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Die folgenschwere polnische Justizreform

Gut zwei Jahre nach Übernahme der Regierungsverantwortung hat die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mit der Verwirklichung ihrer Justizreform eines ihrer Hauptziele fast erreicht. Was noch fehlt, ist eine neue Verfassung als Gründungsurkunde der von ihr angestrebten IV. Republik.

Begonnen hatte diese Entwicklung mit der Personalunion von Justizminister und Generalstaatsanwalt, die es Zbigniew Ziobro, dem derzeitigen Inhaber beider Ämter, erlaubt, das Gerichtswesen in seinem Sinne zu beeinflussen, eine Machtfülle, durch die bereits die für eine demokratische Gesellschaft fundamentale Gewaltenteilung nicht mehr gewährleistet ist. Dann folgte der Anschlag auf das Verfassungsgericht, das mit PiS loyalen Richtern besetzt wurde, wodurch es der ohnehin schwachen Opposition praktisch nicht mehr möglich ist, Gesetzesvorhaben der Regierung zu stoppen.

Als PiS ihre Kontrolle auch über das Oberste Gericht und den Landesjustizrat ausweiten wollte, gab es mit dem Veto von Präsident Andrej Duda ein retardierendes Moment. Es war der Zeitpunkt, als die landesweiten Proteste gegen die Justizreform ihren Höhepunkt erreicht hatten. Kritiker sahen allerdings im Veto des Präsidenten lediglich ein taktisches Manöver, das auf eine Beruhigung der Lage abzielte. Und sie sollten Recht behalten. Nach einigen rein kosmetischen Veränderungen unterzeichnete Präsident Duda die zuvor von ihm gestoppten Gesetzte; und dies, gleichsam provokativ, ausgerechnet an dem Tag, an dem das Sanktionsverfahren der Europäischen Kommission gegen Polen eingeleitet wurde. Inzwischen waren auf allen Ebenen des Justizapparates eine Vielzahl an Richtern versetzt oder entlassen und durch PiS genehme Personen ersetzt worden.

Die Reaktion der europäischen Institutionen

Nach den 1993 vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs beschlossenen Kopenhagener Kriterien ist eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung die Grundvoraussetzung für die Aufnahme eines Staates in die Europäische Union. Was aber ist zu tun, wenn – wie im Falle Polens – die Regierung eines Mitgliedstaates durch Aufhebung der Gewaltenteilung die Rechtsstaatlichkeit ernstlich verletzt?

Als erstes wird die für „Demokratie durch Recht“ zuständige Venedig-Kommission des Europarates aktiv. Ihr gehören angesehene Verfassungsrechtler aus 60 Ländern an, darunter auch aus Polen. Diese hat sehr aufmerksam die Entwicklung in Polen verfolgt und mehrfach die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien angemahnt, ohne bei der PiS-Regierung Gehör zu finden. Am 8. Dezember 2017 hat sie dann ihr Ergebnis in zwei Gutachten vorgelegt. Das erste befasst sich mit der Justizreform. Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass durch die in diesem Rahmen beschlossenen Gesetze die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ernstlich gefährdet ist.

In ihrem zweiten Gutachten besteht die Venedig-Kommission darauf, dass die Ämter des Justizministers und des Generalstaatsanwalts wieder getrennt werden.

Auf Grundlage beider Gutachten hat die Europäische Kommission am 20. 12. 2017 nach Artikel 7 des EU-Vertrages ein Verfahren gegen Polen eröffnet. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass dies geschehen ist. Doch ehe Sanktionen beschlossen werden können, sind zwei Klippen zu überwinden. Zunächst muss der Europäische Rat mit Vierfünftel der Stimmen der Staats- und Regierungschefs das Ergebnis der Venedig-Kommission bestätigen und seinerseits feststellen, dass tatsächlich eine schwerwiegende Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt. Doch diese Feststellung genügt allein nicht, um Sanktionen zu verhängen. Dazu ist ein erneuter, dieses Mal einstimmiger Beschluss des Rates erforderlich, mit dem dieser feststellt, dass nicht nur die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit, sondern die Verletzung als solche zweifelsfrei gegeben ist. Erst dann kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, Polen etwa das Stimmrecht im Rat zu entziehen.

Wie zu sehen ist, sind auf dem Weg zu einer Sanktionierung eines Mitgliedstaates der EU ehebliche Hürden zu überwinden. Entsprechend gelassen sieht denn auch Polens Regierung diesem Prozess entgegen. Um das Verfahren bereits im Ansatz zu stoppen, müsste Polen fünf weitere EU-Mitgliedstaten für eine Ablehnung gewinnen. Doch selbst wenn ihr dies trotz derzeitiger Bemühungen hinter den Kulissen nicht gelingen sollte, besteht für Sanktionen keine Gefahr. Schon jetzt ist sicher, dass sich Ungarn angesichts der am Ende erforderlichen Einstimmigkeit gegen die Feststellung einer tatsächlich vorliegenden schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlich durch die polnische Justizreform stimmen wird, so dass kein Beschluss zur Sanktionierung Polens gefasst werden kann. Am Ende könnte sich der Artikel 7 als stumpfes Schwert erweisen und die Krisensituation in der EU weiter verschärfen.

