden Hinweis auf eine „nationale Schande“ abzuwehren sucht. Sie hatte bereits ein Verfahren gegen den früheren belgischen Premier und jetzigen Europaabgeordneten Guy Verhofstadt eingeleitet, weil dieser die Teilnehmer des Warschauer Marsches der Unabhängigkeit vom 11. November 2017 als Faschisten, Neonazis und Rassisten bezeichnet hatte. Nun stellte sie gegen den Gebrauch des Begriffs „polnische Konzentrationslager“ Strafantrag, aber seltsamer Weise nicht gegen den Vertreib des Buches „Mała zbrodnia“, sondern gegen die im polnischen Newsweek erschienene Rezension. Das Gericht entsprach diesem Antrag und verlangt von Newsweek eine Richtigstellung.
Das Gerichtsurteil muss als äußerst bedenklich angesehen werden. Und dies gleich aus mehreren Gründen. Zum einen macht sich das Gericht zum Schiedsrichter in einem Streit der Historiker. Zum anderen berücksichtigt es nicht die Erkenntnisse der historischen Forschung, durch die sowohl belegt ist, dass die Einrichtung solcher Internierungslager durch die Lubliner Regierung noch vor Kriegsende beschlossen wurde und es zumindest ein Dokument des mit dieser Aufgabe betrauten Ministerium für nationale Sicherheit gibt, das den Begriff „polnische Konzentrationslager“ verwendet. Zudem handelt es ist in der polnischen Rechtsprechung um das erste Urteil dieser Art, konnten doch bislang nur von einer angeblich beleidigenden Falschmeldung direkt Betroffene Klage erheben. Mit diesem Urteil ist – wie Reduta triumphierend feststellt – die Bahn frei für jeden patriotischen Polen, Klage einzureichen, sobald er etwas feststellt, was nach seiner Meinung geeignet ist, den guten Namen Polens öffentlich zu verunglimpfen. Hier zeigt sich, zu welchem Ergebnis die polnische Justizreform des „guten Wandels“ führt.
Auch was die begangenen Verbrechen betrifft, liegt der Vergleich zu Konzentrationslagern nahe. So mussten sich unter Czesław Gęborski, dem sadistischen ersten Kommandanten von Lamsdorf, Häftlinge nackt ausziehen, Leichen der in diesem Gefangenenlager ums Leben gekommenen sowjetischen Soldaten exhumieren und die halb verwesten Gebeine umarmen. Ein anderes Mal ließ er eine Baracke in Brand stecken und zwang die Häftlinge, mit bloßen Händen den Brand zu löschen, wobei sie hinterrücks erschossen wurden.
Gęborski wurde zwar nach diesen Vorkommnissen abberufen und 1958 vor Gericht gestellt, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Dennoch gibt es einen Grund, auf die Bezeichnung „polnische Konzentrationslager“ zu verzichten. Der Begriff „Konzentrationslager“ ist so eng mit den von Deutschen begangenen Verbrechen verbunden, dass er nicht auf die polnischen Internierungslager übertragen werden sollte.
Quelle: Kolejny sukces Reduty Dobrego Imienia. Newsweek.pl musi opublikować sprostowanie! (Ein weiterer Erfolg der Reduta des Guten Namens. Newsweek pl muss eine Richtigstellung veröffentlichen), Polityka v. 05. 01. 2018.