Mögliche innenpolitische Auswirkungen der Justizreform

Der Evangelist Matthäus berichtet, dass Pilatus der Forderung des Hohen Rates, Jesus zu kreuzigen, eigentlich nicht nachkommen wollte. Als er versuchte, sich der Entscheidung zu entziehen und sie auf den Hohen Rat zu übertragen, kam es vor seinem Palast zu einem immer größer werdenden Tumult. Daraufhin ließ Pilatus „Wasser bringen, wusch sich vor allen Leuten die Hände und sagte: Ich bin unschuldig am Blute dieses Menschen.“ Dann befahl er, Jesus zu geißeln und zu kreuzigen. (Mt 27, 24)

Die politische Macht fürchtet Tumulte. Daher das Bestreben der Machthaber, diese möglichst zu vermeiden, indem sie versuchen, anderen Entscheidungen aufzubürden, die zu gesellschaftlichen Unruhen führen könnten. Dieser Sachverhalt ist ein wichtiger Aspekt der polnischen Justizreform. Darauf verweist der an der Warschauer Universität lehrende Juraprofessor Marcin Matczak. Als Beispiel nennt er die Reprivatisierung des in der kommunistischen Zeit konfiszierten Eigentums. Hier kommt es zwischen dem grundsätzlichen Recht auf Reprivatisierung und den gegenwärtigen Nutzern des konfiszierten Eigentums zum Konflikt. „Eine eindeutige Entscheidung in diesem Streit durch die Politiker aufgrund des geltenden Rechts ist politisch riskant, weil diese immer für eine der Seiten schmerzlich ist. Besser ist es somit, sich die Hände zu waschen und die Initiative den Gerichten zu überlassen.“

Andererseits gibt die politische Macht die Entscheidungsgewalt ungern aus der Hand. Man möchte gleichsam den Kuchen verteilen und doch für sich behalten. Die Justizreform machte dies möglich, indem sie der PiS-Regierung die totale Kontrolle über das Gerichtswesen sichert. Als die Kaczyński-Partei bald nach Regierungsübernahme mit ihrer absoluten Parlamentsmehrheit versuchte, ein verschärftes Abtreibungsgesetz zu verabschieden und es im ganzen Land zu Massenprotesten kam, verzichtete man vorerst auf einen Beschluss und verwies das Gesetzesprojekt an das Verfassungsgericht, das PiS durch eine entsprechende Neubesetzung zuvor unter ihre Kontrolle gebracht hatte. So konnte man sicher sein, dass es in ihrem Sinne entscheiden würde.

Doch es geht der politischen Macht nicht nur darum, negative Emotionen zu neutralisieren; sie möchte auch in der Bevölkerung positive Emotionen wecken; etwa durch eine Gesetzgebung, die vornehmlich der eigenen Wählerschaft zugutekommt. Dem dient vor allem das Sozialprogramm von PiS. Umfragen belegen, dass ihr hoher Zustimmungswert vor allem auf die Zahlungen bei Geburt eines Kindes, die Absenkung des Renteneintrittsalters, kostenlose Medikamente für Rentner sowie auf den geplanten sozialen Wohnungsbau zurückzuführen ist. Dieses Sozialproramm kann, auch wenn es durch die Absicht des Machterhalts bedingt ist, schwerlich kritisiert werden.

Anders verhält es sich mit den Konsequenzen, die sich aus der politischen Einflussnahme auf die Gerichte ergeben, die den potentiellen Wählern von PiS entweder nicht bekannt oder egal zu sein scheinen. Sie ist bereits dadurch gegeben, dass mit der Justizreform eine umfassende Neubesetzung der Gerichte mit eigenen Gefolgsleuten erfolgt ist. Die Loyalität der neuernannten Richter gegenüber der Regierung zeigt sich bereits in der Rechtsprechung, die in Ausnutzung des bei der Urteilsfindung stets gegebenen Spielraums in manchen Fällen dem entspricht, was politisch opportun ist. „Auf diese Weise sind Einstellungen leichter zu formen und über die Gerichte das aktuelle Wertesystem zu vermitteln, z. B. dass die öffentliche Verbrennung einer einen Juden darstellenden Puppe eine milde Strafe nach sich zieht, dagegen eine harte für einen nicht genehmigen Protest gegen diese Verbrennung.“

Die politische Einflussnahme aufgrund der Justizreform nimmt zuweilen Formen der Zensur an. Dazu ein Beispiel: Unlängst erschien ein Buch, das sich mit den nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten, unter polnischer Verwaltung stehenden Lagern befasst und diese bereits auf dem Buchdeckel als „polnische Konzentrationslager“ ausweist. Dieser Terminus rief die Reduta Dobrego Iminenia (Reduta des guten Namens) auf den Plan, eine Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Würde der polnischen Nation angeblich verletzende Informationen aufzuspüren und ihre Richtigstellung vor Gericht zu erstreiten. Sie stellte wegen seiner Verwendung Strafantrag, zwar nicht gegen das Erscheinen des Buches, wohl aber gegen eine im polnischen Newsweek erschienene Rezension. Das Gericht entsprach diesem Antrag und verlangt von Newsweek eine Richtigstellung.

Ein äußerst bedenkliches Gerichtsurteil, machte sich doch das Gericht zum Schiedsrichter in einer Historiker betreffenden Frage und berücksichtigte nicht die Erkenntnisse der historischen Forschung, durch die sowohl belegt ist, dass die Einrichtung solcher Internierungslager durch die Lubliner Regierung noch vor Kriegsende beschlossen wurde und es zumindest ein Dokument des mit dieser Aufgabe betrauten Ministerium für Nationale Sicherheit gibt, das den Begriff „polnische Konzentrationslager“ verwendet. Zudem handelt es ist in der polnischen Rechtsprechung um das erste Urteil dieser Art, konnten doch bislang nur von einer angeblich beleidigenden Falschmeldung direkt Betroffene Klage erheben. Mit diesem Urteil ist – wie Reduta triumphierend feststellt – die Bahn frei für jeden patriotischen Polen, Klage einzureichen, sobald er etwas feststellt, was nach seiner Meinung geeignet ist, den guten Namen Polens öffentlich zu verunglimpfen.

Eine weitere durch den „guten Wandel“ der Justizreform gegebene und bereits praktizierte Möglichkeit besteht in der selektiven Anwendung des Rechts. Auch dazu ein Beispiel: Aufsehen erregte unlängst, zumal in der amerikanischen Presse, eine Strafe in Höhe von 1,5 Millionen Zł, die von dem für Fernsehen und Radio zuständigen Landesrat KRRiT gegen den im amerikanischen Besitz befindlichen Sender TVN verhängt wurde. Er hatte über die zeitweise Besetzung des Sejm durch die Opposition berichtet, womit diese ihren Protest gegen die von PiS vorangetriebene, die Grundprinzipien der Demokratie verletzende Justizreform zum Ausdruck gebracht hatte. Für den KRRiT war dies ein Grund, gegen den Sender juristisch vorzugehen. Er berief sich dabei auf den Art. 18.1 und 3, der die Propagierung von Handlungen, die gegen das Gesetz verstoßen und die Sicherheit bedrohen, unter Strafe stellen. Ein Gummiparagraph, der sich vorzüglich dazu eignet, eine kritische Berichterstattung zu unterbinden.

Nicht allein die strafrechtliche Anwendung des Artikels 18 als solche ist zu kritisieren, sondern vor allem das Faktum, dass hier das Recht selektiv angewandt wird. Denn anderenfalls müsste der Landesrat für Radio und Fernsehen angesichts der vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen betriebenen fremdenfeindlichen Propaganda, der Gleichsetzung von Flüchtlingen mit Terroristen oder wegen des gegen die Opposition erhobenen unberechtigten Vorwurfs eines geplanten Putsches längst gegen den Sender tätig geworden sein. Doch eben dies geschieht nicht.

Die selektive Anwendung des Rechts könnte sich für PiS im Kampf um den Erhalt der Macht als schärfste Waffe erweisen. Eindrucksvolles Vorbild ist Russland, wo Oligarchen, die sich von Putin abgewandt hatten und die Opposition unterstützten, wegen Korruption und Veruntreuung von Geldern zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht die Frage, ob sie im Sinne der Anklage schuldig waren, sondern dass allein gegen sie, nicht aber gegen kremltreue Oligarchen vorgegangen wurde, denen man leicht in gleicher Weise den Prozess hätte machen können. Der Effekt einer solchen selektiven Anwendung des Rechts ist enorm. Sie ist ein warnendes Signal, durch das oppositionelle Kräfte im Sinne des Systems diszipliniert werden. Und zusätzlich kann man sich des Beifalls der eigenen Wählerschaft gewiss sein, die solch hartes Vorgehen „gegen die Feinde der Nation“ in der Regel begrüßen werden.

Die Möglichkeit für eine vergleichbare Situation besteht jedenfalls aufgrund der Justizreform auch in Polen: Der Justizminister kann in seiner Eigenschaft als Generalstaatsanwalt ohne Angabe von Gründen die Staatsanwaltschaft zu entsprechenden Untersuchungen beauftragen, und der Geheimdienst ist ohne Gerichtsurteil dazu berechtigt, jeden Bürger zu überwachen und eine dem System missliebige Person abzuhören, wobei das auf diese Weise gewonnene Material zu ihrer Diskreditierung staatstreuen Medien zugespielt und von diesen veröffentlicht werden kann. Ob es zu einer solchen Entwicklung kommen wird, bleibt abzuwarten.

Marcin Matczak, PiS na drodze do ostatecznej skutecznoŚci (PiS auf dem Wege zu einer letzten Effektivität), Tygodnik Powszechny v. 1./7. 01. 2018, S. 28.

Ebd., S. 28.

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